Urteil des VG Gießen vom 12.12.1997

VG Gießen: neue beweismittel, bundesamt, anerkennung, syrien, neues beweismittel, asylverfahren, ausländer, kenntnisnahme, stiftung, begriff

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Gericht:
VG Gießen 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 E 32824/95.A(4)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 71 AsylVfG 1992, § 78
AsylVfG 1992, § 13 AsylVfG
1992, § 24 Abs 2 AsylVfG
1992, § 87 Abs 1 Nr 1 S 2
AsylVfG 1992
(Entscheidung des Bundesamtes über
Abschiebungshindernisse nach AuslG 1990 § 53 im
Folgeantragsverfahren oder nach Ablehnung eines
weiteren Verfahrens - Umfang des gerichtlichen
Rechtsschutzes, zB Durchentscheiden des Gerichtes;
Kenntnis von Wiederaufgreifensgründen im Verlauf des
Berufungszulassungsverfahrens)
Tatbestand
I.
Die 1920 in der Türkei geborene Klägerin ist aramäische Volkszugehörige
christlichen Glaubens. Die Klägerin reiste aus Syrien kommend im August 1987 in
das Bundesgebiet ein und beantragte im November 1987 ihre Anerkennung als
Asylberechtigte; zur Begründung ihres Asylbegehrens trug sie im wesentlichen vor,
in Syrien vom Geheimdienst belästigt worden zu sein, weil sowohl ihre Kinder als
auch ihr mittlerweile verstorbener Ehemann Mitglieder der assyrischen
Organisation gewesen seien. Ihr Ehemann sei deswegen auch wiederholt inhaftiert
und gefoltert worden; letztendlich sei ihr Ehemann an den Folgen der Folter
verstorben.
Im April 1989 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge den Asylantrag der Klägerin ab. Die hiergegen gerichtete Klage der
Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden blieb ohne Erfolg; in dem Urteil
vom 23.09.1993 (Az.: II E 5772/89) hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden auf
Antrag der Klägerin auch zu der Frage Stellung genommen, ob
Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG für die Klägerin vorliegen und diese
Frage verneint. Den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat der
Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 22.04.1994 (Az.: 10 UZ
3034/93) abgelehnt.
Mit Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 03.06.1994 hat die Klägerin beim
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erneut beantragt, sie
als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, daß die Voraussetzungen der
§§ 51, 53 AuslG vorlägen. Zur Begründung dieses Begehrens nahm sie Bezug auf
den Vortrag im ersten Asylverfahren und führte weiterhin aus, nach Abschluß des
Asylverfahrens der Klägerin sei eine neue Sachlage eingetreten, weil mittlerweile
ein neues Gutachten der niederländischen Stiftung INLIA vom Oktober 1993
vorliege. Aus diesem Gutachten ergebe sich unter anderem, daß es für eine
alleinstehende christliche Frau bei einer Rückkehr nach Syrien unmöglich sei, dort
ohne familiäre Bindungen ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern. Die Klägerin
legte zusammen mit ihrem Asylantrag einen Auszug des von ihr in Bezug
genommenen Gutachtens vor.
Mit Bescheid vom 04.10.1995 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren
Asylverfahrens ab und führte zur Begründung dieser Entscheidung aus, das
erneute Vorbringen der Klägerin enthalte keine Anhaltspunkte dafür, daß ihr bei
einer Rückkehr nach Syrien nunmehr politische Verfolgungsmaßnahmen drohen
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einer Rückkehr nach Syrien nunmehr politische Verfolgungsmaßnahmen drohen
könnten.
