Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder

Kanzlei Blaufelder
71638, Ludwigsburg
23.12.2013

Kündigung wegen HIV-positiv ist diskriminierend

© petrol - Fotolia.comEine Kündigung allein wegen einer HIV-Infektion ist in aller Regel unwirksam und diskriminierend. Die HIV-Infektion ist mit seinen Einschränkungen bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben als Behinderung anzusehen, urteilte am Donnerstag, 19.12.2013, das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (AZ: 6 AZR 190/12). Danach können auch andere chronische Erkrankungen ebenfalls unter das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) fallen. Bei einer unzulässigen Benachteiligung ist damit ein Entschädigungsanspruch möglich.

Geklagt hatte ein Chemisch-Technischer Assistent, der 2010 im sogenannten Reinraum eines Arzneimittelherstellers arbeitete. Das Unternehmen produzierte intravenös zu verabreichende Krebsmedikamente. Als bei der Einstellungsuntersuchung der Kläger dem Betriebsarzt mitteilte, dass er HIV-positiv sei, hatte dieser Zweifel, ob die Tätigkeit im Reinraum für den Mann möglich ist.

Nachdem der Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden wurde, informierte er auch den Arbeitgeber über die symptomlose HIV-Infektion. Dieser kündigte dem Kläger noch am selben Tag – innerhalb der Probezeit.

Der Kläger hielt die Kündigung für unwirksam. Er sei allein wegen seiner HIV-Infektion gekündigt worden, dabei habe er keinerlei Symptome. Damit sei er aufgrund seiner Behinderung diskriminiert worden. Er verlangte die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis weiter fortbesteht. Außerdem forderte er vom Arbeitgeber eine Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund seiner Behinderung. Eine konkrete Gefahr für die Tätigkeit im Reinraum des Unternehmens gebe es nicht.

Der Arbeitgeber meinte, dass HIV- positive Menschen nicht als behindert anzusehen seien. Anspruch auf eine Entschädigung nach dem AGG bestehe daher nicht. Außerdem sei die Kündigung gerechtfertigt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das HI-Virus im Produktionsprozess auf die Produkte übertragen werde.

Das BAG verwies das Verfahren zwar an das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg zurück, gab dem Kläger aber im Grundsatz recht. Eine symptomlose HIV-Infektion sei als Behinderung zu werten. Eine Behinderung liege vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eingeschränkt ist und dadurch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt wird, so der 6. Senat.

Dies sei bei HIV-positiven Menschen der Fall. Selbst wenn Betroffene keinerlei Symptome aufwiesen, würden sie im sozialen Leben oft stigmatisiert. Eine Kündigung sei daher „im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam“. Zulässig sei die Kündigung nur, wenn der Arbeitgeber ein Übertragungsrisiko auf die Produkte nachweist und keine angemessenen Vorkehrungen zur Verfügung stehen, den betroffenen Arbeitnehmer dennoch zu beschäftigen. Dies müsse nun das LAG noch prüfen.

Mit ihrem Urteil orientierten sich die obersten Arbeitsrichter an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg und der UN-Behindertenrechtskonvention. Danach kann eine Behinderung auch bei chronischen Erkrankungen vorliegen, wenn damit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt wird. Die Einschränkungen müssten „von langer Dauer“ sein, auch müsse die – gegebenenfalls krankheitsbedingte Behinderung nicht zu einem völligen Ausschluss vom Erwerbsleben führen, so der EuGH in seinem Urteil vom 11. April 2013 (AZ: C-335/11).

Zur Begründung verwies der EuGH auch auf die Behindertenkonvention der Vereinten Nationen. Diese wurde 2009 auch von der EU ratifiziert. Daher sei das europäische Recht „nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen auszulegen“, betonten die Luxemburger Richter.

„Wir begrüßen sehr das BAG-Urteil“, sagte Silke Klumb von der Deutschen Aidshilfe. Erstmals habe das BAG klargestellt, dass auch chronisch Kranke als „behindert“ angesehen werden können, wenn sie im sozialen Leben benachteiligt werden. Klumb kritisierte, dass der deutsche Gesetzgeber im AGG nicht auch chronische Erkrankungen als Diskriminierungstatbestand übernommen hat. Dabei würden chronische Erkrankungen in der EU-Anti-Diskriminierungsrichtlinie ausdrücklich genannt. „Der Gesetzgeber muss dies möglichst schnell nachholen“, sagte Klumb.

Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention zeigte sich erleichtert. „Die Entscheidung ist ein wichtiges Signal für die Rechtsprechung in Deutschland: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz muss ebenso wie andere Gesetze im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention verstanden werden“, sagte Aichele. Damit sei die Diskriminierung wegen einer symptomlosen HIV-Infektion ebenso wenig zulässig wie eine Ungleichbehandlung aufgrund von Geschlecht und Hautfarbe.

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