Urteil des VG Münster vom 04.11.2003

VG Münster: diabetes mellitus, lebensmittel, fürsorge, zuckerkrankheit, diät, verein, auflage, operation, gesellschaft, anteil

Verwaltungsgericht Münster, 5 K 4689/03
Datum:
04.11.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 K 4689/03
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der
Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Der 1923 geborene Kläger erhält seit Jahren vom Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt,
soweit seine Altersrente nicht ausreicht, um seinen notwendigen Lebensunterhalt
sicherzustellen.
2
Der Kläger leidet seit 1973 an Diabetes mellitus Typ II. Im Jahre 1983 musste er sich
wegen einer Krebserkrankung einer Operation am Dickdarm unterziehen und hat
seitdem einen künstlichen Darmausgang. Außerdem leidet der Kläger an Herz-
Kreislauf-Störungen und musste sich 1998 einer Bypass-Operation unterziehen.
3
Das Versorgungsamt Münster stellte durch Bescheid vom 14. Mai 1998 mit Wirkung vom
19. November 1997 fest, dass der Grad der Behinderung bei dem Kläger 100 % beträgt
und dass bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G"
bestehen.
4
Der Beklagte bewilligte dem Kläger wegen der bei ihm vorliegenden Krebs- und
Zuckerkrankheit im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt seit 1995 einen Mehrbedarf
wegen kostenaufwendiger Ernährung, zunächst in Höhe von monatlich 169 DM, seit
1997 in Höhe von 162 DM monatlich.
5
Durch Bescheid vom 24. November 2000 bewilligte der Beklagte dem Kläger ab
Dezember 2000 Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Berücksichtigung eines Mehrbedarfs
wegen kostenaufwendiger Ernährung.
6
Hiergegen legte der Kläger am 30. November 2000 Widerspruch ein und forderte den
Beklagten auf, den Mehrbedarf weiter zu bewilligen, weil sich bei ihm, dem Kläger, die
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Bewilligung nicht geändert hätten.
7
Der Kläger beantragte unter dem 22. November 2000 bei dem Beklagten, den
Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung weiter zu bewilligen.
8
Seinem Antrag fügte der Kläger eine Stellungnahme des ihn behandelnden Arztes vom
29. November 2000 bei. Darin heißt es, dass der 1,64 m große und 67 kg wiegende
Kläger wegen Diabetes mellitus und wegen des künstlichen Darmausganges nach
Operation im Januar 1983 einer mit Mehrkosten verbundenen Krankenkost bedürfe.
9
In der vom Beklagten eingeholten Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Kreises T.
vom 20. Dezember 2000 kommt der Kreiskommunalarzt zu der Beurteilung, dass bei
dem Kläger eine Kostform geboten sei, die gegenüber der Normalernährung
Mehrkosten in Höhe von 100 DM erfordere.
10
Der Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin durch Bescheid vom 18. Dezember 2000
für die Monate Dezember 2000 und Januar 2001 Hilfe zum Lebensunterhalt unter
Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 100 DM monatlich.
11
In einem diesem Bescheid beigefügten Schreiben vom 19. Dezember 2000 führte der
Beklagte zur Begründung der Festsetzung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger
Ernährung aus, dass nach den Feststellungen des Gesundheitsamtes des Kreises T.
bei dem Kläger eine Diät einzuhalten sei, die Mehrkosten in Höhe von 100 DM
monatlich erforderten.
12
Der Kläger legte unter dem 29. Dezember 2000 Widerspruch ein und machte geltend,
dass ihm ein Mehrbedarf in Höhe von wie bisher 162 DM monatlich gewährt werden
müsse, weil die bei ihm erforderliche Diät Mehrkosten in dieser Höhe zur Folge habe;
eine Änderung gegenüber dem bisherigen Zustand sei nicht eingetreten.
13
Der Beklagte bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 3. Januar 2001 für den Monat
Februar 2001 Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs
wegen kostenaufwendiger Ernährung in Höhe von 100 DM monatlich.
