Das Pech der Auster
Eine Auster sah eine lose Perle, die in einen Felsspalt auf den Meeresgrund gefallen war. Mit großer Anstrengung gelang es ihr, die Perle aufzufischen. Sie legte die Perle neben sich auf ein Blatt. Die Auster wusste nämlich, dass Menschen nach Perlen suchen und dachte: Diese Perle wird ihnen auffallen. Sie werden sie nehmen und mich dafür in Ruhe lassen. Als ein Perlentaucher in die Nähe kam, waren seine Augen jedoch darauf trainiert, nach Austern zu suchen und nicht nach Perlen, die auf Blättern lagen. Also griff er nach der Auster, die nun zufällig keine Perle enthielt, und die echte Perle konnte in den Felsspalt zurückrollen.
Die Auster aus der Metapher wurde ein Opfer der „selektiven Wahrnehmung“ des Tauchers. Selektive Wahrnehmung lenkt unsere Aufmerksamkeit auf eine Auswahl von Reizen, die im Gehirn verarbeitet werden. Der Mensch ist nicht fähig, alle einströmenden Reize zu verarbeiten. Er wendet deshalb unbewusst Mechanismen an, um mit den Reizeinflüssen fertig zu werden. Dies bedeutet, dass der Mensch nicht in der Lage ist , die objektive Wirklichkeit wahrnehmen. Er betrachtet die Welt stets durch eine Art von Filtern. Diese Filter sind zum Beispiel Erfahrungen, Prägungen, Erwartungen, Stimmungen und Gefühle. Möglicherweise hat das Auge des Tauchers die Perle gesehen. Aber nach der Erfahrung und Erwartung des Tauchers liegen Perlen nicht auf Blättern, sondern befinden sich innerhalb der Austern.
Der Mensch scheint nach den Erkenntnissen der sog. Konstruktivisten nicht in der Lage zu sein durch seine Sinne, die ihn umgebende Welt, die Wirklichkeit, abzubilden. Die Sinne „erfinden“ vielmehr, unabhängig von dem was sie wahrnehmen, ihre eigene Wirklichkeit: „Die Landkarte ist nicht das Gebiet.“ (Alfred Korzybski).
Die obigen Gegebenheiten sind insbesondere für das Bearbeiten und Lösen von Konflikten im Rahmen der Mediation bedeutsam. Ein Konflikt scheint nämlich genau dann zu entstehen, wenn zwei oder mehrere Menschen behaupten, ihre Konstrukte, die ihnen ihre Sinne von der Wirklichkeit liefern, seien die Wirklichkeit oder seien zumindest wirklicher als die des anderen. Dieser Konflikt kann nicht dadurch gelöst werden, dass ein Mensch mit seinem Konstrukt obsiegt und das andere Konstrukt unterliegt. Eine Lösung des Konfliktes ist nur möglich, wenn beide Parteien freiwillig einem dritten Konstrukt zustimmen, das möglichst viel der beiden Konstrukte enthält.
Der wichtigste Schritt bei der Lösungsfindung scheint der Übergang von der Ebene der Standpunkte und Positionen auf die Ebene der Interessen zu sein. Denn, so man Albert Einstein Glauben schenken will, ein Problem nicht auf der gleichen Ebene gelöst werden kann, auf der es auftritt. Zudem ist es hilfreich, die Interessen, die sich hinter den Standpunkten und Positionen verbergen, zu erhellen. Nach Adrian Schweizer gibt es neun grundlegende Werte: Freiheit, Sicherheit, Anerkennung, Macht, Harmonie, Intensität, Glaubwürdigkeit, Fürsorge und Neugier.
Eine Lösung des Konfliktes ist dann denkbar, wenn es den Parteien gelingt Lösungen zu finden, die wohl nicht beide Standpunkte, wohl aber beide Interessen befriedigen.
Bei innerbetrieblichen Konflikten im Arbeitsalltag stehe ich als Wirtschaftsmediator zur Verfügung. Wenn Sie Fragen zum Thema „Wirtschaftsmediation“ haben, kommen Sie einfach auf mich zu.
Über aktuelle Entwicklungen im Coaching informiere ich regelmäßig auf meiner Facebook-Seite „Systemisches Business und Executive Coaching – Thorsten Blaufelder“.
Wenn Sie das Thema „Wahrnehmung“ näher interessiert, dann empfehle ich Ihnen die Kurzdokumentation „Das getäuschte Gehirn“.
Bildnachweis: © FM2 – Fotolia.com
Der Beitrag „Das Pech der Auster“ oder die sog. selektive Wahrnehmung erschien zuerst auf Thorsten Blaufelder.