Urteil des VG Gelsenkirchen vom 16.09.2010

VG Gelsenkirchen (kläger, natürliche person, information, auskunft, stelle, vorschrift, höhe, verwaltungsverfahren, hamburg, informationsanspruch)

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 17 K 1616/09
Datum:
16.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 K 1616/09
Schlagworte:
Zugang, Information, Insolvenzverwalter, Insolvenzanfechtung,
Sozialversicherungsträger, Krankenkasse, Geschäftsgeheimnis,
personenbezogene Daten, Sozialdatenschutz
Normen:
IFG NRW §§ 4 Abs 1, 2 Abs 1, 4 Abs 2, 5 Abs 4, 8, 9; SGB X § 25; SGB
X § 67; InsO §§ 97, 101
Leitsätze:
Der Anspruch des Insolvenzverwalters nach § 4 Abs. 1 IFG NRW
besteht gegenüber einem Sozialversicherungsträger auch dann, wenn
die Information zum Nachteil des Sozialversicherungsträgers im
Rahmen eines zivilrechtlichen Klageverfahrens
(Insolvenzanfechtungsprozess) verwendet werden soll.
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage
zurückgenommen hat.
Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 9.
Dezember 2008 und ihres Widerspruchsbescheides vom 10. Februar
2009 verpflichtet, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, in welcher
Höhe die Beklagte von der H. H1. GmbH, S. 50, 45*** F. , im Zeitraum 1.
Mai 2008 bis 31. Juli 2008 Sozialversicherungsbeiträge erhalten hat.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund
des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger
vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d:
1
Der Kläger ist durch Beschluss des Amtsgerichts F. vom 1. Oktober 2008 (Az.: 162 IN
000/08) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der H. H1. GmbH, S. 50, 45*** F.
(im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) ernannt worden. Arbeitnehmer der
Insolvenzschuldnerin waren bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
2
Der Kläger bat die Beklagte mit Schreiben vom 11. November 2008 um Mitteilung,
welche Zahlungen der Insolvenzschuldnerin sie auf Sozialversicherungsbeiträge im
Zeitraum 1. Mai 2008 bis 30. September 2008 erhalten habe.
3
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2008 verweigerte die Beklagte die erbetene Auskunft
unter Hinweis darauf, dass der vom Kläger auf der Grundlage des Gesetzes zur
Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz -IFG)
geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht gegeben sei, da das IFG gegenüber der
Beklagten als landesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht anwendbar
sei. Nach der Rechtsprechung des BGH bestünde im Übrigen keine Auskunftspflicht
gegenüber dem Insolvenzverwalter.
4
Den dagegen am 31. Dezember 2008 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2009 als unbegründet zurück. Das
IFG sei nicht anwendbar. Ansprüche aus dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes
Nordrhein-Westfalen könne der Kläger ebenfalls nicht mit Erfolg geltend machen, da er
sich die begehrten Informationen aus den Geschäftsunterlagen der
Insolvenzschuldnerin beschaffen könne. Zudem sei zu befürchten, dass durch die
Übermittlung der begehrten Informationen Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnisse
offenbart würden und der Beklagten dadurch wirtschaftlicher Schaden entstehen könnte.
Auch aus anderen Rechtsvorschriften lasse sich ein Auskunftsanspruch des Klägers
nicht ableiten. Nach der Rechtsprechung des BGH bestehe kein Auskunftsanspruch des
Insolvenzverwalters gegenüber einem Gläubiger des Insolvenzschuldners als
potenziellem künftigen Anfechtungsgegner.
5
Der Kläger hat am 9. März 2009 Klage beim Sozialgericht E. - entsprechend der
Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid - erhoben, das den Rechtsstreit mit
Beschluss vom 1. April 2009 an das erkennende Gericht verwiesen hat.
6
Der Kläger macht geltend, er könne sich die begehrten Informationen nicht anderweitig
insbesondere nicht anhand der Geschäftsunterlagen der Vollstreckungsschuldnerin
verschaffen. Die Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf eine Beeinträchtigung ihrer
wirtschaftlichen Interessen berufen, da ein solcher Schutzanspruch nur gegenüber
Wettbewerbern bestehe. Der Schutz von Sozialdaten aus §§ 67 ff. SGB X greife nicht,
da keine Auskunft zu persönlichen Daten des einzelnen Arbeitnehmers, sondern
lediglich zu Zahlungsvorgängen verlangt werde.
7
Der Kläger beantragt,
8
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 9. Dezember 2008 und ihres
Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2009 zu verpflichten, ihm Auskunft darüber
zu erteilen, in welcher Höhe die Beklagte von der H. H1. GmbH, S. 50, 45*** F. im
Zeitraum 1. Mai 2008 bis 31. Juli 2008 Sozialversicherungsbeiträge erhalten hat.
9
Die Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Sie nimmt zur Begründung Bezug auf die Ausführungen in den angefochtenen
Bescheiden.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug
genommen.
13
Entscheidungsgründe.
14
Soweit der Kläger die Klage durch Beschränkung des von seinem Auskunftsbegehren
erfassten Zeitraums sinngemäß zurückgenommen hat, wird das Verfahren entsprechend
§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt.
15
Die Klage ist in ihrem danach noch anhängigen Umfang als Verpflichtungsklage
zulässig und begründet.
16
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erteilung der begehrten
Auskunft. Der diesen Anspruch versagende Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember
2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 10. Februar 2009 ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
17
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers ist § 4 Abs. 1 des
Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-
Westfalen (IFG NRW). Nach dieser Vorschrift hat jede natürliche Person nach Maßgabe
dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 genannten Stellen Anspruch auf Zugang zu den
bei dieser Stelle vorhandenen amtlichen Informationen.
18
Der Kläger fällt auch in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter in den persönlichen
Anwendungsbereich des Gesetzes. Er nimmt als Insolvenzverwalter Aufgaben als
Partei kraft Amtes wahr und handelt in eigenem Namen für fremdes Vermögen. Er wird
damit als natürliche Person tätig und gehört zu dem von § 4 Abs. 1 IFG NRW erfassten
Personenkreis.
19
Vgl. zu § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des
Bundes: OVG NRW, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 -, NWVBl. 2008, 59; vgl.
ferner OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2005 - 21 E 1487/04 -, DÖV 2005, 832 und
Beschluss vom 20. April 2010 - 8 A 2513/09 -;VG Hamburg, Urteil vom 1. Oktober 2009 -
9 K 2474/08 -, juris; OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, juris;
VG Düsseldorf, Urteil vom 20. April 2007 - 26 K 5324/06 -, juris.
20
Die beklagte AOK ist auskunftspflichtige Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 IFG NRW. Sie
ist als in ihrem Zuständigkeitsbereich auf Gebietsteile des Landes Nordrhein-Westfalen
beschränkte Krankenkasse eine landesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen
Rechts (Art. 87 Abs. 2 GG, § 4 Abs. 1 SGB V und § 1 Abs. 2 und 3 der Satzung der
Beklagten), die der Aufsicht des Landes NRW unterliegt (§ 90 Abs. 2 SGB IV).
Gegenstand des klägerischen Zugangsbegehrens (Beitragszahlungen der
Insolvenzschuldnerin zur gesetzlichen Krankenkasse) sind amtliche Informationen der
21
Beklagten, die diese im Rahmen ihrer im öffentlichen Recht wurzelnden
Verwaltungsaufgabe als Sozialversicherungsträger zu dienstlichen Zwecken (§ 3 IFG
NRW) erlangt hat.
§ 4 Abs. 2 IFG NRW schließt den Zugangsanspruch des Klägers nicht aus. Danach
gehen, soweit besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen
Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht bestehen,
diese den Vorschriften dieses Gesetzes vor. Konkurrenzfragen sind in jedem konkreten
Einzelfall durch eine systematische, an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte
Auslegung der jeweiligen Informationszugangsrechte zu klären. Um die Bestimmung
des Verhältnisses verschiedener Informationszugangsrechte untereinander vornehmen
zu können, müssen vor allem deren jeweilige Regelungsmaterien berücksichtigt
werden. Eine Vorrangigkeit im Sinne einer Ausschließlichkeit ist nur dort anzunehmen,
wo die jeweiligen Rechte die gleichen Anliegen verfolgen und / oder identische
Zielgruppen erfassen. Eine besondere Rechtsvorschrift im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1
IFG NRW liegt daher nur dann vor, wenn ihr Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht
wegen spezifischer Anforderungen an die Information, die der Rechtsvorschrift
unterfallen, und / oder in persönlicher Hinsicht die spezifische Anforderung an die
Personen, auf welche die Rechtsvorschrift Anwendung findet, beschränkt ist. Wenn
spezialgesetzliche Regelungen für einen gesonderten Sachbereich oder für bestimmte
Personengruppen einen begrenzten Informationsanspruch vorsehen, ist deshalb im
Einzelfall zu untersuchen, ob diese Grenzen auch für den Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG
NRW bindend sind. Das ist anzunehmen, wenn ein umfassender Informationsanspruch
dem Schutzzweck des Spezialgesetzes zuwider laufen würde. Lässt sich Derartiges
nicht feststellen, gelangt der Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW zur Anwendung.
22
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2005 - 21 E 1487/04 -, a.a.O.; Beschluss
vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 -, a.a.O. und vom 20. April 2010 - 8 A 2513/09 -.
23
Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf den
Beschluss des Landessozialgerichts NRW vom 26. April 2010 - L 16 B 9/09 SV -
geäußerten Ansicht kann die Bestimmung des § 25 SGB X hier nicht als besondere
Rechtsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW angesehen werden. Eine
abschließende und die Anwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetztes
ausschließende Regelung stellt § 25 SGB X nur für das Akteneinsichtsgesuch eines
Beteiligten in die das jeweilige Verwaltungsverfahren betreffenden Akten während des
laufenden Verfahrens dar.
24
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2005 - 21 E 1487/04 -, NJW 2005, 2082.
25
Ein solches (sozialrechtliches) Verwaltungsverfahren innerhalb dessen ein
Akteneinsichtsrecht beansprucht werden kann, steht hier nicht in Rede. Der Kläger
macht sein Auskunftsbegehren deshalb auch von Anfang an ausdrücklich (nur) auf der
Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes geltend. Im Übrigen erscheint zweifelhaft -
ohne dass diesem Gesichtspunkt allerdings ausschlaggebende Bedeutung
beizumessen wäre - ob die vom Kläger begehrten Informationen überhaupt im
Zusammenhang mit einem Verwaltungsverfahren im Sinne von § 8 SGB X entstanden
sind und deshalb möglicherweise dem Anwendungsbereich des § 25 SGB X nicht
unterfallen.
26
Auch das Insolvenzrecht schließt Ansprüche des Klägers aus dem IFG NRW nicht aus.
27
Der in diesem Zusammenhang gegebene Hinweis der Beklagten auf die
Rechtsprechung des BGH zu (fehlenden) Auskunftsansprüchen des
Insolvenzverwalters verfängt nicht. Der BGH,
vgl. etwa Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 58/06 -, juris; Beschluss vom 7. Februar
2008 - IX ZB 138/07 -, juris; Urteile vom 6. Juni 1979 - VIII ZR 255/78 -, BGHZ 74, 379
und vom 15. Januar 1987 - IX ZR 4/86 -, NJW 1987, 1812,
28
befasst sich in seiner Rechtsprechung mit Auskunftsansprüchen des
Insolvenzverwalters auf der Grundlage des § 242 BGB. Diese Norm stellt aber keine
abschließende fachgesetzliche Regelung, die allgemeine Auskunftsansprüche für
"jedermann" ausschließt dar.
29
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 -, a. a. O. und vom 20. April
2010 - 8 A 2513/09 -, OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a. a.
O.; VG Stuttgart, Urteil vom 18. August 2009 - 8 K 1011/09 -, a.a.O.; VG Hamburg, Urteil
vom 23. April 2009 - 19 K 4199/07 -, a.a.O.
30
Hinzu kommt, dass der nach der zitierten Rechtsprechung des BGH geltende
Ausschluss zivilrechtlicher Auskunftsansprüche auf öffentlich-rechtlicher Grundlage
geregelte Informationszugangsansprüche nicht berührt, wie sich ausdrücklich aus dem
zitierten Urteil des BGH vom 13. August 2009 - IX ZR 58/06 - ergibt, in dem dieser einen
Anspruch aus dem Informationszugangsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt geprüft und
deshalb verneint hat, weil das landesrechtlich vorgeschriebene Verwaltungsverfahren
nicht durchgeführt worden war.
31
Die §§ 97, 101 der Insolvenzordnung - InsO - scheiden als vorrangige Vorschriften im
Sinne von § 4 Abs. 2 IFG NRW ebenfalls aus.
