Urteil des VG Potsdam vom 20.08.2008

VG Potsdam: wichtiger grund, schule, drohende gefahr, schüler, bus, wohnung, quelle, schulbesuch, vergleich, konzept

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Gericht:
VG Potsdam 12.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 L 341/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 106 Abs 1 SchulG BB, § 106
Abs 4 SchulG BB, § 123 VwGO
Wichtiger Grund für den Besuch einer anderen als der örtlich
zuständigen Grundschule (hier: Erstklässler).
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1. Der Antrag der Antragstellerin vom 9. Juli 2008,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der
Antragstellerin gem. § 106 Abs. 4 Nr. 1-4 des Brandenburgischen Schulgesetzes ab
Beginn des Schuljahres 2008/2009 den Besuch der K.L. -Grundschule in 1. N. vorläufig zu
gestatten,
hat keinen Erfolg.
Nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 123 Abs. 1 Satz 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende
Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer
einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines
Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3
VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Begehrt ein Antragsteller - wie hier - mit der
einstweiligen Anordnung im Ergebnis die Vorwegnahme der Hauptsache, kann eine
einstweilige Anordnung nur ergehen, wenn dies zur Gewährung effektiven
Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden
Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu
beseitigen wären und ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für den Erfolg im
Hauptsacheverfahren spricht.
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung, denn es spricht
bereits keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihr im Hauptsacheverfahren ein
Anspruch auf den Besuch der örtlich nicht zuständigen Grundschule "K.L. " in N.
zuerkannt wird.
Nach § 106 Abs. 1 des Brandenburgischen Schulgesetzes (BbgSchulG) wird für jede
Grundschule unter Berücksichtigung der genehmigten Schulentwicklungsplanung der
Schulbezirk bestimmt, für den die Schule örtlich zuständig ist. Gemäß § 106 Abs. 4 Satz
1 BbgSchulG besuchen Grundschülerinnen und Grundschüler die für die Wohnung oder
den gewöhnlichen Aufenthalt zuständige Schule. Hier ist die Grundschule "Wildberg" in W
(bei N.) die örtlich zuständige Grundschule für die in W (bei N.) wohnende Antragstellerin.
Nach § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG kann das staatliche Schulamt den Besuch einer
anderen als der zuständigen Grundschule gestatten, wenn ein “wichtiger Grund” vorliegt
und die Aufnahmekapazität der anderen Schule nicht erschöpft ist. Nach den in dieser
Vorschrift genannten Regelbeispielen liegt ein “wichtiger Grund" insbesondere dann vor,
wenn die zuständige Schule nur unter Schwierigkeiten erreicht werden kann (Nr. 1),
pädagogische Gründe hierfür sprechen (Nr. 3) oder soziale Gründe vorliegen (Nr. 4).
Bei Auslegung der Regelbeispiele ist davon auszugehen, dass die mit der Bildung von
Schulbezirken und der Zuweisung an eine bestimmte Schule verbundenen
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Schulbezirken und der Zuweisung an eine bestimmte Schule verbundenen
Unannehmlichkeiten grundsätzlich hinzunehmen sind und nur begrenzte Ausnahme-
bzw. Sonderfälle schulorganisatorische Maßnahmen rechtfertigen. Zweck der
Ausnahmevorschrift ist es nicht, für jeden Schüler einen wünschenswerten oder gar
optimalen Zustand zu realisieren. Ein wichtiger Grund liegt daher nur dann vor, wenn ein
Schüler vor Nachteilen bewahrt werden soll, die gewichtiger sind als das öffentliche
Interesse an einer sinnvollen Verteilung der Schüler durch Schaffung von Schulbezirken.
Allerdings ist bei der Anwendung der Regelbeispiele zu berücksichtigen, dass der
Gesetzgeber die ursprünglichen Formulierungen in der Neufassung des
Brandenburgischen Schulgesetzes vom 2. August 2002 (GVBl. I S. 78) durch die
Streichung der einschränkenden Attribute "besondere", "erheblich" und "gewichtige"
abgeschwächt hat (vgl. dazu Beschlüsse der Kammer vom 27. Juni 2005 - 12 L 358/05 -,
vom 9. August 2006 - 12 L 444/06 - und vom 1. August 2007 - 12 L 514/07 -). Allerdings
bedarf es noch immer eines wichtigen Grundes für die ausnahmsweise Gestattung des
Besuchs der unzuständigen Schule.
Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne
des § 106 Abs. 4 BbgSchulG hier nicht glaubhaft gemacht.
