Urteil des VG Freiburg vom 26.10.2010
VG Freiburg (grundstück, zufahrt, herstellung, kag, kläger, bad, zeitpunkt, verteilung, württemberg, rechtswidrigkeit)
VG Freiburg Urteil vom 26.10.2010, 4 K 27547/08
Erschließungsbeitragssatzung: Berücksichtigung mehrfach erschlossener Grundstücke bei der
Verteilung des Erschließungsaufwands
Leitsätze
Zur Rechtswidrigkeit/Nichtigkeit einer Regelung in einer Erschließungsbeitragssatzung (EBS), nach der mehrfach
erschlossene Grundstücke (hier Eckgrundstücke) bei der Verteilung des Erschließungsaufwands vollständig
unberücksichtigt bleiben.
Bei einer Regelung in einer EBS, nach der es zulässig ist, dass Eckgrundstücke aus der Aufwandsverteilung für
eine Anbaustraße ausscheiden, obwohl sie weder in der Vergangenheit, in der Gegenwart noch in absehbarer
Zukunft einer Zusatzbelastung durch eine zweite Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag ausgesetzt
gewesen sind oder sein werden, kann von den anderen Anliegern der Anbaustraße nach Maßgabe des
Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) billigerweise nicht erwartet werden, dass sie die durch die Entlastung der
Eckgrundstücke entstehenden zusätzlichen Lasten tragen.
Es ist unter Gleichheitsaspekten ferner nicht hinnehmbar, wenn ein (Eck-)Grundstück deshalb aus der
Aufwandsverteilung herausfällt, weil es entweder bis kurz vor der endgültigen Herstellung eine Zufahrt hatte
und/oder kurz danach (wieder) eine solche hat.
Eine vollständige Freistellung von einem Erschließungsbeitrag für (Eck-)Grundstücke, denen durch eine
Anbaustraße der volle bebauungsrechtliche Vorteil vermittelt wird, nur aus dem Grund, weil der dinglich
Berechtigte tatsächlich keine Zufahrt zur Anbaustraße geschaffen hat, der Anlage einer Zufahrt aber keine
rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen, so dass sie jederzeit geschaffen werden kann (ja
sogar dann, wenn der Berechtigte eine seit jeher bestehende Zufahrt nur kurzfristig, nur vorübergehend und ggf.
nur zu dem Zweck beseitigt bzw. verlegt hat, um der Beitragsveranlagung zu entgehen), ist mit dem
Gleichheitssatz nicht vereinbar.
Die Frage, ob ein Grundstück durch eine weitere gleichartige Erschließungsanlage erschlossen ist, beantwortet
sich nach den gleichen Kriterien, die auch für das Erschlossensein durch die erste Anlage maßgebend sind. Ist ein
Grundstück danach durch jede der mehreren Anbaustraßen, jeweils die anderen Anbaustraßen hinweg gedacht,
erschlossen, so (und nur dann) ist es mehrfach erschlossen.
Eine Rechtswidrigkeit/Nichtigkeit der Regelung über die Begünstigung von mehrfach er-schlossenen Grundstücken
hat gerade unter Geltung des KAG die Nichtigkeit der gesamten Verteilungsregelung in der EBS zur Folge.
Tenor
Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 12.06.2007 und deren Widerspruchsbescheid vom
14.11.2008 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag.
2
Mit Bescheid vom 12.06.2007 erhob die Beklagte von dem Kläger einen Erschließungsbeitrag in Höhe von
14.421,40 EUR für die Herstellung der K. Straße zwischen Haus Nr. … und K. Bach.
14.421,40 EUR für die Herstellung der K. Straße zwischen Haus Nr. … und K. Bach.
3
Den von dem Kläger dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
14.11.2008, dem Kläger zugestellt am 18.11.2008, zurück.
4
Am 16.12.2008 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung seiner Klage trägt er im Wesentlichen vor: Bei
der K. Straße handle es sich um eine historische, das heißt eine bereits vor dem Inkrafttreten des ersten
Badischen Ortstraßengesetz im Jahr 1868 dem Anbau dienende Straße, in jedem Fall aber um eine bereits bei
erstmaligem Inkrafttreten der Vorschriften über das Erschließungsbeitragsrecht im Jahr 1960 vorhandene
Straße, für die keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden dürften. Schon vor Jahrzehnten habe die
früher selbständige Gemeinde K. verschiedenen Anwohnern der K. Straße bescheinigt, dass für die K. Straße
keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden könnten, dass diese vielmehr bereits bezahlt seien.