14
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger unter dem 9. Januar 2001 Widerspruch ein.
15
Die Landrätin des Kreises T. wies den Widerspruch des Klägers vom 29. Dezember
2000 gegen den Bescheid vom 18. Dezember 2000 unter Bezugnahme auf die
Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Kreises T. durch Widerspruchsbescheid
vom 2. März 2001 zurück.
16
Der Kläger hat am 15. März 2001 zum Aktenzeichen 5 K 3532/00 Klage erhoben und
macht zur Begründung geltend, dass er darauf angewiesen sei, einen Mehrbedarf
wegen kostenaufwendiger Ernährung in bisheriger Höhe von 162 DM zu erhalten, damit
er die Kosten der bei ihm erforderlichen Diät aufbringen könne.
17
Der Kläger beantragt,
18
den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 18. Dezember 2000 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises T. vom 2. März 2001 zu
verpflichten, ihm für die Zeit von Dezember 2000 bis März 2001 einen Mehrbedarf in
Höhe von weiteren 62 DM monatlich zu bewilligen.
19
Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen
Bescheide,
20
die Klage abzuweisen.
21
Der Beklagte stellte den dem Kläger bewilligten Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger
Ernährung mit Wirkung vom 1. Januar 2002 auf 51,13 EUR um und bewilligte diesen
Betrag bis August 2002.
22
Der Kläger beantragte am 10. Juni 2002 bzw. am 12. Juli 2002 bei dem Beklagten, den
Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung weiter zu bewilligen.
23
Er fügte seinem Antrag eine Stellungnahme des ihn behandelnden Arztes vom 10. Juli
2002 bei, wonach der 1,64 m große und 67 kg wiegende Kläger wegen der bei ihm
vorliegenden Diabetes mellitus und wegen der bei ihm vorliegenden Krebserkrankung
mit künstlichem Darmausgang einer mit deutlichen Mehrkosten verbundenen
Krankenkost bedürfe.
24
Der vom Beklagten um Stellungnahme gebetene Amtsarzt des Kreises T. teilte unter
dem 19. Juli 2002 mit, dass die vom Kläger einzuhaltende Kostform gegenüber der
Normalernährung keine Mehrkosten erfordere, weil in dem von ihm vorgelegten
ärztlichen Attest keine Erkrankungen genannt seien, die in der aktuellen Liste der
Krankheiten aufgeführt seien, die für die Ernährung regelmäßig mit Mehrkosten
verbunden seien.
25
Der Beklagte lehnte daraufhin durch Bescheid vom 24. Juli 2002 den Antrag des
Klägers auf Gewährung einer Krankenkostzulage mit der Begründung aus der
Stellungnahme des Gesundheitsamtes ab.
26
Der Kläger legte unter dem 27. Juli 2002 Widerspruch ein und verwies darauf, dass er
wegen der bei ihm seit Jahren vorliegenden Zuckerkrankheit weiterhin auf die ihm
bewilligte Krankenkostzulage angewiesen sei; insoweit habe sich keine Änderung
ergeben.
27
Diesen Widerspruch wies der Landrat des Kreises T. durch Widerspruchsbescheid vom
23. Oktober 2002 unter Hinweis auf die Stellungnahme des Gesundheitsamtes zurück.
28
Der Kläger hat schon am 8. Oktober 2002 ebenfalls zum Aktenzeichen 5 K 3532/00
Klage erhoben und unter Vorlage einer Stellungnahme des ihn behandelnden
Facharztes Dr. O. vom 21. Oktober 2002 die Ansicht vertreten, dass er wegen der bei
ihm vorliegenden Diabetes mellitus weiterhin auf die Bewilligung einer
Krankenkostzulage angewiesen sei; dies gelte auch für die Krebserkrankung.
29
Der Kläger beantragt,
30
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 24. Juli 2002 in der Gestalt des
31
Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises T. vom 23. Oktober 2002 zu
verpflichten, ihm für die Monate September und Oktober 2002 einen Mehrbedarf in Höhe
von monatlich 162 DM zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen
Bescheide,
32
die Klage abzuweisen.
