Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder

Kanzlei Blaufelder
71638, Ludwigsburg
27.05.2011

Erneut: Drohung mit Krankschreibung

Eine Kündigung wegen Drohung mit Krankheit kann unzulässig sein. Nach einem Jahrzehnte unbeanstandeten Arbeitsverhältnis muss eine Abmahnung reichen, heißt es in einem am 27.05.2011 veröffentlichten Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Rheinland-Pfalz in Mainz (AZ: 9 Sa 692/10). Es wandte dabei den Grundsatz des erworbenen „Vertrauenskapitals“ an, mit dem am 10.06.2010 das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Kündigung der Kassiererin „Emmely“ aufgehoben hatte (AZ: 2 AZR 541/09).

Der Kläger ist Gerüstbauer. Weil ein Unwetter drohte, hatte sein Arbeitgeber im Sommer 2010 eine Sonderschicht am Samstag angeordnet, um vorher noch ein Gerüst abzubauen. Der Gerüstbauer sagte, er werde nicht kommen. Auf den Hinweis des Chefs, er müsse kommen, soll er geantwortet haben: „Ich komme nicht, oder willst du, dass ich mich krankmelde?“ Daraufhin kündigte der Arbeitgeber ordentlich. Dagegen klagte der Gerüstbauer.

Das LAG Rheinland-Pfalz gab der Kündigungsschutzklage statt. Zwar könne nach der Rechtsprechung des BAG die Ankündigung einer noch nicht bestehenden Erkrankung grundsätzlich eine Kündigung rechtfertigen. Auch im konkreten Fall sei die Äußerung des Gerüstbauers als Drohung und somit als schwere Pflichtverletzung zu verstehen.

Für den Arbeitnehmer spreche hier aber das bereits seit gut 31 Jahren bestehende störungsfreie Arbeitsverhältnis und sein Alter von damals 49 Jahren, so das Gericht weiter. Vor diesem Hintergrund sei die Kündigung unverhältnismäßig. Es sei dem Arbeitgeber zumutbar gewesen, zunächst eine Abmahnung zu erteilen. Die unzulässige Drohung mit Krankheit sei ein „steuerbares Verhalten“, so dass davon auszugehen sei, der Arbeitnehmer werde es nach einer Abmahnung unterlassen. „Eine für lange Jahre ungestörte Vertragsbeziehung wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört“, heißt es in dem Mainzer Urteil.

Zur Begründung verweist das LAG Rheinland-Pfalz auf das Urteil des BAG im Fall „Emmely“. Hier hatte das BAG die Kündigung einer Kassiererin wegen Unterschlagung von zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro aufgehoben. Zwar kann nach ständiger BAG-Rechtsprechung auch ein geringfügiger „Bagatelldiebstahl“ eine Kündigung rechtfertigen. Doch im Fall der Kassiererin sei der in 31 beanstandungsfreien Arbeitsjahren erworbene „große Vorrat an Vertrauen“ durch den einmaligen Vorfall nicht aufgebraucht worden.