Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 16.07.2007
VG Frankfurt: beförderung, verfahrensmangel, erlass, ernennung, qualifikation, amt, verfügung, einweisung, zugang, behandlung
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Gericht:
VG Frankfurt 9.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 G 970/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 8 Abs 1 BG HE, § 10 Abs 1
GleichstG HE, § 123 VwGO, Art
33 Abs 2 GG, § 18 BBesG
Auswahlentscheidung im beamtenrechtlichen
Beförderungsverfahren
Tenor
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum Ablauf von
zwei Wochen nach der Bekanntgabe einer neuen Auswahlentscheidung untersagt,
dem Beigeladenen das Amt eines Justizvollstreckungshauptsekretärs,
Besoldungsgruppe A 8 BBO, zu übertragen und ihn in eine entsprechende
Planstelle einzuweisen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.788,50 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des Anspruchs
des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Übertragung
der Stelle eines Justizvollstreckungshauptsekretärs, Besoldungsgruppe A 8 BBO,
im Rahmen des vom Antragsgegner betriebenen Beförderungsverfahrens ist
gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässig und begründet. Der Antragsteller hat einen
Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs.
3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Anordnungsgrund ergibt sich ohne weiteres daraus, dass ohne den Erlass der
beantragten einstweiligen Anordnung eine Beeinträchtigung des sogenannten
Bewerbungsverfahrensanspruchs des Antragstellers droht. Eine Ernennung des
Beigeladenen unter Einweisung in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 8 BBO,
wie vom Antragsgegner beabsichtigt, könnte nach dem Grundsatz der
Ämterstabilität nicht mehr rückgängig gemacht werden, so dass die streitige
Planstelle nach der Ernennung des Beigeladenen für den Antragsteller endgültig
nicht mehr zur Verfügung stünde.
Der Antragsteller kann sich auch auf einen Anordnungsanspruch berufen. Der
Antragsgegner hat ihn durch das Auswahlverfahren und die darauf beruhende
Entscheidung zugunsten des Beigeladenen in seinem von Art. 33 Abs. 2 GG, Art.
134 HV, § 8 Abs. 1 Satz 1 HBG, § 10 Abs. 1 Satz 1 HGlG gewährleisteten Recht auf
chancengleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung,
Befähigung und fachlicher Leistung verletzt. Das Auswahlverfahren ist fehlerhaft
durchgeführt worden; es kann auch nicht festgestellt werden, dass der
Antragsteller auch bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Auswahlverfahrens
aller Voraussicht nach chancenlos gewesen wäre.
Ein - für die Entscheidung bereits für sich genommen erheblicher - Fehler des
Auswahlverfahrens ist in dem Umstand zu sehen, dass der beabsichtigten
Vergabe der streitigen Beförderungsplanstelle keine strukturierte
Dienstpostenbewertung (§§ 18, 25 BBesG) zugrunde liegt. Unterbleibt jedoch vor
der Zuordnung freier höherwertiger Planstellen zu bestimmten Dienstposten im
Rahmen eines Beförderungsauswahlverfahrens eine strukturierte
Dienstpostenbewertung, so stellt dies einen Verfahrensmangel dar. Dieser Mangel
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Dienstpostenbewertung, so stellt dies einen Verfahrensmangel dar. Dieser Mangel
führt nur dann ausnahmsweise nicht zugleich zu einer Verletzung der für eine
Beförderung in Betracht kommenden Beamten in ihrem subjektiven Recht auf faire
und chancengleiche Behandlung, wenn der Dienstherr entweder im
Verwaltungsverfahren oder nachträglich im gerichtlichen Verfahren die
erforderlichen Erwägungen zur Dienstpostenbewertung darlegt oder die fehlerhafte
Einleitung des Beförderungsverfahrens im Ergebnis für die Entscheidung in der
Sache unerheblich ist (Hess. VGH, Beschluss vom 18.01.2000 - DÖD 2000, 134).