33
Das Klagebegehren des Klägers auf Bewilligung eines Mehrbedarfs ist durch Beschluss
vom 4. November 2003 aus dem Verfahren 5 K 3532/00 abgetrennt worden und wird
unter dem Aktenzeichen 5 K 4689/03 fortgeführt.
34
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
35
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
36
Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
37
Der Bescheid des Beklagten vom 18. Dezember 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises T. vom 2. März 2001 und der
Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
des Landrates des Kreises T. vom 23. Oktober 2002 sind rechtmäßig. Der Beklagte ist
nicht verpflichtet, dem Kläger für die Zeit von Dezember 2000 bis März 2001 einen
höheren Mehrbedarf als die gewährten 100 DM zu bewilligen. Er ist auch nicht
verpflichtet, in den Monaten September und Oktober 2002 einen Mehrbedarf wegen
kostenaufwendiger Ernährung zu gewähren.
38
Für Kranke, die einer kostenaufwendigen Ernährung bedürfen, ist gemäß § 23 Abs. 4
des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ein Mehrbedarf in angemessener Höhe
anzuerkennen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil der Kläger wegen der
bei ihm unstreitig vorliegenden Krankheiten keiner kostenaufwendigen Ernährung
bedarf.
39
Nach den übereinstimmenden ärztlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden
Ärzte leidet der Kläger an einer Zuckerkrankheit und an den Nachwirkungen einer im
Jahre 1983 wegen einer akuten Krebserkrankung durchgeführten Operation des
Dickdarms mit künstlichem Darmausgang. Wegen dieser bei dem Kläger unstreitig
vorliegenden Erkrankungen bedarf es keiner kostenaufwendigen Ernährung, weil eine
normale Ernährung ausreicht, deren Kosten der Kläger aus seiner Rente und aus der
ihm ergänzend bewilligten Hilfe zum Lebensunterhalt aufbringen kann.
40
Unter einer kostenaufwendigen Ernährung ist eine Ernährung zu verstehen, die mehr
Kosten verursacht, als im Regelfall für den Ernährungsbedarf vorgesehen ist. Auf der
Grundlage einer Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private
Fürsorge (abgedruckt im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und
private Fürsorge - NDV - 1991, 429) ist allgemein anerkannt, dass im Regelsatz ein
Anteil von bis zu 50 % für den Ernährungsbedarf enthalten ist (W. Schellhorn/H.
41
Schellhorn, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, 16. Auflage 2002, § 1 der Verordnung
zu § 22 BSHG, Randziffer 17, S. 971; Hofmann in Lehr- und Praxiskommentar zum
Bundessozialhilfegesetz, 6. Auflage 2003, § 12 Randziffer 52 und Wenzel in Fichtner,
Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, 2. Auflage 2003, § 12 Randziffer 6).
Im streitgegenständlichen Zeitraum von Dezember 2000 bis März 2001 belief sich der
Regelsatz für einen Haushaltsvorstand auf 550 DM (vgl. die Verordnung über die
Regelsätze vom 30. Mai 2000, GVNRW 2000, S. 496). Im weiteren
streitgegenständlichen Zeitraum von September und Oktober 2002 belief sich der
Regelsatz auf 293 EUR. Dem Kläger stand somit im erstgenannten Zeitraum monatlich
ein Betrag von 275 DM, im zweitgenannten Zeitraum ein Betrag von 146,50 EUR
monatlich zur Verfügung, um seinen Ernährungsbedarf zu decken. Diese Beträge
reichten aus, um seine Ernährung unter Berücksichtigung der bei ihm vorliegenden
Erkrankungen sicherzustellen, so dass der von ihm begehrte Mehrbedarf nicht
anzuerkennen ist.
42
Die Frage, ob ein Hilfeempfänger bei bestimmten Krankheiten einer kostenaufwendigen
Ernährung bedarf, beantwortet sich in der Regel auf der Grundlage der Empfehlungen
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge in ihrer 2. Auflage 1997.
