Führte das Verhalten früherer DDR-Gefängnis-Ärzte bei zu Unrecht inhaftierten Gefangenen zu einer Ärztephobie, kann dies zu einer höheren Haftentschädigung führen. Dies hat das Sozialgericht Berlin in einem am Mittwoch, 05.11.2014, veröffentlichten Urteil entschieden (AZ: S 139 VE 134/10). Der Klägerin erkannte es einen höheren „Grad der Schädigungsfolge“ zu.
Die damals 18-jährige Klägerin war im Frühjahr 1971 in Untersuchungshaft genommen worden. Wegen einer Schwangerschaft wurde diese unterbrochen. Von Ende Januar bis Ende November 1972 verbüßte die Frau in Halle dann eine Strafhaft wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“. Auf Druck der Staatssicherheit und des Jugendamtes musste die Mutter ihre Tochter sofort nach der Entbindung zur Adoption freigeben.
Bestehende Gesundheitsbeschwerden aufgrund der Entbindung wurden von den Gefängnisärzten nicht zur Kenntnis genommen oder auf „zynische Weise bagatellisiert“. Behandlungen wurden abgelehnt. Bei einer Zahnbehandlung wurde ihr ein Zahn ohne Betäubung gezogen.
Die mangelnde ärztliche Versorgung während der Haft, eine dreiwöchige Einzelhaft in einem feuchtkalten Keller und die Zwangsadoption ihrer neugeborenen Tochter hatten psychische und physische Folgen. Seitdem leidet die Klägerin unter Schlafstörungen, Panikattacken, krampfartigen Schmerzen, Asthma und Alpträumen.
Die Symptome hatte die Frau zwar über Jahre einigermaßen im Griff, als aber der Fernsehsender MDR ein Treffen mit der zwangsadoptierten Tochter organisierte, ging es ihr immer schlechter.
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin gewährte ihr 2007 wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, einem ängstlich-depressiven Syndrom und einer Atemwegserkrankung eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Schädigungsfolge von 60. Im Jahr 2010 stellte die Klägerin einen Verschlimmerungsantrag. Eine bereits direkt nach der Haftentlassung aufgetretene Ärztephobie sei seit 2009 im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung wieder aufgelebt.
Das Sozialgericht entschied in seinem Urteil vom 11.04.2014, dass damit der Grad der Schädigungsfolgen auf 80 anzuheben sei. Die Ärztephobie sei wegen des Verhaltens der Gefängnisärzte erstmals direkt nach der Haft aufgetreten. Sie sei Folge der rechtsstaatswidrigen Haft.
Die Angststörung führe dazu, dass sich die Klägerin wiederholt selbst zu lebensnotwendigen ärztlichen Behandlungen nur mit großer Verzögerung überwinden könne. So konnte die Klägerin erst nach 28 psychologischen Gesprächen einen Kliniktermin wahrnehmen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da das Land dagegen Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt hat.
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