Urteil des VG Koblenz vom 10.10.2005
VG Koblenz: ausreise, aufenthaltserlaubnis, verbesserung des gesundheitszustandes, körperliche unversehrtheit, unbestimmter rechtsbegriff, familie, abschiebung, sport, unmöglichkeit, emrk
VG
Koblenz
10.10.2005
3 K 147/05.KO
Ausländerrecht, Aufenthaltsrecht
Verwaltungsgericht Koblenz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Aufenthaltserlaubnis (Bosnien-Herzegowina)
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
10. Oktober 2005, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Lutz
Richter am Verwaltungsgericht Pluhm
Richter am Verwaltungsgericht Holly
ehrenamtliche Richterin Lehrerin Rossbach
ehrenamtlicher Richter Sparkassenangestellter Schaback
für Recht erkannt:
Unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Mai 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
17. Dezember 2004 wird der Beklagte verpflichtet, den Klägern zu 2) – 4) Aufenthaltserlaubnisse zu
erteilen und den Antrag des Klägers zu 1) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 1) zu 1/12 und der Beklagte zu 11/12.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in noch festzusetzender Höhe abzuwenden, wenn nicht die
Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
T a t b e s t a n d
Die Kläger begehren die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen.
Die Kläger zu 1) und 2) reisten im Jahre 1992 als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen
Jugoslawien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Kläger zu 3) und 4) wurden in Deutschland
geboren. Bis zum Ende der Kriegshandlungen wurden sie geduldet.
Mit Bescheid vom 16. Februar 1999 wurden sie zur Ausreise aufgefordert und ihnen die Abschiebung
nach Bosnien-Herzegowina angedroht. In der Folgezeit wurde die Ausreisefrist verlängert, um eine
Entscheidung in einem anhängigen Weiterwanderungsverfahren abzuwarten. Nachdem dieses Verfahren
ohne Erfolg beendet worden war, wurden die Kläger wegen einer psychischen Erkrankung des Klägers zu
1) weiter geduldet. Die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen insbesondere auf der Grundlage der
Bleiberechtsregelungen für Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien kam wegen
verschiedener Straftaten des Klägers zu 1) nicht in Betracht. Dies wurde den Klägern mit Schreiben des
Beklagten vom 21. Mai 2003 mitgeteilt und weiter ausgeführt, dass der Erkrankung des Klägers zu 1)
durch die weitere Erteilung von Duldungen Rechnung getragen werde.
Dagegen haben die Kläger am 16. Juni 2003 Widerspruch eingelegt. Zu dessen Begründung führten sie
aus, zumindest bezüglich der Kläger zu 2) bis 4) lägen die Voraussetzungen für die Erteilung von
Aufenthaltsbefugnissen auf der Grundlage des § 30 Absätze 3 und 4 Ausländergesetz vor. Der Kläger zu
1) könne nämlich unstreitig aufgrund seiner Erkrankung nicht abgeschoben werden. Diese Abschie-
bungshindernisse habe er auch nicht zu vertreten. Vor diesem Hintergrund dürften auch die Kläger zu 2)
bis 4) mit Rücksicht auf Art. 6 Grundgesetz und Art. 8 EMRK nicht abgeschoben werden. Auch hinsichtlich
des Klägers zu 1) sei die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis trotz der Straftaten nicht zwingend
ausgeschlossen. Seit der Bestrafung aus dem Jahre 1998 sei der Kläger zu 1) nicht mehr straffällig
geworden, so dass inzwischen eine Wiederholungsgefahr ausgeschlossen sein dürfte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2004 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur
Begründung hieß es im Wesentlichen, die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen auf der Grundlage der
Altfallregelung scheide wegen der erheblichen Vorstrafen des Klägers zu 1) aus. Die Voraussetzungen
des § 30 Abs. 1 bis 4 Ausländergesetz seien ebenfalls nicht erfüllt. Dabei lägen die Voraussetzungen des
§ 30 Absätze 1 und 2 Ausländergesetz offenkundig nicht vor. Aber auch eine Erteilung einer
Aufenthaltsbefugnis auf der Grundlage des § 30 Abs. 3 Ausländergesetz scheide aus, weil die Kläger
zumindest freiwillig ausreisen könnten. Auch § 30 Abs. 4 Ausländergesetz liege nicht vor, weil die Kläger
ihren langjährigen Aufenthalt unter anderem durch mangelnde Mitwirkung im Auswanderungs- und
Aufnahmeverfahren verschuldet hätten. Außerdem könne auch nicht vom Vorliegen eines dauerhaften
Abschiebehindernisses ausgegangen werden, weil den Klägern eine Rückreise in ihr Heimatland nach
dem positiven Abschluss der derzeit noch andauernden Behandlung des Klägers zu 1) möglich sein
werde. Schließlich stünden der Erteilung der Aufenthaltsbefugnisse der Sozialhilfebezug der Kläger und
die Verurteilungen des Klägers zu 1) entgegen.