Diese Empfehlungen werden in der Rechtsprechung grundsätzlich als eine Art
vorweggenommenes Sachverständigengutachten angesehen (OVG NRW, Urteil vom
28. September 2001 - 16 A 5644/99 -, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der
Verwaltungs- und Sozialgerichte - FEVS - 53, 310).
43
Für die bei dem Kläger auf der Grundlage der von ihm eingereichten ärztlichen
Stellungnahmen vorliegende Zuckerkrankheit des Typs II a - Zuckerkrankheit mit
Normalgewicht - sehen die Empfehlungen die Bewilligung eines monatlichen
Mehrbedarfs vor. Dem folgt das Gericht nicht. Vielmehr schließt es sich den
Ausführungen des Verwaltungsgerichts Münster in seinem Urteil vom 6. Oktober 2003 -
11 K 3182/00 - an. Darin heißt es wörtlich:
44
„Zwar empfiehlt der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge in den vorher
erwähnten Empfehlungen eine Krankenkostzulage für Diabeteskost bei Diabetes
mellitus Typen I und II a in Höhe von 100,00 DM
45
siehe Kleine Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge,
a.a.O., Tabelle Seite 36 (Stand: 31.12.1997).
46
Dieser Empfehlung folgt das Gericht jedoch nicht. Zum Einen haben sich die
ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse nach 1997 teilweise geändert. Zum
Anderen führen auch die vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge
ausgewerteten Gutachten nicht notwendig zu der in den Empfehlungen getroffenen
Schlussfolgerung.
47
So geht das Gutachten des Bundesgesundheitsamtes vom 02.04.1991 noch davon aus,
dass diätetische Lebensmittel für Diabetiker wissenschaftlich anerkannt seien und die
Diätführung von Diabetikern erleichtern. Das gelte insbesondere für Konfitüren,
Obstkonserven, Backwaren und alkoholfreie Getränke, die mit Zuckeraustauschstoffen
oder Süßstoffen hergestellt und dadurch geeignet seien, den besonderen
Ernährungserfordernissen von Diabetikern zu dienen
48
Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, a.a.O.,
Seite 70.
49
Diese diätetischen Lebensmittel seien in der Regel teurer als Lebensmittel des
allgemeinen Verzehrs. Aus diesem Grunde könnten durch die diätetische Behandlung
für den Diabetiker durchaus Mehrkosten entstehen, die über denen einer vollwertigen
Normalkost liegen. Diese ernährungswissenschaftliche Position ist überholt. Schon
Prof. Dr. Kluthe hat 1996 in seinem ebenfalls den Empfehlungen des Deutschen
Vereins zu Grunde liegenden Gutachten ausgeführt, das Zuckeraustauschstoffe
entbehrlich sind. Er rät Diabetikern überhaupt von der Verwendung diätetischer
Lebensmittel ab. In die gleiche Richtung geht auch eine Stellungnahme der Diabetes
and Nutrition Study Group of the European Association for the Study of Diabetes und
des Ausschusses Ernährung der Deutschen Diabetesgesellschaft
50
Ernährungsempfehlungen für Diabetiker 2000
51
Dort wird festgestellt, dass sich für eine Empfehlung zum Verzehr spezieller
Diabetikerprodukte für Diabetiker keine Begründung findet. Abgesehen von der
Berücksichtigung diätetischer Lebensmittel kommen sowohl das
Bundesgesundheitsamt als auch Prof. Dr. Kluthe zu dem Ergebnis, dass die
Diabetesdiät prinzipiell den Regeln einer gesundheitsbewussten, normalen Ernährung
folge. Für Diabetiker gälten deshalb grundsätzlich die gleichen Nährstoffbedürfnisse wie
für Gesunde, um entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung eine bedarfsdeckende, vollwertige Ernährung zu sichern. Auch in den
vorgenannten Ernährungsempfehlungen für Diabetiker 2000 wird betont, dass