Diese Ausnahmetatbestände sind hier nicht erfüllt.
Aus dem Auswahlvorgang ergibt sich, dass der Beigeladene auf dem Dienstposten
befördert werden soll, den er derzeit innehat. Zugleich geht aus dem
Auswahlvorgang nicht hervor, aus welchen Gründen dieser Dienstposten im
Hinblick auf die auf ihm wahrzunehmenden Aufgaben entgegen der seitherigen
Bewertung nunmehr der Besoldungsgruppe A 8 BBO zuzuordnen sein soll. Ebenso
wenig hat der Antragsgegner auch nur im Ansatz Erwägungen dahingehend
angestellt, dass der vom Antragsteller innegehaltene Dienstposten eine
entsprechende Bewertung nicht rechtfertige. Eine Dienstpostenbewertung durch
den Dienstherrn, die den Anforderungen der §§ 18, 25 BBesG genügt, ist im
Verwaltungsvorgang nicht dokumentiert und vom Antragsgegner auch in diesem
Verfahren nicht vorgetragen worden.
Der Antragsgegner hat zwar in dem offenkundig als Auswahlvermerk
anzusehenden Vermerk 2010 E - II/2 - 2838/06 vom 2./7. Februar 2007, Seite 6,
ausgeführt, eine vergleichende Gegenüberstellung der im Justizvollziehungsdienst
wahrgenommenen Dienstposten ergebe, dass eine unterschiedliche Wertigkeit
nicht gegeben sei. Die Beamtinnen und Beamten hätten im
Justizvollziehungsdienst folglich identische Aufgabenstellungen auf gleichwertigen
Dienstposten zu erfüllen. Diese Erwägungen können indes nicht an die Stelle einer
sachgerechten, strukturierten Dienstpostenbewertung treten, die erst eine
tragfähige Grundlage für eine fehlerfreie Auswahlentscheidung bilden könnte. Dies
ergibt sich bereits daraus, dass eine detaillierte Beschreibung und Bewertung der
auf den Dienstposten jeweils wahrzunehmenden Aufgaben fehlt, die erst die
Grundlage für die Zuordnung dieser Dienstposten zu bestimmten
Besoldungsgruppen - auch in Abgrenzung zu anderen Dienstposten - bilden
könnte. Folglich bleibt schon aus diesem Grund nicht einmal im Ansatz erkennbar,
aus welchen Gründen gerade der Dienstposten des Beigeladenen eine Zuordnung
zur Besoldungsgruppe A 8 BBO rechtfertigen soll. Bereits hieraus wird ersichtlich,
dass die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen ausschließlich im