Außerdem sei der Abschnitt der K. Straße, für den der festgesetzte Erschließungsbeitrag erhoben werde, nicht
separat beitragsfähig. Darüber hinaus sei die K. Straße seit Langem endgültig hergestellt und der
Erschließungsbeitrag deshalb verjährt. Unverständlich sei, dass die Beklagte Mittel, die ihr vom
Regierungspräsidium F. als Zuschuss nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zum Bau der K.
Straße angeboten worden seien, nicht angenommen habe. Indem die Beklagte dieses Angebot ausgeschlagen
habe, habe sie die Rechte der Anwohner verletzt, da sich deren Anteil an den Herstellungskosten dadurch
erhöhe. Weiter habe die Beklagte rechtswidrigerweise die (drei) Eckgrundstücke, die an den Einmündungen der
Kö. Straße und der B.straße in die K. Straße lägen, nicht in die Verteilung des erschließungsbeitragsfähigen
Aufwands einbezogen. Auch dadurch erhöhe sich der Erschließungsaufwand, der von den anderen Anwohnern
zu tragen sei. Rechtswidrig sei auch, dass die Beklagte nur einen Eigenanteil des
erschließungsbeitragsfähigen Aufwands in Höhe von 5 % übernehme. Richtigerweise müsse der Eigenanteil
mindestens 10 % betragen. Auch dadurch würde sich der Aufwand für die Anlieger mindern. Des weiteren seien
die Straßenentwässerungskosten falsch berechnet worden. Das gelte auch für die Kosten der Beleuchtung und
des Grunderwerbs. Insbesondere habe man Grunderwerb für Flächen getätigt, die für die Herstellung der
Fahrbahn erforderlich seien, und die Kosten dafür in den von den Anliegern zu tragenden
Erschließungsaufwand einbezogen, obwohl die Kosten für die Fahrbahn auch nach Auffassung der Beklagten
nicht zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand gehörten. Und schließlich profitierten weitere bebaute
Grundstücke, die (nur) an die K. Straße angeschlossen seien, von dem Ausbau. Dennoch seien diese nicht in
die Verteilung der Kosten mit einbezogen worden. Daran ändere sich nichts, wenn man diese Grundstücke dem
Außenbereich zurechne. Denn die übrigen Anwohner könnten billigerweise erwarten, dass diese Grundstücke,
die ausschließlich über die K. Straße mit dem öffentlichen Verkehrsnetz verbunden seien, in die Verteilung
einbezogen würden.
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Der Kläger beantragt,
6
den Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 12.06.2007 und deren
Widerspruchsbescheid vom 14.11.2008 aufzuheben.
7
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
9
Zur Begründung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Die Erschließungsanlage, deren Herstellungskosten
mit dem angefochtenen Beitragsbescheid abgerechnet werde, sei eine zum Anbau bestimmte Straße. Die
Beitragsschuld sei erst mit Herstellung dieses Abschnitts der K. Straße am 16.04.2007 entstanden. Einen
plangemäßen Ausbau habe es vorher nicht gegeben. Deshalb handle es sich bei der K. Straße nicht um eine
vorhandene Straße und erst recht nicht um eine historische Ortsstraße. Dem Umstand, dass die K. Straße
gleichzeitig auch Kreisstraße sei, sei dadurch Rechnung getragen worden, dass die Kosten für die Herstellung
der Fahrbahn nicht in den Erschließungsaufwand einbezogen worden seien. Die Kosten seien insgesamt
zutreffend ermittelt worden. Das Angebot des Regierungspräsidiums F. zur Förderung der Herstellung über
Zuwendungen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz sei deshalb nicht angenommen worden, weil
dies den Förderbestimmungen widersprochen habe. Diese bestimmten, dass Kosten, die von Dritten, also u. a.
von erschließungsbeitragspflichtigen Anliegern, zu tragen seien, nicht förderfähig seien. Die Bedenken des
Klägers hinsichtlich der Behandlung der Eckgrundstücke griffen rechtlich nicht durch. Nach dem Gesetz gebe
es die Möglichkeit, Grundstücke, die an mehrere gleichartige Erschließungsanlagen angrenzten, nur anteilig
oder überhaupt nicht bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigen. Von dieser Befugnis sei in der
Erschließungsbeitragssatzung Gebraucht gemacht und bestimmt worden, dass mehrfach erschlossene
Grundstücke bei der Aufwandsverteilung unberücksichtigt blieben, es sei denn, es bestehe tatsächlich eine
Zufahrt oder der Bebauungsplan setze eine solche fest. Sowohl die B.- als auch die Kö. Straße seien
gleichartige Erschließungsanlagen, nämlich Anbaustraßen. Die Anlieger dieser Straßen müssten grundsätzlich
mit einer Erhebung von Erschließungsbeiträgen auch für diese Straßen rechnen, so dass eine
Mehrfachbelastung vorliege. Daran ändere nichts, dass diese Straßen von einem privaten Verein auf eigene
Kosten und im Interesse der Anlieger erbaut und finanziert worden seien. Für die Eckgrundstücke gelte auch
keine Ausnahmebestimmung, da bei ihnen keine tatsächliche Zufahrt zur K. Straße bestehe.
10 Der Kammer liegen die Akten der Beklagten über die Erhebung eines Erschließungsbeitrags für das
Grundstück des Klägers (3 Hefte) sowie eine Ausfertigung des Bebauungsplans Nr. … „K. Straße“ vor. Der
Inhalt dieser Akten und Unterlagen sowie der Gerichtsakten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung;
hierauf wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
11 Die Klage ist zulässig und begründet. Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 12.06.2007 und
deren Widerspruchsbescheid vom 14.11.2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ).
12 Rechtsgrundlage für die Erhebung des Erschließungsbeitrags sind im vorliegenden Fall die §§ 20 ff. und 33 ff.
des Kommunalabgabengesetzes in der im Zeitpunkt der endgültigen Herstellung des abgerechneten Abschnitts
der K. Straße (im April 2007) geltenden Fassung vom 17.03.2005 ( GBl. 2005, 206 ) - KAG - in Verbindung mit
der „Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Stadt F.
(Erschließungsbeitragssatzung) “ vom 15.11.2005 - EBS -. Die Erhebung eines Erschließungsbeitrags setzt
jedoch voraus, dass sie auf der Grundlage einer rechtmäßigen Satzung erfolgt ( §§ 2 Abs. 1 und 34 KAG ).
Daran fehlt es hier, weil die zuvor genannte Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten in Bezug auf ihre
Regelung in § 6 über die Veranlagung mehrfach erschlossener Grundstücke rechtswidrig ist und diese
Rechtswidrigkeit die gesamte Verteilungsregelung erfasst. Dies beruht auf folgenden Überlegungen:
13 Die Beklagte hat die Grundstücke mit den Flst-Nrn. …, … und … (K. Straße … und … sowie Kö. Straße …),
die außer an die K. Straße gleichzeitig an die Kö. Straße bzw. an die B.straße angrenzen, vollständig aus der
Verteilung des Erschließungsaufwands herausgenommen. Die Beklagte beruft sich insoweit auf die Vorschrift
in § 38 Abs. 4 KAG. Danach kann die Gemeinde in der Satzung vorsehen, dass Grundstücke, die durch eine
weitere gleichartige Erschließungsanlage erschlossen werden, bei der Verteilung der beitragsfähigen
Erschließungskosten nur anteilig oder überhaupt nicht berücksichtigt werden. Auf dieser Grundlage hat die
Beklagte in § 6 EBS ( gleichlautend wie in § 6 der am 27.07.2010 neu gefassten aktuellen
Erschließungsbeitragssatzung ) folgende Regelung getroffen:
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(1) 1. Ein Grundstück, das an weitere bereits bestehende gleichartige Erschließungsanlagen im Sinne
des § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 (u. a. Anbaustraßen) angrenzt, wird bei der Aufwandsverteilung nicht
berücksichtigt. Eine Erschließungsanlage besteht bereits, wenn diese bereits vor In-Kraft-Treten eines
Bebauungsplans, der eine neue Erschließungsanlage festsetzt, oder vor dem Beschluss eines
gemeinderätlichen Gremiums oder vor einer verwaltungsinternen Entscheidung, dass die
Voraussetzungen des § 125 Abs. 2 BauGB für eine neue Erschließungsanlage vorliegen, dem
Grundstück die wegemäßige Erschließung vermittelt, die das Bauplanungsrecht als gesicherte
Erschließung für die Bebaubarkeit des Grundstücks verlangt. Besteht zum Zeitpunkt des Baubeginns
kein Bebauungsplan und lässt sich eine Entscheidung nach § 125 Abs 2 BauGB nicht feststellen,
kommt es auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Baubeginns an. Sonstige, mehrfach erschlossene
Grundstücke, werden - soweit keine Abrechnungseinheit i. S. d. § 37 Abs. 3 Kommunalabgabengesetz
besteht - bei der Aufwandsverteilung jeweils nur anteilig entsprechend Ziff. 2, 2. Unterabsatz
berücksichtigt.
15
2. Abs. 1 Nr. 1 gilt nicht für ein Grundstück, für das zum Zeitpunkt der endgültigen Herstellung
tatsächlich eine Zufahrt zur Erschließungsanlage besteht oder bei dem die Erschließungsanlage die
wegemäßige Erschließung vermittelt, die das Bauplanungsrecht zwingend als gesicherte Erschließung
für die Bebaubarkeit verlangt.
16
Ein solches Grundstück wird bei der Aufwandsverteilung jeweils mit einem Anteil der Summe aus
Grundstücksfläche und zulässiger Geschossfläche berücksichtigt. Der jeweilige Anteil errechnet sich
nach dem Verhältnis, in dem die Frontlängen an der abzurechnenden Erschließungsanlage zu den
Frontlängen an den übrigen Erschließungsanlagen stehen.
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3. Abs. 1 Nr. 1 gilt auch nicht, wenn das Grundstück nicht unmittelbar an eine weitere
Erschließungsanlage grenzt, sondern nur über ein weiteres Grundstück und bestehende Wegerechte
bzw. Baulasten an die schon bestehende Erschließungsanlage angeschlossen ist. In diesem Fall gilt
Ziff. 2, 2. Unterabsatz mit der Maßgabe, dass die jeweiligen Frontlängen nach den Grundstücksseiten
zu bestimmen sind, die der jeweiligen Erschließungsanlage am meisten zugewandt sind.
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(2) Durch die Nichtberücksichtigung nach Abs. 1 Nr. 1 oder Ermäßigung nach Abs. 1 Nr. 2 darf der
Beitrag, der auf ein Grundstück entfällt, das nur an eine Erschließungsanlage angrenzt, nicht höher
ansteigen als bis zum Anderthalbfachen des Betrages, der auf das Grundstück bei einer vollen
Belastung der mehrfach erschlossenen Grundstücke entfallen würde.
19 Diese Regelung begegnet aus mehreren Gründen im Hinblick auf den Gleichbehandlungshandlungsgrundsatz
aus Art. 3 GG durchgreifenden rechtlichen Bedenken, die bei einer Gesamtschau im Ergebnis zur
Rechtswidrigkeit dieser Regelung und mit ihr zur Rechtswidrigkeit der gesamten Verteilungsregelung in der
Erschließungsbeitragssatzung führen:
20
1.
nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EBS bereits immer dann gelten, wenn dieses Grundstück an eine weitere
bestehende Anbaustraße angrenzt. Die Sätze 2 und 3 definieren den Begriff der bestehenden Anbaustraße. Die
Regelung dort erfordert nicht, dass die weitere (die Mehrfacherschließung vermittelnde) Anbaustraße im
Rechtssinn endgültig, das heißt u. a. plangemäß und unter Erfüllung sämtlicher Herstellungsmerkmale,
hergestellt sein muss. Das steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg, derzufolge genau das ausdrücklich verlangt wird ( siehe VGH Bad.-Württ, Urteil vom 28.09.2000 -
2 S 198/99 -, BWGZ 2001, 647; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.04.1993 - 2 S 1886/91 - ). Damit ist
unklar, welche Anforderungen an die weitere Anbaustraße zu stellen sind. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 EBS soll dafür
jede „Zuwegung“ ausreichen, die eine Bebauung nach dem Bauplanungsrecht ermöglicht. Nicht erforderlich soll
danach sein, dass wegen der weiteren Anbaustraße eine Beitragsschuld bereits entstanden sein muss oder
zumindest in absehbarer Zeit entstehen wird, wie es aber selbst von den Stimmen in der Literatur gefordert
wird, denen die oben dargestellte Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, wonach die
weitere Anbaustraße endgültig hergestellt sein muss, zu eng ist ( siehe Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz
für Baden-Württemberg, Stand: Sept. 2009, § 38 Anm. 3.4.6.3, S. 91 ff.; Faiß, Kommunalabgabenrecht in
Baden-Württemberg, Stand: Juli 2009, Bd. 1, § 38 RdNr. 17; offen bleiben kann hier, ob es, wofür Einiges
sprechen könnte, ebenfalls ausreicht, wenn die weitere Anbaustraße als vorhandene Erschließungsanlage im
Sinne des § 49 Abs. 6 KAG anzusehen ist, da das weder bei der Kö. Straße noch bei der B.straße der Fall ist
). Bei dieser Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 1 EBS, nach der es zulässig wäre, dass Eckgrundstücke aus der
Aufwandsverteilung für die Anbaustraße ausscheiden, obwohl sie weder in der Vergangenheit, in der Gegenwart
noch in absehbarer Zukunft einer Zusatzbelastung durch eine zweite Heranziehung zu einem
Erschließungsbeitrag ausgesetzt gewesen sind oder sein werden, kann von den anderen Anliegern der
Anbaustraße nach Maßgabe des Gleichheitssatzes ( Art. 3 Abs. 1 GG ) billigerweise nicht erwartet werden,
dass sie die durch die Entlastung der Eckgrundstücke entstehenden zusätzlichen Lasten tragen ( siehe auch
Gössl/Reif, a.a.O., § 38 Anm. 3.4.6.3, S. 91 ff.; Faiß, a.a.O., § 38 RdNrn. 13 und 17 ).
