Urteil des VG Potsdam vom 09.07.2003

VG Potsdam: anhörung, geschwindigkeit, hotel, innerdienstliche weisung, militärische anlage, verwaltungsakt, gemeinde, ergänzung, bekanntgabe, karte

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Gericht:
VG Potsdam 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 K 2495/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 19 EinigVtr, Art 21 EinigVtr, §
114 S 2 VwGO, § 41 VwVfG, § 43
VwVfG
(Weiternutzung eines früheren Truppenübungsplatzes (hier:
Wittstock); Wirksamkeit einer nachträglichen
Abwägungsentscheidung; berechtigte Interessen Dritter in der
Abwägung (hier: Lärmschutz); beachtliche Lärmschutzwerte)
Tenor
Die Verwaltungsentscheidung der Beklagten vom 9. Juli 2003 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die militärische Nutzung des ungefähr 12.000 Hektar
großen Truppenübungsplatzes Wittstock, der im Nordwesten des Landes Brandenburg
im Landkreis Ostprignitz-Ruppin gelegen ist.
Die Klägerin ist eine Gemeinde, die zum Land Mecklenburg-Vorpommern gehört. Die
südliche Grenze des Gemeindegebietes ist ca. 1 km von der nördlichen Grenze des
Truppenübungsplatzes entfernt.
Die Klägerin hatte bereits im Jahre 1990 einen Aufstellungsbeschluss für einen
Flächennutzungsplan gefasst. Nach Unterbrechungen des Planungsverfahrens und
mehrfacher Änderung der Planung liegt nunmehr ein Planentwurf aus Dezember 2001
vor, der sich im Verfahrensstand der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange befindet
und noch nicht genehmigt worden ist. In diesem Planentwurf sind verschiedene
Sondernutzungen dargestellt. Am M. ist eine Sonderbaufläche Erholung ausgewiesen; es
wurden zudem vier Sondergebiete, die der Erholung dienen (§ 10 BauNVO), vorgesehen:
Ferienhausgebiet am M., Ferienhausgebiet in der Ortslage K., Ferienhausgebiet am N.
und Campingplatz am N.. Außerdem ist ein Sondergebiet Fremdenbeherbergung/Hotel
bei dem Hotel I. geplant. Die Klägerin hat weiterhin am 16. Oktober 2000 einen
Vorhabens- und Erschließungsplan betreffend das Sondergebiet "Ferienhäuser am K."
beschlossen. Danach ist die Erstellung von fünf Ferienhäusern im Ortsteil K. geplant. Die
Klägerin beabsichtigt des weiteren, bezüglich des "Ferienhausgebietes am K." einen
Bebauungsplan Nr. 3 aufzustellen, mit welchem sie das Ziel der Entwicklung eines
Sondergebietes für Freizeit und Erholung verfolgt.
Von 1952 bis 1993 wurde das Gelände des Truppenübungsplatzes Wittstock von den
sowjetischen Streitkräften als Schieß- und Bombenabwurfplatz genutzt. Nach Übergabe
des Truppenübungsplatzes durch die Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte an den
Bund setzte die Bundeswehr die militärische Nutzung des Platzes fort. Aufgrund von
Klagen mehrerer in der Nachbarschaft des Truppenübungsplatzes gelegener Gemeinden
wurde der Beklagten durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember
2000 (- 4 C 13/99 -, NVwZ 2001, S. 1030) die Nutzung des Truppenübungsplatzes
Wittstock zu militärischen Zwecken untersagt, da u.a. eine Anhörung der in ihrer
Planungshoheit betroffenen klagenden Gemeinden nicht durchgeführt worden sei. Nach
Anhörung mehrerer im Land Brandenburg gelegener Gemeinden erließ das
Bundesministerium der Verteidigung unter dem 9. Juli 2003 die
„Verwaltungsentscheidung ... zur künftigen militärischen Nutzung des
Truppenübungsplatzes und Luft-Boden-Schießplatzes Wittstock“, wonach der
Truppenübungsplatz gemäß dem modifizierten Betriebskonzept vom 20. Januar 2003
(Anlage 2 zur Verwaltungsentscheidung) weiterhin als Luft-Boden-Schießplatz für ca.
1700 Einsätze pro Jahr, als Standortübungsplatz für die Ausbildung von Bodentruppen
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1700 Einsätze pro Jahr, als Standortübungsplatz für die Ausbildung von Bodentruppen
sowie als Standortschießanlage mit vier Schießständen für Handfeuerwaffen genutzt
wird. Bestandteil der Verwaltungsentscheidung ist als deren Anlage 3 die Karte zur
militärischen Nutzung des Luft-Boden-Schießplatzes Wittstock, wonach im nördlichen
und südlichen Bereich jeweils zwei taktische Ein- und Ausflugbereiche vorgesehen sind.
In den violett gekennzeichneten taktischen Ein- und Ausflugbereichen dürfen die An- und
Abflüge in Abweichung vom regelmäßig veranstalteten Standardverfahren, wonach An-
und Abflüge über gesondert gekennzeichneten Bereichen tagsüber in einer Höhe von
mindestens 1.000 Fuß (ca. 300 m) erfolgen sollen, auch in einer Höhe von 500 Fuß (ca.
150 m) durchgeführt werden. Nach dem Betriebskonzept vom 20. Januar 2003 soll jeder
der insgesamt 1700 Einsätze mit durchschnittlich fünf Anflügen auf ein Bordkanonen-
bzw. Bombenziel innerhalb des Truppenübungsplatzes erfolgen. Täglich sollen etwa 9
Einsätze stattfinden. Im Tagflugbetrieb soll der Anflug in der Regel in einer Vierer-
Formation von Flugzeugen erfolgen. Innerhalb der Platzgrenzen sind auf der Karte zur
militärischen Nutzung im südlichen Platzteil zwei Platzrunden für das Bomben- bzw.
Bordkanonenziel eingetragen. Außerdem ist eine Radarplatzrunde vorgesehen, die
teilweise auch über Gelände außerhalb des Truppenübungsplatzes führt. Innerhalb der
Platzgrenzen sind nach dem Betriebskonzept Flughöhen unterhalb von 500 Fuß möglich,
die Mindestflughöhe beträgt 100 Fuß (30 m). Die An- und Abflüge sind außerhalb der
Platzgrenzen bis auf die in der Karte zur militärischen Nutzung eingetragenen Ein- und
Ausflugbereiche frei wählbar. Die Höhe für die An- und Abflüge soll nach dem
Betriebskonzept in der Regel mindestens 1.000 Fuß (ca. 300 m) betragen, bei
bestimmten Übungen ist im Rahmen eines vom Bundesminister für Verkehr
genehmigten Tiefflugkontingents eine Flughöhe von 500 Fuß (ca. 150 m) vorgesehen.
Für bestimmte Ortschaften ist in der Karte zur militärischen Nutzung ein Überflug
unterhalb 1.500 Fuß (ca. 450 m) ausgenommen. Für das Gebiet der Klägerin besteht
eine solche Überflugbeschränkung nicht. Die Klägerin ist vor Erlass dieser
Verwaltungsentscheidung nicht angehört worden. Die Bauleitplanungen der Klägerin sind
in der Anlage 1 zur Verwaltungsentscheidung, die eine Auflistung der berücksichtigten
und in die Abwägung mit einbezogenen Bauleitplanungen von Gebietskörperschaften
enthält, nicht genannt. Die Beklagte führte auf Seite 28 der Verwaltungsentscheidung
allgemein zu den Belangen der angehörten Gemeinden aus, dass sich diese vor dem
Hintergrund, dass der Truppenübungsplatz schon seit mehreren Jahrzehnten bestünde,
entgegenhalten lassen müssten, dass sie dem Truppenübungsplatz entgegenstehende
Planungen fehlerhaft vorgenommen hätten. Betreffend die Beeinträchtigung der
gemeindlichen Planungshoheit durch von der Nutzung des Truppenübungsplatzes
ausgehenden Lärm stellte sie u.a. darauf ab, dass durch den Übungsbetrieb die nach
dem Gesetz zum Schutz vor Fluglärm (Fluglärmgesetz) geltenden Grenzwerte von 75
beziehungsweise 67 Dezibel außerhalb des Truppenübungsplatzes nicht überschritten
würden.
Die Klägerin hat am 30. Juli 2003 gegen die ihr amtlich nicht bekannt gegebene
Verwaltungsentscheidung der Beklagten Klage erhoben.
Die Beklagte hat der Klägerin mit Schreiben vom 24. Februar 2005 die angegriffene
Verwaltungsentscheidung einschließlich Betriebskonzept, das von ihr im Auftrag
gegebene Lärmgutachten der EADS vom 24. Februar 2003 sowie weitere Unterlagen
übersandt und der Klägerin im Rahmen einer Anhörung Gelegenheit zur Stellungnahme
zur beabsichtigten Nutzung des Truppenübungsplatzes gegeben. Die Klägerin hat im
Rahmen dieser Anhörung im wesentlichen auf ihre Ausführungen in dem vorliegenden
Verfahren und in dem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahren (3 L 871/03)
verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2005 hat die Beklagte die als solche bezeichnete
"Nachträgliche Abwägung der Belange der Gemeinde L. im Verfahren der
Verwaltungsentscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung vom 9. Juli 2003"
vom 16. Dezember 2005 an das Gericht übersandt. Auf der Grundlage verschiedener
von ihr in Auftrag gegebener Gutachten, insbesondere des Gutachtens der EADS vom
13. Mai 2005, hat die Beklagte festgestellt, dass an dem Ort mit der größten
Lärmbelastung auf dem Gebiet der Klägerin Dauerschallpegel von bis zu 58,77 dB(A)
Leq(3) und Spitzenpegel von bis zu 108 dB(A) entstehen werden. Eine Lärmbelastung
mit zu erwartenden Spitzenpegeln je Woche von etwa 100 bis 105 dB(A), was dem
Überflug eines Tornados in gut 300 m Höhe entspreche, sei der Klägerin zumutbar.
Insbesondere sei die aufgrund der geografischen Lage aus Sicht der Beklagten
gegebene erhebliche plangegebene Vorbelastung des klägerischen Gemeindegebietes
zu berücksichtigen. Dies führe dazu, dass die Klägerin die militärische Anlage bei ihren
Planungen zu beachten habe und nur eingeschränkt schutzwürdig sei. Zudem ließen
sich nach den langjährigen Erfahrungen zur Koexistenz von Tourismus und
Truppenübungsplätzen in anderen Regionen Deutschlands keine negativen
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Truppenübungsplätzen in anderen Regionen Deutschlands keine negativen
Auswirkungen auf den Tourismus feststellen.
Die Klägerin trägt vor, sie werde durch die Verwaltungsentscheidung in ihrer
gemeindlichen Planungshoheit verletzt. Die Verwaltungsentscheidung sei schon deshalb
rechtswidrig, weil es an einer Rechtsgrundlage für den Erlass der
Verwaltungsentscheidung fehle. Zudem hätte die Klägerin vor Erlass der Entscheidung
angehört werden müssen, um eine sachgerechte Abwägung überhaupt vornehmen zu
können. Die nachträgliche Anhörung im Februar 2005 werde aber den Anforderungen an
eine Anhörung nicht gerecht. Darüber hinaus gebe es kein Bedürfnis für den
streitgegenständlichen Übungsplatz, die Kapazität der bestehenden Plätze in Nordhorn
und Siegenburg sei ausreichend, dies gelte insbesondere, weil die Bundeswehr ihre
Ausrüstung auf Präzisionswaffen umstelle. Die von der Beklagten angestellte
nachträgliche Abwägung vom 16. Dezember 2005 sei rechtswidrig bzw. bei der
gerichtlichen Entscheidung nicht zu berücksichtigen. Der maßgebliche Zeitpunkt für die
gerichtliche Überprüfung sei der Erlass der Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003.
Anders als bei einem Planfeststellungsverfahren sei ein ergänzendes Verfahren hier
nicht möglich. Wegen des hier anzuwendenden Grundsatzes der Einheitlichkeit einer
planerischen Entscheidung sei die von der Beklagten in der nachträglichen Abwägung
vorgenommene inter-partes-Abwägung unzulässig. Die Abwägung enthalte Fehler. Die
Beklagte habe bei ihrer Entscheidung zur Nutzung des Truppenübungsplatzes die
Klägerin schützende Festlegungen der Raumordnung nicht beachtet. Die Klägerin sei
auch nicht vorbelastet. Die sowjetischen Streitkräfte seien im südlichen Teil des Platzes
in Ost-West-Richtung geflogen. Nunmehr komme es jedoch zu direkten Überflügen ihres
nördlich des Platzes gelegenen Gemeindegebietes. Die von dem Truppenübungsplatz
und den An- und Abflügen ausgehende Lärmbelästigung sei gesundheitsschädlich, dies
gelte insbesondere hinsichtlich der zu erwartenden Spitzenpegel und
Pegelanstiegsgeschwindigkeiten, die die Grenze der Zumutbarkeit erreichen würden.
