Werden Psychotherapeuten für ihr Praktisches Ausbildungsjahr in einer Klinik nicht bezahlt, kann dies sittenwidrig sein. Eine Vergütungspflicht besteht zumindest dann, wenn der angehende Psychotherapeut „in erheblichem Umfang eigenständige und für das Klinikum wirtschaftlich verwertbare Leistungen erbracht hat“, für die sonst eine bezahlte Arbeitskraft hätte eingesetzt werden müssen, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm in einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 29.11.2012 (AZ: 11 Sa 74/12).
Damit bekam eine angehende psychologische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin recht, die vom 01.02.2009 bis zum 31.01.2010 ihr vorgeschriebenes Praktisches Jahr in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie absolvierte. Klägerin und Klinik hatten sich ursprünglich darauf geeinigt, dass für das Praktische Jahr keine Vergütung zu zahlen ist.
Doch als die Klägerin, eine ausgebildete Diplom-Pädagogin, feststellte, dass die Ausbildungsbestandteile ihres Praktikums viel zu kurz kamen und sie stattdessen als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt wurde, wollte sie dies auch honoriert haben.
Die Klägerin führte an, dass sie faktisch eigenständige Behandlungen vorgenommen habe. An vier Tagen die Wochen habe sie bei Patienten zahlreiche Tests zu Intelligenz, Rechtschreib- und Rechenschwäche, Depressionen oder auch Angststörungen durchgeführt, Hausbesuche ohne Begleitung getätigt oder Berichte für den Medizinischen Dienst verfasst. Wegen der personellen Unterbesetzung an der Klinik habe sie dieselbe Arbeitsleistung erbringen müssen wie fest angestellte Psychotherapeuten.
Seien anderen Therapeuten im Urlaub gewesen, habe es für sie eine Urlaubssperre gegeben. Eltern erkrankter Kinder sei sie als „zuständige Therapeutin“ und nicht als Praktikantin vorgestellt worden. Gegenüber den Krankenkassen sei ihre Arbeit als „Leistungen einer Psychotherapeutin“ abgerechnet worden. Mit Blick auf die enge Eingliederung in den Arbeitsablauf sei der Ausbildungszweck ihres Praktischen Jahres „völlig untergeordnet“ gewesen.
Die Klinik bestritt, dass die Praktikantin eigenständig und eigenverantwortlich eingesetzt wurde. Die von der Klägerin durchgeführten Arbeiten hätten ohne Weiteres von den anderen Team-Mitgliedern auf der Klinikstation erledigt werden können. Es könne auch nicht sein, dass eine zügige und erfolgreiche praktische Ausbildung einer angehenden Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin zu einem „Arbeitsverhältnis“ mutiere. Die Klägerin sei zudem nur eine unbedeutende Mitläuferin gewesen, die aus fachtherapeutischer Sicht nichts zu sagen hatte. Dass die Frau Berichte mit dem Zusatz „Psychotherapeutin“ unterschrieben habe, gehe offenbar auf ihr Geltungsbedürfnis zurück.
Das LAG gab der Klägerin jedoch recht. Überwiege der Ausbildungszweck nicht deutlich die für den Betrieb erbrachten Leistungen und Arbeitsergebnisse, sei die Vereinbarung einer Unentgeltlichkeit der Tätigkeit sittenwidrig und damit unwirksam. Zeugen zufolge habe die Klägerin einen durchaus „beachtlichen produktiven Arbeitsbeitrag“ geleistet, für die das Klinikum ansonsten eine bezahlte Arbeitskraft eines Psychotherapeuten oder Psychologen hätte einsetzen müssen. Die Ausbildung habe demgegenüber eine nur untergeordnete Rolle gespielt.
Die Klägerin habe letztlich etwa ein Viertel des Therapiepensums eines vollschichtig tätigen Psychotherapeuten erledigt, rechnete das LAG vor. Dafür sei ihr die übliche Entlohnung zu zahlen – monatlich 1000,00 €.
Das LAG hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zugelassen.
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