Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 11.07.2008

VG Frankfurt(oder ): einheimische bevölkerung, gemeinde, rücknahme, behörde, finanzvermögen, verwaltungsakt, verwaltungsvermögen, rechtssicherheit, quelle, widerspruchsverfahren

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Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
6. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 K 1637/04
Dokumenttyp:
Gerichtsbescheid
Quelle:
Norm:
§ 48 VwVfG
Ermessensausübung bei der Rücknahme eines
Zuordnungsbescheides
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2004 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zuordnung des 73.870 qm großen Flurstücks 80 und des
56.860 qm großen Flurstücks 82 der Flur 1 in der Gemarkung Steinbeck. Nach dem
vorliegenden Flurkartenauszug handelt es sich hierbei um den "Röthsee" und den
"Markgrafensee".
Die Flurstücke befanden sich am 3. Oktober 1990 im Eigentum des Volkes, Rechtsträger
war der Rat der Gemeinde Steinbeck.
Unter dem 17. September 1991 beantragte die Gemeinde Steinbeck, deren
Rechtsnachfolgerin die Klägerin ist, die Zuordnung der streitbefangenen Flurstücke als
Verwaltungsvermögen. Als Nutzung zu den Stichtagen 1. Oktober 1989 und 3. Oktober
1990 gab sie "Naherholungsgebiet" an. Die Oberfinanzpräsidentin der
Oberfinanzdirektion Cottbus stellte daraufhin mit Bescheid vom 30. September 1996
fest, dass die Gemeinde Steinbeck Eigentümerin der streitigen Flurstücke sei. Die
Liegenschaften seien am 3. Oktober 1990 als Naherholungsgebiete genutzt worden und
stünden aufgrund der nachgewiesenen Nutzung der Gemeinde als kommunales
Finanzvermögen zu. Nachfolgend wurde die Gemeinde Steinbeck als Eigentümerin im
Grundbuch eingetragen.
Mit Schreiben vom 25. Juni 2001 beantragte die Beigeladene die Zuordnung der
streitigen Flurstücke und die Aufhebung des Bescheides vom 30. September 1996. Sie
sei im Verfahren vor Erlass des genannten Bescheides nicht beteiligt worden. Die
Flurstücke seien zum Zweck der fischereiwirtschaftlichen Nutzung langfristig verpachtet
worden. Der Pächter könne bestätigen, dass sie auch zu den maßgeblichen Stichtagen
durch die Fischereigenossenschaft Waldsieversdorf genutzt worden seien.
Nach Anhörung der Klägerin nahm die Beklagte mit Bescheid vom 29. Juni 2004 den
Bescheid der Oberfinanzpräsidentin der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 30. Juni 1996
zurück und stellte zugleich fest, dass die Beigeladene vorbehaltlich privater Rechte
Dritter Eigentümerin der streitgegenständlichen Flurstücke geworden sei. Zur
Begründung führte sie im Wesentlichen an: Der Zuordnungsbescheid vom 30.
September 1996 sei zurückzunehmen, da er rechtswidrig sei. Bei Erlass des Bescheides
sei unter Berücksichtigung der Nutzungsangaben der Gemeinde davon ausgegangen
worden, dass es sich um zwei vorrangig zu Erholungszwecken genutzte Badeseen
handle. Nunmehr sei jedoch von einer primär fischereiwirtschaftlichen Verwendung
auszugehen. Es handle sich bei den Liegenschaften deshalb weder um kommunales
Verwaltungsvermögen noch um kommunales Finanzvermögen, so dass die Klägerin
keinen Zuordnungsanspruch habe; aufgrund der nachgewiesenen
fischereiwirtschaftlichen Nutzung stünden die Liegenschaften vielmehr gemäß der 3.
DVO zum TreuhG der Beigeladenen zu.
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Die Klägerin hat am 30. Juli 2004 Klage erhoben. Zur Begründung macht sie im
Wesentlichen geltend, die beiden Seen seien zu den maßgeblichen Zeitpunkten in erster
Linie als Badegewässer und als Naherholungsgebiet für die einheimische Bevölkerung
genutzt worden. Sie habe, sowohl vor der Wende als auch danach, finanzielle Mittel u. a.