Dabei seien Überflüge in Viererformationen mit Höhen von bis zu 150 m und mit
Geschwindigkeiten von über 420 kts zu berücksichtigen.
Die Klägerin legt hierzu mehrere in ihrem Auftrag von der BeSB gefertigte
Lärmgutachten sowie ein lärmmedizinisches Gutachten vor.
Die Klägerin beantragt,
die Verwaltungsentscheidung der Beklagten vom 9. Juli 2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass die nachträgliche Abwägung vom 16. Dezember 2005 kein
Verwaltungsakt, sondern eine innerdienstliche Entscheidung sei, welche die
angefochtene Verwaltungsentscheidung im Rahmen des vorliegenden gerichtlichen
Verfahrens in zulässiger Weise ergänze. Durch die nachträgliche Abwägung würden die
Belange der Klägerin hinreichend berücksichtigt, einer nochmaligen Gesamtabwägung
aller betroffenen Belange bedürfe es nicht. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf
eine solche umfassende Abwägung, sondern sei allein auf die Geltendmachung ihrer
eigenen Belange beschränkt. Die mit den gemeindlichen Planungen angestrebte
touristische Nutzung von Teilen des Gemeindegebietes werde durch die Überflüge nicht
beeinträchtigt. Flüge in niedriger Höhe unterhalb von 300 m bis zu 150 m seien nur im
Rahmen eines vom Bundesminister für Verteidigung jährlich zugewiesenen und
bundesweit geltenden Kontingentes aufgrund gesonderten Befehls im Einzelfall zulässig.
Im Übrigen würden auch bei Überflügen in einer Höhe von 150 m keine unzumutbaren
Spitzenschallpegel und Pegelanstiegsgeschwindigkeiten erreicht. Die Beklagte
behauptet dazu, dass sich die Viererformationen bereits ca. 15 km vor dem Platz
auflösen und die Flugzeuge einzeln über den Platz in einem Abstand von ca. 20
Sekunden einfliegen würden. Die in der Zentralen Dienstvorschrift 19/2 für Tiefflüge
vorgesehene Planungsgeschwindigkeit von 420 kts werde außerhalb des Platzes
grundsätzlich eingehalten, die Beschleunigung für den Zielendflug finde erst über dem
Übungsplatz statt. Taktische Notwendigkeiten, die eine Geschwindigkeit von bis zu 450
kts zuließen, seien nur in Ausnahmefällen gegeben und nicht planbar.
Nach dem mit Schriftsatz vom 25. Juni 2007 von der Beklagten vorgelegten Gutachten
der AVIA-Consult vom 24. Juni 2007 entstehen an vier Einzelpunkten im Gemeindegebiet
der Klägerin äquivalente Dauerschallpegel (Leq3) von 42,6 dB(A) bis zu 49,7 dB(A),
Spitzenpegel bis zu 105,2 dB(A) und Pegelanstiegsgeschwindigkeiten von bis zu 12,6
dB(A)/s. In diesem Schriftsatz führt die Beklagte unter der Überschrift "ergänzende
Abwägung" aus, dass mit den neu errechneten Lärmwerten die Zumutbarkeitsgrenzen
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Abwägung" aus, dass mit den neu errechneten Lärmwerten die Zumutbarkeitsgrenzen
für Lärmbelastungen in jeder Hinsicht weit unterschritten würden. Die entstehende
Lärmbelastung sei so geringfügig, dass sie auch unter Außerachtlassung einer etwaigen
Vorbelastung des Gemeindegebietes der Klägerin zumutbar sei. Mit weiterem Schriftsatz
vom 12. Juli 2007 hat die Beklagte eine Ordnung über die Durchführung des
Bombenabwurfes auf dem Bombenabwurfplatz Wittstock vom 22. Juli 1966 überreicht,
woraus sich ergebe, dass das Gebiet der Klägerin durch die damalige fliegerische
Nutzung lärmvorbelastet sei. Die Klägerin habe zudem wegen der schon in den 90er
Jahren geführten gerichtlichen Verfahren von den konkreten Nutzungsabsichten der
Beklagten Kenntnis gehabt. Selbst wenn man zu einem anderen Ergebnis käme, hätte
die Klägerin nur einen Anspruch auf Planergänzung, nicht aber auf Planaufhebung, denn
Schutzauflagen seien jederzeit möglich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren, im Verfahren 3 K 2498/03 und in den
Verfahren 3 L 871/03 und 3 L 799/05, 3 L 897/03 sowie auf die zu diesen Verfahren
geführten Beiakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Klage ist zulässig.
Das Klagebegehren, die Verwaltungsentscheidung der Beklagten vom 9. Juli 2003
aufzuheben, ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO statthaft.
Bei der Verwaltungsentscheidung der Beklagten vom 9. Juli 2003 handelt es sich um
einen nach § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO anfechtbaren Verwaltungsakt. Die
Verwaltungsentscheidung ist entsprechend den Anforderungen des § 35 Satz 1 VwVfG
zur Regelung eines Einzelfalls getroffen worden und auf unmittelbare Rechtswirkung nach
außen gerichtet.
Durch die angegriffene Entscheidung hat die Beklagte - auch aus ihrer Sicht - im
Verhältnis zu den vor Erlass der Verwaltungsentscheidung angehörten Gemeinden
verbindlich festgestellt, dass sie diesen gegenüber zu der weiteren militärischen Nutzung
des Truppenübungsplatzes Wittstock entsprechend dem Betriebskonzept vom 20. Januar
2003 berechtigt ist. Der Einleitungssatz der Entscheidung vom 9. Juli 2003 nimmt
ausdrücklich auf die Anhörung der betroffenen Gemeinden Bezug. Im Tenor der
Verwaltungsentscheidung stellt die Beklagte den zuvor angehörten Gemeinden
gegenüber als (bestimmbaren) Adressaten der Verwaltungsentscheidung die
Berechtigung zur weiteren militärischen Nutzung fest und weist diese nicht etwa nur
unverbindlich auf die geplante militärische Fortnutzung hin. In den Gründen der
Entscheidung setzt sich die Beklagte mit den Belangen der zuvor angehörten
Gemeinden auseinander und wägt diese mit dem öffentlichen Interesse an einer
künftigen militärischen Nutzung des Truppenübungsplatzes ab. Außerdem hat die
Beklagte durch förmliche Bekanntgabe der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung
versehenen Verwaltungsentscheidung gegenüber den angehörten Gemeinden eindeutig
die Form des Verwaltungsaktes für den Erlass ihrer Entscheidung gewählt.
Die Klägerin ist als Drittbetroffene klagebefugt, weil nach § 42 Abs. 2 VwGO eine
Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten durch die Verwaltungsentscheidung möglich
erscheint.
Die Verwaltungsentscheidung ist auch im Verhältnis zur Klägerin als Verwaltungsakt zu
qualifizieren, denn sie entfaltet auch der Klägerin gegenüber Rechtswirkungen (OVG
Brandenburg, Beschluss vom 27.12.2004 - 3 B 337/03 -, Rz. 22f., zitiert nach juris). Der
Klägerin ist die Verwaltungsentscheidung zwar in ihrer ursprünglichen Form vom 9. Juli
2003 zunächst weder förmlich zugestellt noch sonst bekannt gegeben worden, so dass
die Klägerin nicht Adressatin der Verwaltungsentscheidung geworden ist. Die Klägerin ist
jedoch jedenfalls als Dritte von den Regelungswirkungen der Verwaltungsentscheidung
betroffen.
Insoweit kommt eine Verletzung des Abwägungsgebots in Bezug auf die gemeindliche
Planungshoheit der Klägerin in Betracht, weil die Beklagte diese zunächst nicht angehört
und deren Belange möglicherweise nicht hinreichend im Rahmen der Abwägung
berücksichtigt hat.
Bei der Entscheidung über die militärische Fortnutzung des Truppenübungsplatzes hat
die Beklagte die gemeindliche Planungshoheit zu berücksichtigen. Ein Recht der Klägerin
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die Beklagte die gemeindliche Planungshoheit zu berücksichtigen. Ein Recht der Klägerin
auf Anhörung und Abwägung ist für die streitgegenständliche Feststellung der geplanten
Nutzung zwar nicht ausdrücklich bestimmt, da ein einfachgesetzlich geregeltes
Planungsverfahren nicht vorgesehen ist. Das Abwägungsgebot und Anhörungsrecht in
Bezug auf die gemeindliche Planungshoheit ergibt sich jedoch aus Art. 28 Abs. 2 GG,
soweit die Belange einer Gemeinde durch eine in Form eines Verwaltungsaktes
ergangene Entscheidung beeinträchtigt sein können. Dies folgt auch aus der
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2000 (- 4 C 13/99 -,
NVwZ 2001, S. 1030 [1034]), deren Umsetzung die angefochtene
Verwaltungsentscheidung dient. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt,
dass die Beklagte die gemeindlichen Belange durch Anhörung der durch die Nutzung
des Truppenübungsplatzes betroffenen Gemeinden zu ermitteln und diese Belange bei
einer Entscheidung über die Nutzung zu berücksichtigen hat.
Hier kann nicht ausgeschlossen werden, dass die für die Nutzung des
Truppenübungsplatzes erforderlichen Flüge der Militärmaschinen als vorhersehbare
Folge der angegriffenen Verwaltungsentscheidung Geräuschimmissionen verursachen,
die die gemeindliche Planungshoheit der Klägerin beeinträchtigen. Insbesondere bei dem
im Entwurf des Flächennutzungsplanes ausgewiesenem Sondergebiet
Fremdenbeherbergung/Hotel bei dem Hotel I. kann es durch die An- und Abflüge sowie
die Übungsflüge auf dem Truppenübungsplatz und die Radarplatzrunde zu nicht
unerheblichen Lärmeinwirkungen kommen, welche die Verwirklichung der bereits
begonnenen gemeindlichen Planung in diesem Gebiet behindern. Diese Möglichkeit
ergibt sich schon aus der Lage des Sondergebietes Fremdenbeherbergung/Hotel (I.) in
unmittelbarer Nähe zum nördlichen Ein- und Ausflugbereich des Truppenübungsplatzes.
Nach der als Anlage 1 zum Gutachten der AVIA Consult vom 24. Juni 2007 bezeichneten
Karte, welche die Referenzflugstrecken darstellt, ist die nächste Flugstrecke ca. 1 km und
die im Gutachten der EADS vom 13. Mai 2005 als Hauptbeiträger zur Lärmbelastung
bezeichnete Radarplatzrunde ca. 2,2 km von dem Hotel I. entfernt.
Die für die Lärmverursachung mit verantwortlichen An- und Abflüge der Militärmaschinen
sind nach Auslegung der Verwaltungsentscheidung entsprechend §§ 133, 151 BGB aus
Sicht eines objektiven Empfängers Teil der Regelung der Verwaltungsentscheidung und
somit in die Beurteilung einer möglichen Rechtsverletzung der Klägerin einzubeziehen.
Anders als beim allgemeinen Tiefflug über das Gemeindegebiet der Klägerin ist der hier
zu beurteilende Überflug im Rahmen von An- und Abflügen zum bzw. vom
Truppenübungsplatz nicht unabhängig von der Nutzung des Truppenübungsplatzes zu
beurteilen. Der An- und Abflug erfolgt hier (vergleichbar mit dem Flugverkehr zum bzw.
von einem Flugplatz) anlagenbezogen, da ohne ihn die durch die
Verwaltungsentscheidung festgestellte Nutzung des Truppenübungsplatzes nicht
denkbar ist. Darüber hinaus sind die Aussagen im Betriebskonzept zum Überflug
außerhalb des Truppenübungsplatzes - insbesondere Überflugbeschränkungen über
bestimmten Gebieten - Teil der mit der Verwaltungsentscheidung getroffenen Regelung
und damit Gegenstand der Verwaltungsentscheidung. Insoweit wird auf die
Ausführungen der Kammer und des Oberverwaltungsgerichtes für das Land
Brandenburg in den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen
Entscheidungen (3 L 871/03, Beschluss vom 24.09.2003, S. 13 ff. des
Entscheidungsabdrucks bzw. OVG Brandenburg - 3 B 337/03 -, Beschluss vom
27.12.2004, Rz. 24 ff., zitiert nach juris) ergänzend Bezug genommen.
Die Klage ist auch begründet.
Die Verwaltungsentscheidung der Beklagten vom 9. Juli 2003 ist rechtswidrig und verletzt
die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die angegriffene Verwaltungsentscheidung sind Art. 21 Abs. 1 Satz
1 und Art. 19 Einigungsvertrag (EinigungsV). Diese Vorschriften ermächtigen die
Beklagte, das durch die sowjetischen Streitkräfte bis 1993 militärisch genutzte Gelände
des Truppenübungsplatzes Wittstock weiterhin militärisch zu nutzen.
Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EinigungsV ist das Vermögen der Deutschen Demokratischen
Republik, das unmittelbar bestimmten Verwaltungsaufgaben diente
(Verwaltungsvermögen), Bundesvermögen geworden, sofern es nicht nach seiner
Zweckbestimmung am 1. Oktober 1989 überwiegend für Verwaltungsaufgaben
bestimmt war, die nach dem Grundgesetz von Ländern, Gemeinden
(Gemeindeverbänden) oder sonstigen Trägern öffentlicher Verwaltung wahrzunehmen
sind. Das Gelände des Truppenübungsplatzes war Teil des für Verteidigungsaufgaben
bestimmten Vermögens der Deutschen Demokratischen Republik; Art. 21 Abs. 1 Satz 1
EinigungsV bewirkte, dass das Eigentum an dem Gelände auf den Bund überging (vgl.
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EinigungsV bewirkte, dass das Eigentum an dem Gelände auf den Bund überging (vgl.
hierzu BVerwG, Urteil vom 14.12.2000, a.a.O., S. 1031). Aus Art. 19 EinigungsV, wonach
vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der Deutschen
Demokratischen Republik wirksam bleiben (Satz 1), folgt, dass die der Beklagten kraft
Eigentums zugeordneten Grundstücke weiterhin für militärische Zwecke zur Verfügung
stehen. Zwar war dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik die Rechtsfigur
der Widmung durch Verwaltungsakt fremd. Jedoch wurden nach der Konzeption der
förmlichen Zweckbindung Sachen, die für die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben
benötigt wurden, durch einen Rechtsakt einem besonderen Nutzungsregime
unterworfen. Auf dieser Grundlage wurde das streitige Gelände seinerzeit den
sowjetischen Streitkräften zur militärischen Nutzung zur Verfügung gestellt. Auch nach
Abzug der sowjetischen Truppen ist die militärische Nutzung seitens der Beklagten nicht
aufgegeben worden, eine Entwidmung des Truppenübungsplatzes ist nicht erfolgt (vgl.
zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 14.12.2000, a. a. O., S. 1031 f.).
Die Beklagte war auch nach Art. 21, Art. 19 EinigungsV befugt, über die militärische
Fortnutzung des Truppenübungsplatzes in Form eines Verwaltungsaktes zu entscheiden.
Die auf der Grundlage der Art. 21, Art. 19 EinigungsV bestehende Befugnis der
Beklagten zur weiteren militärischen Nutzung des Truppenübungsplatzes schließt die
Ermächtigung ein, die Nutzungsbefugnis und den Nutzungsumfang durch
Verwaltungsakt festzustellen.
Die angefochtene Verwaltungsentscheidung bedarf als belastender Verwaltungsakt nach
dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) hergeleiteten Grundsatz des
Vorbehalts des Gesetzes einer gesetzlichen Grundlage.
Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage gilt nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts auch für feststellende Verwaltungsakte, wenn ihr Inhalt
etwas als Rechtens feststellt, was der Betroffene erklärtermaßen für nicht Rechtens hält.
Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes erfordert aber keine ausdrückliche
gesetzliche Grundlage, vielmehr genügt eine Grundlage, die im Wege der Auslegung
ermittelt wird (BVerwG, Urteil vom 29.11.1985 - 8 C 105.83 -, BVerwG 72, S. 265;
BVerwG, Beschluss vom 10.10.1990 - 1 B 131/90 - zit. nach juris).
Hier ergibt sich die Ermächtigung zum Erlass des feststellenden Verwaltungsakts über
die Nutzung des Truppenübungsplatzes als Annex zu den Vorschriften der Art. 21 und 19
EinigungsV. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14.
Dezember 2000 (a. a. O. S. 1032 f.) ausgeführt, dass die Beklagte ungeachtet ihrer dem
Grunde nach vorhandenen Befugnis zur weiteren militärischen Nutzung des vormals
sowjetischen Übungsplatzes die militärische Nutzung nicht ohne weiteres fortsetzen
dürfe, sondern vielmehr darüber eine dem materiellen Recht entsprechende
Entscheidung nach Anhörung der in dem zu entscheidenden Fall in ihrer Planungshoheit
betroffenen Klägerin (einer Gemeinde) zu treffen habe. Das Bundesverwaltungsgericht
hat in der genannten Entscheidung zwar nicht dargelegt, dass eine Entscheidung über
die militärische Weiternutzung des Geländes in rechtlich zulässiger Weise nur als
Verwaltungsakt ergehen könne, es hat den Rechtscharakter dieser planerischen
Elemente einschließenden Entscheidung (BVerwG, a. a. O. S. 1033) vielmehr offen
gelassen. Aus Sicht der Kammer ist jedoch davon auszugehen, dass die Beklagte befugt
ist, eine derartige planerische Entscheidung, die nach Ermittlung der einschlägigen
Belange und Anhörung der betroffenen Gemeinden zu ergehen und das Ergebnis der
rechtlich gebotenen Anhörung und Abwägung der einschlägigen Belange zu enthalten
hat, auf der Grundlage der Art. 21 und Art. 19 EinigungsV nicht nur als innerdienstliche
Weisung, schlicht hoheitliche Handlung oder als Realakt, sondern gerade auch als
Verwaltungsakt zu erlassen. Ein Verwaltungsakt wird den Anforderungen des
Bundesverwaltungsgerichts, die an das Verfahren bis zu einer Entscheidung über die
militärische Fortnutzung zu stellen sind, in besonderer Weise gerecht, indem er das
durch das Bundesverwaltungsgericht mit der Anhörung und Abwägung vorgeschriebene
Verwaltungsverfahren förmlich abschließt. Er trägt auch dem Rechtsschutzinteresse der
betroffenen Gemeinden Rechnung, die in Folge der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
von der geplanten Nutzung vor deren Realisierung im Einzelnen Kenntnis erlangen und
hiergegen Klage erheben können und nicht gehalten sind, gegen die tatsächliche
Beeinträchtigung durch militärischen Fluglärm Unterlassungsklage zu erheben oder - im
Vorfeld der tatsächlichen Beeinträchtigung - um vorbeugenden Rechtsschutz
nachzusuchen.
Die auf der Grundlage der Art. 21 und 19 EinigungsV ergangene
Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 ist jedoch rechtswidrig und verletzt die Rechte
der Klägerin, da keine Abwägung ihrer gemeindlichen Belange erfolgt ist.
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Prüfungsgegenstand ist die Verwaltungsentscheidung in ihrer ursprünglichen Form. Die
in Ergänzung der Verwaltungsentscheidung ergangene nachträgliche Abwägung vom 16.
Dezember 2005 ist ebenso wie die als ergänzende Abwägung im Schriftsatz der
Beklagten vom 25. Juni 2007 bezeichneten Ausführungen nicht wirksamer Bestandteil
der Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 geworden. Es fehlt an einer
ordnungsgemäßen Bekanntgabe nach §§ 41, 43 VwVfG.
Die nachträgliche Abwägung vom 16. Dezember 2005 ist zwar kein eigenständiger
Verwaltungsakt, so dass die Vorschriften über die Bekanntgabe und Wirksamkeit von
Verwaltungsakten nicht direkt anwendbar sind, gleichwohl war die Bekanntgabe der
Abwägungsentscheidung hier entsprechend den §§ 41, 43 VwVfG zu deren wirksamen
Einbeziehung in die Verwaltungsentscheidung erforderlich. Diese ist aber nicht erfolgt.
Die nachträgliche Abwägung enthält erstmals Ausführungen zu den Belangen der
Klägerin und wägt diese gegen die Interessen der Beklagten an der Nutzung des
Truppenübungsplatzes entsprechend der Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 ab.
Die nachträgliche Abwägung selbst trifft keine Regelung und ist nach ihrer von der
Beklagten gewählten Überschrift "im Verfahren der Verwaltungsentscheidung des
Bundesministeriums der Verteidigung vom 9. Juli 2003" ergangen. Die nachträgliche
Abwägung stellt sich somit als Ergänzung zu der bereits in der Verwaltungsentscheidung
vorgenommenen Abwägung der Belange der angehörten Gemeinden und deren
Begründung dar, ohne den Regelungsgehalt der Verwaltungsentscheidung zu verändern.
Nach dem allgemeinen Verfahrensrecht ist eine nachträgliche materielle Ergänzung der
Erwägungen, die zum Erlass eines Verwaltungsaktes geführt haben, dem Verwaltungsakt
beizufügen (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage, § 114 Rdnr. 23, 51). Auch für den Fall,
dass Erwägungen zwar beim Erlass eines Verwaltungsaktes angestellt wurden, aber im
Wege der Nachholung der Begründung nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG erst später
mitgeteilt werden, ist die Bekanntgabe der Erwägungen nach § 41 VwVfG erforderlich
(Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Auflage, § 45 Rdnr. 20). Ebenso ist bei dem im Rahmen des
Planfeststellungsverfahrens nach § 75 Abs. 1 a Satz 2 VwVfG ausdrücklich möglichen
ergänzenden Verfahren - auch wenn die Planung unverändert bleibt - das Ergebnis des
ergänzenden Verfahrens im Bescheid zu verlautbaren (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6.
Auflage, § 75 Rdnr. 42 b).
Diese Erfordernisse an die Bekanntgabe und Einbeziehung nachträglicher Ergänzungen
in den ursprünglichen Verwaltungsakt gelten insbesondere für die nachträgliche
Abwägung vom 16. Dezember 2005. Es handelt sich nämlich entgegen der Auffassung
der Beklagten hierbei nicht um eine innerdienstliche Weisung, für die eine Mitteilung im
gerichtlichen Verfahren genügen mag. Die Beklagte hat bei Erlass der
Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 die Belange der Klägerin überhaupt nicht -
auch nicht außerhalb der schriftlichen Begründung - in die Abwägung eingestellt. Daher
wird die Verwaltungsentscheidung durch die nachträgliche Abwägung nicht nur in ihrer
formellen Begründung, sondern auch materiell ergänzt. Diese materielle Ergänzung
hätte auch zum Bestandteil der Verwaltungsentscheidung gemacht werden müssen,
denn die nachträgliche Abwägung verändert als Teil der Verwaltungsentscheidung diese
selbst, auch wenn der Tenor und das Nutzungskonzept unverändert bleiben. Die in der
Verwaltungsentscheidung enthaltene Abwägung, die die Grundzüge des planerischen
Gesamtkonzeptes der Beklagten darstellt, ist unverzichtbarer Bestandteil der
planerischen Entscheidung (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Auflage, § 39 Rdnr. 20).
Eine Veränderung der Gewichtung der Belange oder - wie hier - die Aufnahme gänzlich
neuer abwägungserheblicher Umstände verändert die Planungsentscheidung wesentlich.
Eine Ergänzung des Verwaltungsaktes kann aber nur auf dem gleichen Wege erfolgen
wie dessen Erlass. Die rechtlich unselbstständige nachträgliche Abwägung wird - wie die
Verwaltungsentscheidung selbst - als Teil der Verwaltungsentscheidung nur durch eine
Bekanntgabe entsprechend den Anforderungen der §§ 41, 43 VwVfG wirksam.
Gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er
bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm
bekannt gegeben wird (Satz 1), und mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt
gegeben wird (Satz 2). Nach § 41 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen
Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist, oder der von ihm betroffen wird.
Bekanntgabe ist die Eröffnung des Verwaltungsaktes mit Willen und Wissen der Behörde
(Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 41 Rdnr. 8).
Eine diesen Anforderungen entsprechende Einbeziehung der Abwägung vom 16.
Dezember 2005 in die Ausgangsentscheidung vom 9. Juli 2003 ist der Klägerin
gegenüber nicht erfolgt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Klägerin durch die im Laufe
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gegenüber nicht erfolgt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Klägerin durch die im Laufe
des gerichtlichen Verfahrens nachgeholte Anhörung Verfahrensbeteiligte geworden ist
(vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG), weil tatsächlich eine ausreichende Bekanntgabe fehlt.
Der Klägerin ist die Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 unmittelbar nach deren
Erlass nicht von der Beklagten zugestellt oder sonst übermittelt worden, vielmehr lag
eine zufällige Kenntnisnahme durch die Klägerin vor. Auch durch die am 6. August 2003
ergangene Anordnung der sofortigen Vollziehung ist der Klägerin die
Verwaltungsentscheidung nicht eröffnet worden. Durch die Anordnung der sofortigen
Vollziehung nach Erlass eines Verwaltungsaktes gegenüber einem Dritten wird dieser
nicht in den Regelungsbereich des Verwaltungsaktes mit einbezogen, vielmehr wird nur
sichergestellt, dass die Klage des Dritten keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Die
Verwaltungsentscheidung war der Anordnung der sofortigen Vollziehung auch nicht
beigefügt.
Die Beklagte hat der Klägerin während des Klageverfahrens die
Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 im Rahmen der nachgeholten Anhörung
zusammen mit dem Schreiben vom 24. Februar 2005 und weiteren Unterlagen förmlich
zugestellt. Ihr fehlte aber der Bekanntgabewille. Dies wird aus dem Anhörungsschreiben
deutlich. Danach übersandte die Beklagte der Klägerin die Verwaltungsentscheidung vor
dem Hintergrund, dass der Klägerin nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
geäußerten Auffassung des Gerichts und des Oberverwaltungsgerichts ein
Anhörungsrecht zustehe. Diente die Verwaltungsentscheidung aber der Information der
Klägerin im Rahmen der Anhörung, kann darin nicht gleichzeitig die Eröffnung des
Verwaltungsaktes gegenüber der Klägerin liegen, denn der Verwaltungsakt schließt das
Verwaltungsverfahren, zu welchem auch die Anhörung zählt, ab (vgl. § 9 VwVfG).
