Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 30.05.2007
VG Frankfurt: aufenthaltserlaubnis, anerkennung, bundesamt, vollstreckbarkeit, quelle, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, rechtskraft, vollstreckung, flüchtling
1
2
Gericht:
VG Frankfurt 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 E 801/07.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 23 EGRL 83/2004, Art 24
EGRL 83/2004, § 26a AsylVfG
Aufenthaltstitel eines Minderjährigen bei subsidiärem
Abschiebungsschutz des Elternteils
Leitsatz
Aus Art. 23 Abs 1 und 2 i.V. mit Art. 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom
29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die
anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden
Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ergibt sich ein Rechtsanspruch von
Familienangehörigen einer Person, der ein subsidiärer Schutzstatus zuerkannt worden
ist, auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe in Höhe der festgesetzten Kosten
abwenden, wenn der Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der am 24.08.1988 geborene Kläger reiste den Angaben seiner Mutter, Frau ,
Klägerin des Verfahrens 7 E 2884/06.A (V), im November 2001 auf dem Luftweg in
die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 07.01.2002 einen Asylantrag.
Sowohl der Asylantrag der Mutter des Klägers als auch der Asylantrag des Klägers
wurden mit Bescheid vom 01.12.2003 abgelehnt. Zugleich wurde das Vorliegen
der Voraussetzungen des § 51 Abs. AuslG verneint. Hinsichtlich der Mutter des
Klägers wurde jedoch das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses im Sinne des
§ 53 Abs. 4 AuslG festgestellt. Hingegen wurden für den Kläger selbst keine
Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG festgestellt. Dieser Bescheid wurde
unanfechtbar.
Am 11.03.2005 stellten sowohl die Mutter des Klägers als auch der Kläger selbst
persönlich bei dem Bundesamt in Gießen einen Asylfolgeantrag verbunden mit
dem Antrag, das Verfahren zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach
nunmehr § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG wiederaufzugreifen. Beide Folge- bzw.
Wiederaufgreifensanträge wurden mit getrennten Bescheiden vom 11.07.2006
abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter unter dem
Aktenzeichen 7 E 2884/06.A (V) Klage erhoben. Das Verfahren des Klägers wurde
mit Beschluss vom 12.03.2007 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 7 E
801/07.A (V) fortgeführt. Zur Begründung geben die Kläger beider Verfahren im
Wesentlichen an, dass ihnen im Hinblick auf die Qualifikationsrichtlinie
Verfolgungsschutz zu gewähren sei.
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Mutter des Klägers in ihrem
Verfahren die Klage zurückgenommen.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen, soweit
sie auf Art. 16 a Abs. 1 GG und § 60 Abs. 1 AufenthG gerichtet war.
Der Kläger beantragt,
das beklagte Bundesamt zu verpflichten, unter entsprechender Aufhebung des
Bescheids vom 11.07.2006 dieses zu verpflichten, dem Kläger
Familienabschiebungsschutz nach § 26 Abs. 4 AsylVfG zu gewähren.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die des klägerische
Verfahren und das Verfahren seiner Mutter geführten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Verfahren ist einzustellen, soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen
hat.
Die im Übrigen aufrechterhaltene und auf Gewährung von Abschiebungsschutz
gemäß § 26 Abs. 4 AsylVfG gerichtete Klage ist nicht begründet. Ein Anspruch auf
Familienabschiebungsschutz gemäß dieser Vorschrift steht dem Kläger nicht zu,
da seine Mutter selbst nicht als Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG
anerkannt, sondern bei ihr lediglich das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses
im Sinne des § 53 Abs. 4 AuslG (jetzt § 60 Abs. 5 AufenthG) festgestellt worden ist.
Weder aus dem nationalen Recht noch aus der Qualifikationsrichtlinie ergibt sich
ein Rechtsanspruch auf Familienabschiebungsschutz, soweit ein anderes
Familienmitglied wie hier die Mutter des Klägers einen lediglich subsidiären
Abschiebungsschutz zugesprochen bekommen hat.