in die Gestaltung des Strandbereichs und des Badestegs eingesetzt, um so die
Erhaltung des Badebetriebs zu gewährleisten. Dies zeige, dass die Flurstücke an den
Stichtagen für öffentliche Aufgaben genutzt worden seien. Die Seen seien wirtschaftlich
für die Fischerei überhaupt nicht nutzbar, deshalb habe die Nutzung für Erholungszwecke
jedenfalls überwogen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angegriffenen Bescheid und trägt ergänzend
im Wesentlichen vor, sie stütze sich nach wie vor auf die erwerbswirtschaftliche
Verpachtung der beiden Seegrundstücke. Natürliche Landschaftsseen würden nicht
dadurch der Wahrnehmung kommunaler Aufgaben dienen, dass ein nicht
individualisierter Personenkreis dort baden gehe. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen,
dass sie den Badebetrieb in Wahrnehmung einer kommunalen
Selbstverwaltungsaufgabe organisiert habe. Die Anlegung eines Badestrandes könne
allenfalls die Zuordnung des Ufergrundstücks rechtfertigen, nicht aber der gesamten
Seefläche. Der angegriffene Rücknahmebescheid sei nicht ermessensfehlerhaft
ergangen. Die Notwendigkeit für Ermessenserwägungen hätte nur bestanden, wenn der
aufgehobene Bescheid auch gegenüber der Beigeladenen bestandskräftig geworden
wäre. Dies sei nicht der Fall gewesen, weil die Beigeladene vor Erlass des Bescheides
vom 30. September 1996 nicht beteiligt und ihr dieser Bescheid nicht zugestellt worden
sei. Insoweit sei sie von gänzlich fehlendem Ermessen oder zumindest von einer
Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. In der Sache trägt sie vor, die Zweijahresfrist
des § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG sei hier nicht abgelaufen gewesen. Dabei könne nicht allein
auf den begünstigten Bescheidempfänger abgestellt werden. Entscheidend für den
Beginn des Laufs der Zweijahresfrist sei vielmehr die Bestandskraft gegenüber allen
"sonst in Betracht kommenden Berechtigten" i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 VZOG.
Dementsprechend sei hier auch keine Ermessensdirektive i. S. d. Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zur Rücknahme von Zuordnungsbescheiden zu beachten
gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Gemäß § 84 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - kann das Gericht ohne
mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine
besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt
geklärt ist und die Beteiligten hierzu angehört worden sind.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 29. Juni 2004 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Als Rechtsgrundlage für die erfolgte Rücknahme des Zuordnungsbescheides der
Oberfinanzpräsidentin der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 30. September 1996 kommt
allein § 48 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - i.V. mit § 2 Abs. 5 Satz 1
Vermögenszuordnungsgesetz - VZOG - in Betracht. Danach kann ein rechtswidriger
Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit
Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Die Beklagte hat vorliegend das ihr nach § 48 Abs. 1 VwVfG eingeräumte Ermessen nicht
ordnungsgemäß ausgeübt (§ 114 VwGO), weil sie schon das Bestehen eines
Ermessensspielraums grundsätzlich verkannt hat. Sie hat in dem angegriffenen
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Ermessensspielraums grundsätzlich verkannt hat. Sie hat in dem angegriffenen
Bescheid keinerlei Ermessenserwägungen angestellt, sondern allein ausgeführt, der
Zuordnungsbescheid vom 30. September 1996 wäre zurückzunehmen, weil er
rechtswidrig sei. Es liegt deshalb ein sog. Ermessensausfall vor. Die Nichtausübung des
Ermessens ist auch nicht etwa deshalb unschädlich, weil das Ermessen der Beklagten
vorliegend auf Null reduziert gewesen wäre. Dem steht schon entgegen, dass
Rücknahmeentscheidungen nicht nur vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung, sondern ebenso vom Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bestimmt werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG - besitzt der
Gesichtspunkt der Rechtssicherheit oder Beständigkeit einmal getroffener
Zuordnungsentscheidungen im Zuordnungsrecht sogar besonderes Gewicht (vgl. Urteil
vom 27. April 2006 – 3 C 23.05 –, ZOV 2006, 284). Auch die Nichtbeteiligung der
Beigeladenen am Verfahren vor Erlass des Bescheides vom 30. September 1996 führte
für sich allein nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Die Vorschrift des § 48
VwVfG dient nicht dazu, Verfahrensrechte Dritter zu sichern, sondern regelt die
Voraussetzungen, unter denen die Behörde einen bekannt gegebenen Verwaltungsakt
gegenüber dem Adressaten aufheben kann. Die Rechte eines nicht beteiligten Dritten
sind im Übrigen schon dadurch gewahrt, dass für ihn keine Rechtsbehelfsfristen zu
laufen beginnen, solange ihm der Bescheid nicht wirksam bekannt gegeben worden ist.
Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass sich das Rücknahmeermessen der
Behörde auf Null reduzieren kann, wenn ein Bescheid gegenüber einem Dritten noch
nicht bestandskräftig geworden ist und dieser hiergegen einen zulässigen und
begründeten Rechtsbehelf einlegt. In diesem Fall ist nämlich zu berücksichtigen, dass
der Dritte aufgrund des eingelegten Rechtsbehelfs einen ermessensunabhängigen
Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsaktes hat (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 8.