Die Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 ist der Klägerin gegenüber auch nicht
durch die Einführung der nachträglichen Abwägung vom 16. Dezember 2005 seitens der
Beklagten in das gerichtliche Verfahren bekannt gegeben worden. Die nachträgliche
Abwägung selbst mag zwar durch die Weiterleitung durch das Gericht an die Klägerin
bekannt gegeben worden sein. Weder aus dem Inhalt der nachträglichen Abwägung noch
aus den Umständen ihrer Übermittlung wird aber erkennbar, dass die Klägerin nunmehr
in den Regelungsbereich der Ausgangsentscheidung einbezogen und zu deren
Adressatin gemacht werden sollte (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Ein Bekanntgabewille
der Beklagten in Bezug auf die in der Ausgangsentscheidung getroffenen Regelungen
geht aus der Abwägung nicht hervor. Vielmehr wird der fehlende Bekanntgabewille der
Beklagten aus dem Umstand deutlich, dass sie die ergänzende Abwägung - anders als
die ursprüngliche Verwaltungsentscheidung gegenüber den angehörten Gemeinden als
Adressaten der Verwaltungsentscheidung - der Klägerin gegenüber nicht förmlich
bekannt gegeben hat.
Hat aber die Verwaltungsentscheidung in ihrer ursprünglichen Form gegenüber der
Klägerin keine Wirksamkeit nach § 43 Abs. 1 VwVfG erlangt und ist diese vielmehr zur
Anfechtung der Entscheidung nur als Drittbetroffene befugt (vgl. hierzu
Stelkens/Bonk/Sachs, a. a. O., § 41 Rdnr. 40), kann die nachträgliche Abwägung auch
nicht durch ihre Einführung in das gerichtliche Verfahren Teil der
Verwaltungsentscheidung geworden sein.
Die ergänzende Abwägung vom 16. Dezember 2005 ist als Teil der
Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 auch sonst niemandem gegenüber wirksam
und damit rechtlich nicht existent geworden, so dass sie auch - anders als die
ursprüngliche Verwaltungsentscheidung - objektiv keine Rechtswirkungen gegenüber der
Klägerin als Drittbetroffene entfaltet.
Die nachträgliche Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Beklagten vom
16. Dezember 2005 ist nur der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Klageverfahrens
zur Kenntnis gegeben worden. Gegenüber den Beteiligten des Verwaltungsverfahrens,
welches zum Erlass der Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 geführt hat, nämlich
den angehörten Gemeinden, welchen die ursprüngliche Verwaltungsentscheidung
förmlich bekannt gegeben wurde, ist aber die nachträgliche Abwägung vom 16.
Dezember 2005 nicht bekannt gegeben worden. Sie konnte deshalb auch ihnen
gegenüber nicht zum Bestandteil der Verwaltungsentscheidung werden. Dies führt dazu,
dass die Verwaltungsentscheidung in ihrer durch die Abwägung vom 16. Dezember 2005
veränderten Form überhaupt niemandem gegenüber Wirksamkeit erlangt hat und damit
im rechtlichen Sinne nicht existent ist.
Auch die im Schriftsatz der Beklagten vom 25. Juni 2007 nachgeschobenen Erwägungen
haben den Inhalt der Verwaltungsentscheidung nicht verändert. Diese Ausführungen
stehen zwar unter der Überschrift "Ergänzende Abwägung", sind aber bloßer
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stehen zwar unter der Überschrift "Ergänzende Abwägung", sind aber bloßer
Parteivortrag. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass die Ausführungen mit
Beweisantritt unterlegt sind, was mit dem Charakter einer planerischen Entscheidung
nicht vereinbar ist. Im Übrigen erfüllt auch diese ergänzende Abwägung nicht die
dargestellten formellen Anforderungen an eine Einbeziehung in die
Verwaltungsentscheidung.
Die ohne Berücksichtigung der Belange der Klägerin erlassene Verwaltungsentscheidung
verletzt die Klägerin rechtswidrig in ihrem Recht auf gemeindliche Planungshoheit.
Die Verwaltungsentscheidung zur Nutzung des Truppenübungsplatzes unterliegt den
Anforderungen des Abwägungsgebots, das sich auch auf gemeindliche Belange
erstreckt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei einer
planerischen Entscheidung die für und gegen die Entscheidung in Betracht kommenden
Gesichtspunkte, hier insbesondere die militärische Nutzung des Truppenübungsplatzes
Wittstock für Zwecke der dem Bund obliegenden Aufgaben der Landesverteidigung (vgl.
Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 und Art. 87 a Abs. 1 GG) auf der einen Seite, die Lärmschutzbelange
der Gemeinden und der betroffenen Dritten auf der anderen Seite, gegeneinander
abzuwägen (vgl. die Nachweise bei Hofmann/Grabherr, a. a. O., § 10 Rdnr. 32). Die
Geltung des Abwägungsgebots hängt weder von seiner fachgesetzlichen Normierung
noch von einer bestimmten Handlungs- oder Verfahrensform ab, sondern folgt vielmehr
bereits aus dem Wesen einer rechtsstaatlichen Planung. Das Abwägungsgebot gilt
dementsprechend allgemein. Es begrenzt die planerische Gestaltungsfreiheit, die
einerseits unerlässlich ist, um entgegengesetzte private und/oder öffentliche Belange
auszugleichen, andererseits im Rechtsstaat nicht schrankenlos, sondern nur rechtlich
gebunden und gerichtlich kontrollierbar sein kann (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11
C 13.99 -, BVerwG 111, S. 276, 280). Das Gebot der gerechten Abwägung aller von der
Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gilt auch für die
streitgegenständliche Verwaltungsentscheidung, die den Charakter einer
Planungsentscheidung hat (BVerwG, Urteil vom 14.12.2000, a. a. O., S. 1033). Nach der
genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat die Beklagte eine die
Belange der Gemeinden ausreichend berücksichtigende Entscheidung zu treffen, indem
sie die betroffenen Gemeinden im Wege der Anhörung mit in den Entscheidungsprozess
einbezieht.
Die Beklagte hätte die Belange der Klägerin ermitteln und diese Belange in die
Abwägung mit einbeziehen müssen, weil die Klägerin durch die die Nutzung des
Truppenübungsplatzes Wittstock feststellende Verwaltungsentscheidung in Verbindung
mit dem Betriebskonzept in ihrer Planungshoheit betroffen ist.
Eine Gemeinde ist immer dann in ihrer Planungshoheit betroffen, wenn in Folge einer
überörtlichen Entscheidung die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben unmöglich gemacht
oder in konkreter Weise erheblich erschwert wird oder wenn das jeweilige Vorhaben
hinreichend konkrete gemeindliche Planungen nachhaltig beeinträchtigt. Die Gemeinde
ist darüber hinaus auch vor Vorhaben geschützt, die das Gemeindegebiet oder Teile
davon nachhaltig betreffen und die Entwicklung der Gemeinde beeinflussen (BVerwG,
Urteil vom 14.12.1994, BVerwGE 97, S. 203 m.w.N.).
Durch die von der fliegerischen Nutzung des Truppenübungsplatzes ausgehende
Lärmbelastung wird die Entwicklung des im Entwurf des Flächennutzungsplanes
ausgewiesenen Sondergebiets Fremdenbeherbergung/Hotel beim Seehotel I.
beeinträchtigt. Die Planungen der Klägerin für dieses Sondergebiet sind hinreichend
konkret. Das Verfahren für die Erstellung des Flächennutzungsplan wurde in den 90iger
Jahren zunächst eingestellt und im Jahre 1999 wieder aufgenommen. Nach mehrfachen
Änderungen befindet sich die nunmehr vorliegende Fassung aus dem Jahre 2001 im
Verfahrensstadium der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange. Die Planungen der
Klägerin haben sich daher bereits verfestigt. Der Plan hat den rein internen
Willensbildungsprozess bereits verlassen.
Die geplante Nutzung der ausgewiesenen Fläche als Hotel wird durch die bei einer
Nutzung des Truppenübungsplatzes entsprechend der Verwaltungsentscheidung
entstehenden Dauer- und Spitzenschallpegel nicht nur unerheblich beeinträchtigt.
Wann eine Gemeinde in ihrer durch eine hinreichend konkrete Planung manifestierten
Planungshoheit betroffen ist, ist im Einzelfall in Abhängigkeit von der geplanten Nutzung,
der Schutzbedürftigkeit und der Bedeutung der Planung für die Gemeinde zu bestimmen
(Beschluss vom 24.09.2003 - 3 L 897/03 -, S. 17 des Entscheidungsabdrucks; OVG
Brandenburg Beschluss vom 27.12.2004, a. a. O., Rz. 36). Die Klägerin hat eine Nutzung
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Brandenburg Beschluss vom 27.12.2004, a. a. O., Rz. 36). Die Klägerin hat eine Nutzung
des Gebietes I. als Hotel vorgesehen. Eine touristische Nutzung als Hotel ist,
insbesondere da das geplante Sondergebiet im sonst ruhigen Außenbereich liegt,
besonders lärmsensibel. Die Hotelanlage soll von Urlaubern genutzt werden. Die
Planungen der Klägerin sind daher dann beeinträchtigt, wenn die Nutzung der
Hotelanlage durch die Urlauber beeinträchtigt wird. Aus diesem Grunde erachtet die
Kammer es als sachgerecht, für die Betroffenheit der Planungshoheit der Klägerin den
Schwellenwert zu Grunde zu legen, der auch gegenüber einer privaten Wohnnutzung
eines Grundstückes angenommen wird (OVG Brandenburg Beschluss vom 27.12.2004,
aaO, Rz. 53). Die Erheblichkeitsschwelle, bei deren Erreichen eine Beeinträchtigung
abwägungserheblich ist bzw. sogar ein Anhörungsrecht des Betroffenen besteht, ist nach
den Ergebnissen der neueren Lärmforschung in Bezug auf den äquivalenten
Dauerschallpegel bei einem neuen Vorhaben in einem nicht vorbelasteten Gebiet mit
einem Wert bei von 52 dB(A) anzusetzen (vgl. OVG für das Land Brandenburg, Beschluss
vom 27.12.2004 - 3 B 337/03 -, Entscheidungsabdruck S. 19; OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 21.09.2005, - 2 S 100.05 -; Entscheidungsabdruck S. 21 und
Hofmann/Grabherr, a. a. O., § 6 Rdnr. 54 a).
Dieser Schwellenwert wird nach Überzeugung der Kammer auf der als Sondergebiet für
Beherbergung und Hotel ausgewiesenen Fläche bei dem Seehotel I. erreicht.
Die im Auftrag der Beklagten erstellten Gutachten der EADS ermitteln an diesem
Standort äquivalente Dauerschallpegel von Leq(3) = 58,2 dB(A) (Gutachten vom
11.09.2003), Leq(4) = 52,8 dB(A) (Gutachten vom 23.10.2003) und Leq(3) = 58,77
dB(A) (Gutachten vom 13.05.2005). Die von der Klägerseite vorgelegten Privatgutachten
der BeSB ermitteln Lärmwerte von Leq(3) = 65 dB(A) bzw. 58 dB(A) (Gutachten vom
03.09.2003 bzw. 05.01.2004). Lediglich das Gutachten der AVIA Consult vom 24. Juni
2007 errechnet einen unter der Erheblichkeitsschwelle liegenden äquivalenten
Dauerschallpegel von 49,7 dB(A) Leq(3). Die Kammer geht aber davon aus, dass bei
Zugrundelegung eines nach der Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 und dem
dazugehörigen Betriebskonzept realistischen Flugbetriebes die Erheblichkeitsschwelle
überschritten wird. Dabei stellt das Gericht die fachliche Richtigkeit des von der AVIA
Consult erstellten Gutachtens vom 24. Juni 2007 und die gutachterlichen Ansätze zur
Lärmberechnung, insbesondere die zu Grunde liegenden Anflugklassen, nicht in Frage.
Daher bedurfte es auch nicht der Einholung des seitens der Beklagten beantragten
Sachverständigengutachtens zur Bestätigung der Richtigkeit der von der AVIA Consult
errechneten Werte. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass ein weiterer Sachverständiger
die von Dipl. Ing. B. im Gutachten vom 24. Juni 2007 gewonnenen Ergebnisse bestätigen
könnte, da der Gutachter den nach der Verwaltungsentscheidung und dem
Betriebskonzept zugelassenen Flugbetrieb aufgrund der tatsächlichen Vorgaben der
Beklagten nur unzureichend berücksichtigt hat. Das Gericht brauchte dem durch die
Beklagte in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auch deshalb nicht
nachzugehen, weil dieser nur auf den nach der Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli
2003 i.V.m. dem Betriebskonzept zugelassenen Flugbetrieb abstellt, nicht aber die für
die gutachterliche Lärmberechnung erforderlichen Flugdaten hinreichend konkret
bezeichnet. Beispielsweise ergeben sich aus dem Beweisantrag und der dort in Bezug
genommenen Verwaltungsentscheidung und dem Betriebskonzept keine konkreten
Angaben zur Verteilung der An- und Abflüge auf die einzelnen Ein- und Ausflugbereiche,
zu den erlaubten Fluggeschwindigkeiten und zu den Flughöhen. Ein weiteres Gutachten
könnte allenfalls auf der Grundlage einer sogenannten worst-case Annahme errechnet
werden. Eine solche ist aber offensichtlich nicht geeignet, die von der AVIA Consult
errechneten Werte zu bestätigen. Legt man die von der AVIA Consult errechneten
Lärmwerte zugrunde, ergibt sich nach Einschätzung des Gerichts bei Berücksichtigung
eines realistischen Flugszenarios ein Dauerschallpegel von über 52 dB(A).