21 Auch das vorliegende Beispiel der Eckgrundstücke im hier abgerechneten Abschnitt der K. Straße zeigt, dass
die Eckgrundstücksbegünstigung für die oben genannten Grundstücke hiernach unter Gleichheitsaspekten zu
Lasten der anderen Anlieger (wie dem Kläger) unbillig erscheint. Denn sowohl für die Kö. Straße als auch für
die B.straße sind bislang ersichtlich nie Erschließungsbeiträge erhoben worden. Auch spricht nach dem Inhalt
der vorliegenden Akten und der Korrespondenz der Beteiligten alles dafür, dass es sich bei diesen Straßen
nicht um bereits vorhandene Straßen im Rechtssinn handelt oder dass sie in absehbarer Zeit einen
plangemäßen Ausbau erhalten und so mit der Folge erstmals hergestellt werden, dass für ihre Anlieger
Erschließungsbeiträge entstehen. Das bedeutet auf der Grundlage der geltenden Erschließungsbeitragssatzung
der Beklagten, dass diese Eckgrundstücke mit allergrößter Wahrscheinlichkeit weder jemals mit einem
Erschließungsbeitrag für die K. Straße noch für eine der (beiden) anderen Anbaustraßen (Kö. Straße und
B.straße) belastet werden. Eine völlige Freistellung der Grundstücke, die sowohl an einer dieser beiden
Straßen als auch an der K. Straße liegen, von jeglichem Erschließungsbeitrag zu Lasten der Grundstücke, die
nur an der K. Straße liegen, ist danach mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar.
22
2.
von Regel und Ausnahme in § 6 Abs. 1 Nr. 2 EBS.
23
2.1
Aufwandsverteilung nicht gelten, wenn für das betreffende Grundstück zum Zeitpunkt der endgültigen
Herstellung tatsächlich eine Zufahrt zur Erschließungsanlage (hier zur K. Straße) besteht. Der Zeitpunkt der
endgültigen Herstellung ist ein Rechtsbegriff und ist definiert als Eingang der letzten Unternehmerrechnung (
vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 01.08.1994 - 2 S 963/93 - und Beschluss vom 04.04.2005, NVwZ-RR 2006,
420; Driehaus, a.a.O., § 19 RdNr. 10 ). Dieser Zeitpunkt entspricht einer logischen Sekunde. Es ist unter
Gleichheitsaspekten jedoch nicht hinnehmbar, wenn ein Grundstück deshalb aus der Aufwandsverteilung
herausfällt, weil es entweder bis kurz vor der endgültigen Herstellung eine Zufahrt hatte und/oder kurz danach
(wieder) hat.
24 Dabei ist zunächst völlig unklar, was in diesem Zusammenhang die Formulierung in der Satzung „es besteht
tatsächlich eine Zufahrt“ letztendlich bedeutet (Muss das zwingend eine Zufahrt für ein Kraftfahrzeug sein?