Die zuständige Ausländerbehörde wird jedoch zu beachten haben, dass der Kläger
aus Art. 23 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates
vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die
anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu
gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie - Amtsblatt Nr. L 304 vom
30.09.2004, S. 12) einen Anspruch darauf hat, eine Aufenthaltserlaubnis zur
Wahrung der familiären Gemeinschaft mit seiner Mutter zu erhalten. Nach Art. 23
Abs. 1 tragen die Mitgliedstaaten der Qualifikationsrichtlinie dafür Sorge, dass der
Familienverband aufrechterhalten werden kann. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift
tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person,
der ein subsidiärer Schutzstatus zuerkannt worden ist, was im Falle der Mutter des
Klägers der Fall ist, die aber selbst nicht die Voraussetzung für die Zuerkennung
eines entsprechenden Status erfüllen, gemäß den einzelstaatlichen Verfahrens
Anspruch auf die in den Art. 24 bis 34 der Qualifikationsrichtlinie genannten
Vergünstigungen haben, sofern dies mit der persönlichen Rechtstellung des
Familienangehörigen vereinbar ist (S. 1). Nach Art. 24 Abs. 2 der
Qualifikationsrichtlinie ist sobald wie möglich nach Zuerkennung des Schutzstatus
dementsprechend auch minderjährigen Familienangehörigen von Personen, denen
der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, ein Aufenthaltstitel
auszustellen, der mindestens ein Jahr gültig und verlängerbar sein muss, sofern
dem nicht zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung
entgegenstehen.
Allerdings können gemäß Art. 23 Abs. 2 S. 2 der Qualifikationsrichtlinie die
Mitgliedsstaaten die Bedingungen festlegen unter denen Familienangehörigen von
Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, diese
Vergünstigungen gewährt werden. Zwar schreibt die Qualifikationsrichtlinie nicht
zwingend vor, dass Familienangehörigen von Personen, denen der subsidiäre
Schutzstatus zuerkannt worden ist zwangsläufig dieselben Vergünstigungen
gewährt werden müssen wie der Person, die subsidiären Schutzstatus genießt
(Erwägungsgrund 29 Halbsatz 1). Jedoch müssen die dem Familienangehörigen
gewährten Vergünstigungen im Vergleich zu den Vergünstigungen, die die
Personen erhalten, denen der subsidiäre Schutzstatus zu erkannt worden ist,
14
15
16
17
Personen erhalten, denen der subsidiäre Schutzstatus zu erkannt worden ist,
angemessen sein (Erwägungsgrund 29; Halbsatz 2). Dies heißt im Ergebnis, dass
auch den Familienangehörigen ein Rechtsstatus einzuräumen ist, der dem der
subsidiär geschützten Person vergleichbaren. Die Regelung des § 29 Abs. 3
AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis u. a. dem minderjährigen Kind eines
Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt, nur
aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründe oder zur Wahrung politischer
Interessen der Bundesrepublik Deutschland erteilt werden darf (S. 1), wird Sinn
und Zweck der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 23 Abs. 2 S. 1 der
Qualifikationsrichtlinie die Gewährung eines Aufenthaltsrechts nicht gerecht, da die
Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis an zu strenge
Voraussetzungen geknüpft ist. Im Übrigen darf gemäß Art. 23 Abs. 2 S. 1 und S. 3
der Qualifikationsrichtlinie nicht davon abhängig gemacht werden, dass der
Lebensunterhalt des Familienangehörigen gesichert ist, denn aus Art. 28 der
Qualifikationsrichtlinie ergibt sich eindeutig, dass auch den Familienangehörigen
ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen eingeräumt ist, der allerdings gemäß Abs. 2
dieser Vorschrift auf Kernleistungen beschränkt werden kann.
Spätestens mit Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils würde auch die Sperrwirkung
des § 10 Abs. 3 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger
nicht mehr entgegenstehen, im Übrigen ist zu beachten, dass dem Kläger ein
Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitel aufgrund der
Qualifikationsrichtlinie zusteht, so dass gemäß § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG die S. 1
und 2 dieser Vorschrift ohnehin nicht zur Anwendung kämen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 155 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.