Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder

Kanzlei Blaufelder
71638, Ludwigsburg
03.04.2020

Keine „freie Mitarbeit“ ohne unternehmerisches Risiko

LSG Darmstadt: Urteil hilft Physiotherapeutin zur richtigen Zeit

Angestellt oder selbstständig – in Zeiten von Corona ist der Unterschied so wichtig wie vielleicht selten sonst. Dabei gilt auch in einer physiotherapeutischen Praxis: Vermeintliche freie Mitarbeiter „sind abhängig beschäftigt, wenn sie in die Organisation der Praxis eingegliedert sind und kein Unternehmerrisiko tragen“, wie das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt in einem am Dienstag, 31.03.2020, veröffentlichten Urteil entschied (AZ: L 1 BA 14/18).

Für eine in einer physiotherapeutischen Praxis im Landkreis Offenbach beschäftigten Physiotherapeutin kommt das Urteil wohl gerade zur rechten Zeit. Mit der Inhaberin hatte sie einen Vertrag als „freie Mitarbeiterin“ geschlossen. Sie zahlte allerdings keine Miete und hatte auch sonst keine Praxiskosten zu tragen. Geräte und Material bekommt sie gestellt. Abgerechnet wird über das System der Praxisinhaberin. Diese erhält 30 Prozent des Abrechnungsbetrages, den Rest die Physiotherapeutin.

Die Physiotherapeutin wollte wissen, ob sie tatsächlich Freiberuflerin oder nicht doch sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Bei der Deutschen Rentenversicherung beantragte sie daher ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren. Das Ergebnis war eindeutig: Die „freie Mitarbeiterin“ ist in Wirklichkeit Arbeitnehmerin.

Gegen den entsprechenden Bescheid klagte die Inhaberin der Praxis. Die Physiotherapeutin sei nicht an Weisungen gebunden und beteilige sich mit 30 Prozent an den Kosten der Praxis.

LSG Darmstadt entschied zu Lasten der Praxis

Doch das reicht nicht, urteilte nun das LSG Darmstadt. Denn die Physiotherapeutin habe nur in dieser einen Praxis gearbeitet und sei komplett in die dortigen Abläufe eingebunden gewesen. Der Erstkontakt zu den Patienten sei stets über die Praxis erfolgt. Auch die Behandlungsverträge seien mit der Praxis geschlossen worden.

Zudem habe die Mitarbeiterin „kein gewichtiges Unternehmerrisiko getragen“. So musste sie keine von den laufenden Behandlungen unabhängigen Kosten tragen, etwa für die Miete. Auch sei sie nicht selbst „unternehmerisch auf dem Markt aufgetreten“, etwa durch Visitenkarten, Werbung oder ein eigenes Praxisschild, so das LSG abschließend in seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Urteil vom 05.03.2020.

Ähnlich urteilte in einem ebenfalls am 31.03.2020 veröffentlichten Urteil das Sozialgericht (SG) Dortmund zu einem Bauleiter (AZ: S 34 BA 4/19). Auch er sei in seinen Betrieb eingegliedert gewesen und habe insgesamt nach den Vorgaben des Baubetriebs gearbeitet. „Fehlende Einzelweisungen in der betrieblichen Praxis sind – gerade bei höher qualifizierten Tätigkeiten – kein Indiz für eine grundsätzliche Weisungsfreiheit des Beschäftigten“, betonte das SG in seinem Urteil vom 10.03.2020. Auch unternehmerische Risiken habe er nicht getragen und sei sogar nach festen Stundensätzen bezahlt worden.

Während für Selbstständige die Bundesregierung gerade erst eilige und für Betroffene daher noch unwägbare Corona-Hilfspakete geschnürt hat, läuft die Unterstützung für Arbeitnehmer weitgehend in vorgegebenen Bahnen: Laufen die Geschäfte schlecht, kann der Arbeitgeber Kurzarbeitergeld beantragen. Muss ein Arbeitnehmer in behördlich angeordneter Quarantäne, bekommt er Lohnfortzahlung; der Arbeitgeber bekommt dies auf Antrag vom Staat erstattet.

 

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