Gegen diesen, ihrer Prozeßbevollmächtigten am 11.10.1995 zugestellten Bescheid
hat die Klägerin am 16.10.1995 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die
Ausführungen in dem ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge würden die Ablehnung der Durchführung
eines weiteren Asylverfahrens nicht rechtfertigen; die Klägerin habe im
Folgeverfahren die Stellungnahme der Stiftung INLIA vorgelegt, aus der sich
ergebe, daß ihr als alleinstehender Frau bei einer Rückkehr nach Syrien eine
existentielle Notlage drohe. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, daß die Klägerin
schwer an Krebs erkrankt sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 04.10.1995 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein weiteres (Asyl-)
Verfahren durchzuführen,
hilfsweise,
unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 04.10.1995 die Beklagte zu
verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, daß
die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich auf ihre angefochtene Entscheidung.
Zur ergänzenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (2 Hefter) sowie der Ausländerbehörde (1
Hefter) Bezug genommen. Diese Akten waren ebenso Gegenstand der
mündlichen Verhandlung wie die Erkenntnisquellen, auf die das Gericht die
Beteiligten hingewiesen hat.
Das Gericht hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 12.12.1997
informatorisch angehört, insbesondere zu den Familienverhältnissen hier und in
Syrien. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die
Verhandlungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Verpflichtungsklage mit dem Ziel, die Beklagte zur Durchführung
eines weiteren (Asyl-) Verfahrens zu verpflichten, zulässig (vgl. VG Gießen vom
23.02.1995, 7 E 33612/94 m.w.Nachw.).
Die Klage ist indes nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung eines weiteren
Asylverfahrens gerichtete Klage der Klägerin ist unbegründet, weil der Klägerin kein
Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zusteht (§ 71 Abs. 1 S.
1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG), so daß sich der Bescheid des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 04.10.1995 als
rechtmäßig erweist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 S.
1 VwGO). Da sich der Bescheid vom 04.10.1995 sowohl im Bescheidtenor als auch
in seinen Gründen ausschließlich mit der Frage beschäftigt, ob zugunsten der
Klägerin ein neues Asylverfahren durchzuführen sei, kam trotz des teilweisen
Obsiegens der Klägerin (siehe dazu unten 2.) eine teilweise Aufhebung des
Bescheids nicht in Betracht.
Die in § 71 AsylVfG für den Folgeantrag geregelten Beschränkungen beziehen sich
nach Auffassung des Gerichts nur auf die Geltendmachung eines Asylanspruchs
im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG und des Abschiebungsschutzes gemäß § 51 Abs.
1 AuslG. § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG definiert den Folgeantrag nämlich als einen
Asylantrag, der von einem Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer
Ablehnung eines früheren Asylantrages gestellt wird. Mit der Verwendung des
Begriffs "Asylantrag" verweist der Gesetzgeber auf die Legaldefinition des § 13
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Begriffs "Asylantrag" verweist der Gesetzgeber auf die Legaldefinition des § 13
AsylVfG, wonach ein Asylantrag vorliegt, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder
auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen läßt, daß er im
Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung oder Abschiebungsschutz gemäß
§ 51 Abs. 1 AuslG sucht (§ 13 Abs. 1 AsylVfG). Zugleich wird klargestellt, daß mit
jedem Asylantrag sowohl die Feststellung, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG vorliegen als auch die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt wird (§
13 Abs. 2 AsylVfG).
Folgerichtig liegt ein Asylantrag immer dann vor, wenn ein Begehren den in § 13
Abs. 1 AsylVfG normierten Voraussetzungen entspricht, unabhängig davon, ob ein
Ausländer zuvor schon einmal einen oder mehrere solcher Anträge gestellt hat.
Für die Regelung des § 71 AsylVfG bedeutet dies einerseits, daß nur ein als
Asylantrag im Sinne des § 13 AsylVfG einzustufendes Begehren ein Folgeantrag
sein kann, andererseits, daß auch ein Folgeantrag ein Asylantrag im Sinne des
Asylverfahrensgesetzes ist.
Hieraus folgt zugleich, daß die in § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG normierten
Beschränkungen nur für diejenigen rechtlichen und tatsächlichen Prüfungen gelten
können, die von dem Asylantrag erfaßt sind.
