Urteil des VG Karlsruhe vom 26.10.2010
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VG Karlsruhe Urteil vom 26.10.2010, 8 K 323/10
Beteiligung der Gemeinde am Genehmigungsverfahren
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts ... vom 09.01.2009 und des Widerspruchsbescheids des
Regierungspräsidiums ... vom 25.01.2010 verpflichtet, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese auf sich behält.
Tatbestand
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Der Kläger erstrebt die Erteilung einer Baugenehmigung für den teilweisen Abbruch eines Schuppens und für die Errichtung einer
Tierrettungsstation.
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Der Kläger ist Eigentümer mehrerer aneinander angrenzender Grundstücke im Gewann ... der Beigeladenen, auf denen zuvor eine Gärtnerei
betrieben wurde. In den Gebäuden im nördlichen Bereich des Grundstücks Fl.-St.-Nr. ... (...) unterhält er sein Büro und eine Katzenstation mit
Quarantänebereich, im südlichen Teil steht auf einer Fläche von 10,81 x 15,49 m² ein Stall aus Holzbrettern, in dem Kleintiere (Hühner, Hasen,
Enten) gehalten wurden. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich eines Flächennutzungsplans vom 18.03.2004.
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Mit am 10.07.2007 bei der Beigeladenen eingegangenem Antrag beantragte der Kläger erneut die Erteilung einer Baugenehmigung für den
Teilabbruch dieses Gebäudes und die Errichtung von sechs Boxen für die rettungsmäßige Unterbringung von Hunden sowie einen Raum als
Futterküche/Geräteraum. Im Verfahren legte er eine im März 2008 erstellte schalltechnische Untersuchung vor, wonach die Grenzwerte der TA-
Lärm in dem in einer Entfernung von ca. 250 m jenseits der L 179 liegenden Bereich mit Wohnhäusern (...straße ... und ...) eingehalten werden.
Das Gutachten wurde am 05.09.2008 auf die unmittelbar angrenzenden Gebäude (...weg ... und ...) erstreckt, die einem Mischgebiet zugeordnet
wurden.
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Mit Gemeinderatsbeschluss vom 24.09.2008 versagte die Beigeladene ihr Einvernehmen unter Hinweis darauf, dass in ihre Planungshoheit
eingegriffen werde. Die Tierrettungsstation verhindere es, in diesem Bereich ein Wohngebiet zu planen. Das Landratsamt ... lehnte daraufhin mit
Bescheid vom 09.01.2009 die Erteilung der Baugenehmigung ab. Den dagegen vom Kläger am 30.01.2009 erhobenen Widerspruch wies das
Regierungspräsidium ... mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2010 zurück. Die Beigeladene hatte mit Gemeinderatsbeschluss vom 25.11.2009
ihr Einvernehmen noch einmal versagt.
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Mit seiner am 06.02.2010 erhobenen Klage beantragt der Kläger,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts ... vom 09.01.2009 und des Widerspruchsbescheids des
Regierungspräsidiums ... vom 25.01.2010 zu verpflichten, ihm die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
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Er trägt vor, dass die Tierrettungsstation als im Außenbereich privilegiertes Vorhaben anzusehen sei. Selbst wenn davon nicht auszugehen sei,
sei das Vorhaben zulässig, weil es keine öffentlichen Belange beeinträchtige. Es verstoße insbesondere nicht gegen den Flächennutzungsplan,
dessen Festsetzung zu unpräzise sei. Die Beigeladene verweigere ihr Einvernehmen zu Unrecht. Man dürfe ihm insbesondere nicht unterstellen,
dass er abweichend von der beantragten Baugenehmigung eine „größere“ Lösung verwirklichen werde.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
10 Er trägt vor, dass eine andere Entscheidung angesichts des fehlenden Einvernehmens der Beigeladenen nicht möglich gewesen sei.
11 Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
12 Das Gericht hat das Baugrundstück und dessen Umgebung in Augenschein genommen. Die dabei getroffenen Feststellungen ergeben sich aus
der Niederschrift vom 26.10.2010.