Zunächst ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin die zuständige Schule nur unter
Schwierigkeiten erreichen kann (§ 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BbgSchulG). Die
Antragstellerin hat bereits nicht vorgetragen, dass die zuständige Grundschule
"Wildberg" nur unter Schwierigkeiten erreicht werden kann, sondern lediglich geltend
gemacht, dass der Schulweg nicht von ihrer Wohnung in W., bei N., sondern wegen der
sie betreuenden Großmutter nur von deren Wohnung aus in N. erfolgen kann. Durch eine
einfachere Transportmöglichkeit zur gewünschten (unzuständigen) Grundschule - hier 5
Minuten Fußweg vom Wohnort der Großmutter - wird die Bewältigung des Schulweges
zur zuständigen Grundschule jedoch nicht unzumutbar (vgl. Beschlüsse der Kammer
vom 13. August 2003 - 12 L 711/03 -, vom 24. August 2006 - 12 L 514/06 - und vom 1.
August 2007 - 12 L 514/07 -).
Es spricht auch kein pädagogischer Grund nach § 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 BbgSchulG für
den Besuch der Grundschule "K.L. " in N. . Ein solcher Grund könnte etwa vorliegen, wenn
sich eine Schule durch ein besonderes pädagogisches Konzept auszeichnet, das einer
Schulform vergleichbar ist (vgl. VG Potsdam, Beschlüsse vom 27. August 1999 - 2 L
683/99 -, S. 8 ff. und 2 L 784/99, S. 7 ff. des Entscheidungsabdrucks) oder den Schülern
aufgrund der entsprechenden inhaltlichen Ausgestaltung ein besonderes
Bildungsangebot vermittelt wird (vgl. zum durchgängigen bilingualen, gymnasialen
Bildungsgang: OVG Bremen, Urteil vom 5. Dezember 1995 - 1 BA 31, 32 und 33/95 -,
zitiert nach juris).
Das Angebot eines besonderen pädagogischen Konzeptes ist an der Schule "K.L. " in N.
nicht ersichtlich. Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, dass es sich bei der "K.L. "
Grundschule um eine sogenannte offene Ganztagsschule handelt, ist darin kein
hinreichender pädagogischer Grund erkennbar. Denn nach ihren Angaben handelt es
sich vielmehr lediglich um eine Schule, die eine Ganztagsbetreuung anbietet, das heißt,
in der nach dem offiziellen Schulschluss noch eine weitere Betreuung der Schülerinnen
und Schüler stattfindet. Dass die Antragstellerin dort neben der Betreuung noch ein
Angebot im Bereich „Schach“ oder „Tanzen“ wahrnehmen kann, stellt kein
pädagogisches Konzept der Schule dar. Die Teilnahme an einen solchen Projekt bzw. an
einer solchen Arbeitsgemeinschaft eröffnet noch kein besonderes Bildungsangebot mit
entsprechender inhaltlicher Ausgestaltung. Eine Ganztagsbetreuung mit weiteren
Projekten und Kursen ist auch nicht mit einer eigenen Schulform vergleichbar. Dies auch
deshalb, weil es sich um ein freiwilliges Angebot der Schule handelt; eine Verpflichtung
der Antragstellerin, an diesen Kursen teilzunehmen, besteht nicht.
Die Antragstellerin hat auch keine sozialen Gründe i. S. v. § 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 4
BbgSchulG glaubhaft gemacht. Insbesondere die Tatsache, dass die Antragstellerin vor
dem Schulbeginn und unter Umständen auch danach auf eine Betreuung durch ihre
Großmutter in N. angewiesen ist, führt nicht zur Anerkennung eines solchen Grundes.
Hinzukommen muss vielmehr eine Verbesserung der sozialen Situation des
betreffenden Schülers. Eine solche Verbesserung kann beispielsweise in einer
Erleichterung der Betreuung des Schülers vor und nach dem Schulbesuch und der
Eingliederung in den Schulbetrieb insbesondere bei der Einschulung liegen. Damit diese
privaten Interessen das öffentliche Interesse an einer sinnvollen Verteilung der Schüler
durch die Schaffung von Schulbezirken überwiegen, muss der Verbesserung der sozialen
Situation des betreffenden Schülers ein gewisses Gewicht zukommen (Beschluss der
Kammer vom 9. August 2006 - 12 L 444/06 -). Daran fehlt es hier.
