Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 22.04.2005

VG Frankfurt: sozialhilfe, arbeitsamt, aufenthaltswechsel, rechtshängigkeit, einverständnis, leistungsklage, verwaltungsakt, notlage, umzug, erfüllung

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Gericht:
VG Frankfurt 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 E 7357/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 107 BSHG
Kostenerstattung nach § 107 BSHG
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der Hauptforderung
vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin möchte von dem Beklagten Aufwendungen für von ihr an Frau E.
erbrachte Leistungen nach dem BSHG erstattet haben.
Frau E. verzog am 18.06.1998 von Schlüchtern nach Stuttgart. Am 06.07.1998
beantragte sie bei der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt, die ihr auch ab diesem
Zeitpunkt bewilligt wurde. In dem Antrag heißt es u.a.:" zuletzt beschäftigt als
Kellnerin in (...) Schlüchtern", "Ehemann: (...) Asylantragsteller (...)",
"Arbeitslosenmeldung 02.07.1998", "keine Ansprüche AlG/Alhi" und "Ansprüche
ans AA habe ich nicht (Ehefrau)".
Mit Schreiben vom 21.07.1998 teilte die Klägerin den Umzug und die Bewilligung
von Sozialhilfeleistungen dem Beklagten mit, beantragte, die Kosten nach § 107
BSHG zu erstatten und bat, die Kostenerstattungspflicht anzuerkennen. Frau E.
habe den bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des
Beklagten gehabt. Die Hilfegewährung sei innerhalb eines Monats nach dem
Aufenthaltswechsel notwendig geworden.
Mit Schreiben vom 02.03.1999 teilte der Beklagte der Klägerin mit, er gebe dem
Kostenerstattungsbegehren insoweit statt, als die Leistungen dem BSHG
entsprächen. Die Verpflichtung des Beklagen beginne mit dem 06.07.1998 und
ende spätestens nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Aufenthaltswechsel, somit
zum 17.06.2000.
Mit Schreiben vom 19.07.2001 an den Beklagten machte die Klägerin einen
Ersatzanspruch i.H.v. DM 13.800,19 für den Zeitraum 06.07.1998 bis 30.11.1999
geltend. Aus den dem Schreiben beigefügten Unterlagen ergibt sich, dass die von
der Klägerin an Frau E. erbrachten Leistungen für die Monate Juli und August 1998
vom Arbeitsamt erstattet worden sind. Für September ist danach eine teilweise
Erstattung durch das Arbeitsamt erfolgt.
Daraufhin lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 10.08.2001 die Erstattung des
geforderten Betrags ab. Eine Verpflichtung zur Erstattung entfalle, wenn für einen
zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten keine Hilfe zu gewähren
gewesen sei. Es seien keine Sozialhilfeaufwendungen für den Zeitraum 06.07.1998
bis 31.08.1998 entstanden.
In der Folgezeit erinnerte die Klägerin mehrfach an die Erfüllung des
Erstattungsanspruchs. Die Hilfegewährung werde durch die nachträgliche
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Erstattungsanspruchs. Die Hilfegewährung werde durch die nachträgliche
Erstattung eines anderen Sozialleistungsträgers nicht unterbrochen. Der Beklagte
lehnte eine Zahlung des geforderten Betrags unter Bezugnahme auf sein
Schreiben vom 10.08.2001 ab. Es komme nicht darauf an, ob die Hilfe gewährt
worden sei oder nicht, sondern lediglich darauf, ob k e i n e Hilfe zu gewähren
gewesen sei. Hilfebedürftigkeit nach dem BSHG habe im fraglichen Zeitraum nicht
vorgelegen. Der Zwei-Monatszeitraum beginne mit dem Zuzug am 18.06.1998
und ende am 17.08.1998.
Die Klägerin teilte dem Beklagten darauf mit Schreiben vom 16.04.2003 mit,
selbst wenn man der Rechtsmeinung des Beklagten folge, bestehe ein
Erstattungsanspruch. Denn die Zwei-Monatsfrist beginne erst ab dem 06.07.1998
zu laufen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Hilfebedarf entstanden. Ab dem
01.09.1998 habe die Klägerin jedoch keine Erstattung ihrer Aufwendungen mehr
durch das Arbeitsamt erhalten. Sollte daher bis 20.05.2003 kein Zahlungseingang
zu verzeichnen sein, sehe sich die Klägerin gezwungen, Klage zu erheben. Der
Beklagte bat um Einräumung einer Frist zur nochmaligen Prüfung bis zum
25.08.2003. Eine Zahlung erfolgte nicht.
Am 16.12.2003 wurde die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründung wird vorgetragen, es würden nur noch Forderungen für das Jahr
1999 geltend gemacht, da die Erstattungsansprüche für im Jahr 1998 erbrachte
Leistungen verjährt seien.
