Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 20.01.1998
VG Frankfurt: drittstaat, ausländer, tschechische republik, politische verfolgung, historische auslegung, verfassungskonforme auslegung, gesetzliche vermutung, anerkennung, aufenthaltserlaubnis
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Gericht:
VG Frankfurt 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 E 30948/97.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 26 AsylVfG 1992
Leitsatz
Dem Anspruch auf Familienasyl nach § 26 AsylVfG steht nicht entgegen, daß der
minderjährige Familienangehörige eines in Deutschland Asylberechtigten über einen
sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik eingereist ist (abweichend von BVerwG v.
6.5.1997 - 9 C 56.96 -, InfAuslR 1997, 422)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Die außergerichtlichen Kosten
des Beigeladenen sind erstattungsfähig.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten
abwenden, wenn der Beigeladene nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Beigeladene, geboren am 20.5.1982, ist jugoslawischer Staatsbürger
albanischer Volkszugehörigkeit und Sohn des ..., der mit Bescheid der Beklagten v.
19.4.1995 bestandskräftig als Asylberechtigter anerkannt worden ist. Der
Beigeladene reiste am 24.4.1997 über Tschechien in die Bundesrepublik ein und
wurde seinem Vater von den deutschen Grenzbehörden am 29.4.1997 übergeben.
Er stellte am 26.5.1997 einen Asylantrag, auf den hin die Beklagte ihn auf der
Grundlage des § 26 AsylVfG (Familienasyl) mit Bescheid v. 13.6.1997 als
Asylberechtigten anerkannte. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am
30.6.1997 Klage.
Der Kläger ist der Auffassung, daß der Beigeladene keinen Anspruch auf
Anerkennung als Asylberechtigter nach § 26 AsylVfG hat, weil er über einen
sicheren Drittstaat eingereist sei. Der angefochtene Bescheid sei daher
rechtswidrig.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten v. 13.6.1997 (...) aufzuheben.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.
Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beigeladene verteidigt den angefochtenen Bescheid.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 101
Abs. 2 VwGO) einverstanden erklärt.
Das Gericht hat eine Gerichtsakte und eine Behördenakte beigezogen.
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Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist
rechtmäßig. Der Beigeladene hat einen Anspruch auf Familienasyl nach § 26
AsylVfG.
Nach § 26 Abs. 2 i. V. m Absatz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG werden die zum Zeitpunkt
ihrer Asylantragstellung minderjährigen ledigen Kinder eines Asylberechtigten als
Asylberechtigte anerkannt, wenn sie den Asylantrag vor oder gleichzeitig mit dem
Asylberechtigten oder unverzüglich nach ihrer Einreise gestellt haben und die
Anerkennung des Asylberechtigten nicht widerrufen oder zurückgenommen
worden ist.
Dieser Tatbestand ist unstreitig erfüllt. Insbesondere ist der Asylantrag des
Beigeladenen unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern gestellt worden. Die
Antragstellung erfolgte 27 Tage nachdem der Beigeladene seinem
sorgeberechtigten Vater übergeben worden war. Dieser Zeitraum läßt ein
schuldhaftes Zögern nicht erkennen, zumal der Vater des Beigeladenen
ausweislich der bei den Behördenakten befindlichen Prozeßvollmacht den
Klägerbevollmächtigten bereits am 30.4.1997 mit der Asylantragstellung
beauftragte. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in einem allerdings etwas
anders gelagerten Fall (Asylantrag eines in Deutschland geborenen Kindes eines
Asylberechtigten vor dessen Anerkennung) eine Frist von nur zwei Wochen in der
Regel für angemessen und ausreichend gehalten (BVerwG, Urt. v. 13.5.1997 – 9 C
35/96 –, NVwZ 1997, 1137). Indessen hat die Beklagte in dem angefochtenen
Bescheid ausdrücklich festgestellt, daß der Antrag rechtzeitig gestellt worden sei.
Da nach dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Frage der
Unverzüglichkeit letztlich im Hinblick auf die Erfordernisse eines rationellen
behördlichen Verfahrensablaufs zu beantworten ist, kann die rechtzeitige
Antragstellung von einem Gericht nicht mehr in Frage gestellt werden, wenn die
Behörde selbst daran keine Zweifel hat. Auch der Kläger hat die Rechtzeitigkeit der
Antragstellung nicht in Frage gestellt.
Dem Anspruch steht nicht entgegen, daß der Beigeladene über einen sicheren
Drittstaat im Sinne des § 26 a Abs. 2 AsylVfG eingereist ist. Nach § 26 a Abs. 1
AsylVfG kann sich ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist,
nicht auf Art. 16 a GG berufen (Satz 1). Er wird nicht als Asylberechtigter
anerkannt (Satz 2). Entgegen Satz 1 kann er sich allerdings dann auf Art 16 a GG
berufen, wenn einer der Ausnahmetatbestände des Satzes 3 erfüllt sind. Letzteres
ist im Falle des Beigeladenen zwar nicht der Fall. Insbesondere gibt es kein
Abkommen mit der tschechischen Republik über die Zuständigkeit für die
Durchführung des Asylverfahrens (§ 26 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG). Der Kläger
beruft sich aber auch nicht auf Art. 16 a GG. Er leitet seinen Anspruch aus
Asylanerkennung ausschließlich aus § 26 AsylVfG ab.
