Urteil des VG Gelsenkirchen vom 30.08.2004

VG Gelsenkirchen: sparkasse, unterkunftskosten, notlage, sozialhilfe, saldo, wahrscheinlichkeit, versuch, wohnung, beschränkung, offenkundig

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 19 L 1729/04
Datum:
30.08.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 L 1729/04
Tenor:
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Antragsteller den Antrag
zurückgenommen hat. 2. Der Antragsgegner wird im Wege der
einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig
regelsatzmäßige Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 229,16 Euro zu
gewähren. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Verfahrens zu 3/4, der Antragsgegner zu 1/4.
G r ü n d e:
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1. Das Verfahren ist einzustellen, soweit der Antragsteller den Antrag unter
Berücksichtigung der folgenden Auslegung zurückgenommen hat. Der Antragsteller
beantragt, unter Berücksichtigung seiner Schriftsätze vom 26. und 27. August 2004
sinngemäß,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller regelsatzmäßige Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 80 % im Zeitraum
vom 2. August 2004 (Antragseingang) bis zum 31. August 2004 (Ende des Monats der
gerichtlichen Entscheidung) zu bewilligen.
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Das Gericht versteht den ursprünglich gestellten Antrag unter Berücksichtigung der
nachfolgenden Formulierungen dahin, dass Leistungsbeginn zunächst der Zeitpunkt der
Einstellung der Hilfeleistungen sein sollte - der 1. Juli 2004 -. Nur so lässt sich die
Beschränkung im Schriftsatz vom 26. August 2004 im Hinblick auf die Unterkunftskosten
für August 2004, die der Antragsteller nach der Erklärung des Frank Horstmann ebenso
wie die für Juli beglichen hatte, verstehen. Da als Leistungsbeginn mit Schriftsatz vom
27. August 2004 der Antragseingang - das ist der 2. August 2004 - genannt ist, kommen
insofern lediglich noch regelsatzmäßige Leistungen ab diesem Zeitraum in Betracht,
weil die Unterkunftskosten bereits im vorangegangenen Schriftsatz nicht mehr zum
Verfahrensgegenstand gemacht worden sind. Hiernach hat der Antragsteller seinen
ursprünglich gestellten Antrag insoweit zurückgenommen, als er regelsatzmäßige
Leistungen für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 1. August 2004 und Unterkunftskosten
beantragt hatte. Im Hinblick auf das Ende des Leistungszeitraums legt die Kammer den
ursprünglich gestellten Antrag, der insoweit keine Angaben enthielt, dahin aus, dass
durch den Schriftsatz vom 26. August 2004 - der ständigen Rechtsprechung in
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Sozialhilfeangelegenheiten entsprechend - klargestellt wird, dass lediglich der Zeitraum
bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung erfasst werden soll.
2. Im aufrechterhaltenen Umfang ist der Antrag begründet. Der Antragsteller hat sowohl
einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund in Höhe
regelsatzmäßiger Leistungen für den Zeitraum vom 2. bis 31. August 2004 in Höhe von
80 % glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 VwGO).
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Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass ihm ein entsprechender Anspruch gemäß
§§ 11, 12, 22 BSHG i.V. §§ 1, 2 RegelsatzVO zusteht. Die Kammer teilt die vom
Antragsgegner in dessen Versagungsbescheid vom 19. Juli 2004 geäußerten Zweifel
an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nicht. Vielmehr ist nach den Angaben des
Antragstellers im Verwaltungs- und gerichtlichen Anordnungsverfahren und dem von
ihm vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen sowie seiner persönlichen Erklärung vom
09. August 2004 überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller gegenwärtig nicht
über die zur Deckung des regelsatzmäßigen Bedarfs erforderlichen eigenen Mittel
verfügt. Der im Versagungsbescheid vom 19. Juli 2004 angeführte tragende Grund für
die Ablehnung von Hilfe zum Lebensunterhalt ist nach den vorgelegten Kontoauszüge
des Antragstellers und der Bescheinigung der Sparkasse Bochum vom 17. Juli 2004
widerlegt. Danach war es dem Antragsteller auf Grund der Höhe des ihm eingeräumten
Dispositionskredites nicht möglich, von seinem Konto höhere Abhebungen zu tätigen
als von ihm Ende Mai und Mitte Juni unstreitig mit insgesamt 80,00 EUR vorgenommen
worden sind. Denn sein Dispositionskredit in Höhe von zunächst 1.500 EUR war Ende
Juni 2004 mit 2.048,85 EUR bei weitem überzogen. Lastschriften sind von der
Sparkasse Bochum Ende Juni 2004 nicht mehr ausgeführt worden, wie sich aus dem
Auszug Nr. 4 Blatt 2 ergibt. Der Dispositionskredit ist erst später, nämlich mit Wirkung ab
07. Juli 2004 auf 2.000 EUR erhöht worden, also zu einem Zeitpunkt, als der
Antragsteller - und die Sparkasse Bochum - davon ausgehen konnten, dass der
Antragsteller weiterhin Sozialhilfe beziehen würde. Im Übrigen ist es auch im Rahmen
eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht anspruchsausschließend
möglich, den Hilfe Suchenden auf die Inanspruchnahme eines Dispotionskredits zu
verweisen, weil es unzumutbar ist, ihn mit Zinsen - wie hier - von 13,25 % pro Jahr bzw.
bei weiterer Überschreitung mit 17,75 % pro Jahr zu belasten.
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Vgl. hierzu OVG NRW, z. B. Beschluss vom 10. April 2000 - 22 B 282/00 -, FEVS 52, 77.
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Soweit der Antragsgegner zur Begründung seines Antrages, den Rechtsschutzantrag
abzulehnen, im Schriftsatz vom 10. August 2004 weiter ausführt, die Zweifel an der
Hilfebedürftigkeit des Antragstellers beruhten auch darauf, er habe Mahlzeiten bei
seiner Freundin oder seinen ehemaligen Mitbewohnern eingenommen - insoweit
handele es sich ebenso wie bei den geringen finanziellen Unterstützungen durch seine
Freundin um Einkommen im Sinne des BSHG -, ist nicht nachvollziehbar, inwieweit sich
aus diesem Vorbringen Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ergeben
sollten. Denn offenkundig sind diese Unterstützungshandlungen sowohl nach den
Angaben des Antragstellers als auch nach den vorgelegten Erklärungen der Freunde
und Freundinnen vorgenommen worden, um den Antragsteller in einer Notlage zu
helfen. Er hat hierzu glaubhaft und unwidersprochen dargelegt, für den Lebensunterhalt
nicht sein Konto in Anspruch genommen zu haben, um - in Absprache mit dem
Sachbearbeiter Herrn Ullrich - die hohen Kontoschulden zu verringern. Soweit
Sozialhilfe ab Juli 2004 nicht mehr geleistet worden ist, sind Freunde und Freundinnen
nach den vorliegenden Erklärungen zudem durch ihre Unterstützungen für den
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Sozialhilfeträger eingesprungen. Einen entsprechenden Inhalt haben sowohl die bereits
dem Antragsgegner vorgelegte Bescheinigung der Sandra Rogalski vom 20. Mai 2004
als auch die nunmehr vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen des Frank Horstmann
vom 6. August 2004, des Roger Gracher vom 7. August 2004, der Martina Jünger vom
11. August 2004, der Sandra Rogalski vom 11. August 2004 und der Anja Likusa, die
sich allerdings lediglich auf die zur Verfügungstellung eines Kühlschranks bezieht.
Diese eidesstattlichen Erklärungen stützen das Vorbringen des Antragstellers, das
dieser in seiner persönlichen Erklärung vom 9. August 2004 dahin zusammengefasst
hat, er habe unter keinen Umständen weiter in den Saldo-Bereich hingeraten wollen
und habe es „schaffen" wollen und müssen, mit dem auszukommen, was er von
helfenden Freunden und seiner Freundin angeboten bekommen habe; es sei ihm oft
schwer genug gefallen, dermaßen minimalistisch leben zu müssen, wenn ihm von Zeit
zu Zeit mit dem Nötigsten ausgeholfen worden sei. Wenn der Kläger in seiner
persönlichen Erklärung vom 9. August 2004 sodann detailliert schildert, wie er sich in
der Vergangenheit trotz fehlender Abhebungen von seinem Konto mit Hilfe von
Freunden und Freundinnen gelungen ist, seinen Lebensunterhalt mit minimalistischen
Mitteln sicher zu stellen, so steht dies unter Berücksichtigung seiner eigenen
Einschätzung als „Dummheit" und „schusselig" in Einklang mit den eidesstattlichen
Erklärungen. Aus den eidesstattlichen Erklärungen und seiner eigenen Erklärung vom
11. August 2004 ist zudem mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, dass es
ihm trotz der offenbar von den Freunden jeweils nur sporadisch geleisteten Hilfe bisher
immer wieder gelungen ist, seine aktuell große Notlage zu überstehen. Der Inhalt der
eidesstattlichen Erklärungen und der eigenen Erklärungen des Antragstellers bietet
jedenfalls keinen Anhalt an deren Richtigkeit zu zweifeln. Soweit der Antragsgegner
Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit dieser eidesstattlich bekräftigten Aussagen haben
sollte, bleibt es ihm unbelassen, diesen Zweifeln im Rahmen der ihm obliegenden
Sachverhaltsaufklärung - etwa durch Zeugenvernehmung - im Rahmen des weiteren
Verwaltungsverfahrens nachzugehen. Die Erklärungen der Frau Rogalski sind nicht
widersprüchlich. Sie hat in ihrer Erklärung vom 11. August 2004 plausibel geschildert,
dass sie dem Antragsteller nach dem Ärger mit dem Sozialamt kein Geld mehr gegeben
hat, ihn im übrigen aber unterstützt habe. Bestätigt werden die Angaben über die auch
gegenwärtig offenbar ärmlichen Lebensverhältnisse des Antragstellers schließlich auch
durch die Feststellungen des Antragsgegners bei dessen Versuch eines Hausbesuchs
am 17. Juni 2004. Dort wird der Eindruck einer relativ ungepflegt aussehenden nicht
dauerhaft bewohnten Wohnung wiedergegeben. Das Klingelschild bestehe aus einem
einfachen Papierstreifen, das mit zwei kleinen Stückchen Klebeband befestigt gewesen
sei. Lag es daher aufgrund der vorliegenden Angaben zu den Lebensverhältnissen des
Antragstellers und den diese Angaben jedenfalls ansatzweise bestätigenden
Feststellungen bei dem unangemeldeten Hausbesuch nahe, den Hausbesuch in der
Zwischenzeit von mehr als zwei Monaten zu wiederholen, so kann die unterlassene
weitere Sachverhaltsaufklärung durch den Antragsgegner nicht zu Lasten des
Antragstellers gehen.
Hat danach der Antragsteller einen Anspruch in Höhe von 80 % der regelsatzmäßigen
Leistungen glaubhaft gemacht, so besteht in dieser Höhe nach der ständigen
Rechtsprechung der mit Sozialhilfeangelegenheiten befassten Senate des OVG NRW
und der erkennenden Kammer zugleich ein Anordnungsgrund.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 , 188 Satz 2 VwGO.
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3. Dem Antragsteller ist für den oben wiedergegebenen, aufrechterhaltenen Antrag
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Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil der Antrag insoweit aus den oben dargelegten
Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und der Antragsteller die
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllt.
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