Dagegen haben die Kläger am 21. Januar 2005 Klage erhoben.
Zu deren Begründung tragen sie vor, der Beklagte selbst habe die Reiseunfähigkeit des Klägers zu 1)
festgestellt. Es sei von daher nicht nachvollziehbar, wenn nunmehr argumentiert werde, es sei eine
freiwillige Ausreise des Klägers zu 1) möglich. Auch seien die Gegebenheiten bezüglich der geplanten
Auswanderung nicht allein ursächlich für die Fortdauer des Aufenthaltes der Kläger gewesen. Der
Beklagte hätte daher im Rahmen des § 30 Abs. 3 und 4 Ausländergesetz in eine Ermessensausübung
eintreten müssen. Jedenfalls sei den Klägern mit Blick auf die seit 1. Januar 2005 geltende Regelung des
§ 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz eine freiwillige Ausreise nicht mehr zumutbar. Die Kläger seien seit mehr
als 18 Monaten geduldet und der Sozialhilfebezug stehe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
ebenfalls nicht mehr zwingend entgegen. Dies ergebe sich unter anderem auch aus einem
Rundschreiben des Ministeriums des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz zur Anwendung
des Aufenthaltsgesetzes vom 17. Dezember 2004. Die Straftaten des Klägers zu 1) stünden der Erteilung
der Aufenthaltserlaubnisse ebenfalls nicht entgegen. Er habe seit er therapiert werde keine Straftaten
mehr begangen. Mit Hilfe der Therapie habe er die Ursachen für sein Fehlverhalten erkannt und
erfolgreich bewältigt. Eine Wiederholungsgefahr bestehe demnach nicht. Auch habe er bereits mehrere
Nachweise von Firmen vorgelegt, die ihn beschäftigt hätten, wenn eine entsprechende Aufenthaltserlaub-
nis vorgelegen hätte. Zumindest die Kläger zu 2) bis 4) hätten aber Anspruch auf Erteilung von
Aufenthaltserlaubnissen auf der Grundlage des § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz. Es liege ein rechtliches
Abschiebehindernis nach Art. 8 EMRK vor. Eine freiwillige Ausreise ohne den Kläger zu 1) sei den
Klägern zu 2) bis 4) nicht zumutbar.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Mai 2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2004 zu verpflichten, den Klägern Aufenthaltserlaubnisse zu
erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Klage entgegengetreten und vertritt die Auffassung, dass auch nach neuer Rechtslage die
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht möglich sei. Die Behandlung des Klägers zu 1) sei
grundsätzlich auch in seinem Heimatland möglich. Die vorliegende Reiseunfähigkeit sei ein temporäres
Ausreisehindernis, mit dessen Wegfall mittelfristig gerechnet werden könne. Der Erteilung der Aufent-
haltserlaubnis stehe auch nach neuem Recht die mangelnde Mitwirkung der Kläger im
Weiterwanderungsverfahren entgegen. Gleiches gelte weiterhin auch für die Straffälligkeit des Klägers zu
1).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie
der beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsakten des Beklagten (7 Hefte) Bezug genommen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist überwiegend begründet.
Die Kläger zu 2) bis 4) haben Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Der dieses Begehren
ablehnende Bescheid des Beklagten vom 21. Mai 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.
Dezember 2004 erweist sich insoweit als rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Er
unterliegt daher der Aufhebung. Gleichzeitig war der Beklagte zu verpflichten, den Klägern zu 2) bis 4) die
beantragten Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. Hinsichtlich des Klägers zu 1) erweist die angefochtene
Entscheidung sich als ermessensfehlerhaft. Insoweit war der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
zu verpflichten, über den Antrag des Klägers zu 1) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Verwal-
tungsgerichtsordnung – VwGO -).