November 2001 - 4 C 18.00 -, NVwZ 2002, 730). Vorliegend handelt es sich aber schon
deshalb um eine andere Fallgestaltung, weil die Beigeladene gegen den Bescheid vom
30. September 1996 gerade keinen Rechtsbehelf - da im Zuordnungsrecht gem. § 2
Abs. 6 VZOG kein Widerspruchsverfahren stattfindet, kam insoweit nur eine
Klageerhebung in Betracht - eingelegt, sondern bei der Beklagten lediglich die
Aufhebung des Bescheides beantragt hat. Über diesen Antrag war nach allgemeinen
Grundsätzen - also insbesondere unter pflichtgemäßer Ausübung des eingeräumten
Ermessens - zu entscheiden. Dem von der Behörde zu beachtenden „öffentlichen
Interesse an der Beständigkeit auch fehlerhafter Zuordnungsentscheidungen“ (BVerwG,
Urteil vom 27. April 2006 – 3 C 23.05 –, a. a. O.) dürfte hier - ohne dass es darauf noch
entscheidungserheblich ankäme - sogar erhöhtes Gewicht zugekommen sein, da die
Zweijahresfrist des § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG abgelaufen war. Danach findet § 51 VwVfG
nur Anwendung, wenn die in dessen Absatz 1 Nr. 1 und 2 vorausgesetzten Umstände
nicht später als zwei Jahre nach Eintritt der Bestandskraft eingetreten sind. Nach der
Rechtsprechung des BVerwG (a. a. O.) habe der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift
verhindern wollen, dass sich Zuordnungsverfahren unendlich fortsetzen; diese Absicht
beanspruche über den engeren Anwendungsbereich des § 51 VwVfG Geltung und führe
dazu, dass auch das Rücknahmeermessen der Zuordnungsbehörde nach § 48 Abs. 1
Satz 1 VwVfG im Sinne einer Ermessensdirektive eingeschränkt werde. Da die
letztgenannte Vorschrift - wie dargelegt - das Verhältnis zwischen Behörde und
Adressaten betrifft, war für den Fristbeginn hier der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der
Bescheid vom 30. September 1996 der Klägerin gegenüber bestandskräftig wurde. Bei
mehreren Beteiligten tritt die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes jedem einzelnen
gegenüber gesondert ein und nicht erst mit dem Zeitpunkt, in dem er auch für den
letzten Beteiligten unanfechtbar wird (vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG-Kommentar, 10.
Auflage, § 43, Rn. 33). Schließlich spricht gegen eine Ermessensreduzierung auf Null,
dass vorliegend - selbst wenn man einen Zuordnungsanspruch der Klägerin hinsichtlich
der Gesamtfläche der streitigen Flurstücke verneint - möglicherweise auch eine bloße
Teilrücknahme in Betracht gekommen wäre (vgl. Schriftsätze der Beklagten vom 6.
Oktober 2004 und 24. März 2005). Deren Umfang hätte durch eine weitere
Sachverhaltsaufklärung bestimmt werden müssen, die die Beklagte vor Erlass des
angegriffenen Bescheides aber unterlassen hat.
Dahinstehen kann, ob der vom BVerwG hervorgehobene Gesichtspunkt der
Beständigkeit von Zuordnungsbescheiden dann gänzlich an Bedeutung verlieren kann,
wenn es für die Zuordnungsbehörde und/ oder die anderen Verfahrensbeteiligten auf der
Hand liegen musste, dass ein Zuordnungsbescheid unter Nichtbeteiligung eines in
Betracht kommender Prätendenten ergangen ist. Denn Anhaltspunkte dafür, dass dies
hier der Fall gewesen sein könnte, sind weder vorgetragen worden noch sonst erkennbar.
Die Beigeladene hat erstmalig mit Schreiben vom 25. Juni 2001 eine
fischereiwirtschaftliche Nutzung geltend gemacht, zuvor stand ein möglicher Anspruch
nach § 3 der 3. DVO zum TreuhG ersichtlich nicht im Raum.
Da somit die Rücknahme des Zuordnungsbescheides vom 30. September 1996
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Da somit die Rücknahme des Zuordnungsbescheides vom 30. September 1996
aufzuheben ist, stellt sich auch die im angegriffenen Bescheid erfolgte (nochmalige)
Zuordnung der streitigen Flurstücke an die Beigeladene als rechtswidrig dar. Insoweit ist
der Bescheid ebenfalls nach §113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 Nr. 11, 711
Zivilprozessordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen der § 135, 132 Abs. 2 VwGO i.
V. m. § 6 Abs. 1 Satz 2 VZOG nicht vorliegen.
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