Ernährungsempfehlungen für Menschen mit Diabetes denen sehr ähnlich sind, die auch
für die Allgemeinbevölkerung zur Erhaltung der Gesundheit empfohlen werden. Deshalb
sollte sich die Nahrung für Diabetiker nicht wesentlich von der unterscheiden, die für
Gesunde empfehlenswert ist. Grundlage gesunder Ernährung ist danach eine
ausgewogene Mischkost, die sich individuell zusammensetzt aus bestimmten
Kohlehydrat-, Fett- und Eiweißanteilen. Im Einzelnen werden empfohlen: reichlich
Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe (Vollkornprodukte wie Brot, Naturreis,
Vollkornnudeln oder Müsli, Gemüse und Salat sowie Frischobst), wenig Fett und
fettreiche Lebensmittel, günstige Fette (Milchprodukte und Käse mit niedrigem
Fettgehalt; kleinere Fleischportionen zwei- oder dreimal wöchentlich, Seefisch, magere
Wurstsorten, bevorzugte Verwendung pflanzlicher Fette), Zucker und Alkohol in Maßen,
ausreichendes Trinken (z. B. Mineralwasser, Tee oder Kaffee). Soweit der Deutsche
Verein für öffentliche und private Fürsorge in seinen Empfehlungen zu dem Ergebnis
kommt, eine solche Ernährung sei teurer als der im Regelsatz enthaltene Anteil, ist dies
nicht nachvollziehbar. Im Gutachten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zum
Kostenaufwand für Langzeitdiäten
52
Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, a.a.O.,
Seite 59 f.
53
wird ausgeführt, die „vollwertige Ernährung" als unterstützende Maßnahme in der
Behandlung von chronisch Kranken und die „Diät" als therapeutische Maßnahme
könnten unter Umständen Mehr-, aber auch Minderkosten im Vergleich zur „Normalkost"
verursachen. Die Feststellung des finanziellen Mehraufwandes wurde auf der Basis von
60 Tagesspeiseplänen getroffen, die das Institut für Ernährungsberatung und Diäthetik
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
54
1978 zusammengestellt hat. Dabei wurden günstige Tagespläne ebenso berücksichtigt
wie kostenaufwendige Pläne. Für normale Lebensmittel wurden Preisangaben aus
statistischen Berichten des Bundes und des Landes Nordrhein- Westfalen zu Grunde
gelegt, für diätetische Lebensmittel hingegen Marktpreise eingesetzt, die in
Einzelhandelsfachgeschäften erhoben worden sind. Allein der Umstand, dass bei den
Berechnungen diätetische Lebensmittel berücksichtigt wurden, vermindert die
Aussagekraft des Gutachtens zu den Kosten einer nach neueren Erkenntnissen
gebotenen Kost für Diabetiker, die ja gerade ohne diese speziellen Lebensmittel
auskommt. Hinzu kommt, dass in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren das
Bewusstsein in der Bevölkerung gestiegen ist, gesund zu leben, insbesondere sich
gesund zu ernähren. Das hat dazu geführt, dass viele Lebensmittel, die fettreduziert und
mit Zuckerersatzstoffen hergestellt sind, stärker verbreitet sind und oft ebenso preiswert
in Supermärkten zu kaufen sind wie „Normalkost".
Vgl. VG Münster, Urteil vom 10.09.2002 - 5 K 1174/99 -, sowie OVG Lüneburg,
Beschluss vom 12.02.1997 - 4 M 282/97 -, FEVS 47, 559.
55
Außerdem ist die Annahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, es sei ein
Aufschlag für Schwund, Verderb und Verlust von 20 % hinzuzurechnen, nicht
gerechtfertigt. Durch bessere Lagerung im Geschäft und durch Angabe von
Haltbarkeitsdaten ist heute ein Schwund in dieser Größenordnung nicht mehr zu
erwarten.
56
Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.02.1997, a.a.O.