32
Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a. a. O.; VG Stuttgart,
Urteil vom 18. August 2009 - 8 K 1011/09 -, a. a. O.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April
2009 - 19 K 4199/07 -, a. a. O.
33
Der damit grundsätzlich gegebene Informationsanspruch des Klägers aus § 4 Abs. 1
IFG NRW besteht unabhängig davon, aus welchem Interesse der Kläger diesen geltend
macht. Auskunftsansprüche nach dem IFG NRW sind nicht an ein besonderes Interesse
des Auskunftssuchenden gebunden. Für welche Zwecke die begehrte Information
verwendet werden soll, ist daher im Rahmen des § 4 Abs. 1 IFG NRW irrelevant. Auch
die Absicht, die fraglichen Informationen zum rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachteil
der auskunftspflichtigen Stelle etwa ihm Rahmen eines zivilrechtlichen Klageverfahrens
zu verwenden, schließt den Auskunftsanspruch vorbehaltlich besonderer
Rechtsvorschriften im Sinne des § 4 Abs. 2 IFG NRW bzw. vorbehaltlich der
abschließend normierten Ausschlussgründe in §§ 5 Abs. 4, 6 bis 9 IFG NRW nicht aus.
34
Vgl. zum jeweiligen entsprechenden Landesrecht OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar
2010 - 10 A 11156/09 -, juris; VG Hamburg, Urteile vom 1. Oktober 2009 - 9 K 2474/08 -,
juris und vom 23. April 2009 - 19 K 4199/07 -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 18. August
2009 - 8 K 1011/09 -, juris; Franßen/Seidel, Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-
Westfalen, Kommentar, Rdnr. 408 ff.; Haurand/Stollmann, Gesetz über die Freiheit des
Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, § 4, Anm. 2.1.
35
Im Übrigen gibt es keinen prozessualen Grundsatz, wonach ein materiell-rechtlich
Verpflichteter allein aufgrund seiner Stellung als Partei eines Zivilprozesses die
Erfüllung eines berechtigten Anspruchs verweigern könnte.
36
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Juni 2002 - 21 B 589/02 -, NWVBl. 2002, 441.
37
§ 5 Abs. 4 IFG NRW steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Danach kann der
Antrag abgelehnt werden, wenn die Information der Antragstellerin oder dem
Antragsteller bereits zur Verfügung gestellt worden ist oder wenn sich die Antragstel-
lerin oder der Antragsteller die Information in zumutbarer Weise aus allgemein
zugänglichen Quellen beschaffen kann. Davon, dass dem Kläger im Sinne der ersten
Alternative der Vorschrift die begehrten Informationen tatsächlich bereits zur Verfügung
stehen, kann nicht ausgegangen werden. Der Kläger hat schriftsätzlich plausibel
dargelegt, dass ihm die begehrten Informationen nicht - jedenfalls nicht vollständig - zur
Verfügung stehen, da die Insolvenzschuldnerin über keine ordnungsgemäße
Buchführung verfügt und Zahlungen Dritter auf die Schuld der Insolvenzschuldnerin
etwa auf Grund von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen aus Unterlagen der
Insolvenzschuldnerin nicht ersichtlich sind. Das Gericht sieht keinen Anlass, an diesem
Vorbingen des Klägers zu zweifeln, zumal Anhaltspunkte dafür, dass die Klage - weil
der Kläger tatsächlich bereits über die begehrten Auskünfte verfügt - missbräuchlich
erhoben worden ist, nicht zu erkennen sind. Die Möglichkeit, dass sich der Kläger die
Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann, ist ebenfalls nicht
ersichtlich. Als "Quelle" im Sinne dieser Norm, die für jeden zugänglich sein muss,
38
vgl. Franßen/Seidel, a. a. O., Rdnr. 653,
39
kommen offenkundig weder die über die Bank der Vollstreckungsschuldnerin
zugänglichen Kontoauszüge noch sonstige Unterlagen der Vollstreckungsschuldnerin
oder gar Pfändungsprotokolle in Frage.
40
Vgl. allgemein zu den Informationsbeschaffungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters:
BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - IX ZR 128/08 -, juris.
41
Dass sich der Kläger möglicherweise auch über die kontoführende Bank bzw. über
Protokolle des Gerichtsvollziehers die streitigen Informationen verschaffen kann,
schließt demnach den Anspruch gegen die Beklagte aus § 4 Abs. 1 IFG NRW nicht aus.
Es bleibt mithin dem Kläger überlassen, auf welche Weise er sich Zugang zu den
benötigten Informationen verschaffen will.
42
Der Informationsanspruch ist nicht gemäß § 8 IFG NRW ausgeschlossen, weil durch die
Übermittlung der Informationen ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart und
dadurch der Beklagten ein wirtschaftlicher Schaden entstehen würde. Mit Blick auf Satz
5 der Vorschrift, wonach auch eine öffentliche Stelle "betroffen" sein kann, ist zunächst
davon auszugehen, dass auch die Beklagten als grundsätzlich auskunftspflichtige Stelle
in den Schutzbereich dieses Ausschlussgrundes mit einbezogen ist. Es fehlt indes am
erforderlichen,
43
vgl. Haurand/Stollmann, a. a. O., § 8 Anm. 1,
44
berechtigten Geheimhaltungsinteresse. Die Beklagte ist als Körperschaft des
öffentlichen Rechts in besonderem Maße an Recht und Gesetz gebunden mit der Folge,
45
dass sie sich berechtigten Rückzahlungsforderungen nicht durch Berufung auf Betriebs-
bzw. Geschäftsgeheimnisse entziehen kann. Ihr Interesse an der Geheimhaltung der
begehrten Information ist damit nicht schutzwürdig.
Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a. a. O.
46
Im Übrigen dürfte fraglich sein, ob die Rückabwicklung einer nach dem Insolvenzrecht
anfechtbaren Vermögensverschiebung zu einem wirtschaftlichen Schaden im Sinne des
§ 8 Satz 1 IFG NRW führen kann. Mangels Entscheidungserheblichkeit geht die
Kammer dieser Frage nicht weiter nach.
47
Schließlich greift auch der Ausschlussgrund nach § 9 IFG NRW nicht. Gegenstand des
Auskunftsverlangens des Klägers sind keine personenbezogenen Daten, sondern
Angaben über Zahlungen einer Firma (der Insolvenzschuldnerin) an die Beklagte, ohne
dass damit eine Zuordnung zu bestimmten Personen (Arbeitnehmern der
Insolvenzschuldnerin) verbunden ist. Selbst wenn vorliegend personenbezogene Daten
vom Auskunftsverlangen des Klägers betroffen wären, würde dies zu keiner
abweichenden Bewertung führen. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt der
Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur
Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) und hat gegenüber dem
Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden
Verhältnisse (§ 97 Abs. 1 S. 1 InsO), mithin auch über alle Umstände, die für die
Beurteilung von Gläubigerforderungen bedeutsam sein können. Muss der Schuldner
also dem Insolvenzverwalter die ihm möglichen Auskünfte über die von ihm gezahlten
Sozialversicherungsbeiträge für seine Arbeitnehmer erteilen, sind diese Informationen
dem Insolvenzverwalter gegenüber von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig,
48
vgl. dazu OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a. a. O. zur
entsprechenden Vorschrift im rheinland-pfälzischen Informationsfreiheitsgesetz,
49
und zwar - entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten
Ansicht - auch ohne ausdrücklich erklärtes Einverständnis des Insolvenzschuldners.
50
Nichts anderes gilt hinsichtlich des in §§ 67 ff. SGB X im Einzelnen geregelten
Sozialdatenschutzes.
51
Vgl. dazu, dass diese Vorschriften keine "besonderen Rechtsvorschriften" im Sinne des
§ 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW darstellen: Franßen/Seidel, a.a.O., Rdnr. 543; Schoch,
Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, § 1 Rdnr. 200 und Berger/Roth/Scheel,
Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, § 1 Rdnr. 136 f. zum IFG des Bundes.
52
Unterstellt, die klagegegenständlichen Informationen stellen überhaupt Sozialdaten i.S.
von § 67 Abs. 1 SGB X dar, ist deren Weitergabe an den Kläger als Insolvenzverwalter
aus den oben dargestellten Gründen zulässig.
53
Vgl. dazu OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a. a. O.
54
Die Beklagte hat dem Kläger daher in der grundsätzlich von ihm bestimmten (§ 5 Abs. 1
Satz 5 IFG NRW) Art den begehrten Informationszugang zu gewähren.
55
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
56
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §
167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
57
58