Bei der Einschätzung, welche Eingangsdaten einer Lärmbegutachtung zu Grunde zu
legen sind, ist nicht jede theoretisch denkbare Beeinträchtigung zu berücksichtigen,
sondern nur eine solche Beeinträchtigung, die realistischer Weise zu erwarten ist
(BVerwG, Urteil vom 07.02.2001 - 11 B 61/00 -, Rz. 11 und OVG Brandenburg, Beschluss
vom 27.12.2004, - 3 B 337/03 - Rz. 59, zitiert nach juris).Vorliegend ist der
voraussichtliche Flugbetrieb maßgeblich anhand der Verwaltungsentscheidung, des
Betriebskonzeptes vom 20. Januar 2003 (Anlage 2 zur Verwaltungsentscheidung) und
der Karte zur fliegerischen Nutzung (Anlage 3 zur Verwaltungsentscheidung) zu
beurteilen. Der dem Gutachten der AVIA Consult vom 24. Juni 2007 zu Grunde gelegte
Flugbetrieb ist in den von der Beklagten für das genannte Gutachten zur Verfügung
gestellten Eingangsdaten (DES-MIL 12/02) nicht realistisch wiedergegeben. So wurden
für die Ermittlung des äquivalenten Dauerschallpegels außerhalb des Platzes keine
Steigflüge, keine Fluggeschwindigkeiten über 420 kts sowie die Platzrunden und
Überflüge bis zu einer Höhe von 150 m in nur unzureichender Anzahl in Ansatz gebracht.
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Überflüge bis zu einer Höhe von 150 m in nur unzureichender Anzahl in Ansatz gebracht.
Eine Berücksichtigung dieser Flugbewegungen führt jedoch zu einer Erhöhung des
äquivalenten Dauerschallpegels, die das Gericht auf der Grundlage der bereits
vorliegenden Gutachten selbst vornehmen kann, ohne dass es hierfür einer
Beweiserhebung bedurfte.
Das Gutachten der AVIA Consult vom 24. Juni 2007 geht von zu wenigen Platzrunden
aus. Eine nach dem Betriebskonzept realistische Berücksichtigung der Platzrunden führt
nach Einschätzung der Kammer zu einer Erhöhung des äquivalenten Dauerschallpegels
von mindestens 2 dB(A) gegenüber den von der AVIA Consult errechneten Werten. Nach
dem Betriebskonzept sind im Jahr bis zu 1700 Einsätze mit durchschnittlich 5
Zielanflügen geplant. Dabei findet der mehrfache Zielanflug nur tagsüber im Rahmen
der Standardverfahren und mittels festgelegter Platzrunden statt (S. 2 und 5 des
Betriebskonzeptes, Anlage 2 zur Verwaltungsentscheidung). Danach ergeben sich an
den Flugtagen im Durchschnitt ca. 8 bis 9 Einsätze mit bis zu 45 Platzrunden. Davon
geht auch die Beklagte auf Seite 47 ihrer Verwaltungsentscheidung ausdrücklich aus.
Den Berechnungen der AVIA Consult, welche auf den von der Beklagten zur Verfügung
gestellten Eingangsdaten des DES-MIL 12/02 beruhen, werden zwar durchschnittlich 8
bis 9 Einsätze täglich, allerdings nur 24 Platzrundenflüge zu Grunde gelegt.
Der gleicher Maßen in der Verwaltungsentscheidung und deren Anlage 2 vorgesehene
Flugbetrieb ist nach Auffassung der Kammer der realistisch anzunehmende, weil es sich
bei diesen Angaben um Durchschnitts- und nicht um Maximalwerte handelt. Danach ist
mit einer fast doppelten Frequentierung der Platzrunden zu rechnen, als der AVIA
Consult seitens der Beklagten vorgegeben wurde. Ausgehend von der Annahme, dass
die Verteilung der Flüge im DES-MIL 12/02 auf die beiden Platzrunden bzw. die
Radarplatzrunde realistisch ist, führt eine annähernd doppelte Frequentierung der
Platzrunden auch zu einer Verdopplung des Durchlaufs der Radarplatzrunde. Eine
Verdoppelung des Flugbetriebs führt bei der hier vorgenommenen Lärmberechnung des
Dauerschallpegels mit dem Halbierungsparameter 3 (Leq3) zu einer Zunahme des
Lärms um 3 dB(A). Die Radarplatzrunde ist in Bezug auf das Hotelgelände I. der
Hauptbeiträger zur Lärmverursachung. Dies ergibt sich schon aus der Lage des
Grundstücks mit einem Abstand von ca. 2 km zu der Hauptflugstrecke der
Radarplatzrunde und wird durch die gutachterliche Einschätzung der EADS vom 13. Mai
2005 auf Seite 7 bestätigt. Zwar haben auch An- und Abflüge Einfluss auf den
äquivalenten Dauerschallpegel. Jedoch ist dieser Einfluss wegen der angenommenen
Verteilung der Flüge nach dem Prinzip der freien Streckenwahl und der hieraus folgenden
geringeren Anzahl eines nahen Vorbeifluges oder Überfluges vergleichsweise geringer
als der Einfluss der Radarplatzrunde, so dass das Gericht eine Erhöhung des
Dauerschallpegels um mindestens 2 dB(A) für gerechtfertigt hält.
Eine weitere Erhöhung des Dauerschallpegels um mindestens 0,5 dB(A) ergibt sich aus
der nach Auffassung des Gerichts realistischer Weise anzunehmenden Geschwindigkeit
von durchschnittlich etwa 450 kts außerhalb der Platzgrenzen.
Die Verwaltungsentscheidung und das Betriebskonzept enthalten keine Vorgaben zur
Geschwindigkeit. Nach Ziffer 513 der allgemein geltenden Zentralen Dienstvorschrift
ZDv 19/2 (Flugbetriebsordnung für bemannte Luftfahrzeuge der Bundeswehr, März
2007) ist im Tiefflug grundsätzlich eine Geschwindigkeit von 420 kts über Land
einzuhalten. Im Rahmen zwingender taktischer Notwendigkeiten dürfen
Höchstgeschwindigkeiten bis zu 450 KIAS (vom Flugzeug gemessene Geschwindigkeit)
und im Rahmen des Zielendanfluges bei konventionellen bzw. Sonder-Einsatzübungen
Geschwindigkeiten von 480 bzw. 540 KIAS geflogen werden. Taktische Notwendigkeiten
können sich nach den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung
beispielsweise daraus ergeben, dass der Pilot verspätet zum Einsatzort gelangt und Zeit
aufholen muss. Die höchstzulässige Zielendanfluggeschwindigkeit von 540 kts kann
nach den Angaben der Beklagten, die das Gericht nicht in Zweifel zieht, zwar technisch
auch dann erreicht werden, wenn das Flugzeug nur über dem Gelände des
Truppenübungsplatzes beschleunigt. Eine solche Beschränkung, dass die
Beschleunigung von 420 auf 540 kts erst nach dem Einflug über dem Platz erfolgen darf,
enthält aber weder die Verwaltungsentscheidung noch das Betriebskonzept oder die
ZDv 19/2. Die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 420 kts bei allen Flügen außerhalb
des Platzes ist nach Einschätzung des Gerichts kein den Vorgaben der
Verwaltungsentscheidung entsprechendes realistisches Szenario. Das Gericht nimmt
demgegenüber an, dass es auf Grund der Besonderheiten der auf dem Platz geplanten
Übungen häufiger zu taktischen Notwendigkeiten, die eine Fluggeschwindigkeit von 450
KIAS erlauben, kommen wird, und dass realistischer Weise nicht erst nach Überschreiten
der Platzgrenzen mit dem Zielendanflug begonnen wird. Die Beklagte selbst hat nach
den glaubhaften und von ihr nicht bestrittenen Ausführungen des Prof. Dr. S. in der
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den glaubhaften und von ihr nicht bestrittenen Ausführungen des Prof. Dr. S. in der
mündlichen Verhandlung in dem früheren Datensatz DES-MIL 12/02 eine
Geschwindigkeit von 450 kts für Flugbewegungen außerhalb des Platzes angenommen,
was die Annahme des Gerichts bestätigt. Die Erhöhung der Geschwindigkeit von 420 auf
450 kts führt nach den Erkenntnissen des Gerichts zu einer Erhöhung des Spitzenpegels
für den einzelnen Überflug um etwa 3 dB(A). Dabei stützt sich das Gericht auf die im
Gutachten der AVIA Consult vom 24. Juni 2007, S. 9, (wenn auch nur unzureichend)
wiedergegebenen Messungen der Beklagten, wonach sich bei Fluggeschwindigkeiten von
420 kts und 480 kts ein Pegelunterschied in der Lärmbelastung von etwa 7 dB(A) ergibt,
und die im Amtlichen Gutachten der Wehrtechnischen Dienststelle vom 28. Juli 2006
aufgeführten Messergebnisse, aus denen bei einer Erhöhung der Geschwindigkeit um 30
kts jeweils ein Pegelunterschied von 3 dB(A) folgt. Da die Geschwindigkeitserhöhung
jeden Über- bzw. Vorbeiflug betrifft, hat die Erhöhung des Spitzenpegels auch einen
nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf den Dauerschallpegel, wobei das Gericht von
einer Größenordnung von mindestens einem halben Dezibel ausgeht.
Der äquivalente Dauerschallpegel erhöht sich weiter bei einer angemessenen
Berücksichtigung von Tiefflügen.
Die Beklagte hat in dem dem Gutachter der AVIA Consult übergebenen DES-MIL-
Datensatz nur unzureichend die Flüge, die im absoluten Tiefflugband unter 1000 ft. (300
m) stattfinden können, eingestellt. Die Beklagte hat nämlich nur für vier Flugstrecken
und damit für 4,41 % aller 1700 Einsätze (= 70 Einsätze) die Überflughöhe auf 150 m
abgesenkt. Diesen Ansatz hält das Gericht nach dem maßgeblichen Betriebskonzept
und den sonstigen Erkenntnissen im vorliegenden Verfahren für zu gering. Um einem
realistischen Ansatz Rechnung zu tragen, sind mindestens 11,1 % der Flüge in einer
Höhe von 150 m zu berücksichtigen. Nach dem Betriebskonzept finden Ein- und
Ausflüge bis 500 ft (150 m) nur im Rahmen taktischer Verfahren statt, wobei nur
bestimmt ist, dass diese geringe Flughöhe die Ausnahme sein soll. Die
Verwaltungsentscheidung und das Betriebskonzept enthalten keine Angaben zum
Verhältnis der taktischen Einsätze zum Standardverfahren. Nach der von der Beklagten
zum Verfahren gereichten Tabelle (Abschnitt 6 der BA XVI zu 3 K 2495/03) erfolgten etwa
50 % aller Fluganmeldungen in den Jahren 1997 bis 2000 im Raum Wittstock für eine
Flughöhe von 500 ft. Da in den Jahren 1994 bis 2000 jährlich 149 bis 245 (im
Durchschnitt 193) Einsätze stattfanden, ist davon auszugehen, dass etwa 95 Einsätze
pro Jahr in dieser Höhe geflogen wurden. Nach Auswertung dieser Unterlagen hält das
Gericht den Ansatz der Beklagten, dass bei nunmehr 1700 im Jahr geplanten Einsätzen
nur ca. 70 Einsätze, also absolut weniger Einsätze als bei dem wesentlich geringeren
Flugbetrieb in der Vergangenheit, in Höhe von 150 m erfolgen sollen, für nicht
nachvollziehbar. Auch wenn die Annahme, dass 50 % aller Einsätze in Höhe von 150 m
stattfinden, nicht gerechtfertigt sein dürfte, da sie das Regel-Ausnahme-Verhältnis von
Standardflügen zu taktischen Flügen verschiebt, ist auf der Grundlage der bisherigen
Angaben im Verfahren von einem wesentlich höheren Anteil von Tiefflügen als in der
genannten Höhe (4,41 %) am gesamten Flugverkehr auszugehen. Die Beklagte selbst
hat im Beschwerdeverfahren zum Eilverfahren 3 L 897/03 angegeben, dass ca. 37 %
aller Einsätze im taktischen Verfahren geflogen würden. Nach den Ausführungen der
EADS im Gutachten vom 4. März 2004 sollen nach Auskunft der Luftwaffe bis zu 30 %
der taktischen Einsätze in Höhe von 150 m erfolgen. Aufgrund dieser Angaben hält es
das Gericht im Sinne eines realistischen Szenarios für gerechtfertigt, von 11,1 %
Tiefflugeinsätzen (30 % von 37 % = 11,1 %), demnach von einer Anzahl von 189
Einsätzen in Höhe von 150 m auszugehen. Die so vorgenommene Erhöhung der Anzahl
von Tiefflügen in Höhe von 150 m hat eine - wenn auch eher geringfügige - Erhöhung des
Dauerschallpegels zur Folge (vgl. hierzu die Gutachten der EADS Deutschland vom
4.3.2004, S. 17 und der BeSB vom 5.1.2004, S. 31).