Soweit die Klägerin beantragt hat, die Beklagte zur Durchführung eines weiteren
Asylverfahrens zu verpflichten, begehrt sie folgerichtig die Durchführung eines
weiteren Prüfungsverfahrens im Hinblick auf die von ihr angestrebte
Asylanerkennung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG sowie der Gewährung von
Abschiebungsschutz im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG.
Insoweit muß ihr Begehren jedoch ohne Erfolg bleiben, denn die Klägerin hat nicht
gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG glaubhaft und
substantiiert vorgetragen, daß sich die der Ablehnung ihres ersten Asylbegehrens
zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu ihren Gunsten geändert
hätte, neue Beweismittel vorlägen oder Wiederaufnahmegründe entsprechend §
580 ZPO gegeben seien.
Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Verfolgungsfurcht hat sie sich
in ihrem Asylfolgeantrag nämlich lediglich auf ihre Ausführungen aus dem
Asylerstverfahren berufen. Damit hat sie weder neue Gründe im Sinne von § 51
Abs. 1 VwVfG geltend gemacht noch zu den in § 51 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG
normierten besonderen Voraussetzungen Nachvollziehbares vorgetragen.
Insoweit hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge also zu
Recht die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt.
2. Die Beklagte ist jedoch verpflichtet, hinsichtlich der Prüfung von
Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG ein (erneutes) Verfahren
durchzuführen, so daß das mit dem Hauptantrag der Klägerin verfolgte Begehren
insoweit Erfolg hat (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
Diesem teilweisen Erfolg des Klagebegehrens der Klägerin steht zunächst nicht
entgegen, daß das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
nicht für die Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen
gemäß § 53 AuslG zuständig wäre, wie es von einem großen Teil der
Rechtsprechung vertreten wird (vgl. BayVGH vom 03.05.1995, 11 AE 95.32300,
ZAR 1995, 135; Hamburgisches OVG vom 24.10.1994, Bs IV 183/94; OVG
Schleswig-Holstein vom 17.03.1993, 4 M 18/93, InfAuslR 1993, 279).
Wie bereits oben unter 1. dargelegt, handelt es sich bei einem Folgeantrag um
einen Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylVfG, wenn er den dort normierten
Voraussetzungen entspricht. Damit unterfällt er der Regelung des § 24 Abs. 2
AsylVfG, wonach die Stellung eines Asylantrages zugleich die Zuständigkeit des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zur Entscheidung
über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG eröffnet.
Der gegenteiligen Meinung liegt dagegen die (unausgesprochene) Ansicht
zugrunde, ein Folgeantrag gemäß § 71 AsylVfG sei kein Asylantrag im eigentlichen
Sinne, sondern werde erst bei Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu
einem solchen. Diese Auffassung findet indes keine Stütze im Gesetz, wie sich
zunächst schon aus dem Wortlaut des § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG ergibt, der den
Folgeantrag als einen nach Abschluß eines ersten Asylverfahrens gestellten
weiteren Asylantrag definiert. Weder dem Wortlaut noch der Systematik des
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weiteren Asylantrag definiert. Weder dem Wortlaut noch der Systematik des
Asylverfahrensgesetzes läßt sich entnehmen, daß der im Gesetzestext wiederholt
verwendete Begriff des Asylantrages je nach Regelungsgehalt der Norm
unterschiedlich interpretiert werden müßte. Die These, ein Folgeantrag sei
jedenfalls kein Asylantrag im Sinne von § 24 Abs. 2 AsylVfG (Hamburgisches OVG
vom 24.10.1994, Bs IV 183/94) widerspricht deshalb klar dem Gesetz.
