Männer ohne Kopfhaare können von der gesetzlichen Krankenversicherung keine Perücke beanspruchen. Haarverlust sei bei Männern üblich und wirke daher nicht entstellend oder stigmatisierend, betonte am Mittwoch, 22.04.2015, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (AZ: B 3 KR 3/14 R). Bei Frauen sei dies anders und eine Ungleichbehandlung daher gerechtfertigt. Allerdings ließ das BSG Ausnahmen für Jugendliche und junge Männer zu, denen auch Augenbrauen, Wimpern und Bartwuchs fehlen.
Danach muss ein heute 76 Jahre alter Mann aus Rheinland-Pfalz seine Perücken künftig aus eigener Tasche bezahlen. Seit er 45 Jahre alt ist, leidet er krankheitsbedingt an völliger Haarlosigkeit (Alopecia areata universalis). Zudem hat er die Weißfleckenkrankheit, die zu einer erhöhten Sonnenempfindlichkeit der Haut führt.
Die Krankenkasse hat den Mann wiederholt mit einer Perücke versorgt, zuletzt 2006. Als er mit 73 Jahren 2011 erneut einen Antrag stellte, lehnte die Kasse ab. Kahlköpfigkeit werde bei Männern „nicht als störende Auffälligkeit“ wahrgenommen. Zum Schutz gegen die Sonne reichten Hut oder Mütze aus.
Der Mann kaufte sich für 820,00 € eine ärztlich verordnete Kunsthaarperücke vom eigenen Geld und verlangte dies nun von der Krankenkasse zurück. Die Haarlosigkeit führe bei ihm zu einem hohen psychischen Leidensdruck. Es sei nicht zumutbar, dass er sich in der Öffentlichkeit immer eine Kopfbedeckung aufsetzt, um sich vor neugierigen Blicken und auch vor der Sonne zu schützen. Frauen in gleicher Lage bekämen eine Perücke ohne Weiteres bezahlt. Die Weigerung der Kasse ihm gegenüber sei eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts. Das Bundesverfassungsgericht lasse eine Ungleichbehandlung nur zu, „wenn dies zwingend erforderlich ist“ (Urteil vom 24.01.1995 zu einer Feuerwehrabgabe, AZ: 1 BvR 18/93).
Doch wie schon die Vorinstanzen folgte nun auch das BSG dem nicht. Der Verlust des Kopfhaares sei bei Männern üblich. Er sei daher „weder eine Krankheit noch eine Behinderung“. Die Ungleichbehandlung sei gerechtfertigt, eine Einstandspflicht der Krankenkasse scheide daher aus.
„Die überwiegende Zahl der Männer verliert im Laufe des Lebens ganz oder teilweise ihr Kopfhaar. Dadurch erregen Männer aber weder besondere Aufmerksamkeit im Sinne von Angestarrt-Werden noch werden sie stigmatisiert“, erklärten die Kasseler Richter zur Begründung. Dass hier der Mann dies subjektiv anders empfinde, spiele rechtlich keine Rolle.
Bei Frauen dagegen gebe es einen biologisch bedingten Haarverlust nicht, so das BSG weiter. „Eine Frau ohne Kopfhaar fällt daher besonders auf und zieht die Blicke anderer auf sich. Dieser bei Frauen von der Norm deutlich abweichende Zustand ist wenn er entstellend wirkt – krankheitswertig, sodass die Versorgung mit einer Perücke bei Frauen Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sein kann.“
Wie das BSG weiter betont, kann es allerdings Ausnahmen für Kinder, Jugendliche und junge Männer geben. Ein Anspruch auf eine Perücke könne hier bestehen, „wenn der Haarverlust nicht allein die Kopfbehaarung, sondern auch die übrige Behaarung des Kopfes wie Brauen, Wimpern und Bart erfasst“. Denn dies gehe „über den typischen männlichen Haarverlust hinaus und kann insbesondere bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen Aufsehen erregen“. In solchen Fällen könne daher „eine auffallende, entstellende Wirkung vorliegen, die Krankheitswert besitzt“.
Eine konkrete Altersgrenze bestimmte das BSG nicht. Als Anhaltspunkt nannte es in der mündlichen Urteilsverkündung aber ein Alter von „etwa 30 Jahren“.
Bildnachweis: © ia_64 – Fotolia.com
Haben Sie schon mal etwas von “Mediation” gehört? Nein? Dieses kurze Video stellt den Ablauf einer Mediation sowie die Rolle des Mediators anschaulich und leicht verständlich vor und räumt mit häufigen Missverständnissen auf: