Urteil des VG Gießen vom 10.02.1997
VG Gießen: juristische person, prinzip des gesetzesvorbehalts, erlass, nichtigkeit, hessen, einziehung, zahlungsverzug, gebietskörperschaft, beratung, abgabe
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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 E 334/96 (3)
Dokumenttyp:
Gerichtsbescheid
Quelle:
Normen:
Art 20 Abs 3 GG, § 4 KAG HE,
§ 227 AO 1977, § 240 AO 1977
(Zur Erhebung von Säumniszuschlägen auf verspätet
gezahlte Kreisumlagen)
Leitsatz
Es bestehen rechtliche Bedenken gegen die Erhebung von Säumniszuschlägen (hier:
auf verspätet gezahlte Kreisumlagen) im Hinblick auf das Prinzip des
Gesetzesvorbehalts, da eine spezielle gesetzliche Regelung fehlt.
Zum Erlaß gem AO 1977 § 227 bei juristischen Personen und zu den persönlichen
Billigkeitsgründen.
Zur Frage der Nichtigkeit eines Festsetzungsbescheids.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Erlass von Säumniszuschlägen. Die Klägerin ist
kreisangehörige Gemeinde des Beklagten. Mit Bescheid vom 15.02.1994 setzte
der Beklagte Säumniszuschläge in Höhe von 1.722,-- DM gegen die Klägerin fest,
da letztere die Kreisumlage für den Monat Januar 1994 in Höhe von 172.223,-- DM
nicht bis zum Fälligkeitstag, dem 15.01.1994, sondern erst am 14.02.1994
entrichtet hatte. Gegen diesen Festsetzungsbescheid erhob die Klägerin mit
Schreiben vom 17.02.1994 Widerspruch und stellte gleichzeitig einen Antrag auf
Erlass der festgesetzten Säumniszuschläge. Der Erlassantrag wurde vom
Beklagten mit Bescheid vom 20.09.1994 abgelehnt. Wegen der Begründung wird
auf den Bescheid vom 20.09.1994 Bezug genommen.
Gegen die Ablehnung ihres Erlassantrages erhob die Klägerin mit Schreiben vom
28.09.1994 Widerspruch unter gleichzeitiger Rücknahme ihres zuvor gegen die
Festsetzung der Säumniszuschläge gerichteten Widerspruchs vom 17.02.1994.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.1996 wies der Beklagte den Widerspruch
gegen die Verfügung vom 20.09.1994 zurück. Wegen der Begründung wird auf den
Widerspruchsbescheid verwiesen.
Mit am 29.02.1996 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Klage
erhoben. Zur Begründung ihrer Klage trägt sie vor, bei der verspäteten Zahlung
für die Kreisumlage 1/1994 habe es sich um einen einmaligen Zahlungsverzug
gehandelt. Dieser sei durch eine unvorhersehbare Erkrankung des zuständigen
Sachbearbeiters eingetreten. Die Einziehung des Säumniszuschlages sei deshalb
unbillig, die Voraussetzungen zur einen Erlass gemäß §§ 4 KAG, 227 AO lägen vor.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 20.09.1994 und seinen
Widerspruchsbescheid vom 25.01.1996 aufzuheben und den Beklagten zu
verpflichten, dem Antrag vom 17.01.1994 auf vollständigen Erlass der
Säumniszuschläge wegen verspäteter Zahlung der Kreisumlage für Januar 1994
stattzugeben.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass der
Säumniszuschläge lägen nicht vor. Wegen der näheren Einzelheiten hierzu wird auf
den Schriftsatz der Beklagten vom 21.05.1996 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Verwaltungsvorgang
betreffenden Behördenakte des Vogelsbergkreises (Bl. 1 bis 20), die zum
Verfahren beigezogen wurde und Gegenstand der Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat weder einen Anspruch darauf, dass der Beklagte die erhobenen
Säumniszuschläge erlässt (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) noch einen Anspruch
dahingehend, dass der Beklagte ihren Erlassantrag erneut unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts bescheidet (vgl. § 113 Abs. 4 S. 2 VwGO).
Denn die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass liegen nicht
vor. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 5a KAG i.V.m. § 227 Abs. 1 AO sind Säumniszuschläge
zu erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre. Die
Unbilligkeit kann in der Person des Abgabepflichtigen bzw. seinen wirtschaftlichen
Verhältnissen begründet sein (sog. persönliche Unbilligkeit) oder aber sich aus der
Anwendung des Abgabentatbestandes auf den konkreten Fall ergeben (sog.
objektive oder sachliche Unbilligkeit). Ein Abgabenerlass aus persönlichen Gründen
ist zulässig, wenn dem Schuldner die Zahlung der geschuldeten Abgabe nach
seinen wirtschaftlichen und sonstigen persönlichen Verhältnissen nicht möglich ist.