Da die Kläger nach dem rechtskräftigen erfolglosen Abschluss ihrer Asylverfahren vollziehbar
ausreisepflichtig sind (§ 58 Abs. 2 Satz 2 Aufenthaltsgesetz – AufenthG -), kommt die Erteilung einer
ausreisepflichtig sind (§ 58 Abs. 2 Satz 2 Aufenthaltsgesetz – AufenthG -), kommt die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis in ihrem Falle grundsätzlich nur auf der Grundlage des § 10 Abs. 3 in Verbindung mit
§ 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht. Diese Regelungen des zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen
Aufenthaltsgesetzes sind vorliegend gemäß § 104 Abs. 1 AufenthG anzuwenden. Die genannte
Übergangsbestimmung bestimmt lediglich, dass über vor dem 1. Januar 2005 gestellte Anträge auf
Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder einer Aufenthaltsberechtigung nach dem bis zu
diesem Zeitpunkt geltenden Recht zu entscheiden ist. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass über Anträge
auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, über die noch nicht rechtskräftig entschieden ist, ab
dem 1. Januar 2005 nach neuem Recht zu entscheiden ist.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG liegen im Falle der Kläger vor. Hiernach
kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Im
Falle der Kläger ist derzeit vom Vorliegen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise auszugehen.
Ob eine solche rechtliche Unmöglichkeit der
Ausreise
dieselben rechtlichen und humanitären Gründe entgegenstehen, die schon zur Aussetzung der
Abschiebung
Rundschreiben vom 17. Dezember 2004 – 19 300 – 7: 316 -) kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls ist
vom Vorliegen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise dann auszugehen, wenn die freiwillige
Ausreise dem Ausländer unzumutbar ist, weil sie nur unter erheblicher Beeinträchtigung seiner
verfassungsrechtlich geschützten Belange möglich wäre. So liegen die Dinge hier.
Im Falle des Klägers zu 1) folgt dies aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG -, wonach jeder das Recht
auf körperliche Unversehrtheit hat. In der Rechtsprechung bestand bisher weitgehend Einigkeit, dass in
Bezug auf beabsichtigte
Abschiebungen
ist. Zwar muss einerseits die Ausreisepflicht des Ausländers durchgesetzt werden, doch ist andererseits
gesundheitlicher Schaden von dem Ausländer abzuwenden. Insbesondere muss eine
Abschiebung
unterbleiben, die als solche eine erhebliche konkrete Gefahr für den Gesundheitszustand des Ausländers
bedeutet (vgl. VGH BW, Beschluss vom 10. Juli 2003, Asylmagazin 2003, S. 34 f.). Diese Grundsätze
müssen nach Auffassung der Kammer auch bei der Prüfung der
freiwilligen Ausreisemöglichkeit
angemessene Berücksichtigung finden. Steht nämlich – wie im vorliegenden Falle – die Reiseunfähigkeit
des Ausländers wegen einer Erkrankung unstreitig und uneingeschränkt fest, so folgt hieraus zwangs-
läufig, dass auch eine freiwillige Ausreise zu denselben gesundheitlichen Beeinträchtigungen des
Klägers zu 1) führen dürfte, wie eine Abschiebung. Gegenteilige Feststellungen hat jedenfalls der
Amtsarzt des Beklagten nicht getroffen und es werden solche auch nicht vom Beklagten behauptet. Eine
freiwillige Ausreise unter Inkaufnahme einer erheblichen und nachhaltigen Gesundheitsbeeinträchtigung
durch den Vorgang der Ausreise als solcher kann der Beklagte aber vom Kläger zu 1) mit Rücksicht auf
Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht verlangen.
Ist die freiwillige Ausreise dem Kläger zu 1) damit aus rechtlichen Gründen unmöglich, so gilt dies im
Ergebnis auch für die Kläger zu 2) bis 4). Allerdings folgt die rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise bei
diesen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, der Ehe und Familie schützt. Die hierin enthaltene wertentscheidende
Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die
Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über den (weiteren) Aufenthalt des betroffenen Ausländers,
dessen Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h.
entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihre Erwägungen einzubeziehen. Dieser ver-
fassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutze der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des
Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über
aufenthaltsbeendende Maßnahmen seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen
angemessen berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 231/00 -, NVwZ 2002,
849). Besteht eine solche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem
Ehepartner und/oder Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland
verwirklicht werden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische
Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 1. Oktober 1992 – 2 BvR 1365/92 -, InfauslR
1993, 10 und vom 10. August 1994 – 2 BvR 1542/94 -, InfAuslR 1994, 394). Letzteres ist hier der Fall.