57
Zwar hat der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge die
Schwundzuschläge bei der Berechnung seiner Empfehlungen in Abzug gebracht,
gleichzeitig aber nach wie vor einen Lebensmittelaufwand bei mittlerem Konsumniveau
zugrundegelegt. Auch aus diesem Grund erscheint die Verwertbarkeit der
Empfehlungen im vorliegenden Fall zweifelhaft. Bei der Berechnung des erforderlichen
Aufwands für eine spezielle Krankenkostform ist zwar ein gewisser Kostenspielraum
erforderlich, um eine schmackhafte und hinreichend abwechslungsreiche Ernährung zu
gewährleisten. Es widerspricht aber der Zielsetzung des BSHG, wenn bei der
Preiskalkulation auch Gerichte berücksichtigt werden, die nur mit gehobenen
Lebensmittelkosten zubereitet werden können. Das mag zwar den
Abwechslungsreichtum noch weiter erhöhen, ist aber mit einer sparsamen
Haushaltsführung, die nicht nur dem gesundem, sondern auch dem kranken
Sozialhilfeempfänger zuzumuten ist, nicht zu vereinbaren.
58
Das Gericht folgt daher dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei
krankheitsbedingter kostenaufwendiger Ernährung, der von einer Arbeitsgruppe aus
Ärzten verschiedener Gesundheitsämter zusammengestellt worden ist, die in
Zusammenarbeit mit Sozialämtern ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen sind, dass
eine ausgewogene allgemein für eine gesunde Ernährung empfohlene Mischkost in
dem oben beschriebenen Sinn die besten Voraussetzungen bietet, eine optimale
Blutzuckereinstellung mit oder ohne Medikamente zu erreichen und dass eine solche
Mischkost keine Mehraufwendungen gegenüber dem Regelsatz verursacht. Dieses
Ergebnis stimmt im Übrigen überein mit einer neueren Einschätzung des Diabetes
Forschungsinstituts an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
59
vgl. das im Urteil des vom OVG NW vom 28.09.2001 a.a.O. zitierte Schreiben vom
60
17.06.1998.
Dabei wird generell die Auffassung vertreten, dass Mehrkosten für die einzuhaltende
Diabetesdiät gegenüber einer normalen gesunden Ernährung auf der Basis verfügbarer
Lebensmittel nicht entstehen müssten."
61
Hieran anknüpfend kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger in den
beiden streitgegenständlichen Zeiträumen ausreichte, sich mit normaler Kost zu
ernähren. Für diese Kost bedurfte es keines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger
Ernährung. Vielmehr reichte der Ernährungsanteil im Regelsatz aus. Der Kläger hat
weder im Vorverfahren noch im Klageverfahren besondere Umstände geltend gemacht,
die eine hiervon abweichende Beurteilung rechtfertigen würden.
62
Selbst wenn das Gericht für den erstgenannten streitigen Zeitraum von Dezember 2000
bis März 2001 zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass er wegen der bei ihm
vorliegenden Zuckerkrankheit auf eine kostenaufwendige Ernährung angewiesen war,
betrug der Mehraufwand auf der Grundlage der vorgenannten Empfehlungen des
Deutschen Vereins im Regelfall 100 DM, die von dem Beklagten auf der Grundlage der
von ihm eingeholten Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Kreises T. auch
bewilligt worden sind. Der Kläger hat keine besonderen Umstände vorgetragen, die es
im streitgegenständlichen Zeitraum von Dezember 2000 bis März 2001 rechtfertigen
würden, einen weiteren monatlichen Betrag von 62 DM zur Verfügung zu stellen, um bei
dem Kläger zu gewährleisten, dass er wegen der bei ihm vorliegenden Zuckerkrankheit
entsprechende Lebensmittel kaufen konnte.
63
Auch die Krebserkrankung am Dickdarm, die im streitgegenständlichen Zeitraum
(mindestens) 20 Jahre zurücklag und für die sich in den vom Kläger vorgelegten
ärztlichen Stellungnahmen kein Hinweis auf eine akute Erkrankung findet, kann nicht zu
einer Bewilligung von Mehrkosten führen. Nach den Empfehlungen des Deutschen
Vereins für öffentliche und private Fürsorge kommt eine mehrkostenverursachende
Ernährung nur bei belastender Therapie bei noch vorhandenem Tumor in Betracht
(Empfehlungen S. 68).