Einen ebenfalls erhöhenden Einfluss auf den Dauerschallpegel haben die im Gutachten
der AVIA Consult vom 24. Juni 2007 nicht betrachteten, aber in der Realität möglichen
Beschleunigungs- und Steigflüge außerhalb der Grenzen des Truppenübungsplatzes.
Wie bereits oben ausgeführt, hält die Kammer es für denkbar, dass es zu
Beschleunigungen bereits vor Einflug in den Truppenübungsplatz kommen kann. Ebenso
ist bei realistischer Betrachtung bei Ausflügen in Höhe von 150 m nach Verlassen der
taktischen Ausflugbereiche mit Steigflügen zu rechnen, die zu einer Erhöhung der
Lärmbelastung führen. Gerade weil die niedrigen Flüge von 150 m Höhe kontingentiert
sind und nach den Erläuterungen der Beklagten-Vertreter in der mündlichen
Verhandlung ein besonderes Gefahrenpotential in sich tragen, ist - was nach der
Verwaltungsentscheidung und dem Betriebskonzept auch ohne weiteres zulässig ist -
davon auszugehen, dass die Piloten das absolute Tiefflugband von 150 m nach dem
Ausflug möglichst schnell wieder verlassen und steigen. Durch den bei einer
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Ausflug möglichst schnell wieder verlassen und steigen. Durch den bei einer
Beschleunigung bzw. einen Steigflug erforderlichen zusätzlichen Schub kann es jedoch
zu weiteren Lärmerhöhungen bei einzelnen Überflügen kommen. Bei einer
Beschleunigung von 420 kts auf 480 kts sowie bei Steigflügen mit einer Geschwindigkeit
von 420 kts ist nach der Tabelle auf Seite 14 des Gutachtens der AVIA Consult vom 10.
Juli 2007 mit Zusatzpegeln von 7 dB(A) zu rechnen. Nach den Einschätzungen des Dipl.-
Ing. B. in der mündlichen Verhandlung variiert bei einem Steigflug der Zusatzpegel je
nach Steigwinkel zwischen 1 und 7 dB(A). Soweit die Beklagte meint, dass die Energie für
den Steigflug aus einer gleichzeitigen Verringerung der Geschwindigkeit auf 420 kts
gewonnen und kein zusätzlicher Schub benötigt werde, kann dem nicht gefolgt werden.
Die Beklagte behauptet nämlich zugleich, dass die Flugzeuge den Platz bereits mit einer
Geschwindigkeit von höchstens 420 kts verlassen werden. Dann wäre eine Verringerung
der Geschwindigkeit auf 420 kts, aus der Energie für den Steigflug gewonnen werden
könnte, aber nicht mehr möglich.
Darüber hinaus werden die Planungen der Klägerin auch durch die zu erwartenden
Spitzenschallpegel abwägungserheblich beeinträchtigt.
Für die Spitzenpegel geht die Kammer von einer Erheblichkeitsschwelle von 95 dB(A)
aus. Ab welchem Wert Spitzenpegel abwägungserheblich sind, ist - soweit ersichtlich - in
der Rechtsprechung und Literatur bisher nicht entschieden bzw. definiert worden. Es wird
in der Lärmmedizin (Griefahn/Jansen/Scheuch/S., Fluglärmkriterien für ein Schutzkonzept
bei wesentlichen Änderungen oder Neuanlagen von Flughäfen/Flugplätzen, ZfL 2002, S.
171 ff.; Ortscheid/ Wende, Umweltbundesamt, Wirkungen von zivilem und militärischem
Fluglärm, März 2001; Ising u.a., Gesundheitliche Wirkungen des Tieffluglärms, Kurzbericht
i. A. d. Umweltbundesamtes, August 1991) jedoch übereinstimmend eine
verfassungsrechtliche, nicht durch Abwägung zu überwindende Zumutbarkeitsschwelle
für Spitzenpegel von 115 dB(A) angenommen. Ab diesem Wert kann es zu auralen
Gesundheitsschädigungen kommen. Kann aber eine Lärmbelastung allein aufgrund der
erreichten Spitzenpegel unzumutbar sein, so darf nach Auffassung der Kammer nicht
jeder unterhalb dieser nicht zu überschreitenden Zumutbarkeitsgrenze liegende
Spitzenpegel für die Abwägung unerheblich sein. Vielmehr ist entsprechend der
Lärmbewertung anhand des Dauerschallpegels auch in Bezug auf den Spitzenpegel eine
Erheblichkeitsschwelle festzulegen, ab welcher die Lärmbelastung allein wegen der
Überschreitung eines bestimmten Spitzenwertes als abwägungserheblicher Belang in die
Abwägung mit einzustellen ist. Die lärmmedizinische Einschätzung in der
Fluglärmsynopse (Griefahn/Jansen/Scheuch/S., a.a.O., S. 171 ff.) geht zur Vermeidung
von Hörschäden von einem präventiven Richtwert von 95 dB(A) aus. Diesen Wert
definiert die Kammer als Mindestwert für die Erheblichkeitsschwelle. Nach der Definition
der Verfasser der genannten Fluglärmsynopse (Griefahn u.a., a.a.O.) handelt es sich bei
dem präventiven Richtwert um einen Vorsorgewert, bei dessen Einhaltung
Gesundheitsgefährdungen weitgehend ausgeschlossen sind, Störungen allerdings bei
sensiblen Gruppen auftreten können. Präventive Richtwerte sollten nach der Auffassung
der Lärmmediziner grundsätzlich nicht überschritten werden. Wenn es aber bei
Spitzenpegeln ab 95 dB(A) bei einzelnen Personen schon zu Beeinträchtigungen des
Hörvermögens kommen kann, können Lärmereignisse, die diesen Wert überschreiten,
im Rahmen einer planerischen Entscheidung nicht außer Betracht gelassen werden.
Bestätigt wird diese Einschätzung durch die von der Klägerseite zum vorliegenden
Verfahren eingereichte "Gutachterliche lärmmedizinische Einschätzung der Belastung
durch Geräuschimmissionen in der Umgebung des Luft-/ Bodenschießplatzes auf dem
Truppenübungsplatz Wittstock" vom 12. März 2004. Darin gelangt Prof. Dr. S. (S. 19) zu
der Einschätzung, dass ein genereller präventiver Schutz des menschlichen Gehörs bei
mehrfachen Überflügen am Tage durch militärische Strahlflugzeuge nur sichergestellt
ist, wenn der Maximalpegel von 95 Dezibel (A- und Slow-Bewertung = L
ASmax
) nicht
überschritten wird.
Nach allen dem Gericht vorliegenden gutachterlichen Einschätzungen kommt es in dem
Gemeindegebiet der Klägerin zu Spitzenschallpegeln von über 100 dB(A). Nach den
zuletzt von der Beklagten vorgelegten Berechnungen der AVIA Consult vom 24. Juni
2007 sind an den vier Einzelpunkten im Gemeindegebiet Spitzenschallpegel (L
ASmax
)
von 102,1 bis zu 105,2 dB(A) zu erwarten. Auf die Klärung der in der mündlichen
Verhandlung seitens der Beklagten unter Beweis gestellten Tatsache der Lärmbelastung
durch Spitzenpegel auf dem Gebiet der Klägerin kam es im Hinblick auf die vom Gericht
angenommene Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle nicht an, der Beweisantrag
war insoweit als unerheblich abzulehnen.
Die angefochtene Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 wird dem
planungsrechtlichen Abwägungsgebot nicht gerecht, weil die Beklagte die Belange der
Klägerin vor Erlass der Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 nicht ermittelt und im
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Klägerin vor Erlass der Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 nicht ermittelt und im
Rahmen ihrer Abwägung nicht berücksichtigt hat.
In den Gründen der Verwaltungsentscheidung heißt es, dass im Rahmen der Abwägung
nur solche von den Gemeinden vorgetragenen Belange Berücksichtigung finden, die
rechtlich der Planungshoheit der Gemeinden zuzuordnen seien (S. 21). Die Beklagte
führt auf Seite 28 der Verwaltungsentscheidung allgemein zu den Belangen der
angehörten Gemeinden aus, dass sich diese vor dem Hintergrund, dass der
Truppenübungsplatz schon seit mehreren Jahrzehnten besteht, entgegenhalten lassen
müssten, dass sie dem Truppenübungsplatz entgegenstehende Planungen fehlerhaft
vorgenommen hätten. Betreffend die Beeinträchtigung der gemeindlichen
Planungshoheit durch von der Nutzung des Truppenübungsplatzes ausgehenden Lärm
stellt sie u.a. darauf ab, dass durch den Übungsbetrieb die nach dem Gesetz zum
Schutz vor Fluglärm (Fluglärmgesetz) geltenden Grenzwerte von 75 beziehungsweise 67
Dezibel außerhalb des Truppenübungsplatzes nicht überschritten würden.
Daraus ergibt sich, dass die Beklagte die gemeindliche Planungshoheit zwar als
abwägungserheblichen Belang erkannt hat. Die konkreten Planungen der Klägerin,
insbesondere die Bestimmung des Hotelgeländes I. als Sondergebiet Beherbergung/
Hotel, hat die Beklagte aber in ihre planerische Entscheidung nicht mit einbezogen. Die
Bauleitplanungen der Klägerin werden auch in der Anlage 1 zur
Verwaltungsentscheidung, die eine Auflistung der berücksichtigten und in die Abwägung
mit einbezogenen Bauleitplanungen von Gebietskörperschaften enthält, nicht genannt.
Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bereits in seinem
Beschluss vom 20. September 2005 (- 2 S 99.05-, Entscheidungsabdruck S. 16 ff.)
ausgeführt, dass der von der Beklagten gewählte Ansatz den für die Ermittlung der
Abwägungserheblichkeit relevanten Maßstab verfehlt. Entgegen der Begründung der
Verwaltungsentscheidung sind auch im Rahmen der gemeindlichen Planungshoheit
Beeinträchtigungen unterhalb der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle, bei
der die Lärmeinwirkungen gesundheitsgefährdend sind und das Eigentum schwer und
unerträglich beeinträchtigt wird, zu berücksichtigen.
Auch wenn entgegen dem hier gewonnenen Ergebnis die ergänzenden Abwägungen
vom 16. Dezember 2005 und vom 25. Juni 2007 formal als Bestandteil der
Verwaltungsentscheidung zu berücksichtigen wären, erfüllen sie nicht die an einer
Ergänzung der Verwaltungsentscheidung nach § 114 Satz 2 VwGO zu stellenden
materiellen Anforderungen.
Zwar ist das nachträgliche Einstellen neuer Belange - hier der Klägerin - im Rahmen
einer Abwägungsentscheidung als Ergänzung der ursprünglichen
Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 nach Auffassung der Kammer nicht von
vornherein aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Vielmehr folgt aus allgemeinen
Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts und aus § 114 Satz 2 VwGO, dass
Abwägungsfehler auch noch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens geheilt werden
können.
In formeller Hinsicht sieht § 45 Abs. 1 Nr. 2 und 3 VwVfG vor, dass die erforderliche
Begründung eines Verwaltungsaktes bzw. eine Anhörung und damit auch eine weitere
Sachverhaltsermittlung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden können. Gleichzeitig ermächtigt
§ 114 S. 2 VwGO die Behörde dazu, ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des
Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ergänzen, um
insoweit bestehenden materiell-rechtlichen Mängeln des Verwaltungsakts abzuhelfen.
Damit wird die grundsätzliche Zulässigkeit des nachträglichen Ermittelns und
Nachschiebens von Gründen auch für Planungsentscheidungen anerkannt
(Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 45 Rdnr. 22). Der Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO auf die
vorliegende planerische Abwägungsentscheidung steht die spezielle Regelung in § 75
Abs. 1 a Satz 2 VwVfG, welche eine nachträgliche Abwägung im Rahmen eines
ergänzenden Verfahrens zum Planfeststellungsverfahren ermöglicht, nicht entgegen.
Insoweit kann offen bleiben, ob § 114 Satz 2 VwGO neben dem ergänzenden Verfahren
nach § 75 Abs. 1 a VwVfG anwendbar ist oder aber mit der verfahrensrechtlichen
Vorschrift abschließend die Möglichkeit des Nachschiebens von Erwägungen zur
Behebung von Abwägungsmängeln geregelt wird (so Gerhardt in
Schoch/Schmidt/Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 114 Rdnr. 12 d, 48). § 75 Abs.
