Wer Kollegen absichtlich an den Hoden greift und dann auch noch auf dessen „dicke Eier“ hinweist, muss mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen. Jede absichtliche Berührung solcher Geschlechtsteile oder auch der weiblichen Brust gilt als sexuelle Belästigung, die der Arbeitgeber nicht hinnehmen muss, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am Donnerstag, 24.08.2017, veröffentlichten Urteil (AZ: 2 AZR 302/16). Dabei komme es nicht darauf an, dass das Verhalten sexuell motiviert oder mit dem Ziel sexueller Lust verknüpft war.
Der Sachverhalt
Im entschiedenen Rechtsstreit hatte ein Stahlarbeiter aus dem Raum Bremen gegen seine Kündigung geklagt. Sein Arbeitgeber hatte ihn am 07.11.2014 fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt. Grund war ein Vorfall zwei Wochen vorher. Der Kläger hatte einem Kollegen, einen Leiharbeiter, von hinten schmerzhaft an den Hoden gefasst und dies mit einem Hinweis auf seine „dicken Eier“ kommentiert. Der Leiharbeiter fühlte sich erniedrigt und sexuell belästigt und beschwerte sich beim Vorarbeiter.
Der Kläger hielt die daraufhin erfolgte Kündigung für unwirksam. Er habe den Kollegen nur unabsichtlich am Hinterteil berührt. Dem Werkschutz gegenüber hatte er den Vorfall aber zuvor eingeräumt.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Bremen hielt die Kündigung für unverhältnismäßig und unwirksam. Eine Abmahnung hätte ausgereicht, zumal der Arbeitnehmer seit mehr als 23 Jahren in dem Betrieb arbeitete. Um eine sexuelle Belästigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) habe es sich nicht gehandelt, da das Verhalten nicht sexuell motiviert gewesen sei. Der Kläger habe auch nicht mit Vorsatz gehandelt. Vielmehr sei der Griff in die Genitalien ein „situatives und unreflektiertes Verhalten“ gewesen.
Die Entscheidung
Das BAG hob diese Entscheidung in seinem Urteil vom 29.06.2017 auf und verwies den Streit an das LAG zurück. Der absichtliche Griff an die Genitalien sei sehr wohl eine sexuelle Belästigung nach dem AGG. Es handele sich hier um einen „auf die primären Geschlechtsmerkmale und somit die körperliche Intimsphäre des Mitarbeiters gerichteten körperlichen Übergriff, durch den die sexuelle Selbstbestimmung des Betroffenen negiert und damit seine Würde erheblich verletzt wird“, heißt es in dem Urteil.
Der Kläger habe den Leiharbeiter demütigen wollen und dies auch noch verbal mit der Äußerung über „dicke Eier“ unterstrichen. Der Arbeitgeber sei gesetzlich verpflichtet, sexuelle Belästigungen zu unterbinden und Maßnahmen wie Abmahnung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Wenn es dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten, sei auch eine fristlose Kündigung möglich.
Das LAG müsse nun erneut abwägen, ob die Kündigung wirksam ist und diesmal dabei berücksichtigen, dass eine sexuelle Belästigung vorlag. Dies stelle eine erhebliche Pflichtverletzung dar. Zugunsten des Klägers sei zwar dessen mehr als 23-jährige Betriebszugehörigkeit zu werten. Ob das Arbeitsverhältnis störungsfrei war, sei aber offen. So habe der Arbeitgeber von unangemessenen Vorfällen auch in der Vergangenheit berichtet, bei dem er Kollegen grundlos als „Du Dicker“ oder „Rassist“ beschimpfte. In einem Fall soll er einen Mitarbeiter an eine Bandstahlrolle gefesselt haben. Auch dies müsse hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung überprüft werden.
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