Wegen des Auslegens einer Unterschriftenliste zur Wiedereinführung der 35 Stunden Woche dürfen Arbeitnehmer nicht gekündigt werden. Selbst wenn der Initiator der Unterschriftenaktion andere Kollegen während der Arbeitszeit anspricht, verletzt er damit nicht seine arbeitsvertraglichen Pflichten, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 02.07.2014 (AZ: 4 Sa 235/14). Das Ansprechen sei vielmehr als „sozialadäquat“ vom Arbeitgeber hinzunehmen.
Im entschiedenen Rechtsstreit wurde einem Schichtleiter im Bereich „Imprägnierung“ eines holzverarbeitenden Unternehmens im Sauerland fristlos und hilfsweise ordentlich gekündigt. Der Arbeitgeber warf dem Mann vor, während der Arbeitszeit eine anonyme Unterschriftenliste zur „Wiedereinführung der 35 Stunden Woche“ an einem Firmen-PC entworfen und diese anderen Arbeitnehmern zur Unterschrift vorgelegt zu haben.
In der Unterschriftenliste hieß es konkret: „Die Produktionsmitarbeiter der Firma F wünschen sich aus Alters und gesundheitlichen Gründen die Umstellung von der 38 Stunden Woche auf die 35 Stunden Woche mit vollem Lohnausgleich“. Zum Zeitpunkt der Einstellung des heute 47-jährigen Klägers galt noch die 35 Stunden Woche. Das Unternehmen hatte die Stundenzahl jedoch später arbeitsvertraglich auf 38 erhöht.
Der Arbeitgeber sah durch die Unterschriftenaktion den Betriebsfrieden gestört. Der Schichtleiter übe eine Leitungsfunktion aus und dürfe nicht gegen den Arbeitgeber arbeiten, so das Unternehmen. Als Führungskraft habe der 47-Jährige mit der Liste Druck auf andere, ihm untergebene Beschäftigte ausgeübt, diese zu unterschreiben.
Außerdem sehe die Betriebsordnung unter anderem vor, dass der Meinungsaustausch unter den Mitarbeitern nicht zur Störung des Arbeitsablaufs oder des Betriebsfriedens führen dürfe.
Der Arbeitnehmer wies allerdings ebenfalls auf die Betriebsordnung hin, nach der im Unternehmen eine „offene Kommunikation in allen Situationen des Arbeitsalltags“ angestrebt werde. „Wir rufen alle Mitarbeiter auf, Probleme offen anzusprechen“, heißt es darin weiter.
Der Betriebsrat in dem Unternehmen hatte zwar auf Nachfrage des Arbeitgebers von der Unterschriftenaktion gehört, diese aber explizit nicht befürwortet.
Der Schichtleiter hielt seine Kündigung für unwirksam und zog vor Gericht. Er habe lediglich von seinem im Grundgesetz geschützten Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht. Die Reaktion des Arbeitgebers sei „völlig überzogen“. Grund für die Kündigung sei wohl eher, dass er als Störenfried angesehen werde und sein Chef ihn loswerden wolle.
Das LAG urteilte, dass die Unterschriftenaktion für die Wiedereinführung der 35 Stunden Woche keine Kündigung rechtfertige. Zwar seien zur Wahrnehmung der „kollektiven Arbeitnehmerrechte“ in erster Linie der Betriebsrat und die Gewerkschaften berufen. Dies schließe jedoch nicht aus, dass mehrere Arbeitnehmer auch ohne Einschaltung der Arbeitnehmervertretungen an den Arbeitgeber – hier mit einer Unterschriftenliste – herantreten.
Der Einwand des Arbeitgebers, dass der Kläger während der Arbeitszeit andere Beschäftigte wegen der Unterschriftenliste angesprochen hat und diese damit von der Arbeit abgehalten wurden, greife nicht, so die Hammer Richter. Es sei ein normaler Vorgang, dass Arbeitnehmer sich untereinander unterhalten.
Der Arbeitgeber müsse dies hinnehmen, „solange dadurch die Arbeitsleistung nicht leidet oder gar der Arbeitsablauf ins Stocken gerät“, so das LAG. Dies habe der Arbeitgeber aber nicht ausreichend vorgetragen. Die Gespräche der Beschäftigten könnten auch nicht auf einzelne Themen wie Fußball, Wetter oder persönliche Angelegenheiten beschränkt werden.
Eine tatsächliche Störung des Betriebsfriedens liege demgegenüber erst vor, „wenn ein Arbeitnehmer andere Mitarbeiter durch ständige Angriffe auf ihre persönliche Überzeugung, auf die Gewerkschaften oder ihre religiöse Einstellung reizt und dadurch erhebliche Unruhe in der Belegschaft hervorruft“, betonten die Arbeitsrichter.
Dass der Kläger die Liste während der Arbeitszeit und an einem Firmen-PC entworfen hat, stelle jedoch eine Verletzung der Arbeitspflichten dar, die aber allenfalls nur mit einer Abmahnung geahndet werden könne.
Das LAG hielt die ausgesprochenen Kündigungen zwar für unwirksam, es stimmte jedoch dem Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 35.000,00 € zu. Dies ist möglich, wenn der Arbeitnehmer im Prozess vorsätzlich falsch gelogen hat. Hier habe der Kläger im Verfahren zu den Hintergründen zu einer weiteren, in der Vergangenheit durchgeführten Unterschriftenaktion hinsichtlich des Schichtbetriebs im Unternehmen vorsätzlich die Unwahrheit gesagt. Eine „gedeihliche Zusammenarbeit“ zwischen dem Kläger und dem Arbeitgeber sei daher für die Zukunft nicht mehr zu erwarten.
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