Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder

Kanzlei Blaufelder
71638, Ludwigsburg
07.02.2012

Hinterbliebenenrente auch nach passiver Sterbehilfe

Unterbrechen Angehörige bei einem Wachkomapatienten lebenserhaltende Maßnahmen, können sie nach dessen Tod von der gesetzlichen Unfallversicherung trotzdem eine Hinterbliebenenrente und Sterbegeld erhalten. Der Patient muss allerdings wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit in ein Wachkoma gefallen sein und in einem solchen Fall zuvor eine passive Sterbehilfe befürwortet haben, entschied das Sozialgericht Berlin in einem am Montag, 06.02.2012 veröffentlichten Urteil (AZ: S 25 U 216/11).

Im konkreten Rechtsstreit hatte eine Witwe für den Tod ihres verstorbenen Mannes eine Hinterbliebenenrente sowie Sterbegeld von der gesetzlichen Unfallversicherung gefordert. Ihr Mann habe nach einem Arbeitsunfall am 07.06.2006 schwerste Verletzungen erlitten. Neben der Lähmung von Armen und Beinen sei er auch noch in ein Wachkoma gefallen. Auch zwei Jahre intensiver Therapien hätten an dem Zustand ihres verstorbenen Mannes nichts geändert.

Da eine Besserung nicht in Sicht war, hatte die Ehefrau zusammen mit ihren drei Söhnen sich entschlossen, die lebenserhaltenden Maßnahmen bei dem Patienten zu beenden. Sie durchtrennten dazu dessen Magensonde, welche die Ernährung des Mannes sicherstellte. Dieses Vorgehen sei gerechtfertigt und nicht strafbar gewesen, da sie nur den Willen ihres verstorbenen Mannes ausgeführt hätten, so die Witwe. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hatte am 11.08.2010 ihre Ermittlungen gegen die Frau eingestellt.

Der Unfallversicherungsträger lehnte dennoch die Zahlung der Hinterbliebenenrente und des Sterbegeldes ab. Der Tod des Versicherten sei durch die Beendigung der Nahrungszufuhr und nicht durch einen Arbeits- oder Wegeunfall herbeigeführt worden. Ansprüche auf irgendwelche Leistungen bestünden daher nicht.

Das Sozialgericht gab in seinem Urteil vom 16.01.2012 jedoch der Witwe recht. Der Arbeitsunfall des Wachkomapatienten sei eine wesentliche Ursache für dessen Tod gewesen. Es bestehe kein Zweifel, dass das Durchtrennen der Magensonde dem mutmaßlichen Willen des Versicherten entsprach und die Witwe sich strafrechtlich nichts habe zuschulden kommen lassen.

Der Tod des Mannes sei letztlich mit einer Selbsttötung vergleichbar. Auch bei einem Suizid könne nach der gängigen Rechtsprechung der Unfallversicherungsträger zu Leistungen verpflichtet sein – beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer sich nach einem Personalgespräch und einer angedrohten Kündigung umbringt. Gehe ein Suizid vorwiegend auf krankhafte Depressionen zurück, bestehe allerdings kein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung.

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