Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat die Karrierechancen von Menschen mit mittlerem Behinderungsgrad verbessert. Wenn sie nur mit Behindertenausweis eine bestimmte Stelle erlangen können, haben sie Anspruch auf eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten, wie das BSG in einem am Dienstag, 07.10.2014, veröffentlichten Grundsatzurteil entschied (AZ: B 11 AL 5/14 R). Das Grundrecht auf Berufsfreiheit umfasse auch für Behinderte nicht nur „irgendeine“ Tätigkeit, sondern ebenso ihr berufliches Fortkommen, so das BSG zur Begründung.
Es gab damit einer Frau aus Hamburg recht. Wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung hat sie einen Behinderungsgrad von 30 Prozent. Bislang arbeitet sie in Vollzeit als Justizfachangestellte im mittleren Dienst der Justizbehörde und kann diese Tätigkeit auch ohne jede Einschränkung ausüben.
2009 bewarb sich die damals 27-Jährige bei der Hamburger Finanzbehörde für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin im gehobenen Dienst. Nach einem Vorstellungsgespräch bot ihr die Finanzbehörde die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf an – vorbehaltlich ihrer gesundheitlichen Eignung. Der ärztliche Dienst der Hansestadt stellte allerdings fest, dass die junge Frau die gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Sie erhielt daher eine Absage.
Die Übernahme in das Beamtenverhältnis setzt beim Bund ebenso wie bei den Ländern eine gesundheitliche Eignung voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dies nicht erfüllt, wenn vor Erreichen des Ruhestandsalters mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Dienstunfähigkeit zu erwarten ist (Urteil vom 25.07.2013, AZ: 2 C 12.11 und 2 C 18.12). Für Schwerbehinderte sind die Voraussetzungen dagegen deutlich gelockert. So reicht in Hamburg die voraussichtliche Arbeitsfähigkeit für etwa zehn Jahre aus.
Um eine Chance auf eine Laufbahn im gehobenen Dienst zu bekommen, beantragte die 27-Jährige ihre Gleichstellung mit Schwerbehinderten. Dies ist laut Sozialgesetzbuch ab einem Behinderungsgrad von 30 aber unter 50 möglich, wenn Betroffene sonst einen geeigneten Arbeitsplatz „nicht erlangen oder nicht behalten können“.
Die Bundesagentur für Arbeit lehnte ihren Antrag aber ab. Die Frau sei ja schon auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt, diese Stelle sei auch nicht gefährdet.
Doch damit wird die Bundesagentur dem Grundrecht auf freie Berufswahl nicht gerecht, urteilte nun das BSG. Das Grundgesetz, die UN-Behindertenrechtskonvention und die Grundrechtscharta der EU verlangten eine möglichst diskriminierungsfreie Teilhabe behinderter Menschen am Erwerbsleben. Diese sei „nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen beziehungsweise der Wechsel von Berufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden“, heißt es hierzu in dem Kasseler Urteil.
Auch laut Sozialgesetzbuch stehe es der Gleichstellung nicht entgegen, dass die Bewerberin bereits über eine gesundheitlich geeignete Stelle verfügt. Um die Zahl der Gleichstellungen zu begrenzen, sei allerdings zu verlangen, dass die Gleichstellung für eine konkrete Stelle benötigt wird, so das BSG weiter in seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Urteil vom 06.08.2014.
Im konkreten Fall seien diese und auch alle weiteren Voraussetzungen erfüllt. Die Frau benötige die Gleichstellung, um die begehrte Stelle im gehobenen Dienst zu erlangen.
Ebenfalls mit Urteil vom 06.08.2014 hatte das BSG die Gleichstellung auch für Arbeitnehmer mit mittlerer Behinderung erleichtert, die sich um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes sorgen. In solchen Fällen ist es danach nicht immer erforderlich, dass eine Kündigung ganz konkret droht (AZ: B 11 AL 16/13 R).
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