Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in München wirft der Bundeswehr vor, durch „nachweislich falsche“ und teils „groteske“ Behauptungen Entschädigungsforderungen früherer Strahlungsopfer abwehren zu wollen. Mit einem am Donnerstag, 07.05.2015, bekanntgegebenen Urteil hat das LSG das Nierenkarzinom eines früheren Radarmechanikers als Wehrdienstschädigung anerkannt (AZ: L 15 VS 19/11).
Der Mechaniker war während seiner Tätigkeit Röntgenstrahlen und radioaktiver Leuchtfarbe ausgesetzt. Nach den Feststellungen des LSG wurden dabei bis Ende 1975 kaum Schutzvorkehrungen getroffen. 2002 erkrankte er an einem Nierenkarzinom. Seinen Antrag auf „Feststellung von Schädigungsfolgen“ – also quasi als Berufskrankheit für Soldaten – lehnte der Bund ab.
In seinem bereits rechtskräftigen Urteil wirft das LSG München dem Bund nun „nachweislich falsche“ Behauptungen vor. Ein Bericht der Radarkommission, die im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums frühere radioaktive Belastungen bei der Bundeswehr untersucht hatte, werde falsch wiedergegeben. Wörtlich heißt es in dem auch bereits schriftlich veröffentlichten Urteil vom 19.11.2014: „Es liegt der Eindruck sehr nahe, dass die Beklagte die einschlägigen Vorgaben des Berichts der Radarkommission falsch darstellt, um berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren.“
So war nach dem Bericht der Radarmechaniker einer schräg von unten auf den Kopf und den oberen Brustkorb gerichteten Strahlung ausgesetzt. Daher, so argumentierte nun die Bundeswehr, könne nach den Feststellungen der Radarkommission die Niere nicht betroffen sein.
Diese Schlussfolgerung sei in dem Bericht aber nicht enthalten, monierte nun das LSG. Unstreitig gehöre die Niere zu den „strahlenempfindlichen Organen“. Sie könne daher sehr wohl in Mitleidenschaft gezogen worden sein, auch wenn sie nicht im Kernbereich der Strahlung lag. Dies werde nicht nur von einem gerichtlichen Gutachter, sondern auch schon „durch medizinische Standardwerke belegt“. Zudem beziehe der Bericht die räumliche Einschränkung nur auf bestimmte „langwierige Einstellarbeiten“. Messtabellen machten deutlich, „dass auch zur Seite hin eine Strahlenbelastung erfolgt“. Der Bericht verweise auch auf Grenzwertüberschreitungen um Hundert Prozent durch von Metallteilen reflektierte Strahlen.
Als „irreführend und nachweislich falsch“ bezeichnete das LSG den Verweis auf die präzise Strahlenbündelung in der heutigen Computertomographie. Moderne medizinische Geräte mit der Militär-Technologie von vor über 40 Jahren zu vergleichen, sei „fernab jeglicher Nachvollziehbarkeit“. „Fast grotesk“ mutete den Münchener Richtern der Hinweis des Leiters der Strahlenmessstelle der Bundeswehr auf ein an den Radarantennen angebrachtes Schild an. Wegen der Warnung „Hands off“ sollen danach bestimmte Tätigkeiten nur aus größerer Entfernung vorgenommen worden sein. Dabei handele es sich hier um ein reines Berühr-Verbot. Dies habe auch nichts mit der Strahlung zu tun, sondern ausschließlich mechanische Gründe gehabt.
Die Strahlenmessstelle habe zwei Jahre gebraucht, um zu der Entschädigungsforderung des Radarmechanikers Stellung zu nehmen. Danach soll die Strahlendosis des Radargeräts gar nicht ausreichend gewesen sein, um die Niere zu schädigen. Hier zeigte sich das LSG verwundert, „dass ein Nichtmediziner der Bundeswehr meint, über so große Fachkunde auf medizinischem Gebiet zu verfügen“. Der zweifelsfrei sachkundige Gerichtsgutachter habe dem klar widersprochen.
Insgesamt hatte der Gutachter, der früher der Strahlenkommission angehörte, eine Schädigung der Niere bei der Tätigkeit des Radarmechanikers als wahrscheinlich bezeichnet. Daher müsse die Bundeswehr das Nierenkarzinom als „Schädigungsfolge“ anerkennen, urteilte das LSG. Den Grad der Schädigung und damit auch die Höhe möglicher Entschädigungszahlungen müssen nun weitere Gutachter feststellen.
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