Die Formulierung in § 107 Abs. 2 S. 2 BSHG, wonach die Verpflichtung zur
Erstattung entfällt, "wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei
Monaten keine Hilfe zu gewähren war", sei so zu verstehen, dass nachträgliche
Erstattungen anderer Sozialleistungsträger unschädlich seien. Die
Hilfebedürftigkeit werde dadurch nicht rückwirkend beseitigt, auch wenn bei
rechtzeitiger Leistung Dritter Sozialhilfeleistungen nicht erforderlich gewesen
wären. Die Hilfe zum Lebensunterhalt werde dadurch nicht zu einer dem Gesetz
nicht entsprechenden Leistung. Zumindest aber habe der Beklagte die Zwei-
Monatsfrist nicht richtig berechnet. Ab dem 01.09.1998 habe wieder ein
ungedeckter Sozialhilfeaufwand vorgelegen.
Für den Zeitraum 01.01.1999 bis 30.11.1999 ergäbe sich ein Erstattungsanspruch
i.H.v. DM 8.176,65 (Euro 4.180,66). Hierzu wird eine Aufstellung vorgelegt. Ferner
stünden der Klägerin Prozesszinsen in entsprechender Anwendung der §§ 288 Abs.
1 S. 2, 291 BGB zu.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, Sozialhilfeaufwendungen für den Zeitraum vom
01.01.1999 bis 30.11.1999 i.H.v. DM 8.176,65 (Euro 4.180,66) zuzüglich Zinsen
i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch nach § 107 Abs. 1 BSHG sei
Hilfebedürftigkeit innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel. Frau E.
habe in der hier maßgeblichen Zeit vom 18.06.1998 bis 18.07.1998 objektiv nicht
der Sozialhilfe bedurft, da sie einen Anspruch auf Leistungen des Arbeitsamtes für
die Monate Juli und August gehabt habe. Die Zwei-Monatsfrist nach § 107 Abs. 2
BSHG habe am 18.08.1998 geendet. Auch in diesem Zeitraum sei die Hilfe
objektiv nicht erforderlich gewesen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte sowie die bei gezogene Akte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer entscheidet über die Klage ohne mündliche Verhandlung, da die
Beteiligten hierzu übereinstimmend ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2
VwGO).
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Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig. Der Erstattungsanspruch
eines Sozialleistungsträgers gegen einen anderen Sozialleistungsträger wird nicht
durch Verwaltungsakt, sondern durch einfache Erklärung gegenüber dem
Erstattungspflichtigen geltend gemacht. Beide Träger stehen sich gleich geordnet
und nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüber. Über das
Erstattungsbegehren der Klägerin hat der Beklagte dementsprechend auch nicht
durch Verwaltungsakt entschieden. Die Kammer hat daher den Antrag der Klägerin
so ausgelegt, dass diese die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von DM
8.176,65 (Euro 4.180,66) nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit begehrt.
Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Leistungsklage ist gegeben, denn die Klägerin
hat den Beklagten mehrmals vergeblich zur Zahlung aufgefordert. Die hier geltend
gemachten Aufwendungen wurden auch nicht durch andere Leistungen - etwa des
Arbeitsamtes - ausgeglichen.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Denn die Klägerin hat gegenüber dem
Beklagten keinen Erstattungsanspruch für an Frau E. im Zeitraum 01.01.1999 bis
30.11.1999 erbrachte Leistungen.
Zwar hat der Beklagte der Klägerin unter dem 02.03.1999 mitgeteilt, er gebe dem
Kostenerstattungsbegehren insoweit statt, als die Leistungen dem BSHG
entsprächen. Dass dies so ist, hat die Klägerin jedoch nicht dargetan.
Nach § 107 Abs. 1 BSHG ist der Träger der Sozialhilfe des bisherigen
Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der
Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen zu
erstatten, wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts
verzieht und innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe
bedarf. Nach Abs. 2 S. 1 der Vorschrift entfällt die Verpflichtung nach Abs. 1, wenn
für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten keine Hilfe zu
gewähren war.
Frau E. ist am 18.06.1998 in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin verzogen. Sie
hat am 06.07.1998 dort Hilfe zum Lebensunterhalt beantragt und ab diesem
Zeitpunkt auch erhalten. Später stellte sich dann heraus, dass Frau E. für die
Monate Juli und August 1998 Leistungsansprüche gegen das Arbeitsamt hatte, die
ihren Lebensunterhalt gedeckt hätten. Dementsprechend hat das Arbeitsamt der
Klägerin die erbrachten Leistungen für Juli und August voll erstattet.