Reicht auch eine Zufahrt für ein Fahrrad - das wäre hier vor allem deshalb von Bedeutung, weil im vorliegenden
Fall nur der Aufwand für den Rad- und Gehweg auf die Anlieger umgelegt wird? Muss die Zufahrt befestigt
sein? Reicht auch die Möglichkeit der jederzeitigen Schaffung einer Zufahrt? Ist jede [wie auch immer geartete]
Zufahrt auf das Grundstück ausreichend? Oder muss es eine Zufahrt zu einer baulichen Anlage [Garage,
Wohnhaus] sein?).
25 Des Weiteren ist es fraglich, weshalb in diesem Zusammenhang eigentlich eine Zufahrt gefordert wird. Der
erschließungsrechtliche Vorteil, der die Beitragserhebung rechtfertigt, ist bei einem Wohngrundstück nach
ständiger Rechtsprechung bereits dann gewährleistet, wenn die Anbaustraße die Heranfahrt an das Grundstück
gewährleistet. Für die notwendige Ver- und Entsorgungsfunktion der bauplanungsrechtlich erforderlichen
Erschließung reicht ein nicht notwendigerweise asphaltierter oder geteerter Weg auf das Grundstück, der auch
über eine zwischen Straße und Grundstück im Bebauungsplan festgesetzte Grünfläche oder über andere mit
zumutbarem Aufwand überwindbare Hindernisse führen kann ( vgl. u. a. VGH Bad.-Württ., Urteile vom
10.11.2005, KStZ 2006, 192, vom 01.09.1997 - 2 S 661/96 - und vom 20.03.1987 - 2 S 1009/86 -, BWVPr
1987, 186 ). Ein solcher Weg bzw. die für den Grundstückseigentümer tatsächlich und rechtlich gegebene
Möglichkeit der Anlage eines solchen Wegs vermittelt dem betreffenden Grundstück somit den vollen
bebauungsrechtlichen Vorteil. Auf eine Zufahrt kommt es hiernach nicht an. Aber selbst wenn man eine Zufahrt
für erforderlich hielte, kann es nicht darauf ankommen, ob auf dem Grundstück eine Zufahrt tatsächlich
vorhanden ist („besteht“). Es muss vielmehr ausreichen, wenn der Anlegung einer Zufahrt keine in zumutbarer
Weise unüberwindbaren tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Ansonsten hätte es allein
der dinglich Berechtigte (Grundstückseigentümer oder Erbpachtberechtigte) in der Hand, ob er
erschließungsbeitragspflichtig wird oder nicht ( vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 01.09.1997, a.a.O. - im
dort entschiedenen Fall wurde es sogar für zumutbar gehalten, dass ein Grundstückseigentümer ein seiner
Verfügungsmacht unterliegendes Hindernis in Form einer Böschung beseitigt; siehe hierzu auch VGH Bad.-
Württ., Urteile vom 10.11.2005, a.a.O., vom 11.04.2002 - 2 S 2239/00 -, BWGZ 2002, 486, und vom
20.03.1987, a.a.O. ). Eine vollständige Freistellung von einem Erschließungsbeitrag für Grundstücke, denen
durch eine Anbaustraße der volle bebauungsrechtliche Vorteil vermittelt wird, nur aus dem Grund, weil der
dinglich Berechtigte tatsächlich keine Zufahrt zur Anbaustraße geschaffen hat, der Anlage einer Zufahrt aber
keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen, so dass sie jederzeit geschaffen werden
kann (ja sogar dann, wenn der Berechtigte die seit jeher bestehende Zufahrt nur kurzfristig, nur vorübergehend
und ggf. nur zu dem Zweck beseitigt bzw. verlegt hat, um der Beitragsveranlagung zu entgehen), ist im
Hinblick auf den Gleichheitssatz nicht gerechtfertigt. Denn die anderen beitragspflichtigen Anlieger können in
schutzwürdiger Weise erwarten, dass auch solche Grundstücke in den Kreis der erschlossenen Grundstücke
einbezogen werden und sich so die Beitragsbelastung für die übrigen Grundstücke vermindert ( vgl. hierzu u. a.
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005, a.a.O. ).
26
2.2
Zufahrt zu der Erschließungsanlage - die Nichtberücksichtigung der Eckgrundstücke bei der
Aufwandsverteilung auch dann nicht gelten, wenn die Erschließungsanlage die wegemäßige Erschließung
vermittelt, die das Bauplanungsrecht zwingend als gesicherte Erschließung für die Bebaubarkeit verlangt.