Derartige Unbilligkeitsgründe scheiden vorläufig für die Klägerin als juristische
Person des öffentlichen Rechts erkennbar aus. Sachliche Gründe für die Annahme
einer unbilligen Härte liegen hingegen vor, wenn nach dem erklärten oder
mutmaßlichen Willen des Gesetz- oder Satzungsgebers davon ausgegangen
werden kann, dass der Gesetzgeber, hätte er die nun im Wege der Billigkeit zu
entscheidende Frage selbst geregelt, sie im Sinne der beabsichtigten
Billigkeitsentscheidung normiert hätte (vgl BFHE 77, 522, 524; 108, 106, 148). Ein
Erlass kann insoweit auch bei plötzlicher Erkrankung des Steuerpflichtigen in
Betracht kommen, wenn er selbst dadurch an der pünktlichen Zahlung gehindert
war und es ihm aufgrund seiner Erkrankung bis zum Ablauf der Zahlungsfrist nicht
möglich war, einen Vertreter mit der Zahlung zu beauftragen. Auf diesen, von der
Klägerin geltend gemachten Erlasstatbestand, kann sie sich als juristische Person
des öffentlichen Rechts aber ebenfalls nicht berufen. Denn die Klägerin kann als
Gebietskörperschaft schon im wortlogischen Sinn nicht erkranken. Ihr Vorbringen,
es habe aufgrund der Erkrankung des zuständigen Sachbearbeiters ein personaler
Engpass bestanden und aus diesem Grunde sei es zu der einmaligen, verspäteten
Zahlunggekommen, vermag hieran nichts zu ändern. Denn der erwähnte
Erlasstatbestand, der sich seinem Sinn und Zweck nach auf die plötzliche
Erkrankung des Steuerpflichtigen bezieht, 411, kann nicht auf den einzelnen bei
einer Gebietskörperschaft beschäftigten Sachbearbeiter angewandt werden.
Darüber hinaus ist die Klägerin aber auch gehalten, für Krankheitsfälle
organisatorische Vorsorgemaßnahmen, wie etwa einen Vertretungsplan zu treffen,
um kontinuierlich und fristgerecht die ihr obliegenden Aufgaben zu erfüllen.
Schließlich vermag auch der Umstand, dass es sich nach dem Vorbringen der
Klägerin um einen einmaligen Zahlungsverzug gehandelt habe, einen möglichen
Erlass nicht zu begründen. Insoweit könnte ein Erlass nur in Betracht kommen,
wenn die nicht erfolgte Zahlung ein offenbares Versehen gewesen wäre. Dies ist
aber nach dem Vorbringen der Klägerin gerade nicht der Fall. Diese hat vielmehr
aus den benannten Gründen versäumt, rechtzeitig die Zahlung zu bewirken.
Auf sonstige Erlassgründe kann sich die Klägerin nicht berufen. Die Ablehnung des
Erlassantrages durch den Beklagten erfolgte somit zu Recht. Dabei verkennt die
Kammer nicht, dass Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der von dem Beklagten
mit Bescheid vom 15.02.1994 festgesetzten Säumniszuschläge zu erheben sind.
Denn für eine derartige Festsetzung ist eine den Anforderungen des
Gesetzesvorbehalts (Art. 20 Abs. 3 GG) genügende Ermächtigungsgrundlage in
Hessen nicht ersichtlich (anders z.B. § 12 KAG-Baden-Württemberg). Eine
Regelung allein in der Haushaltssatzung des Beklagten, dass bei verspäteter
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Regelung allein in der Haushaltssatzung des Beklagten, dass bei verspäteter
Zahlung der Kreisumlage Säumniszuschläge erhoben werden können, die
vorliegend wohl getroffen worden ist, genügt den Anforderungen des
Gesetzesvorbehalts allein nicht. Denn für das Setzen einer derartigen Rechtsnorm
muss der Kreis wiederum ermächtigt sein. Im Hinblick auf die Vorschrift des § 40a
Finanzausgleichsgesetz (FAG) ist das Bestehen einer derartigen Ermächtigung für
den Satzungsgeber aber höchst zweifelhaft. Denn § 40a FAG sieht lediglich die
Möglichkeit vor, rückständige Umlagen nach §§ 37 bis 40 FAG, wozu auch die
Kreisumlage gehört, vom Zeitpunkt ihrer Fälligkeit an mit jährlich 2 v.H. über den
Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen. Aus dem Schweigen des
Gesetzgebers hinsichtlich der Säumniszuschläge schließt die erkennende
Kammer, dass deren Festsetzung gerade nicht zulässig sein soll. Vorliegend kann
dies jedoch dahingestellt bleiben. Denn die Klägerin hat ihren gegen die
festgesetzten Säumniszuschläge eingelegten Widerspruch zurückgenommen, so
dass der Festsetzungsbescheid vom 15.02.1994 bestandskräftig geworden ist. Für
eine Nichtigkeit dieses Festsetzungsbescheides liegen keine Anhaltspunkte vor;
seine Rechtswidrigkeit, für die nach Auffassung der Kammer zwar gewichtige
Gründe sprechen, ist jedenfalls nicht evident.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 16 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.