1 a VwVfG gilt nur für das - hier nicht vorliegende - Verfahren der Planfeststellung und
kann daher allenfalls in diesem Bereich abschließend die Möglichkeit der Ergänzung
einer Abwägung regeln, im Übrigen - so auch hier - gilt allgemeines Verfahrens- und
Prozessrecht. Die Planungsbehörde kann danach einen Abwägungsfehler, der in der
Außerachtlassung einzelner Belange begründet ist und der nicht von vornherein die
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Außerachtlassung einzelner Belange begründet ist und der nicht von vornherein die
gesamte Planung in Frage stellt, dadurch heilen, dass sie ergänzende
Ermessenserwägungen während des Prozesses nachholt, ihre Entscheidung an Hand
dieser Erwägungen überprüft und das Ergebnis dieser Prüfung verbindlich zum Ausdruck
bringt (vgl. Storost, Fachplanung und Wirtschaftsstandort - Deutschland: Rechtsfolgen
fehlerhafter Planung, NVwZ 1998, S. 797 (804)).
Die ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 25. Juni 2007 sind jedoch keine
Ergänzung im Sinne von § 114 Satz 2 VwGO, da sie insgesamt die bisherige Planung in
Frage stellen. Das den Ausführungen zu Grunde liegende Gutachten der AVIA Consult
vom 24. Juni 2007 ermittelt nicht nur an vier verschiedenen Einzelpunkten im
Gemeindegebiet der Klägerin, sondern auch für weitere vom Überflug betroffene Orte
eine um bis zu 9 dB(A) - bezogen auf den äquivalenten Dauerschallpegel mit dem
Halbierungsparameter Leq = 3 - geringere Lärmbelastung als in den EADS-Gutachten
(insbesondere vom 13. Mai 2005), auf denen die ergänzende Abwägung vom 16.
Dezember 2005 beruht. Ursächlich für diese erheblichen Abweichungen ist, dass der
Gutachter für die Berechnung der Lärmentwicklung für den Horizontalüberflug erstmals
die sogenannten Anflugklassen und nicht - wie bisher - die sogenannten Startklassen
herangezogen hat. Außerdem ist die Überflughöhe im DES-MIL-Datensatz für 70 An- und
Abflüge außerhalb des Truppenübungsplatzes auf 150 m abgesenkt worden. Das Gericht
geht daher davon aus, dass die Lärmentwicklung für die gesamte Umgebung des
Truppenübungsplatzes anders ausfallen wird als die Beklagte bei dem Erlass der
Verwaltungsentscheidung angenommen hat. Darüber hinaus hat die Beklagte die
nachträgliche Abwägung vom 16. Dezember 2005 nicht im Sinne von § 114 Satz 2 VwGO
ergänzt, sondern ausgetauscht. Ein völliges Auswechseln der Erwägungen ist jedoch
nach § 114 Satz 2 VwGO unzulässig, da der Streitgegenstand hierdurch geändert wird
(vgl. Gerhardt: in Schoch u. a., a. a. O., § 114 Rdnr. 12 e). In der ergänzenden Abwägung
vom 25. Juni 2007 geht die Beklagte erstmals davon aus, dass die Erheblichkeitsgrenze
von 52 dB(A) Leq(3) nicht erreicht wird. Auf Grund der nunmehr ermittelten Lärmwerte
sei die Lärmbelastung unter ausdrücklicher Außerachtlassung einer etwaigen
Vorbelastung insgesamt zumutbar. Diese Erwägungen wechseln die tragenden Gründe
der Abwägung vom 16. Dezember 2005 vollständig aus, da die Beklagte bisher davon
ausgegangen war, dass die Zumutbarkeit u.a. wegen einer schutzmindernden
Vorbelastung anzunehmen sei.
Demgegenüber dürfte die Abwägung vom 16. Dezember 2005 zwar als Ergänzung der
Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003 anzusehen sein. Jedoch hat die Beklagte die
materiellen Anforderungen, die an eine nachträgliche Ergänzung einer
Planungsentscheidung zu stellen sind, nicht erfüllt.
Die Beklagte hat in der nachträglichen Abwägung vom 16. Dezember 2005 fehlerhaft nur
isoliert die Belange der Klägerin gegen die für das Vorhaben sprechenden Umstände
abgewogen und damit - anders als in der ursprünglichen Verwaltungsentscheidung vom
9. Juli 2003 - eine Einzelabwägung vorgenommen. Insoweit ist eine gesamtplanerische
Entscheidung nicht mehr erkennbar.
Auf diesen Mangel kann sich die Klägerin auch berufen. Dabei verkennt die Kammer
nicht, dass die Klägerin nur die Verletzung ihrer eigenen Rechte, das heißt eine
Verletzung des Abwägungsgebotes in Bezug auf ihre gemeindliche Planungshoheit
geltend machen kann, sich folglich nicht auf eine Vernachlässigung oder Fehlgewichtung
fremder Belange und auch nicht auf eine Verstärkung ihrer eigenen Belange durch eine
Summierung mit dem Gewicht entsprechender fremder Belange berufen kann (OVG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.11.2006, - 2 S 22.06, S. 9 des
Entscheidungsabdrucks). Allerdings steht - wie bereits ausgeführt - der Klägerin ein
Recht auf gerechte Abwägung zu. Die Abwägung im Rahmen einer planerischen
Entscheidung erfordert aber als Mindestmaß, dass erkennbar eine Gesamtbewertung,
die zu einer Gesamtsaldierung der verschiedenen für und gegen das Vorhaben
sprechenden Belange führt, stattgefunden hat. Ebenso wie das Gericht die
Unausgewogenheit der Behandlung der klägerischen Belange nicht allein auf Grund
eines isolierten Vergleichs dieser Belange mit den für das Vorhaben streitenden
Belangen feststellen kann, ohne zugleich das gesamte Entscheidungsgeflecht in
Betracht zu ziehen (vgl. insoweit Wahl/Schütz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a. a.
O., § 42 Abs. 2 Rdnr. 256), kann auch die Beklagte nicht nur die Belange der Klägerin
ihren eigenen Interessen an der Nutzung des Truppenübungsplatzes gegenüberstellen,
sondern muss die Belange der Klägerin im Rahmen einer planerischen
Gesamtabwägung angemessen berücksichtigen. Unabhängig davon, dass die Klägerin
keinen Anspruch auf die Verstärkung der eigenen Belange durch die Betrachtung
anderer Gemeinden oder die Interessen ihrer Einwohner hat, muss sie aus der
Planungsentscheidung erkennen können, wie und mit welchem Gewicht ihre Belange
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Planungsentscheidung erkennen können, wie und mit welchem Gewicht ihre Belange
auch im Verhältnis zu anderen privaten oder öffentlichen für und gegen das Vorhaben
sprechenden Interessen in die planerische Gesamtentscheidung eingestellt worden sind,
um eine mögliche Fehlgewichtung durch das Setzen falscher Prioritäten oder eine
Ungleichbehandlung gegenüber anderen Gemeinden und deren Planungen erkennen zu
können. Eine derartige Einbindung der Interessen der Klägerin in das gesamtplanerische
Konzept fehlt hier offenkundig. Die Beklagte nimmt erkennbar nur eine isolierte
Betrachtung im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der Nutzung des Platzes und
keine planerische Entscheidung vor.
Die Abwägung vom 16. Dezember 2005 erweist sich zudem als fehlerhaft, weil die
Beklagte die Belange der Klägerin im Hinblick auf die angenommene plangegebene
Vorbelastung der Gemeinde und insbesondere die in dem für Fremdenbeherbergung
und Hotel ausgewiesenen Sondergebiet bei dem Seehotel I. entstehenden
Spitzenschallpegel nicht ausreichend ermittelt hat.
Die Beklagte geht in ihrer nachträglichen Abwägung von einer schutzmindernden
Vorbelastung des Gemeindegebietes aus, ohne die konkrete Vorbelastung hinreichend
ermittelt zu haben und darzulegen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
30.11.2006, a. a. O., S. 17 ff.). Die Beklagte führt auf den Seiten 16 und 18 ihrer
nachträglichen Abwägung vom 16. Dezember 2005 aus, dass eine ganz erhebliche
plangegebene Vorbelastung der Gemeinde zu berücksichtigen sei. Die geografische
Lage im Umfeld des seit jeher vorhandenen und bestandsgeschützten Luft-Boden-
Schießplatzes führe zu einer Situationsgebundenheit, weshalb die Klägerin ihrerseits die
militärische Anlage zu beachten habe und nur eingeschränkt schutzwürdig sei.
Eine plangegebene Vorbelastung kann zwar den Umfang von Schutzansprüchen
mindern. Sie liegt vor, wenn aufgrund einer noch nicht verwirklichten, aber bereits
verfestigten Planung mit erhöhten Immissionen gerechnet werden muss. Wann eine
derartige Verfestigung eintritt, lässt sich nicht allgemein bestimmen. Entscheidend ist
eine hinreichende Erkennbarkeit der planerischen Absichten einerseits und ein
deutliches Maß an Ernsthaftigkeit des vorgesehenen Projekts andererseits (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 05.10.1990, NVwZ-RR 1991, S. 118 m.w.N.). Die Nutzung des
Truppenübungsplatzes wurde durch die Bundeswehr nie endgültig aufgegeben. Die
Klägerin musste daher jedenfalls seit 1994 mit einer weiteren militärischen Nutzung des
Platzes rechnen. Für eine Annahme der Minderung der Schutzwürdigkeit durch eine
plangegebene Vorbelastung sind aber die konkreten Umstände, insbesondere die für die
Klägerin erkennbare zukünftige Lärmbelastung entscheidend, denn nur so kann das
Ausmaß der Schutzminderung bestimmt werden. Angesichts der Tatsache, dass der
Truppenübungsplatz Wittstock von den sowjetischen Luftstreitkräften früher in ost-
westlicher Richtung überflogen wurde und von 1994 bis zum Jahr 2000 durch die
Bundeswehr nur eine sehr eingeschränkte Nutzung erfolgte, waren die nunmehr streitige
Fortnutzung des Truppenübungsplatzes und deren Auswirkungen auf das
Gemeindegebiet der Klägerin nicht ohne weiteres erkennbar. Daher hätte die Beklagte -
soweit sie eine plangegebene Vorbelastung schutzmindernd berücksichtigen wollte -
feststellen müssen, mit welchen konkreten Belastungen die Klägerin in den einzelnen
Teilen des Gemeindegebiets zu rechnen hatte. Die Beklagte hat aber in dieser Hinsicht
keine Ermittlungen angestellt. Aus der Abwägung vom 16. Dezember 2005 und auch aus
den dem Gericht zum Verwaltungsverfahren eingereichten Unterlagen wird nicht
ersichtlich, dass sich die Beklagte bei ihrer Planungsentscheidung auch nur ansatzweise
damit auseinandergesetzt hat, welcher Nutzungsumfang und welche Lärmbelastung
bzw. Lärmverteilung auf dem Gemeindegebiet für die Klägerin im Zeitpunkt der
gemeindlichen Planungen ersichtlich war. Aus den Ausführungen der Beklagten
erschließt sich hingegen nicht, welches Ausmaß an plangegebener Vorbelastung sie der
Abwägungsentscheidung zugrunde gelegt hat. Auch aus anderen Umständen, die neben
der Begründung der Verwaltungsentscheidung für die Entscheidung des Gerichts
heranzuziehen sind, wird nicht ersichtlich, dass die Beklagte Ermittlungen dazu
angestellt hat, ob die Vorbelastung auf der als Sondergebiet für Fremdenbeherbergung
und Hotel geplanten Fläche durch Einzelschallereignisse bzw. äquivalente
Dauerschallpegel angesichts der nunmehr zu erwartenden Belastung erheblich ist. Um
das Ausmaß der Schutzminderung zu bestimmen, war eine solche Ermittlung der
Intensität der Vorbelastung aber erforderlich. Soweit die Beklagte mit ihrem Schriftsatz
vom 25. Juni 2007 als Anlage 7 Unterlagen aus früheren verwaltungsgerichtlichen
Verfahren überreicht, ändert das an der Fehlerhaftigkeit der der Abwägung zu Grunde
liegenden Sachverhaltsermittlung in Bezug auf die Vorbelastung nichts. Aus den in den
früheren zur Nutzung des Truppenübungsplatzes geführten Verfahren eingereichten
Schriftsätzen ergibt sich zwar, dass die Beklagte bereits Mitte der 90er Jahre die Absicht
hatte, den Truppenübungsplatz mit ca. 3.000 Einsätzen jährlich zu nutzen und
grundsätzlich in Nord - Süd - Richtung zu fliegen. Das spricht dafür, dass die Planung der
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grundsätzlich in Nord - Süd - Richtung zu fliegen. Das spricht dafür, dass die Planung der
Beklagten zu diesem Zeitpunkt schon hinreichend verfestigt war. Die Beklagte hat aber
nicht dargelegt, dass diese Planung der Klägerin in den maßgeblichen Punkten, nämlich
der Flugrichtung und dem Nutzungsumfang bekannt oder für die Klägerin erkennbar war.
