Dieser Artikel erschien in der NJW 2005, 2490 f., hat aber, wie ich meine immer noch Aktualität. Ob der besseren Lesbarkeit veröffentliche ich ihn hier noch einmal in zwei Teilen. Im ersten Teil der Sachverhalt und die Probleme, die er aufwirft und im zweiten Teil die Schlüsse, die ich seinerzeit gezogen habe und auch heute noch ziehe.
Judex non calculat – Das Fünffache der gesetzlichen Gebühren als verbindliche Honorargrenze für Strafverteidigungen?
Rechtsanwalt Nikolaus Lutje, München
I. Einleitung
Mit Urteil vom 27. 1. 2005 hat der BGH (BGH, NJW 2005, 2042) erstmals eine verbindliche Honorargrenze für Strafverteidigungen festgelegt, bei deren Überschreitung regelmäßig von einem unangemessen hohen Honorar i.S. von § 3 III BRAGO (jetzt: § 4 IV RVG) auszugehen ist. Werde eine Vergütung vereinbart, die das Fünffache der gesetzlichen Höchstgebühren übersteigt, bestehe eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Anwalt gegen das Mäßigungsgebot des § 3 III 1 BRAGO verstoßen hat. Diese Vermutung könne der Rechtsanwalt nur entkräften, indem er „ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände” darlegt. Die Entscheidung des BGH ist fragwürdig und wirft die grundlegende Frage nach der Angemessenheit eines mit dem Mandanten vereinbarten Honorars in Strafsachen auf. Vor allem in Wirtschaftstrafverfahren sind heute Honorarvereinbarungen die Regel. Der Entscheidung kommt daher eine weit über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu.
II. Sachverhalt
Eine Anwaltskanzlei verlangte aus einer Honorarvereinbarung restliche Zahlung. Nach der Vereinbarung war in einer Wirtschaftstrafsache unter anderem wegen Kreditbetrugs in 61 Fällen ein Stundenhonorar von 800 DM und zur Abgeltung des anwaltlichen Know how zusätzlich ein Pauschalhonorar von 60000 DM zuzüglich Kopierkosten, Spesen und Mehrwertsteuer vereinbart. Die Hälfte des Pauschalhonorars zahlte der Mandant nach Vertragsabschluss. Gegenstand des Klageverfahrens war die zweite Hälfte des Pauschalhonorars zuzüglich Zeithonorar für insgesamt 44,25 Stunden Kopierkosten und Mehrwertsteuer, zusammen 75921,88 DM.
Das LG holte zur Angemessenheit der vereinbarten Vergütung gem. § 3III 2 BRAGO ein Gebührengutachten bei der Rechtsanwaltskammer ein. Danach ist das Stundenhonorar von 800 DM wegen der Schwierigkeit der Angelegenheit angemessen. Das Pauschalhonorar dürfe daneben nicht verlangt werden, da die besondere Sachkunde bereits bei dem Stundensatz berücksichtigt sei. Das LG verurteilte den Mandanten zur Zahlung weiterer 6357,96 DM zuzüglich Zinsen. Im Berufungsverfahren wurde nur noch Resthonorar von insgesamt 40461,96 DM gefordert (das sind ? der Pauschale von 60000 DM sowie die Vergütung für 51 Stunden Arbeitsaufwand nebst Kopierkosten und Auslagenpauschale).
Das OLG wies die Berufung der Kanzlei zurück und auf die Anschlussberufung des Mandanten die Klage insgesamt ab. Auf die Verfassungsbeschwerde der Anwaltskanzlei hat das BVerfG (BVerfG, NJW 2002, 3314) diese Entscheidung aufgehoben. Das Berufungsgericht gab daraufhin der Klage in ihrem nunmehrigen Umfang statt und ließ die Revision des Mandanten zum BGH zu. Diese führte zur Aufhebung und Zurückverweisung im Urteil des BGH vom 27. 1. 2005.
III. Begründung des BGH
Nach dem Sinn und Zweck des § 3 III 1 BRAGO müsse ein Rechtsanwalt sich beim Abschluss einer Honorarvereinbarung Mäßigung auferlegen. Zur Durchsetzung dieses Mäßigungsgebots sei die Festlegung einer allgemein verbindlichen Honorargrenze angezeigt. Hierbei müssten die gesetzlichen Gebühren Ausgangspunkt sein (so schon BGHZ 144, 343 (346) = NJW 2000, 2669 (2671). Mit ihnen messe der Gesetzgeber den ökonomischen Wert der anwaltlichen Arbeit. Durch die Einführung von Rahmengebühren und die Angabe von konkreten Bestimmungsfaktoren habe der Gesetzgeber Raum für einzelfallbezogene Überlegungen gegeben, andererseits auch Grenzen gesetzt. An diese hätten die Erwägungen zur Unangemessenheit i.S. des § 3 III 1 BRAGO anzuknüpfen. Mit den Hauptverhandlungstagen habe der Gesetzgeber einen zentralen Bemessungsfaktor für die Vergütung gewählt und durch die Rahmengebühren einen ausreichenden Spielraum geschaffen, um einzelfallbezogenen Umständen Rechnung tragen zu können. „Es kann davon ausgegangen werden, dass grundsätzlich innerhalb dieses Rahmens eine angemessene Vergütung erzielt werden kann, und die Anzahl der Verhandlungstage eine tendenziell taugliche Bemessungsgrundlage darstellt.” Vereinbare ein Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen eine Vergütung, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Vergütung unangemessen hoch ist und das Mäßigungsgebot des § 3 III 1 BRAGO verletzt. Diese Vermutung könne durch den Rechtsanwalt entkräftet werden, wenn dieser „ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände” darlegt, die es möglich erscheinen lassen, die Vergütung bei Abwägung aller für § 3 III 1 BRAGO maßgeblichen Gesichtspunkte nicht als unangemessen hoch anzusehen. Als weitere Gründe für eine verbindliche Honorargrenze nennt der BGH: Die Verstärkung des Schutzes des Mandanten vor Auswüchsen, die Entlastung der Instanzgerichte bei der häufig sehr schwierigen und aufwendigen Einzelfallprüfung durch einen festen und einfach zu berechnenden Maßstab, die Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsanwendung sowie eine vorbeugende Wirkung gegen hohe Vergütungsvereinbarungen.
Morgen: Teil 2
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