13 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorgelegten Akten (1 Heft des Landratsamts ..., 1 Heft des
Regierungspräsidiums ...) und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
14 Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung der von ihm beantragten Baugenehmigung zum Teilabbruch und
zur Errichtung von insgesamt 6 Hundeboxen (5 normale Boxen und 1 Quarantäne-Box) mit einem Nebenraum zu. Der ablehnende Bescheid des
Landratsamts ... vom 09.01.2009 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 25.01.2010 sind rechtswidrig und verletzen
den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Beigeladene ist nicht berechtigt, ihr Einvernehmen zu versagen.
15 Der rechtlichen Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs ist - wie allgemein bei Verpflichtungsklagen - die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen. Deshalb findet die Landesbauordnung (LBO) in der seit 01.03.2010
geltenden Fassung (GBl. S. 615) in Ermangelung von Überleitungsvorschriften Anwendung (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.04.2010 - 8 S
1529/08 -, NVwZ-RR 2010, 631). Dass die zuständige Genehmigungsbehörde seither das in rechtswidriger Weise versagte Einvernehmen der
Gemeinde nach § 54 Abs. 4 LBO ersetzen kann, wirkt sich im vorliegenden Fall nicht aus.
16 Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem genehmigungspflichtigen Vorhaben keine von der
Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird über die Zulässigkeit
von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der
Gemeinde entschieden. Ob die Gemeinde ihr Einvernehmen erteilt oder versagt, steht dabei nicht in ihrem Ermessen (vgl.
Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl., § 35 Rn 12 m.w.N.). Vielmehr darf sie ihr Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB nur aus den
sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 ergebenden Gründen versagen. Da der Beigeladenen keine - hier allein in Betracht kommenden - sich aus §
35 BauGB ergebenden Gründe zur Seite stehen, durfte sie ihr Einvernehmen nicht versagen. Dass dem nach § 49 LBO genehmigungspflichtigen
Vorhaben des Klägers im Übrigen von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, ist weder
vorgetragen noch ersichtlich.
17 Durch die Regelung in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird die Gemeinde, die nicht selbst Baurechtsbehörde ist, am Genehmigungsverfahren
beteiligt, damit sie ihre Planungshoheit geltend machen und ihr durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistetes Recht auf Selbstverwaltung
durchsetzen kann. Auch mit der Einschränkung auf die Gründe nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB geht die der Gemeinde in § 36 Abs. 1 Satz 1
BauGB eingeräumte Befugnis, die Zulassung eines Vorhabens im Verwaltungsverfahren zu verhindern, über die Abwehransprüche aus einer
Verletzung der materiellen Planungshoheit hinaus. Sie eröffnet ihr eine verfahrensrechtliche Position, durch die sie ein ihren
bauplanungsrechtlichen Vorstellungen widersprechendes Vorhaben grundsätzlich ohne die Aufstellung eines Bebauungsplans und dessen
Sicherung durch eine Veränderungssperre oder Zurückstellung des Baugesuchs verhindern kann. Sie räumt ihr auch die Möglichkeit ein, die
Versagung des Einvernehmens für ein Vorhaben im Außenbereich auf seine bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit zu stützen und insbesondere
Versagung des Einvernehmens für ein Vorhaben im Außenbereich auf seine bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit zu stützen und insbesondere
geltend zu machen, dass es nicht privilegiert sei, öffentlichen Belangen im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB widerspreche oder seine Erschließung
nicht gesichert sei (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 08.07.2009 - 8 S 1686/08 -, m.w.N., Juris; bestätigt von BVerwG, Beschl. v. 24.06.2010 - 4 B
60/09 -, Juris). Verstöße gegen andere Rechtsnormen können die Versagung des Einvernehmens nur rechtfertigen, wenn es sich um
Vorschriften handelt, die auch dem Schutz der Gemeinde, insbesondere ihrer Planungshoheit, zu dienen bestimmt sind (BVerwG, Beschl. v.
24.06.2010, a.a.O.). Vorschriften der zuletzt genannten Art hat die Beigeladene schon nicht angeführt. Sie sind insbesondere nicht angesprochen
mit ihrer Befürchtung, dass der Kläger von vornherein oder alsbald ein größeres Tierheim als das genehmigte errichten und betreiben wird.