Die Regelung von § 5 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 AsylVfG macht vielmehr deutlich,
daß für die Zuständigkeit des Bundesamtes, über Abschiebungshindernisse nach §
53 AuslG zu entscheiden, allein die Stellung eines Asylantrages erforderlich ist; ab
diesem Zeitpunkt wird die ausländerrechtliche Entscheidung Gegenstand der
Prüfungskompetenz des Bundesamtes, um die Einheitlichkeit des gesamten
Verfahrens sicherzustellen. Dies war letztlich auch Zweck der
Asylverfahrensnovelle vom 26.06.1992, denn durch die
Zuständigkeitskonzentration zugunsten des Bundesamtes sollte eine
Beschleunigung des gesamten Verfahrens erreicht werden (vgl. BT-Dr. 12/2062).
So heißt es in den Materialien zur Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom
Juni 1992 etwa, es sei erforderlich, alle legislatorischen und administrativen
Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung auszuschöpfen, was u.a. auch die
Verlagerung bestimmter asyl- und ausländerrechtlicher Zuständigkeiten von den
Ausländerbehörden der Länder auf das Bundesamt erfordere (BT-Dr. 12/2062, S.
1). Weiter heißt es dort, der Bund müsse die Voraussetzungen dafür schaffen, daß
über Anträge unter Berücksichtigung der Zuständigkeitsverlagerung aus den
bisher den Ausländerbehörden zukommenden Aufgaben einheitlich bis hin zur
Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung innerhalb eines Zeitraums von
längstens zwei Wochen entschieden werde (BT-Dr., a.a.O., S. 26).
Konsequenterweise heißt es in der Anmerkung zu § 24 Abs. 2, diese Norm sei eine
Folgerung aus der Zielvorstellung "Aufgabenverlagerung auf das Bundesamt" (BT-
Dr., a.a.O., S. 32).
Auch andere Normen im Asylverfahrensgesetz machen klar, daß der Gesetzgeber
die Entscheidung über Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG auch im
Folgeantragsverfahren regelmäßig im Zuständigkeitsbereich des Bundesamtes
gesehen hat: So enthält die Übergangsregelung des § 87 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AsylVfG
die einzige Ausnahme hierzu, nämlich für die Fälle, in denen das (erste)
Asylverfahren vor dem Inkrafttreten des Gesetzes bestandskräftig abgeschlossen
war. Schon der Umkehrschluß aus dieser Bestimmung zeigt, daß in allen anderen
Fällen die Zuständigkeit des Bundesamtes zur Entscheidung über
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG gegeben sein muß.
Insbesondere würde sich die Verwendung des Wortes "nur" in dieser Bestimmung
nicht erschließen, wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, daß eine
Zuständigkeit des Bundesamtes für ausländerrechtliche Entscheidungen auch in
allen anderen Fällen nur dann gegeben sein sollte, wenn ein erneutes
Asylverfahren durchgeführt werden würde.
Nebenbei bemerkt hat der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts (vom 17.03.1993, 4 M 18/93, InfAuslR 1993, 279), auf die
die späteren Entscheidungen des Bayerischen VGH (vom 03.05.1995, 11 AE
95.32300, ZAR 1995, 135) sowie des Hamburgischen OVG (vom 24.10.1994, Bs IV
183/94) zurückgehen, offenbar ein Fall des § 87 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AsylVfG zugrunde
gelegen, ohne daß das OVG diese Bestimmung mit nur einem Wort erwähnt hätte;
an einer Stelle der Entscheidung heißt es nämlich wörtlich: "Sofern - wie hier und in
allen anderen Asylverfahren, die vor Inkrafttreten des AsylVfG 1992 abgeschlossen
worden sind - keine Entscheidung des Bundesamtes über das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen getroffen worden ist, hat die Ausländerbehörde somit
deren Vorliegen in eigener Zuständigkeit ohne Bindung zu prüfen" (InfAuslR 1993,
279 <281>).