Hinblick auf dessen Person getroffen worden ist, was bereits im Ansatz als
rechtsfehlerhaft anzusehen ist. Auch im Rahmen des Auswahlverfahrens wie auch
dieses Verfahrens fehlt es an einer sachgerechten, umfassenden und
transparenten Abwägung der von dem Antragsteller und dem Beigeladenen jeweils
wahrgenommenen Funktionen im Hinblick auf ihre Zuordnung zu
Besoldungsgruppen. Vielmehr hat der Antragsgegner ausdrücklich festgestellt,
dass alle Beamtinnen und Beamten im Justizvollziehungsdienst identische
Aufgabenstellungen auf gleichwertigen Dienstposten zu erfüllen hätten, was einer
Höherbewertung allein des Dienstpostens des Beigeladenen im Hinblick auf §§ 18,
25 BBesG von vornherein entgegensteht.
Die erwähnte, umfassende Abwägung der von den betroffenen Beamten
wahrgenommenen Funktionen wäre aber auch erforderlich gewesen, um die in den
dienstlichen Beurteilungen getroffenen maßgeblichen Aussagen zum fachlichen
Können einer vergleichenden Bewertung in Bezug auf die spezifischen
Anforderungen der von ihnen wahrgenommenen Funktionen zu unterziehen. So
wird zwar in dem genannten Auswahlvermerk ein Leistungsvergleich unter den für
eine Beförderung in Betracht kommenden Beamtinnen und Beamten
vorgenommen, dies vor allem im Hinblick auf das Beurteilungsmerkmal
„fachliches Können“. Eine umfassende, transparente und nachvollziehbare
vergleichende Auseinandersetzung mit den Anforderungen der einzelnen
Dienstposten, die die Beamtinnen und Beamten inne haben, die das Fehlen einer
strukturierten Dienstpostenbewertung bei der Vergabe der streitigen Planstelle
ausnahmsweise kompensieren könnte, fehlt jedoch auch insoweit.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass das Fehlen einer strukturierten
Dienstpostenbewertung im Ergebnis für die Entscheidung in der Sache nicht
erheblich ist. Auf der Grundlage des Eignungs- und Leistungsvergleichs im
Auswahlbericht und der vom Antragsteller gezeigten Leistungen im Vergleich zu
denjenigen des Beigeladenen kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass
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denjenigen des Beigeladenen kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass
sich womöglich die ungenügenden Erwägungen zur Zuordnung der von den
Beamten im Einzelnen wahrgenommenen Funktionen nachteilig, nämlich
chancenverzerrend für den Antragsteller ausgewirkt haben könnten.
Unabhängig von dem Umstand, dass sich die beabsichtigte Beförderung des
Beigeladenen bereits im Hinblick auf das Fehlen einer strukturierten
Dienstpostenbewertung als rechtswidrig erweist, leidet das Auswahlverfahren
jedoch noch an weiteren rechtlichen Mängeln, die ebenfalls dazu führen, dass der
Antrag Erfolg hat.
So hat der Antragsgegner kein für die Auswahlentscheidung maßgebendes
stellenspezifische Anforderungsprofil vor der Einleitung des
Beförderungsverfahrens und unter Beteiligung der Personalvertretung entwickelt.
Es ist nicht zu erkennen, dass ein stellenspezifisches Anforderungsprofil entwickelt
und der Entscheidung zugrunde gelegt worden ist. Der Antragsgegner stellt zwar in
dem bereits genannten Vermerk vom 2./7. April 2007, Seite 7, fest, dass bei der
Besetzungsentscheidung dem fachlichen Können besondere Bedeutung
zukomme, da dies das wesentlichste Merkmal für die Bewertung der Eignung,
Befähigung und fachlichen Leistung sei. Damit wird er aber den Anforderungen an
die Entwicklung eines stellenspezifischen Anforderungsprofils, welches der
Auswahlentscheidung maßgebend zugrunde zu legen ist, nicht gerecht. Zum
einen ist hierin schon kein Anforderungsprofil zu sehen, da es an weiteren
Merkmalen fehlt, deren Erfüllung für die Wahrnehmung der auf dem zu
übertragenden Dienstposten zu erfüllenden Aufgaben wesentlich ist. Es ist auch
nicht ersichtlich, warum für die Auswahlentscheidung nur das fachliche Können als
ausschlaggebend angesehen wird und der Verzicht auf die Feststellung der
Qualifikation im Hinblick auf weitere Anforderungsmerkmale als vertretbar
erscheinen kann. Vielmehr entsteht der Eindruck, der Antragsgegner habe in
Ermangelung eines stellenspezifischen Anforderungsprofils gleichsam zufällig
dieses Kriterium zum für die Beförderungsentscheidung maßgeblichen bestimmt,
dies allerdings ohne Beteiligung der Frauenbeauftragten und der
Personalvertretung. Zum anderen hat der Antragsgegner entsprechende
Erwägungen nicht bereits - wie geboten - vor der Einleitung des Auswahlverfahrens
und unter Beteiligung der Personalvertretung wie auch der Frauenbeauftragten
angestellt, sondern erst in Kenntnis des Kreises derjenigen Beamtinnen und
Beamten, die für eine Beförderung in Betracht kommen. Dies ist grundsätzlich
unzulässig, damit eine lediglich an Persönlichkeitsprofilen orientierte, andere
Bewerber von vornherein ausschließende oder zumindest benachteiligende
Auswahlentscheidung vermieden wird.