Zwischen den Klägern zu 2) bis 4) und dem Kläger zu 1) besteht nämlich eine familiäre
Lebensgemeinschaft, die mit Rücksicht auf die bereits dargelegte gesundheitliche Verfassung des
Klägers zu 1) und der hieraus folgenden Reiseunfähigkeit derzeit nur in der Bundesrepublik Deutschland
gelebt werden kann. Eine Ausreise der Kläger zu 2) bis 4) hätte zwangsläufig zur Folge, dass die familiäre
Lebensgemeinschaft auf unabsehbare Zeit getrennt würde, was mit den vorgenannten, zu Art. 6 GG
entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar wäre.
Liegen nach alledem im Falle der Kläger Gründe vor, die einer freiwilligen Ausreise zwingend
entgegenstehen, so ist entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten auch nicht in absehbarer Zeit ein
Wegfall dieser Ausreisehindernisse zu erwarten. Das Tatbestandsmerkmal „in absehbarer Zeit“ in § 25
Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Auslegung bedarf. Insoweit kann als
Auslegungshilfe insbesondere § 26 Abs. 1 AufenthG herangezogen werden. Dieser sieht unter anderem
in den Fällen des § 25 Abs. 5 AufenthG die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für zunächst sechs Monate
vor. Hieraus kann abgeleitet werden, dass der Wegfall des Ausreisehindernisses nach dem Willen des
Gesetzgebers dann nicht in „absehbarer Zeit“ zu erwarten ist, wenn die Ausreise dem Ausländer
voraussichtlich länger als sechs Monate unmöglich sein wird (so auch Ministerium des Innern und für
Sport Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Davon ist hier auszugehen, weil eine signifikante Verbesserung des
Gesundheitszustandes des Klägers zu 1) bislang nach den jüngsten fachärztlichen Stellungnahmen nicht
eingetreten und eine Weiterbehandlung erforderlich ist. So wurden beispielsweise auch am 7. Juni 2005
vom Sozialhilfeträger die Mittel für weitere zehn Sitzungen Psychotherapie für den Kläger zu 1) bewilligt.
Entgegen der Auffassung des Beklagten stehen der Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse auch nicht die
Ausschlussgründe des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG entgegen. Hiernach darf eine
Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist.
Ein Verschulden des Ausländers liegt dabei insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über
seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der
Ausreisehindernisse nicht erfüllt. Derartige Umstände liegen hier nicht vor. Insbesondere vermag der
Einwand des Beklagten, die lange Aufenthaltsdauer der Kläger sei durch deren Verhalten im
Weiterwanderungsverfahren verursacht worden, nicht zu überzeugen. Es bleibt nämlich zu sehen, dass
die Kläger zunächst bis 1999 als Bürgerkriegsflüchtlinge geduldet waren, was ihnen von vornherein nicht
vorwerfbar ist. Auch für die Folgezeit kann den Klägern nicht entgegengehalten werden, sie hätten
zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt. Dabei kann letztlich
dahingestellt bleiben, ob die Kläger das Weiterwanderungsverfahren mit der gebotenen Nachhaltigkeit
betrieben haben oder nicht. Denn ausweislich der Verwaltungsakten des Beklagten (Bl. 120) zeichnete
sich schon im Dezember 1999 ab, dass eine Weiterwanderung der gesamten Familie wohl eher nicht in
Betracht kommen würde. Parallel zum Weiterwanderungsverfahren wurde die Erkrankung des Klägers zu
1) erstmals im Juni 1999 durch Vorlage eines ärztlichen Attestes nachgewiesen. Wäre der Beklagte
diesem Hinweis bereits frühzeitig etwa durch Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme
nachgegangen, hätte die Reiseunfähigkeit des Klägers zu 1) aller Voraussicht nach schon damals
festgestellt werden können. Ein Verschulden der Kläger im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG
ist demnach nicht feststellbar.