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Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Besuch der unzuständigen
Grundschule in N. zu derartigen Erleichterungen führt. Denn die Betreuung ist nicht
dadurch erleichtert, dass die Antragstellerin in N. die unzuständige Grundschule
besucht. Die Betreuung der Antragstellerin erfolgt, unabhängig davon, ob diese die
zuständige oder die unzuständige Grundschule besucht, stets durch ihre in N. wohnende
Großmutter. Diese Betreuungssituation ergibt sich nämlich nicht aus der Verpflichtung
zum Besuch einer bestimmten Schule, sondern durch den regelmäßigen frühen
Arbeitsbeginn der Eltern der Antragstellerin in N. . Es spricht zwar einiges dafür, dass der
Besuch der unzuständigen Schule in N. die Zeit für den Schulweg für A. insgesamt
verkürzen würde, weil sie in jedem Fall vor Schulbeginn und evtl. auch nach der Schule
nach N. zu ihrer Großmutter müsste. Doch ist ihr der Schulbesuch der zuständigen
Grundschule in Wildberg von N. aus nach Ansicht der beschließenden Kammer durchaus
zumutbar. Dies ergibt sich schon aus einem Vergleich der Schulwege von ihrem Wohnort
W. zur zuständigen Grundschule und von ihrem Betreuungsort N. zur zuständigen
Grundschule. Die zuständige Grundschule in Wildberg ist, ausgehend vom Akteninhalt,
auf den ausdrücklich Bezug genommen wird, vom Wohnort der Antragstellerin mit dem
Bus der Linie 759 in ca. 20 bis 30 Minuten zu erreichen. Legt man ihre besondere
Betreuungssituation in N. bei ihrer Großmutter zu Grunde, kann A. die zuständige Schule
in W von dort aus ebenfalls mit dem Bus (diesmal mit der Linie 711) in ca. 20 bis 30
Minuten erreichen. Die Ankunftszeit in der Schule in W differiert dabei um nicht mehr als
ca. 10 Minuten. Unabhängig davon, ob A. von ihrem Wohnort oder von ihrem
Betreuungsort zur zuständigen Schule fährt, kann sie diese pünktlich vor
Unterrichtsbeginn in ca. 20 bis 30 Minuten erreichen.
Ein Anfahrtsweg mit dem Bus von ca. 20 bis 30 Minuten hält die Kammer bei
Erstklässlern, die in einem eher ländlichen Gebiet wohnen, in der Regel für zumutbar, so
dass auch aus diesen Grund kein Vergleich mit der fußläufigen Erreichbarkeit der
unzuständigen Grundschule in N. vom Wohnort der Großmutter aus erfolgen musste.
Schließlich hat die Antragstellerin auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihr durch die
Anfahrt zur zuständigen Grundschule mit dem Bus von N. aus, statt von W., für die
Schülerbeförderung Mehrkosten entstehen würden. Denn dies wäre nur dann der Fall,
wenn die Busfahrkarte von N. nach W mehr kosten würde, als die Busfahrkarte von W.
nach W. Dies ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Daneben stellt auch die zu erwartende Änderung des (schulischen) Umfeldes keinen
hinreichenden sozialen Grund dar, denn es handelt sich um eine typische Folge der
Einschulung.
Nach alledem hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf Besuch der örtlich nicht
zuständigen Schule in N. glaubhaft gemacht. Schließlich lässt sich ein solcher Anspruch
auch nicht aus dem Recht auf freie Entfaltung in der Schule (Art. 2 GG) sowie auf freie
Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) noch aus dem elterlichen
Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) herleiten. Elterliches Erziehungsrecht sowie das Recht
auf freie Entfaltung in der Schule und der staatliche Erziehungsauftrag der Schule sind
einander nicht vor- oder nach-, sondern gleichgeordnet. Diese gemeinsame
Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Entwicklung der eigenen
Persönlichkeit des Kindes zum Ziel hat, lässt sich nicht in einzelne Kompetenzen
zerlegen. Sie ist in einem sinnvoll aufeinander bezogenen System zusammenwirkend zu
erfüllen. Der Staat muss deshalb die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der
Erziehung ihrer Kinder achten und für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen
soweit offen sein, als es sich mit einem geordneten staatlichen Schulsystem verträgt.
Zu dem staatlichen Gestaltungsbereich, an welchem das Elternrecht seine Grenze
findet, gehört aber die organisatorische Gliederung der Schule (vgl. BVerfG, Urteil vom 6.
Dezember 1972 - 1 BvR 230/70 und 95/71 - BVerfGE 34, 165, 184; BayVGH, Urteil vom
27. Oktober 1981 - 8 B 1061/79 -, BayVBl. 1982, 213).
Nach alldem ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 3 GKG, wobei der
Streitwert in Anbetracht der Vorläufigkeit des Verfahrens zu halbieren war.
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