Im Übrigen hat sich im Rahmen dieses Verfahrens herausgestellt, dass die
Erwägungen, aufgrund derer der Antragsgegner im Auswahlvermerk dem
Beigeladenen einen Leistungs- und Eignungsvorsprung gegenüber den übrigen
Bewerbern, insbesondere dem Antragsteller, attestiert hat, nicht zutreffen. Der
Antragsgegner hat in seinem Schriftsatz vom 4. Juni 2007 vielmehr ausdrücklich
erklärt, dass ein maßgeblicher „Vorsprung“ des Beigeladenen nicht mehr
festzustellen sei, sich vielmehr ein Vorsprung des Antragstellers für einen geringen
Zeitraum ergebe. Auf einen angeblichen Leistungs- und Eignungsvorsprung des
Beigeladenen war jedoch die Auswahlentscheidung zu seinen Gunsten ausweislich
der Erwägungen im Vermerk vom 2./7. April 2007 maßgebend gestützt worden.
Der Zustimmung sowohl der Frauenbeauftragten wie auch des Personalrats bei
dem Amtsgericht Kassel lagen ausschließlich diese Erwägungen zugrunde. Soweit
der Antragsgegner seine Auswahlentscheidung - an der er ungeachtet dessen
festhält, was für die Kammer bereits für sich genommen nicht nachzuvollziehen ist
- nunmehr auf andere Erwägungen stützt, fehlt es mithin an der gebotenen
Beteiligung der Frauenbeauftragen und des Personalrats, sodass sich die
Auswahlentscheidung auch im Hinblick auf diesen Verfahrensmangel als
rechtswidrig erweist. Es kommt mithin bereits aus diesem Grund nicht mehr
entscheidungserheblich darauf an, dass nach Auffassung der Kammer die im
Schriftsatz vom 4. Juni 2007 angestellten Erwägungen nicht geeignet sind, im
Hinblick auf die nunmehr vorgenommene Leistungs- und Eignungsbeurteilung des
Antragstellers wie des Beigeladenen eine Auswahlentscheidung zugunsten des
Beigeladenen zu rechtfertigen.
Für die Entscheidung kommt es nach alledem nicht mehr auf die Frage an, ob der
Auswahlvermerk wie auch die Erwägungen im Schriftsatz vom 4. Juni 2007 so zu
verstehen sind, dass der Antragsgegner den dem Beigeladenen attestierten
Vorsprung ausschließlich auf dessen höheres Dienst- und Lebensalter stützt, ohne
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Vorsprung ausschließlich auf dessen höheres Dienst- und Lebensalter stützt, ohne
die notwendigen Feststellungen zu dessen Auswirkungen auf die Beurteilung seiner
Qualifikation (wie nach § 10 Abs. 2 HGlG geboten) getroffen zu haben. Unter dieser
Voraussetzung könnte die Auswahlentscheidung auch insoweit als rechtsfehlerhaft
angesehen werden.
Da der Antragsgegner unterliegt, hat er die Kosten des Verfahrens zu tragen (§
154 Abs. 1 VwGO).
Zu einer Billigkeitsentscheidung über die Erstattung der dem Beigeladenen etwa
entstandenen außergerichtlichen Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO besteht kein
Anlass, da er keinen Sachantrag gestellt und folglich auch kein eigenes
Kostenrisiko übernommen hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 5 Satz 5
Nr. 2 GKG. Der 6,5-fache Betrag des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 8
ist im Hinblick auf die Vorläufigkeit der Entscheidung im Eilverfahren auf 3/8 zu
verringern.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.