In den Verfahren, aus denen die Beklagte die Unterlagen vorgelegt hat, waren der
Landkreis Ostprignitz-Ruppin und die Gemeinde S. Beteiligte, so dass die Klägerin
unmittelbar keine Kenntnis erlangen konnte. Andere Wege der Kenntniserlangung sind
von der Beklagten nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich. Die Klägerin hat
zudem ihre Planungen den Festsetzungen im Raumordnungsprogramm des Landes
Mecklenburg-Vorpommern angepasst. Das insoweit möglicherweise anzunehmende
schutzbedürftige Vertrauen der Klägerin hat die Beklagte nicht ermittelt und bei der
Annahme einer plangegebenen Vorbelastung nicht berücksichtigt.
Auch aus der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 12. Juli 2007 vorgelegten Ordnung
der Nationalen Volksarmee über die Durchführung des Bombenabwurfes auf dem
Bombenabwurfplatz Wittstock vom 22. Juli 1966 ergibt sich nicht der konkrete Umfang
der damaligen fliegerischen Nutzung und die für die klägerische Gemeinde hieraus
resultierende Lärmbelastung. Fraglich ist insoweit auch, ob die tatsächliche Nutzung
durch die sowjetischen Streitkräfte überhaupt entsprechend der vorgelegten Ordnung
der Nationalen Volksarmee erfolgte. Darüber hinaus würde dadurch nur eine
tatsächliche Vorbelastung begründet werden können, die die Beklagte aber in ihre
Abwägung vom 16. Dezember 2005 nicht eingestellt hat. Die Kammer weist außerdem
diese Vorbringen der Beklagten als verspätet gemäß § 87 b Abs. 3 VwGO zurück, weil
eine weitere Aufklärung im Hinblick auf den tatsächlichen Flugbetrieb und die durch den
Flugbetrieb entsprechend der genannten Ordnung verursachten Immissionen die
Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Beklagte die Vorlage nach Ablauf
der mit der Ladung nach § 87 b Abs. 2 VwGO gesetzten Frist nicht entschuldigt hat.
Die Beklagte hat darüber hinaus die Spitzenpegel, welche bei dem von der Klägerin als
Sondergebiet für Beherbergung und Hotel geplanten Areal auftreten können, nicht
ausreichend ermittelt und mit zu geringen Werten und in zu geringer Anzahl in ihre
Abwägung eingestellt. In der ergänzenden Abwägung vom 16. Dezember 2005 stellt die
Beklagte zwar unter "2. b) Belange der Gemeinde L. " fest, dass Spitzenpegel bis zu 108
dB(A) entstehen können. In die Abwägung unter Ziff. 2. c) stellt die Beklagte dann aber
nur Spitzenpegel von 100 bis 105 dB(A) ein. Beide Werte werden jeweils mit dem
Überflug eines Tornados in einer Höhe von „gut 300 m“ beschrieben.
Nach dem mit der Verwaltungsentscheidung vom 9. Juli 2003, dem Betriebskonzept von
20. Januar 2003 und der Karte zur militärischen Nutzung beschriebenen Flugbetrieb sind
nach Einschätzung der Kammer jedoch Spitzenpegel von über 110 dB(A) auf dem
touristisch zu nutzenden Sondergebiet zu erwarten. Dabei geht das Gericht davon aus,
dass es in diesem Bereich - wenn auch nur in seltenen Fällen - zu Überflügen in 150 m
Höhe mit einer Geschwindigkeit von 450 kts im Formations- oder Steigflug kommen
kann.
Der von der Klägerseite beauftragte Sachverständige (Gutachten der BeSB vom
03.09.2003) hat unter Berücksichtigung einer Geschwindigkeit von 450 kts bei einer
Überflughöhe von 150 m einen Spitzenschallpegel von 109 dB(A) ermittelt. Im
Gutachten der EADS vom 4. März 2004 wird bei einer Überflughöhe von 300 m und einer
Geschwindigkeit von 450 kts ein Spitzenschallpegel von 107,4 dB(A) berechnet, welcher
sich bei einem Überflug in nur 150 m Höhe um weitere 10 dB(A) erhöhen könne. Das
schalltechnische Gutachten der AVIA Consult vom 24. Juni 2007 errechnet zwar auf dem
Gelände des Seehotels I. nur Spitzenschallpegel bis zu 102,8 dB(A), geht aber zugleich
davon aus, dass an allen in den Ein- und Ausflugbereichen der in der Karte 6 zum
Gutachten verzeichneten Flugstrecken gelegenen Einzelpunkten Spitzenpegel von bis zu
106 dB(A) entstehen können, was dem Überflug eines einzelnen Tornados in ca. 150 m
Höhe mit einer Geschwindigkeit von 420 kts entspreche. Selbst unter Zugrundelegung
der vom Gutachter der AVIA Consult errechneten Werte ergeben sich bei
Berücksichtigung des durch die Verwaltungsentscheidung und das Betriebskonzept
zugelassenen und realistischen Flugbetriebs mögliche Spitzenschallpegel von über 110
dB(A). Daher bedurfte es auch in Bezug auf die Spitzenschallpegel nicht der von der
Beklagten beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Bestätigung
der Richtigkeit der von der AVIA Consult berechneten Werte, da es hierauf nicht
ankommt.
Das Gericht geht davon aus, dass es bei dem Hotelgrundstück, das nördlich des
taktischen Ein- und Ausflugbereichs gelegen ist, zu Überflügen in 150 m Höhe kommen
kann. Dies unterstellt auch der Gutachter der AVIA Consult, da das Hotel in den auf der
Karte 6 zum Gutachten eingezeichneten Ein- und Ausflugsektoren liegt. Zudem ergibt
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Karte 6 zum Gutachten eingezeichneten Ein- und Ausflugsektoren liegt. Zudem ergibt
sich aus der Verwaltungsentscheidung keine Beschränkung der Flüge in geringer Höhe
auf einzelne Flugstrecken, so dass das Gericht annimmt, dass es in der Nähe aller
taktischen Ein- und Ausflugbereiche zu Überflügen in geringer Höhe kommen kann.
Nach den Berechnungen des Gutachters der AVIA Consult ist daher davon auszugehen,
dass es auf dem klägerischen Grundstück zu Spitzenpegeln von bis zu 106 dB(A)
kommen kann. Dieser Wert erhöht sich nach Einschätzung der Kammer noch, wenn -
was einem realistischen Flugbetrieb entspricht - Geschwindigkeiten über 420 kts sowie
Formations- und Steigflüge in die Berechnung eingestellt werden. Die Kammer geht - wie
bereits im Rahmen der Lärmbewertung bei der Erheblichkeitsschwelle für den
äquivalenten Dauerschallpegel ausgeführt - davon aus, dass in unmittelbarer Umgebung
des Truppenübungsplatzes Flüge mit Geschwindigkeiten von mindestens bis zu 450 kts
erfolgen werden. Dies führt nach der oben bereits dargelegten Einschätzung der
Kammer zu einer Erhöhung des Pegels bei einem einzelnen Überflug um ca. 3 dB(A).
Eine weitere Erhöhung des Spitzenschallpegels um ca. 3 bis 4 dB(A) folgt aus den
geplanten Formationsflügen. Nach dem insoweit maßgeblichen Betriebskonzept (S. 2)
erfolgt der Anflug in der Regel in Viererformationen tagsüber überwiegend im engen
Verbandsflug. Das Vorbringen im Schriftsatz vom 25. Juni 2007, wonach sich die
Formationen ca. 15 km vor dem Platz auflösen, ist vor diesem Hintergrund nicht
nachvollziehbar. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Verwaltungsentscheidung
(S. 47) sogar von einer Nutzung des Platzes von 2 bis 4 Flugzeugen gleichzeitig ausgeht,
so dass auch ein gemeinsamer Anflug zu erwarten ist. Formationsflüge erhöhen den
Spitzenschallpegel nach den Gutachten der BeSB vom 11. September 2003 bzw. 5.
Januar 2004 um 3 bis 6 bzw. 2 bis 5 dB(A). Die Kammer geht daher von einem Mittelwert
zwischen 3 bis 4 dB(A) aus.
Außer Formationsflügen können auch insbesondere im Rahmen der für den Spitzenpegel
relevanten Überflüge in 150 m Höhe Steigflüge auftreten, die wegen des für die Steigung
erforderlichen Schubs ebenfalls einen Zusatzpegel verursachen, was oben bereits
dargelegt wurde. Das Gleiche gilt für Beschleunigungen kurz vor dem Platz im Rahmen
eines beginnenden Zielendanfluges. Bei einer Beschleunigung von 420 kts auf 480 kts
sowie bei Steigflügen mit einer Geschwindigkeit von 420 kts ist nach der Tabelle auf
Seite 14 des Gutachtens der AVIA Consult vom 10. Juli 2007 mit Zusatzpegeln von 7
dB(A) zu rechnen. Nach den Einschätzungen des Dipl.-Ing. B. in der mündlichen
Verhandlung variiert bei einem Steigflug der Zusatzpegel je nach Steigwinkel zwischen 1
und 7 dB(A).
Die Beklagte hat außerdem das Auftreten der Spitzenschallpegel mit einer zu geringen
Häufigkeit berücksichtigt, da bei realistischer Betrachtung nicht nur 4,41 %, sondern 11,
1 % aller Überflüge in geringer Höhe stattfinden werden, wie oben angeführt wurde.
Die festgestellten Mängel sind auch auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen,
da insbesondere die fehlerhafte Annahme einer ganz erheblichen plangegebenen
Vorbelastung erkennbar zur Überwindung des auch von der Beklagten angenommenen
schützenswerten Interesses an der touristischen Nutzung im südlichen Bereich der
Gemeinde, also auch auf dem Hotelgelände führt. Dieses werde durch das
Einzellärmereignis, das die Beklagte - fehlerhaft - mit lediglich 100 - 105 dB(A) in die
Abwägung eingestellt hat, „nennenswert belästigt“ (Abwägungsentscheidung S. 16, 18).
Angesichts dieser Erwägungen ist bei der gebotenen realistischen Betrachtung nicht
auszuschließen, dass die Beklagte bei einer fehlerfreien Ermittlung und Bewertung der
Belange der Klägerin die konkrete Möglichkeit einer anderen Planung in Betracht
gezogen hätte. Hier wären Beschränkungen der Flughöhe bei Flügen über das
Gemeindegebiet in Frage gekommen oder eine Verlegung des nördlichen taktischen Ein-
und Ausflugsbereichs, um der von der Klägerin geplanten touristischen Nutzung, die ein
auch von der Beklagten anerkannter Belang ist, angemessen Rechnung zu tragen.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung der Verwaltungsentscheidung und kann
nicht im Hinblick auf die festgestellten Abwägungsfehler auf einen Anspruch auf bloße
Planergänzung verwiesen werden. Es ist fraglich, ob die Grundsätze der Planergänzung
hier überhaupt Anwendung finden können, da Verfahrensvorschriften für die streitige
Planung fehlen. Nach den Grundsätzen der Planergänzung kann der in seinen Rechten
verletzte Kläger bei Planungsfehlern grundsätzlich nicht die Planaufhebung, sondern nur
eine Planergänzung verlangen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.05.2005 a. a. O., S. 111).
Im Rahmen der Planergänzung kommen Ausgleichs- oder Schutzmaßnahmen oder
lediglich Entschädigungsleistungen in Betracht. Im vorliegenden Fall kann die
festgestellte Rechtsverletzung jedoch nicht durch eine Ergänzung der
Verwaltungsentscheidung um sogenannte Ausgleichsmaßnahmen verhindert werden, da
hierdurch die Ausgewogenheit der Planung insgesamt in Frage gestellt würde. Insoweit
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hierdurch die Ausgewogenheit der Planung insgesamt in Frage gestellt würde. Insoweit
ist zu berücksichtigen, dass bei der hier in Frage kommenden Verlegung der taktischen
Ein- und Ausflugbereiche die planerische Gesamtkonzeption im Betriebskonzept zur
Verwaltungsentscheidung zu ändern wäre, weil hierdurch zwangsläufig Belange Dritter
berührt würden. Auch eine Überflugbeschränkung über das Gemeindegebiet hätte
zwangsläufig eine Verschiebung des nördlichen taktischen Ein- und Ausflugbereichs zur
Folge, da das Gemeindegebiet in unmittelbarer Nähe hierzu gelegen ist. Insoweit kann
der Auffassung der Beklagten, ergänzende Schutzauflagen zur Beseitigung der
Rechtsverletzung seien jederzeit möglich, nicht gefolgt werden, unabhängig davon, dass
nicht erkennbar ist, welche Schutzauflagen hier konkret in Betracht kommen könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes
(GKG) in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung und entspricht der Bedeutung der
Sache für die Klägerin. Das Gericht bewertet das Interesse der Klägerin an der
Aufhebung der Verwaltungsentscheidung mit 50.000,00 Euro (vgl. OVG Brandenburg,
Beschluss vom 27.12.2004, a.a.O.).
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