Liegen somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Falle der
Kläger vor, so erwächst diesen im Hinblick darauf, dass ihre Abschiebung seit mehr als 18 Monaten
ausgesetzt ist, gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG ein so genannter „Soll-Anspruch“ auf Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis. Dies bedeutet, dass die Erteilung zwar nicht zwingend ist, aber in der Regel erfolgen
soll. Insoweit ist hier eine abschließende Gesamtbetrachtung vorzunehmen, im Rahmen derer zu prüfen
ist, ob im konkreten Einzelfall besondere Umstände ausnahmsweise gegen die Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis sprechen. Dabei ist unter anderem auch zu berücksichtigen, ob die Regelerteilungs-
voraussetzungen des § 5 AufenthG, soweit nicht gesetzlich ausgeschlossen, erfüllt sind. Diese
Gesamtbetrachtung führt hier im Ergebnis zu einem Anspruch der Kläger zu 2) bis 4) auf Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis und im Falle des Klägers zu 1) zu einem Anspruch auf Neubescheidung.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass
der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist im Falle der Kläger zu verneinen, da sie (ergänzende)
Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen. Allerdings kann in den Fällen der Erteilung eines
Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5, wozu auch die Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG gehört,
gemäß § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG im Ermessenswege unter anderem von der Anwendung des § 5
Abs. 1 AufenthG abgesehen werden. Eine derartige Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier nicht
getroffen. Dazu war zwar im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides, der noch auf der Grundlage des bis
zum 31. Dezember gültigen Ausländergesetzes ergangen ist, auch keine Veranlassung, weil das
Ausländergesetz eine solche Ermessensregelung nicht vorgesehen hatte. Eine Ergänzung des
Bescheides hat der Beklagte aber auch nicht nach In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes zum 1. Januar
2005 bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung (21. Januar 2005) vorgenommen, obwohl der Bescheid noch
nicht bestandskräftig geworden war. Fehlte es aber zum Zeitpunkt der Klageerhebung völlig an
diesbezüglichen Ermessenserwägungen, so bestand auch keine Möglichkeit, dem Beklagten im Wege
des § 114 Satz 2 VwGO Gelegenheit zu geben, diese im gerichtlichen Verfahren zu ergänzen. Schon
dieses Fehlen von Ermessenserwägungen führt im Ergebnis zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen
Bescheides. Dieselben Überlegungen gelten sinngemäß in Bezug auf den Kläger zu 1), soweit der
Beklagte sich darauf beruft, dass der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an diesen neben dem
Sozialhilfebezug auch das Vorliegen von Ausweisungsgründen wegen der erfolgten strafrechtlichen
Verurteilungen entgegenstehe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Auch dies ist nach § 5 Abs. 3 2.
Halbsatz AufenthG nicht (mehr) zwingend und bedarf einer sorgfältigen Ermessensbetätigung im
Einzelfall unter Darlegung der für die getroffene Behördenentscheidung maßgeblichen Gründe.
Im Falle der Kläger zu 2) bis 4) gelangt die Kammer aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalles zu
dem Ergebnis, dass insoweit eine Ermessensreduzierung auf „Null“ zu deren Gunsten dahingehend
besteht, dass von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG
ausnahmsweise abzusehen ist. Dies gilt zunächst hinsichtlich der Kläger zu 3) und 4), die wegen ihres
Alters ohnehin nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt unabhängig von ihren Eltern zu bestreiten.
Der Klägerin zu 2) ist in diesem Zusammenhang zugute zu halten, dass sie im Rahmen ihrer
Möglichkeiten bemüht ist, zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen, indem sie zumindest ein
Arbeitsverhältnis im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung aufgenommen hat. Außerdem haben die
Kläger durch Vorlage einer Vielzahl von Bewerbungsschreiben nachgewiesen, dass sie seit geraumer
Zeit ernsthaft um Arbeit bemüht sind. Dass dies bislang nur von bescheidenem Erfolg gekrönt ist, dürfte
unter anderem auch an der unsicheren aufenthaltsrechtlichen Situation der Kläger liegen. Da die Kläger
zu 2) bis 4) sich ansonsten nichts haben zuschulden kommen lassen und die Kläger zu 3) und 4)
regelmäßig die Schule besuchen, bestehen auch keine sonstigen Bedenken gegen die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubis mit der Folge, dass es bei dem Sollanspruch des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG bleibt.
Anders liegt der Fall hingegen in Bezug auf den Kläger zu 1). Neben dem Sozialhilfebezug sind auch
dessen strafrechtliche Verfehlungen in den Blick zu nehmen, so dass die Kammer zumindest nicht zu dem
Ergebnis gelangt, dass auch insoweit eine Ermessensreduzierung auf „Null“ dahingehend anzunehmen
wäre, dass hier ausnahmsweise von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und
2 AufenthG abgesehen werden müsste. Hierüber wird der Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen
erneut zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167 Abs.
2 VwGO.
Von einer Zulassung der Berufung durch das erkennende Gericht gemäß § 124 Abs. 1 und § 124 a Abs. 1
Satz 1 VwGO wird abgesehen, weil keiner der Berufungszulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4
VwGO vorliegt.
Rechtsmittelbelehrung
...
gez. Lutz gez. Pluhm gez. Holly
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000,-- € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde
angefochten werden.
gez. Lutz gez. Pluhm gez. Holly