18 Die Beigeladene kann die Versagung ihres Einvernehmen nicht damit begründen, dass dem Vorhaben in § 35 BauGB ausdrücklich genannte
öffentliche Belange entgegenstehen. Nach dem Ergebnis des Augenscheins befindet sich das herzurichtende Gebäude auf einem Grundstück im
Außenbereich. Das im Lageplan noch eingezeichnete Gewächshaus auf dem östlich des Baugrundstücks liegenden Grundstück Fl.-St.-Nr. ...,
das ihm einen Bebauungszusammenhang hätte vermitteln können, ist nämlich nicht mehr vorhanden. Ob das Gebäude wegen der von seiner
Nutzung und den Hunden ausgehenden nachteiligen Wirkungen auf die Umgebung und in Ermangelung eines gleichermaßen geeigneten
Standorts schon nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert ist, ist nicht abschließend zu entscheiden. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, kann es
nach § 35 Abs. 3 BauGB zugelassen werden, weil seine Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die
Erschließung gesichert ist.
19 Dazu hat der Augenschein ergeben, dass der ...weg, über den auch andere Grundstücke und die Gebäude im dem Weg zugewandten Bereich
des Grundstücks des Klägers angefahren werden, eine ausreichende wegemäßige Erschließung darstellt. Dass wegen der vom Kläger
beabsichtigten Unterbringung von maximal 6 Hunden gleichzeitig der Straßenverkehr erheblich zunimmt, ist nicht anzunehmen. Es erscheint
auch ausgeschlossen, dass die Hundehaltung zu erhöhten Anforderungen an die Abwasserbeseitigung führt, deren Neuregelung ohnehin
beabsichtigt ist. Auch ein Widerspruch zu den Festsetzungen des Flächennutzungsplans ergibt sich nicht. Die das Baugrundstück und zwei
weitere Grundstücke betreffende Eintragung „Gärtnerei“, die der Legende des Plans nicht entspricht, beschreibt wohl eher den Bestand. Als
Festsetzung des Planes ist sie schon nicht so konkret, dass sich das Vorhaben dazu in Widerspruch setzen könnte. Selbst wenn die
beabsichtigte Hundehaltung - die Tiere werden vorübergehend bis zu ihrer Weitervermittlung untergebracht - trotz der vorgesehenen
Beschränkung der Auslaufzeiten mit größerem Lärm verbunden ist als die ursprüngliche Kleintierhaltung, kann angesichts der im Gutachten vom
März 2008 ermittelten Werte nicht davon ausgegangen werden, dass das vom Kläger beantragte Vorhaben zu schädlichen Umwelteinwirkungen
in Form von erheblichem Lärm führen wird. Die auf dem Baugrundstück vorherrschende Lärmsituation ist geprägt vom Lärm des Straßenverkehrs
auf der L 179 im Westen und der B 295, die talwärts von Osten nach Süden verläuft. Vor allem der Verkehrslärm von der L 179 ist auch für die
Geräusch-Verhältnisse in dem Wohngebiet bestimmend, in dem die Häuser in der ...straße liegen, die am nächsten an das Baugrundstück
heranreichen.
20 Danach kann sich die Beigeladene zur Versagung ihres Einvernehmens nicht darauf berufen, dass ihre Planungshoheit bzw. ihr Recht auf
Selbstverwaltung verletzt oder jedenfalls beeinträchtigt wird, weil sie bei der Sanierung und Nutzung des Schuppens als Hundeunterkunft im in
Rede stehenden Gebiet ein Wohngebiet nicht realisieren kann. Zwar kann das Vorliegen eines in Aufstellung befindlichen Ziels der
Raumordnung als unbenannter öffentlicher Belang nach § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB einem Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB entgegenstehen
und für den Fall, dass seine endgültige rechtliche Verfestigung noch aussteht, eine Berücksichtigungspflicht begründen (vgl. BVerwG, Urt.
v.01.07.2010 - 4 C 4/08 - Juris). Nachdem der Flächennutzungsplan für das Baugrundstück nicht eindeutig ist und darüber hinaus im betroffenen
Bereich keine Wohnbaufläche, sondern im Westen davon eine gemischte Baufläche vorsieht, kann eine allenfalls angedachte Überplanung
eines bestimmten Gebiets der Gemeinde eine solche Berücksichtigungspflicht nicht auslösen; mit einem in Aufstellung befindlichen Plan lässt
sich dieses Stadium der Raumordnung nicht vergleichen.
21 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Nachdem die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit nicht am
Kostenrisiko beteiligt hat, entsprach es nicht der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten dem Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen.
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Beschluss
23 Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf EUR 5.000,-- festgesetzt.
24 Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.