Die den abweichenden Meinungen zugrundeliegende Ansicht, eine
Prüfungskompetenz des Bundesamtes im Hinblick auf § 53 AuslG könne erst bei
Durchführung eines weiteren Asylverfahrens eröffnet werden, widerspricht auch
den übrigen im Asylverfahrensgesetz verwendeten Grundlagenbegriffen: § 5 Abs. 1
AsylVfG unterscheidet explizit zwischen der Entscheidung über den Asylantrag
einerseits (S. 1) und ausländerrechtlichen Maßnahmen und Entscheidungen
andererseits (S. 2). Damit macht das Gesetz deutlich, daß der Begriff des
Asylverfahrens im engeren Sinne nicht mehr und nicht weniger beinhaltet als die
Prüfung von politischen Verfolgungsgründen gemäß Art. 16a GG und § 51 Abs. 1
AuslG. Deshalb kann sich die in § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG geregelte Beschränkung
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AuslG. Deshalb kann sich die in § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG geregelte Beschränkung
auch nur auf diesen Prüfungsteil beziehen. Das macht auch im Hinblick auf den
durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gebotenen effektiven Schutz des
Ausländers vor einer menschenrechtswidrigen Abschiebung Sinn (vgl. OVG
Nordrhein-Westfalen vom 24.02.1997, 25 A 3389/95).
Weiterhin zeigt die Regelung in § 71 Abs. 4 AsylVfG, daß der Gesetzgeber von einer
Zuständigkeit des Bundesamtes, auch über den ausländerrechtlichen Teil des
Verfahrens zu entscheiden, ausgegangen ist. Die Verweisung auf § 34 AsylVfG
belegt die Zuständigkeit des Bundesamtes, eine Abschiebungsandrohung auch im
Folgeantragsverfahren zu erlassen; gemäß § 50 Abs. 3 S. 2 AuslG muß vor deren
Erlaß aber regelmäßig das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53
Abs. 1 bis 4 AuslG geprüft werden. Auch die Regelung in § 71 Abs. 5 S. 1 AsylVfG
spricht nicht gegen diese Sichtweise, denn die Bestimmung regelt lediglich die
Fälle, in denen es einer erneuten Abschiebungsandrohung für den Vollzug der
Abschiebung nicht bedarf; verboten bzw. der Zuständigkeit des Bundesamtes
generell entzogen ist diese Entscheidung damit aber keineswegs (ebenso OVG
Nordrhein-Westfalen vom 24.02.1997, 25 A 3389/95). Warum aber dem
Bundesamt kraft unmißverständlicher gesetzlicher Regelung einerseits der Erlaß
der Abschiebungsandrohung obliegen soll, nicht dagegen andererseits die
Entscheidung über Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG, ist - insbesondere
auch im Hinblick auf die mit der Gesetzesnovelle beabsichtigte
Zuständigkeitskonzentration beim Bundesamt - nicht nachzuvollziehen.
Letztendlich hat der Gesetzgeber durch die eindeutige Formulierung des § 24 Abs.
2 AsylVfG als Regel sowie des § 87 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AsylVfG als Ausnahme deutlich
gemacht, daß bei Vorliegen eines Asylantrages - gleichgültig, ob es sich um den
ersten, zweiten oder dritten handelt - regelmäßig die Zuständigkeit des
Bundesamtes auch für Entscheidungen über § 53 AuslG begründet sein soll (vgl.
OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.02.1997, 25 A 3389/95; Marx, Kommentar zum
AsylVfG, 3. Aufl., § 71 Rdnr. 14; GK-AsylVfG, § 71 Rdnr. 132 und Rdnr. 149, 149.1),
und zwar unabhängig davon, ob sich das Bundesamt bereits in dem Erstverfahren
mit dieser Frage befaßt hatte oder nicht, denn insoweit macht das Gesetz keinen
Unterschied.
Die Prüfung, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, unterliegt
folgerichtig zwar nicht den in § 71 AsylVfG normierten Beschränkungen, jedoch in
all jenen Fällen, in denen im Erstverfahren bereits eine Entscheidung über § 53
AuslG getroffen wurde, denjenigen des § 51 VwVfG, welcher hier gemäß § 1 Abs. 1
Nr. 1 VwVfG unmittelbar zur Anwendung kommt.