64
Selbst wenn das Gericht zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass die bei ihm
vorliegenden Erkrankungen eine kostenaufwendige Ernährung zur Folge haben, hat die
Klage keinen Erfolg.
65
Zwar dient der Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung dazu, pauschal einen
zusätzlichen Ernährungsbedarf abzudecken, der durch die ohnehin schon
pauschalierende Regelung der Regelsatzleistungen nicht gedeckt werden kann.
Allerdings sollen nicht irgendwelche theoretisch möglichen Mehrkosten berücksichtigt
werden, sondern die tatsächlichen Mehrkosten, soweit sie erforderlich sind (Hessischer
Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 9. November 1972 - VII UE 25/72 -, FEVS 21, 363,
366). Dementsprechend gehört es zu den Obliegenheiten jedes Hilfesuchenden,
Angaben darüber zu machen, wie er sich wegen der bei ihm vorliegenden Krankheit
ernähren muss und welche Kosten dadurch verursacht werden. Auch im
Zusammenhang mit der Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger
Ernährung ist allgemein von der Obliegenheit jedes Hilfesuchenden auszugehen, dem
Träger der Sozialhilfe und - im Falle eines Klageverfahrens dem Gericht - Kenntnis von
den Umständen zu verschaffen, die notwendig sind, damit entschieden werden kann, ob
und in welchem Umfang („in angemessener Höhe") der von dem Hilfesuchenden
66
geltend gemachte Bedarf gedeckt werden muss (vgl. zu den Obliegenheiten eines
Hilfesuchenden bei der Bewilligung von Sozialhilfe: Bundesverwaltungsgericht -
BVerwG -, Urteil vom 30. April 1992 - 5 C 12.87 -, Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts - BVerwGE - 90, 154 = FEVS 43, 59 und Urteil vom 5. März
1998 - 5 C 12.97 -, FEVS 48, 433).
Dieser Obliegenheit ist der Kläger nicht nachgekommen. Er hat vorgetragen, dass er in
der Vergangenheit einen Mehrbedarf in entsprechender Höhe erhalten habe und in
diesem Zusammenhang nie danach gefragt worden sei, welche Kosten die aus seiner
Sicht notwendige Ernährung verursache. Dagegen hat der Kläger nicht im Einzelnen
ausgeführt, auf welche Ernährung er angewiesen ist und aus welchen Gründen diese
Ernährung mehr Kosten verursacht als für eine normale Ernährung aufgebracht werden
müsste.
67
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass auf Grund eines seit Jahren allgemein
gestiegenen Gesundheitsbewusstseins in Fragen der Ernährung viele Lebensmittel, die
für den Kläger geeignet sind, oft ebenso oder fast genauso preiswert in
Lebensmittelketten zu kaufen sind wie Normalkost (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 23.
Februar 1995 - 6 E 49.93 -, FEVS 46, 201 und OVG Lüneburg, Urteil vom 22. November
1996 - 4 L 2826/94 -, FEVS 47, 554). Das Gericht geht mangels gegenteiliger
Anhaltspunkte davon aus, dass die für die Ernährung des Klägers notwendigen
Lebensmittel im streitgegenständlichen Zeitraum in großen Lebensmittelketten zu
Preisen zu kaufen waren, die nicht wesentlich höher waren als die Preise für normale
Lebensmittel, die aus dem Regelsatzanteil für Ernährung aufzubringen sind.
68
Soweit der Kläger im Zusammenhang mit der Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen
kostenaufwendiger Ernährung Ausführungen dazu macht, dass der Beklagte seinen
Vermieter zur Beachtung der Gesetze anhalten und auch selbst die Gesetze beachten
solle, macht der Kläger nicht die Verletzung eigener Rechte geltend, so dass er insoweit
keinen Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung im laufenden Klageverfahren hat.
69
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 188 Satz 2, 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO, ihre
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
70