BSG: Arbeitnehmer muss tatsächlich Heimweg antreten wollen
Verlässt ein Arbeitnehmer ohne ersichtlichen Grund und ohne jegliche Mitteilung seinen Arbeitsplatz, besteht bei einem anschließenden tödlichen Unfall auf dem regulären Heimweg noch kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz. Denn für die Anerkennung als versicherten Wegeunfall und damit für den Anspruch auf mögliche Hinterbliebenenleistungen muss klar sein, dass der Arbeitnehmer auch tatsächlich unmittelbar nach Hause oder zu einem anderen versicherten Ort fahren wollte, urteilte am Dienstag, 06.10.2020, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (AZ: B 2 U 9/19 R).
Vor Gericht wollte eine Witwe von der Berufsgenossenschaft (BG) Rohstoffe und chemische Industrie Hinterbliebenenleistungen erstreiten, insbesondere eine Witwenrente, eine Waisenrente für ihren Sohn und Sterbegeld. Ihr als Produktionsmitarbeiter angestellter Ehemann hatte am 25.06.2014 seinen Arbeitsplatz vorzeitig und bei noch laufenden Maschinen verlassen. Weder sagte er Kollegen Bescheid, noch stempelte er das vorzeitige Arbeitsende aus. Auch informierte er seine Ehefrau nicht per SMS – wie er dies sonst tat – über seine bevorstehende Heimfahrt.
Auf seinen üblichen Arbeitsweg scherte er plötzlich mit seinem BMW ohne zu Bremsen auf die linke Fahrbahnseite aus und stieß frontal mit einem Lkw zusammen. Der Unfall endete für ihn tödlich. Einen Suizid schloss die Witwe aus. Die Partnerschaft sei liebevoll gewesen und es habe keine finanziellen Probleme gegeben. Beide hätten sich über das gemeinsame, zum Unfallzeitpunkt einjährige Kind gefreut.
Berufsgenossenschaft lehnt Leistungen ab
Den Antrag der Witwe auf Hinterbliebenenleistungen lehnte die BG jedoch ab. Es sei nicht feststellbar, ob der Ehemann tatsächlich nach Hause fahren wollte. Für die Anerkennung als versicherten Wegeunfall müsse dies aber belegt sein. Hier wisse man gar nicht, warum der Mann die Arbeit vorzeitig verlassen habe und wohin er fahren wollte. Nur weil er sich auf den sonst üblichen Arbeitsweg befand, könne noch nicht davon ausgegangen werden, dass er nach Hause fahren wollte.
Dem folgte auch das BSG. Für einen Unfallschutz und damit Hinterbliebenenleistungen der Witwe müsse die „Handlungstendenz“ des Beschäftigten darauf gerichtet gewesen sein, dass er den Weg von der Arbeitsstätte nach Hause oder zu einem anderen versicherten Ort zurückzulegen will. Hierfür müsse die „volle richterliche Überzeugung des Tatsachengerichts“ vorliegen. Daran sei das BSG gebunden.
Das Sächsische Landessozialgericht habe mit Urteil vom 28.11.2018 den Unfallschutz aber verneint, weil überhaupt nicht klar sei, ob der Verstorbene tatsächlich nach Hause fahren wollte (AZ: L 6 U 103/17). Für sein Urteil habe das LSG auch alle relevanten Indizien berücksichtigt, so das BSG.
Zwar gebe es bei regelhaften Geschehnissen eine Beweiserleichterung, so dass der Unfallversicherungsträger aufzeigen müsse, warum kein versicherter Wegeunfall vorliegt. Auf diese Beweiserleichterung könne sich die Witwe aber nicht stützen. Denn hier habe ein ungewöhnlicher Geschehensablauf vorgelegen, weil der Ehemann ohne jegliche Ankündigung und bei laufenden Maschinen seinen Arbeitsplatz verlassen hatte.
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