Wie sich aus Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck des § 107 BSHG,
unberechtigte Kostenverschiebungen zwischen Trägern der Sozialhilfe zu
vermeiden, ergibt, ist "Hilfebedarf" nach Abs. 1 dieser Vorschrift ein
sozialhilferechtlicher Bedarf. Ein Hilfebedarf in diesem Sinne setzt die objektiv
bestehende Notlage einer Person voraus (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18.03.2003
- 12 A 11749/02 -, ZFSH/SGB 2003, 286). Liegt also innerhalb eines Monats nach
dem Aufenthaltswechsel des Hilfeempfängers objektiv dessen Hilfebedarf vor,
greift § 107 Abs. 1 BSHG ein und begründet eine Kostenerstattungspflicht des
zuvor zuständig gewesenen Sozialhilfeträgers.
Nach § 11 Abs. 1 S. 1 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der
seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen
Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen
kann. Nach § 2 Abs. 1 BSHG erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann
oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, insbesondere von Angehörigen oder
von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Es besteht also der Grundsatz des
Nachrangs der Sozialhilfe.
Das bedeutet angesichts der Aufgabe der Sozialhilfe, ein menschenwürdiges
Leben auch da zu ermöglichen, wo andere soziale Sicherungssysteme nicht
greifen, allerdings, dass der Hilfesuchende nur auf Leistungen anderer Träger
verwiesen werden darf, die "bereit stehen", wobei es allerdings genügt, dass
Forderungen, die rechtzeitig durchsetzbar sind, zur Behebung einer gegenwärtigen
Notlage ausreichen (VG Magdeburg, Entsch. v. 22.06.2001 - 6 A 493/99 MD -,
ZFSH/SGB 2001, 594 (595)).
Hieraus folgt, dass ein Anspruch auf Sozialhilfe nicht besteht, soweit der
Hilfesuchende die Verfolgung an sich realisierbarer Ansprüche ablehnt, obwohl ihm
ein solches Verhalten zumutbar ist (VG Magdeburg a.a.O.). Der angegangene
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ein solches Verhalten zumutbar ist (VG Magdeburg a.a.O.). Der angegangene
Sozialhilfeträger hat jedenfalls dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für Ansprüche
des Hilfesuchenden an einen anderen Leistungsträger bestehen, die auch
rechtzeitig realisierbar sind, darauf hinzuwirken, dass diese Ansprüche geklärt und
ggf. geltend gemacht werden, ehe er selbst leistet. Andernfalls kann nicht von
einem sozialhilferechtlichen Bedarf ausgegangen werden.
Im vorliegenden Fall hat Frau E. in ihrem Antrag auf Bewilligung von Hilfe zum
Lebensunterhalt angegeben, dass sie zuletzt als Kellnerin beschäftigt gewesen sei
und sich am 02.07.1998 arbeitslos gemeldet habe. Ein Anhaltspunkt dafür, dass
ihr Leistungen des Arbeitsamtes zustehen könnten, war somit gegeben. Zwar
heißt es im Antrag auf Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt dann weiter, sei
habe keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe und schließlich:
"Ansprüche ans Arbeitsamt habe ich nicht...". Die Klägerin durfte diese Angaben
aber nicht ungeprüft zugrunde legen.
Dass die Klägerin weiter ermittelt bzw. Frau E. zur Verfolgung ihrer Ansprüche
gegenüber dem Arbeitsamt angehalten hätte, ohne dass mit einer zeitnahen
Realisierung der Ansprüche hätte gerechnet werden können, wurde nicht
vorgetragen und es ist auch nicht ersichtlich. Das Vorliegen der Voraussetzungen
eines Kostenerstattungsanspruchs - in diesem Fall das Eintreten eines objektiven
Hilfebedarfs innerhalb eines Monats nach Zuzug des Hilfesuchenden - muss aber
der erstattungsberechtigte Träger darlegen und beweisen. Dies gilt übrigens auch
für den Zeitraum vom 18.06. bis zum 05.07.1998. Daran fehlt es hier jedoch.
Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen
des § 107 Abs. 1 BSHG vorliegen, mithin ein Erstattungsanspruch der Klägerin
gegen den Beklagten überhaupt entstanden ist. Es kommt daher nicht mehr
darauf an, ob eine solche Verpflichtung nach Abs. 2 S. 1 der Vorschrift wieder
entfallen wäre.
Mangels Bestehens eines Erstattungsanspruchs entfällt auch der geltend
gemachte Zinsanspruch.
Die Klage ist daher mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge
abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus
den §§ 167 Abs. 1 VwGO i.V.m.709 S. 1 und 2 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.