Sönke Nippel

Rechtsanwalt Sönke Nippel
42857, Remscheid
13.12.2012

Der Sozialrechtliche Herstellungsanspruch

Die Rechtsprechung hat das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geschaffen, um durch Pflichtverletzungen der Behörde entstandene Schäden auszugleichen. Dieser Ausgleich ist deshalb bemerkenswert, weil ein Verschulden der Behörde – wie sonst im Schadensrecht zumeist üblich – nicht erforderlich ist .

  • Insbesondere bei einer unrichtigen oder unvollständigen Beratung des Bürgers entgegen § 14 SGB I (siehe unten) kommen Schadenersatzansprüche des Geschädigten gegen den Sozialleistungsträger in Betracht. Anknüpfungspunkt kann aber auch die Verletzung von Auskunftspflichten gemäß § 15 SGB I (siehe unten) und die Verletzung von Betreuungspflichten sein.
  • Die Pflichtverletzung der Behörde muss objektiv rechtswidrig sein.
  • Anders als bei dem verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch setzt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch kein Verschulden voraus.
  • Durch die Pflichtverletzung muss ein sozialrechtlicher Schaden entstanden sein.
  • Der Geschädigte ist dann so zu stellen, als hätte die Behörde rechtmäßig gehandelt. Es geht also um die Naturalrestitution, d.h. die Vornahme der unterlassenen oder fehlerhaften Amtshandlung.

Beispiel:

Das BSG entschied am 27. März 2007 durch Urteil, dass eine Regelaltersrente bei einem verspäteten Rentenantrag bis zu 4 Jahre rückwirkend gewährt werden kann, wenn die verspätete Antragstellung allein auf einem Verschulden des Rentenversicherungsträgers im Hinblick auf § 115 Abs. 6 SGB VI beruht (BSG, B 13 R 58/06):

Der zum Zeitpunkt der Antragstellung 71-jährige Kläger hatte bis zur Antragstellung im Jahr 2001 “übersehen”, dass er bereits im Jahr 1995 eine Rente hätte beantragen können. Der Renteversicherungsträger, der die Hinweispflicht gemäß § 115 Abs. 6 SGB VI verletzt hatte, den Berechtigten auf die Möglichkeit des Leistungserhalts hinzuweisen, musste aber nur von 1997 an die Regelaltersrente rückwirkend zahlen.

Die Begrenzung des Herstellungsanspruchs auf 4 Jahre folgt laut dem Bundessozialgericht aus § 44 Abs. 4 SGB X.

Beratung und Auskunft gemäß den §§ 14 f. SGB I:

§ 14 SGB I – Beratung

Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind.


zu § 14:
Die Vorschrift gibt dem Bürger einen Anspruch auf umfassende Beratung durch den zuständigen Leistungsträger, der aufgrund seiner Sachkenntnis für diese Aufgabe am besten geeignet ist. Die Beratungspflicht erstreckt sich auf alle sozialrechtlichen Fragen, die für den Bürger zur Beurteilung seiner Rechte und Pflichten von Bedeutung sind oder in Zukunft von Bedeutung sein können, soweit er hieran ein berechtigtes Interesse hat (vgl. BT-Drucks 7/868, Seite 25).

§ 15 SGB I – Auskunft

(1) Die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung sind verpflichtet, über alle sozialen Angelegenheiten nach diesem Gesetzbuch Auskünfte zu erteilen.

(2) Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfragen, die für die Auskunftssuchenden von Bedeutung sein können und zu deren Beantwortung die Auskunftsstelle imstande ist.

(3) Die Auskunftsstellen sind verpflichtet, untereinander und mit den anderen Leistungsträgern mit dem Ziel zusammenzuarbeiten, eine möglichst umfassende Auskunftserteilung durch eine Stelle sicherzustellen.

(4) Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung können über Möglichkeiten zum Aufbau einer nach § 10a oder Abschnitt XI des Einkommensteuergesetzes geförderten zusätzlichen Altersvorsorge Auskünfte erteilen, soweit sie dazu im Stande sind.


zu § 15:
Häufig kann der einzelne gar nicht übersehen, welche Sozialleistungen für ihn in Betracht kommen und an welchen Leistungsträger er sich wenden muss. Damit der, der Sozialleistungen in Anspruch nehmen will oder muss, nicht von einer Stelle an die andere verwiesen wird und durch die institutionelle Gliederung des Sozialleistungssystems Nachteile erleidet, sind ortsnahe Stellen nötig, die einerseits engen Kontakt zum Bürger haben, andererseits aber der Vielseitigkeit der Aufgabe gewachsen sind, über alle sozialen Angelegenheiten Auskunft zu geben.
… (vgl. BT-Drucks 7/868, Seite 25)