Ein solcher Fall ist hier gegeben; zwar hatte das Bundesamt im Erstverfahren der
Klägerin (wegen der damals geltenden - alten - Rechtslage korrekterweise) nicht
über § 53 AuslG entschieden, wohl aber das Verwaltungsgericht Wiesbaden - wenn
auch fälschlicherweise - auf den entsprechenden von der Klägerin gestellten
Antrag hin in dem klageabweisenden Urteil erster Instanz. Das Gericht ist deshalb
der Auffassung, daß die Berufung der Klägerin auf das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen in ihrem Folgeverfahren genauso behandelt werden
muß, als ob bereits das Bundesamt in dem Erstverfahren mit dieser Frage befaßt
gewesen wäre. Die Klägerin hatte die Abschiebungshindernisse durch ihren in der
mündlichen Verhandlung im Erstverfahren gestellten Antrag zum Gegenstand des
Verfahrens gemacht, und darüber hat das Gericht eine sachliche Entscheidung
getroffen (und nicht etwa die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen).
Die Voraussetzungen des § 51 VwVfG liegen im Falle der Klägerin hinsichtlich § 53
AuslG vor.
In ihrem Asylfolgeantrag vom 03.06.1994, mit dem sie zugleich die Feststellung
des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 AuslG begehrt hat, hat sie sich
durch ihre Bezugnahme auf das Gutachten der Stiftung INLIA vom 12.10.1993 auf
eine neues Beweismittel gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG berufen, das auch
geeignet ist, eine ihr günstigere Entscheidung im Hinblick auf § 53 AuslG
herbeizuführen.
In dem Gutachten vom 12.10.1993 wird stellvertretend für die Situation der
Christen in Syrien über Einzelschicksale berichtet; u.a. ist hieraus die
Schlußfolgerung möglich, daß eine alte und schwerkranke Frau wie die Klägerin, die
in Syrien über keinerlei soziale Kontakte (mehr) verfügt, dort in eine existentielle
Notlage geraten würde. Deshalb könnte eventuell ein Abschiebungshindernis
gemäß § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG für die Klägerin festzustellen sein.
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Auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 VwVfG liegen hinsichtlich des von der
Klägerin geltend gemachten neuen Beweismittels vor. Zwar stammt das
Gutachten vom Oktober 1993, also einem Zeitpunkt, zu dem über die Klage im
Erstverfahren schon erstinstanzlich negativ entschieden worden war, zu dem aber
noch das Berufungszulassungsverfahren beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof
schwebte. Angesichts der in § 78 Abs. 3 AsylVfG geregelten beschränkten
Berufungszulassungsgründe konnte die Klägerin die Existenz des neuen
Gutachtens erst mit Erfolg für sich geltend machen, als der Hessische
Verwaltungsgerichtshof ihren Berufungszulassungsantrag rechtskräftig abgelehnt
hatte. Im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens hätte das neue
Beweismittel der Klägerin unter keinem der in § 78 Abs. 3 AsylVfG genannten
Gesichtspunkte helfen können und wäre von vorneherein unberücksichtigt
geblieben. Anders hätte es nur ausgesehen, wenn der Berufungszulassungsantrag
der Klägerin Erfolg gehabt hätte und es zur Eröffnung eines Berufungsverfahrens
gekommen wäre.
Hieraus ergibt sich zugleich, daß die Klägerin ihren Wiederaufgreifensantrag
fristgerecht gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt hat. Nach dieser Bestimmung ist
ein Wiederaufgreifensantrag binnen drei Monaten ab Kenntnisnahme von dem
Wiederaufgreifensgrund zu stellen. Diese Frist konnte hier jedoch erst frühestens
zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem - nach Kenntnisnahme von dem
neuen Beweismittel - erstmals in rechtlich relevanter Weise eine Bezugnahme auf
das neue Beweismittel möglich wurde. Dies konnte hier frühestens der Zeitpunkt
sein, zu dem die Klägerin von der ablehnenden Entscheidung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs über ihren Berufungszulassungsantrag erfuhr, mithin im
Mai 1994.
Angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG konnte von der
Klägerin nicht verlangt werden, nach Kenntnisnahme von dem neuen Beweismittel
ihren Berufungszulassungsantrag zurückzunehmen und sogleich einen
Folgeantrag beim Bundesamt zu stellen.
Das Gericht sieht sich gehindert, hinsichtlich der Frage, ob tatsächlich ein
Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zugunsten der Klägerin
angenommen werden muß, in der Sache durchzuentscheiden.
Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist nämlich nicht diese abschließende Frage,
sondern - genau wie in dem Folgeverfahren im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylVfG - nur
die Frage, ob die Beklagte zu Recht nicht oder negativ über das Begehren der
Klägerin auf Wiederaufgreifen des Verfahrens auch im Hinblick auf § 53 AuslG
entschieden hat. Es ist nämlich kein Grund ersichtlich, warum das Gericht im
Hinblick auf § 53 AuslG "durchentscheiden" sollte, nur weil in diesem Fall § 51
VwVfG unmittelbar zur Anwendung kommt, warum es andererseits beim
asylrechtlichen Teil der Prüfung wegen § 71 Abs. 1 AsylVfG an einer
Durchentscheidung gehindert sein sollte (wie es der ständigen Rechtsprechung der
Kammer entspricht, vgl. VG Gießen vom 13.02.1997, 2 E 30226/96, NVwZ-
Asylrechtsbeilage 1997, S. 69).
Das Argument des hierzu die gegenteilige Auffassung vertretenden OVG
Nordrhein-Westfalen (vgl. Urteil vom 24.02.1997, 25 A 3389/95), diese
unterschiedliche Behandlung rechtfertige sich wegen der Zweistufigkeit des
Folgeverfahrens, vermag das Gericht nicht zu überzeugen. Auch in Fällen wie dem
vorliegenden, in denen bereits einmal über das Vorhandensein von
Abschiebungshindernissen entschieden wurde, liegt kraft der gesetzlichen
Regelung ein zweistufiges Verfahren vor: Zunächst muß das Bundesamt prüfen,
ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen, genau wie im Fall des § 71 Abs.
1 S. 1 AsylVfG. Lediglich die dieser Prüfung zugrundeliegenden Rechtsnormen sind
unterschiedlich. Hat das Bundesamt dies - zu Unrecht - nicht (ausdrücklich) oder
mit negativem Ergebnis getan, so kann das Gericht nur diesen Teil der
Entscheidung überprüfen. Die abschließende Entscheidung, ob bei einem
durchzuführenden Verfahren ein Abschiebungshindernis tatsächlich vorliegt oder
nicht, muß demgegenüber der Entscheidung des Bundesamtes obliegen;
andernfalls würde dem Ausländer auch hier eine Instanz genommen. Anders
dürfte es allerdings folgerichtig in denjenigen Fällen liegen, in denen das
Bundesamt in seiner ablehnenden Entscheidung bereits ausdrücklich das
Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint hat; dann wird ein
"Durchentscheiden" des Gerichts im Hinblick auf § 53 AuslG die einzig richtige
Möglichkeit sein, da der Ausländer mit seiner Klage dann diese Sachentscheidung
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Möglichkeit sein, da der Ausländer mit seiner Klage dann diese Sachentscheidung
angreifen würde und müßte.
Nach alledem kam, wie aus dem Tenor ersichtlich, nur die auf die Prüfung von § 53
AuslG beschränkte Verpflichtung der Beklagten in Betracht, ein weiteres Verfahren
durchzuführen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO und entspricht dem
Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten.
Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b Abs. 1 AsylVfG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.