Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder

Kanzlei Blaufelder
71638, Ludwigsburg
04.02.2020

Versicherter Wegeunfall auch nach Besuch bei der Freundin

BSG: Zwei Stunden Aufenthalt an anderem Ort führt zu Unfallschutz

Nicht nur der Arbeitsweg von Zuhause bis zum Arbeitsplatz, sondern auch der direkte Weg von einem anderen Ort zur Arbeit kann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Beschäftigte sich mindestens zwei Stunden an dem sogenannten dritten Ort aufgehalten hat und er sich auf unmittelbaren Weg zur Arbeit begeben will, urteilte am 31.01.2020, das Bundessozialgericht (BSG) in zwei Fällen (AZ: B 2 U 2/18 R und B 2 U 20/18 R). Keine Rolle spiele es dagegen mehr für den Unfallschutz, ob der Weg von dem anderen Ort zur Arbeit deutlich länger ist oder höhere Unfallrisiken aufweist, so die Kasseler Richter, die damit ihre bisherige Rechtsprechung teilweise änderten.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen sind Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf dem unmittelbaren direkten Weg „von und nach dem Ort der Tätigkeit“ gesetzlich unfallversichert. Nach der bisherigen Rechtsprechung kann zudem auch Unfallschutz bestehen, wenn von einem anderen Ort als Zuhause der Weg zur Arbeit unmittelbar angetreten wird. Hierfür muss der Beschäftigte sich mindestens zwei Stunden an diesem „dritten Ort“ aufgehalten haben. Bislang durfte dieser Weg – im Verhältnis zum üblichen Arbeitsweg – aber nicht zu weit sein.

Im ersten, nun vom BSG entschiedenen Verfahren war der als Auslieferungsfahrer beschäftigte Kläger bei seinen Eltern in Dormagen bei Düsseldorf gemeldet. Der Weg zur Arbeit betrug von dort lediglich zwei Kilometer. Werktags fuhr der Mann jedoch zu seiner damaligen Freundin nach Mönchengladbach und übernachtete dort. Dies war auch am 09.09.2004 der Fall. Als er morgens von dort denn 44 Kilometer langen Weg zu seiner Arbeitsstätte fuhr, erlitt er mit seinem Pkw einen Unfall. Dabei verletzte er sich an den Beinen schwer.

Die zuständige Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik lehnte die Anerkennung als versicherten Wegeunfall ab. Der 44 Kilometer lange Weg zwischen dem dritten Ort – der Wohnung der Freundin – und der Arbeitsstätte sei im Verhältnis zu dem üblichen Arbeitsweg von nur zwei Kilometern unverhältnismäßig lang.

Auch im zweiten Fall lehnte der Unfallversicherungsträger, die Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, die Anerkennung als Wegeunfall ab. Hier hatte der Kläger morgens behinderte Personen zu einer Werkstatt für behinderte Menschen gebracht und und nachmittags wieder abgeholt. Am 14.10.2015 fuhr er nach seiner ersten Tour zu einem Freund, wo er sich länger als zwei Stunden aufhielt. Als er dann zur Werkstatt fahren wollte, verunglückte er mit seinem Motorrad.

Die Berufsgenossenschaft hatte einen Wegeunfall nicht anerkannt. Die Fahrt zum Freund sei aus privaten Gründen erfolgt. Zwar sei die Wohnung des Freundes als „dritter Ort“ anzusehen. Die Entfernung zur Arbeitsstätte sei aber dreimal so lang gewesen, wie der übliche Arbeitsweg – und damit nicht mehr angemessen.

Doch in beiden Fällen gab das BSG den Klägern nun recht. Sie hätten Anspruch auf Anerkennung eines versicherten Wegeunfalls. Sowohl die Wohnung der Freundin im ersten Verfahren als auch die Wohnung des besuchten Freundes im zweiten Rechtsstreit seien als „dritter Ort“ anzusehen. Die Kläger hätten dort länger als zwei Stunden verbracht und sich dann auf den direkten Weg zur Arbeit begeben. Dies reiche für den Unfallversicherungsschutz aus.

Es komme nicht mehr darauf an, ob der Weg vom „dritten Ort“ unverhältnismäßig weit oder besonders risikoreich ist, so die Kasseler Richter. Von früheren, teils gegenteiligen Urteilten rückte der 2. BSG-Senat ab. Zur „Herstellung von Rechtsanwendungssicherheit“ komme es allein darauf an, dass Beschäftigte sich mindestens zwei Stunden am dritten Ort aufgehalten haben und von dort auf direktem Weg zur Arbeitsstätte fahren wollten.

Am 05.07.2016 hatte das BSG die Klage eines Lagerarbeiters dagegen abgewiesen (AZ: B 2 U 16/14 R). Dieser war während seiner Arbeitszeit zum Arzt gefahren. Als er dann wieder zur Arbeit wollte, erlitt er einen Autounfall. Da der Mann weniger als zwei Stunden in der Praxis war, hatte er keinen Anspruch auf Unfallversicherungsschutz.

 

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