Die gesetzliche Entschädigungspauschale wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens kann auch bei einem nur geringen Streitwert beansprucht werden. Nur in „atypischen Sonderfällen“, wie beispielsweise bei Verfahren mit einer „außergewöhnlich geringen Bedeutung“, kann die Entschädigung gekürzt werden, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) am Donnerstag, 12.02.2015 (AZ: B 10 ÜG 11/13 R). In einem weiteren Verfahren entschieden die Kasseler Richter, dass auch Unternehmen oder andere juristische Personen eine Entschädigung wegen eines zu langen Gerichtsverfahrens verlangen können (AZ: B 10 ÜG 1/13 R).
Der Gesetzgeber hat erst zum 02.12.2012 die Möglichkeit geschaffen, dass bei trödelnden Gerichten eine Entschädigung für zu lange Gerichtsverfahren verlangt werden kann. Als Regelbetrag sehen die Bestimmungen pauschal 1.200,00 € für jedes Jahr der Verzögerung vor, also 100,00 € pro Monat. Davon können Gerichte aus „Billigkeitsgründen“ aber ausnahmsweise abweichen.
Im ersten, vom BSG entschiedenen Fall hatte eine Hartz-IV-Bezieherin aus dem Raum Speyer wegen eines überlangen Verfahrens eine Entschädigung gefordert. Die Frau lag mit ihrem Jobcenter im Streit, weil die Behörde wegen eines Meldeversäumnisses für drei Monate die Hartz-IV-Leistung gekürzt hatte. Insgesamt ging es um 216,0o €.
Die Hartz-IV-Bezieherin rügte, dass das Sozialgericht geschlagene 21 Monate brauchte, um über den Rechtsstreit zu entscheiden. Dies sei viel zu lang.
Die geforderte Entschädigung in Höhe von 2.100,00 € lehnte das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz ab. Betrage die Entschädigungspauschale ein Vielfaches von dem Streitwert, könne diese abgesenkt werden. Hier könne die Hartz-IV-Bezieherin daher nur 216,00 € beanspruchen.
Das BSG urteilte, das grundsätzlich von der Höhe der gesetzlichen Entschädigungspauschale nicht abgewichen werden darf – auch bei einem niedrigen Streitwert nicht. Nur in „atypischen Sonderfällen“ könne die Entschädigung wegen überlanger Gerichtsverfahren gesenkt werden, beispielsweise bei einer „außergewöhnlich geringen Bedeutung“ des Verfahrens. Ob dies hier der Fall war, müsse das LSG noch einmal prüfen.
Im zweiten Fall wurde einem Pflegeheimbetreiber aus Sachsen-Anhalt eine Entschädigung wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens verweigert. Das Pflegeheim lag mit dem Land Sachsen-Anhalt im Clinch, weil es für durchgeführte Investitionen keine höhere Vergütung erhalten hatte.
Das Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht dauerte jedoch über zehn Jahre. Erst das Bundesverfassungsgericht hatte am 14.10.2010 entschieden, dass damit das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt wurde. (AZ: 1 BvR 404/10).
Als der Heimbetreiber nun eine Entschädigung verlangte, winkte das Land ab. Juristische Personen könnten die Entschädigungspauschale generell nicht beanspruchen, da es keine immateriellen Nachteile erleide.
Dem folgten die Kasseler Richter nicht. Auch eine juristische Person könne die gesetzliche Entschädigungspauschale bei überlangen Gerichtsverfahren in Höhe von 1.200,00 € pro Jahr verlangen. Entscheidend sei nur, ob das Verfahren unangemessen lange gedauert hat. Dies müsse das LSG noch einmal prüfen.
In einem dritten Fall entschied das BSG, dass eine Entschädigung nicht mit dem Argument abgelehnt werden kann, die Klage habe von Beginn an keine Aussicht auf Erfolg gehabt (AZ: B 10 ÜG 7/14 R).
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