27 Diese Regelung ist ebenfalls äußerst unklar (und im Ergebnis bereits deshalb rechtswidrig). Einen Sinn ergäbe
diese Bestimmung wohl nur, wenn man sie wie folgt liest: „Die Nichtberücksichtigung von mehrfach
erschlossenen (Eck-)Grundstücken nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 gilt nicht für ein Grundstück, bei dem nur die
Erschließungsanlage (und nicht auch eine weitere Erschließungsanlage) die wegemäßige Erschließung
vermittelt, die das Bauplanungsrecht als gesicherte Erschließung für die Bebaubarkeit verlangt.“ Wenn das
aber wirklich so verstanden werden soll, dann hätte es weitaus näher gelegen, diese Klausel auch (ganz
einfach) so (und nicht derart missverständlich, wie geschehen) zu formulieren. Die gewählte offene
Formulierung ließe es immerhin auch zu, dass diese Klausel eine andere Bedeutung haben soll.
28 So hat ein/e Vertreter/in der Beklagten, also des Ortsgesetzgebers selbst, von dem die Satzung stammt, diese
Klausel einmal (im Schriftsatz vom 02.03.2009) so interpretiert, als sei damit (allein) der Fall gemeint, dass ein
Bebauungsplan eine Zufahrt (von der Erschließungsanlage auf das betreffende Grundstück) festsetzt. Dieses
Verständnis ergibt aber praktisch keinen Sinn. Denn gemeint sein kann dann eigentlich nur die Festsetzung
eines Zufahrts„gebots“ (und nicht lediglich eines Zufahrts-„rechts“). Denn allein die Festsetzung einer Straße
neben einem Grundstück, wie im Fall des für die K. Straße geltenden Bebauungsplans, erlaubt ohne Weiteres
regelmäßig die Zufahrt auf dieses Grundstück. Dass dieser (Regel-)Fall eine Ausnahme von der Beitragsfreiheit
eines mehrfach erschlossenen (Eck-)Grundstücks begründen soll, wäre abwegig; auch die Beklagte versteht
das in dem oben genannten Schriftsatz ersichtlich nicht so, weil sie dort ausdrücklich ausgeführt hat,
vorliegend sei der Fall, dass der Bebauungsplan eine Zufahrt festsetze, nicht gegeben. Die Festsetzung eines
Zufahrts„gebots“ ist dem Städtebaurecht jedoch wiederum fremd (es wäre allenfalls umständlich und in
rechtlich kaum haltbarer Weise konstruierbar als Festsetzung einer Zufahrt, die durch ein Baugebot nach § 176
BauGB erzwingbar wäre).
29 Wenn man aber die Klausel so versteht, wie im vorletzten Absatz dargelegt - und der Vertreter der Beklagten
hat dieser Auslegung als allein sinnvolle in der mündlichen Verhandlung letztlich zugestimmt -, dann müsste
die weitere Erschließungsanlage bzw. Anbaustraße so beschaffen sein, dass sie eine nach Bauplanungsrecht
erforderliche gesicherte Erschließung gerade nicht vermittelt. Das käme z. B. bei Vorliegen eines mit
zumutbarem Aufwand nicht zu beseitigenden tatsächlichen oder eines rechtlichen Hindernisses für einen zur
Ver- und Entsorgung des Grundstücks erforderlichen Zugang in Betracht. Dann wäre das Grundstück aber von
dieser weiteren Erschließungsanlage nicht im Sinne des § 39 Abs. 1 KAG erschlossen und es gäbe gar nicht
die Situation einer Mehrfacherschließung, wie sie nach der Ermächtigungsnorm in § 38 Abs. 4 KAG (und der
Überschrift zu § 6 EBS) für die Vergünstigung der Grundstücke, die an mehrere Anbaustraßen angrenzen,
vorausgesetzt wird. Denn der Begriff des „Erschlossenseins“ in § 38 Abs. 4 KAG unterscheidet sich nicht von
dem in § 39 Abs. 1 KAG. Die Frage, ob ein Grundstück durch eine weitere Erschließungsanlage der gleichen
Art erschlossen ist, beantwortet sich nach den gleichen Kriterien, die auch für das Erschlossensein durch die
erste Anlage maßgebend sind. Bei der Prüfung des Erschlossenseins eines Grundstücks etwa durch eine
Anbaustraße müssen für die Frage der Mehrfacherschließung weitere für das Grundstück bestehende
Anbaustraßen, das heißt die durch diese vermittelte Bebaubarkeit, hinweg gedacht werden. Ist das Grundstück
danach durch jede der mehreren Anbaustraßen, jeweils die anderen Anbaustraßen hinweg gedacht, im Sinne
von § 39 Abs. 1 Satz 1 KAG erschlossen, so (und nur dann) ist es mehrfach erschlossen ( siehe Gössl/Reif,
a.a.O., § 38 Anm. 3.4.6.2, S. 91, § 39 Anm. 1.2.2, S. 5, und 2.1.7.1, S. 54, m.w.N. aus der Rspr. des
BVerwG‘s ). Damit gibt es für die Ausnahmeregelung in § 6 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. EBS keinen (sinnvollen)
Anwendungsbereich.
