Tritt ein bei der Caritas beschäftigter Sozialarbeiter angesichts von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche aus der Kirche aus, kann er fristlos gekündigt werden. Auch wenn der Arbeitnehmer sich auf seine Glaubens- und Gewissensfreiheit beruft, ist das ebenfalls im Grundgesetz geschützte kirchliche Selbstbestimmungsrecht hier höher zu werten, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg in einem am Samstag, 29.09.2012, veröffentlichten Urteil (AZ: 12 Sa 55/11).
Damit hielten die Stuttgarter Richter die fristlose Kündigung eines 1952 geborenen Sozialarbeiters für wirksam. Der Mann war seit 1992 in einem von der Caritas betriebenen Sozialen Zentrum tätig. Das Zentrum bietet für sozial benachteiligte Kinder Erziehungshilfen. Religiöse Inhalte werden den Kindern nicht vermittelt.
Am 21.02.2011 trat der Sozialarbeiter aus der katholischen Kirche aus. Im anschließenden Gespräch mit seinem Vorgesetzten begründete er den Schritt mit den zahlreichen Kindesmissbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen sowie mit den Vorgängen um die erzkonservative Piusbruderschaft. Papst Benedikt XVI. hatte 2009 veranlasst, dass die Exkommunikation von vier irregulär von der Piusbruderschaft geweihten Bischöfen wieder aufgehoben wurde – darunter auch die des Holocaust-Leugners Richard Williamson.
Da der Sozialarbeiter seinen Kirchenaustritt nicht rückgängig machen wollte, kündigte der Caritasverband dem Mann fristlos. Der Verband berief sich dabei auf sein kirchliches Selbstbestimmungsrecht. Laut den arbeitsrechtlichen Bestimmungen habe sich der Sozialarbeiter dazu verpflichtet, nicht gegen die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre zu verstoßen. Der Kirchenaustritt sei aber genau als das zu werten. Der Kläger habe gewusst, dass ihm dann gekündigt werde.
Der Sozialarbeiter hielt die Kündigung für unwirksam. Sein Kirchenaustritt wirke sich nicht auf die Arbeit im Sozialen Zentrum aus. Die Kinder dort würden religiös neutral betreut. Er nehme außerdem keine leitenden oder repräsentativen Aufgaben wahr, die mit dem Verkündungsauftrag der katholischen Kirche verbunden seien. Sein Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit werde in unzulässiger Weise eingeschränkt oder verhindert, wenn sein Kirchenaustritt mit der fristlosen Kündigung sanktioniert werde.
Sowohl das Arbeitsgericht Mannheim als nun auch das LAG bestätigten die Kündigung. Der Kirchenaustritt des Klägers sei ein schwerwiegender Verstoß gegen dessen arbeitsvertragliche Loyalitätspflichten, so das LAG in seinem Urteil vom 09.03.2012. Der Caritasverband als Einrichtung der katholischen Kirche könne sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche berufen. Die Kirche dürfe danach ihren Mitarbeitern besondere Loyalitätspflichten auferlegen. Halten Beschäftigte diese nicht ein, könne der Kirche ein nicht hinzunehmender Glaubwürdigkeitsverlust drohen.
Auch wenn die Caritas im Sozialen Zentrum die Arbeit religiös neutral leistet, bedeute dies nicht, dass sie dort ihre kirchlichen Grundlagen aufgibt. Die Erziehungsarbeit orientiere sich immer noch an christlichen Werten, so das LAG. Letztlich sei aber entscheidend, dass dem Kläger bei Abschluss des Arbeitsvertrages bewusst war, dass sein Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses dauerhaft eingeschränkt sein wird. Das Interesse der Caritas an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei höher zu bewerten, als das Interesse des Arbeitnehmers zur Weiterarbeit.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zugelassen.
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