30 Abgesehen von den Ausführungen im vorstehenden Absatz wäre es wenig einleuchtend und mit dem
Gleichheitssatz schwerlich vereinbar, wenn ein mehrfach erschlossenes (Eck-)Grundstück in dem Fall, dass
nur die abzurechnende Anbaustraße diesem Grundstück den bebauungsrechtlich erforderlichen
Erschließungsvorteil vermittelt, nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EBS der Vorteil eines reduzierten Beitrags zugute
käme.
31 Der Ortsgesetzgeber hat in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EBS zwar den Willen zum Ausdruck gebracht, Ausnahmen
vom Grundsatz der Nichtberücksichtigung mehrfach erschlossener (Eck-)Grundstücke bei der
Aufwandsverteilung zu normieren. Er hat sich insoweit aber in eine in sich widersprüchliche, den Grundsätzen
der Systemgerechtigkeit und Kohärenz und im Ergebnis dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1
GG zuwider laufende Regelung verstrickt.
32
3.
Grundstücken in § 6 EBS hat die Nichtigkeit der gesamten Verteilungsregelung in der
Erschließungsbeitragssatzung zur Folge. Die Regelung in § 6 EBS wird von dem Willen der Beklagten als
Ortsgesetzgeber getragen, eine Doppelbelastung der Eigentümer von Eckgrundstücken zu vermeiden. Diese
auf § 38 Abs. 4 KAG beruhende Ermessensentscheidung des Ortsgesetzgebers, die für die gesamte
Verteilungsregelung von Bedeutung ist, bliebe missachtet, würde lediglich von der Ungültigkeit des § 6 EBS
und nicht von der Ungültigkeit der gesamten Verteilungsregelung ausgegangen ( so VGH Bad.-Württ. in
ständiger Rspr.; vgl. u. a. Urteile vom 26.06.1986 - 2 S 1393/85 -, vom 19.07.1985 - 2 S 846/85 -, vom
14.06.1984, VBlBW 1985, 224, vom 22.05.1984, VBlBW 1985, 31, und vom 29.03.1984, VBlBW 1985, 30 ).
Auch eine Vergleichsberechnung des vom Kläger zu zahlenden Erschließungsbeitrags unter Einbeziehung der
(drei oben genannten) Eckgrundstücke kommt nicht in Betracht, weil es allein im Ermessen der Beklagten bzw.
des innerhalb der Beklagten zuständigen Organs liegt, ob eine Begünstigung von Eckgrundstücken überhaupt
erfolgen soll oder nicht und in welcher Weise eine Begünstigung, falls man sich für eine solche entschieden
haben sollte, ausgestaltet sein soll. Dieses Ermessen würde missachtet, wenn die Kammer den vorliegenden
Rechtsstreit durch eine Vergleichsberechnung im zuvor genannten Sinn spruchreif machen würde.
33 Erweist sich hiernach die Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten aus den genannten Gründen als
rechtswidrig und nichtig und mit ihr auch die angefochtenen Bescheide der Beklagte als rechtswidrig, kommt
es auf die zahleichen weiteren zwischen den Beteiligten erörterten Fragen über die Rechtmäßigkeit des vom
Kläger geforderten Erschließungsbeitrags nicht an. Die Kammer sieht deshalb von Ausführungen hierzu ab.
34 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht hat keinen Anlass, diese nach § 167
Abs. 2 VwGO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
35 Die Zulassung der Berufung beruht auf § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache).
Die Kammer hält die Klärung der Fragen im Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer vollständigen
Nichtberücksichtigung mehrfach erschlossener Grundstücke bei der Verteilung des
erschließungsbeitragsfähigen Aufwands, die sich in allen Abrechnungsgebieten stellt, in denen Grundstücke
mehrfach erschlossen sind, für rechtlich grundsätzlich bedeutsam.