Bei dieser Anspruchsnorm handelt es sich um eine von Art. 16 a GG unabhängige
eigenständige Anspruchsgrundlage. § 26 AsylVfG begründet einen subjektiven
Rechtsanspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, wobei es nicht darauf
ankommt, ob der Ausländer in seinem Herkunftsland auch persönlich politisch
verfolgt worden ist und sich deshalb auf das Grundrecht aus Art. 16 a Abs. 1 GG
berufen kann.
Die Rechtsauffassung des Klägers findet somit im Gesetz keinen Halt. Allerdings
hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil v. 6.5.1997 (– 9 C 56.96 –, InfAuslR
1997, 422) die Rechtsauffassung des Klägers bestätigt. Da es Aufgabe der
obersten Bundesgerichte ist, die Rechtseinheit zu wahren und weil das Postulat der
Rechtseinheit unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit und der Rechtssicherheit
einer Grundforderung des Rechtsstaatsprinzips entspricht, sieht sich die
erkennende Kammer grundsätzlich an höchstrichterliche Grundsatzurteile auch
dann gebunden, wenn diese nicht schon auf Grund des Prozeßrechts unmittelbare
Bindungswirkung entfalten (vgl. §§ 130 Abs. 2, 144 Abs. 6 VwGO) und die Kammer
von sich aus eine andere Auslegung des Gesetzes präferiert hätte. Eine derartige
Bindung unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Gleichheit kommt
jedoch dann nicht in Betracht, wenn die Kammer damit andere gleichrangige
Rechtswerte verletzen müßte, nämlich insbesondere den Grundsatz der Bindung
an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG). Einer höchstrichterlichen Rechtsauslegung
kann deshalb nur gefolgt werden, wenn sie zumindest vertretbar erscheint und
wenn das erkennende Gericht nicht über Gesichtspunkte verfügt, welche eine
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wenn das erkennende Gericht nicht über Gesichtspunkte verfügt, welche eine
andere Auslegung des Gesetzes rechtfertigen können und von der
höchstrichterlichen Entscheidung nicht berücksichtigt worden sind. Diese beiden
Bedingungen sind im Hinblick auf das zitierte Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts nicht erfüllt. Die Kammer sieht sich deshalb wegen
ihrer Bindung an das Gesetz daran gehindert, diesem Judikat zu folgen.
Das Bundesverwaltungsgericht interpretiert den Wortlaut des § 26 a Abs. 1 AsylVfG
auf eine unvertretbare Weise. Es behauptet nämlich, das Subjekt des Satzes 2 ("Er
wird nicht als Asylberechtigter anerkannt.") bezöge sich auf jeden Ausländer, der
aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist, und nicht etwa nur auf den in Satz 1
näher beschriebenen Ausländer, der sich dadurch auszeichnet, daß er sich nicht
auf Art. 16 a GG berufen kann. Diese Interpretation ist unvertretbar, weil sie zu
einem absurden Ergebnis führt. Nach Satz 3 gilt nämlich (nur) Satz 1 nicht, wenn
der Ausländer z. B. im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung ist. Solche Ausländer
dürften sich nach der Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts zwar auf Art. 16 a
GG berufen (weil Satz 1 für sie nicht gilt), dürften aber nicht als Asylberechtigte
anerkannt werden (weil Satz 3 nur den Satz 1, nicht aber Satz 2 suspendiert). Die
Vorstellung, daß ein Ausländer sich zwar auf das Asylrecht nach Art. 16 a GG
berufen kann, aber gleichwohl nicht als Asylberechtigter anerkannt werden darf, ist
absurd. Aus diesem argumentum ad absurdum folgt im Umkehrschluß, daß "Er"
im Sinne des Satzes 2 nur derjenige Ausländer sein kann, der sich wegen Satz 1
nicht auf Art. 16 a GG berufen kann. Satz 2 besagt demnach, daß derjenige, der
sich nicht auf Art. 16 a GG berufen kann, auch nicht als nach Art. 16 a GG
asylberechtigt anerkannt werden darf. Satz 2 ist insofern also nur eine an sich
überflüssige Klarstellung, nicht aber eine selbständig neben Satz 1 stehende
Regelung, die auch die Berufung auf Familienasyl ausschließen soll.
Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings durchaus gesehen, daß Satz 3 nur
den Satz 1, nicht aber den Satz 2 suspendiert. Es hat aber nicht erkannt, daß dies
für das von ihm zugrundegelegte Verständnis von Satz 2 zu dem beschriebenen
absurden Ergebnis führen muß, weil es meint, daß der Wortlaut des Satzes 3
insoweit nicht eindeutig sei und deshalb die beschriebene Auslegung zwar möglich,
aber nicht zwingend mache. Deshalb sei eine sichere Auslegung des Textes allein
unter Rückgriff auf systematische und teleologische Argumente möglich.
Indessen ist der Wortlaut in keiner Weise vage oder mehrdeutig. Die Formulierung
"Satz 1 gilt nicht, wenn ..." besagt in aller nur wünschenswerten Eindeutigkeit, daß
Satz 1 nicht gilt, wenn ... und nichts anderes. Von Satz 2 ist in dieser Formulierung
nicht die Rede. Eine Bezugnahme, die nicht vorhanden ist, kann die Eindeutigkeit
des Wortlauts eines Textes nicht beeinträchtigen. Sie kann im Hinblick auf die
Systematik des Gesetzes oder den Zweck der Regelung allenfalls die Frage
aufwerfen, ob die unterbliebene Bezugnahme auf einem redaktionellen Fehler des
Gesetzgebers beruht, der vom Gericht nach dem eigentlich Gemeinten zu
korrigieren ist, oder ob es sich um eine planwidrigen Lücke handelt, die im Wege
der Analogie zu füllen ist. Ein redaktionelles Versehen scheidet jedoch aus, weil der
Gesetzgeber, wie die Materialien zeigen, dem Satz 2 nur eine klarstellende
Bedeutung beimessen wollte und auch tatsächlich beigemessen hat. Deshalb gibt
es auch keine planwidrige Lücke, die einen Analogieschluß rechtfertigen könnte. In
den Materialien heißt es nämlich wörtlich: "Satz 1 normiert in Übereinstimmung
mit Artikel 16 a Abs. 2 GG den Grundsatz, daß sich derjenige nicht auf Artikel 16 a
Abs. 1 GG berufen kann, der aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist. Satz 2
stellt klar, daß dieser Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird." (BT-Drs.
12/4450 S. 20; Original nicht kursiv).
Das Zitat belegt im übrigen, daß auch die Motive des Gesetzgebers den Wortlaut
bestätigen und ihn keinesfalls in Frage stellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat
diesen Gesichtspunkt, also die Gesetzesmaterialien, aber überhaupt nicht
herangezogen und gewürdigt. Sowohl der Wortlaut als auch die historische
Auslegung belegen somit, daß § 26 a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nur als Klarstellung
gemeint ist. Die Norm hat nur deklaratorische und keine konstitutive, über die
Regelung des Art. 16 a Abs. 2 GG hinausgehende Bedeutung. Sie schließt deshalb
nicht aus, daß ein Ausländer, der über einen sicheren Drittstaat eingereist ist, als
Asylberechtigter anerkannt werden kann. Sie schließt nur aus, daß ein solcher
Ausländer auf der Anspruchsgrundlage des Art. 16 a Abs. 1 GG als
Asylberechtigter anerkannt werden kann. Der Anerkennungsanspruch aus § 26
AsylVfG ist davon nicht tangiert.
Dieses Ergebnis wird auch durch systematische Betrachtungen bestätigt, nämlich
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Dieses Ergebnis wird auch durch systematische Betrachtungen bestätigt, nämlich
im Zusammenhang mit § 26 AsylVfG und dessen Vorgeschichte. Diese Geschichte
beginnt mit der Einführung des § 7 a Abs. 3 AsylVfG im Jahre 1990 (Art. 3 Nr. 3 G v.
9.7.1990 – BGBl. I S. 1354). Die Gesetzesmaterialien dazu lassen erkennen, daß
damit seinerzeit in erster Linie eine Entlastung des Bundesamtes und der Gerichte
erreicht werden sollte, weil diese nicht mehr der schwierigen Frage sollten
nachgehen müssen, ob die politische Verfolgung eines Ausländers auch auf seine
Familienangehörigen ausstrahlt, ob also auch diese persönlich politisch verfolgt
werden. Außerdem wird als zusätzliche Erwägung auf den Gesichtspunkt
abgestellt, daß mit der Neuregelung auch die Integration der Familienangehörigen
gefördert werde (BT-Drs. 11/6960 S. 29 f.). Diese Erwägungen ließen es damals zu,
in dem Familienasyl eine Art nicht widerlegbare gesetzliche Vermutung eines
eigenen Verfolgungsschicksals von Familienangehörigen eines Asylberechtigten zu
sehen.
Bei der Neuregelung des Asylrechts im Jahre 1993 wurde die Regelung des alten §
7 a Abs. 3 AsylVfG 1990 nicht einfach übernommen, sondern modifiziert. Diese
Modifikationen betrafen nicht nur die Beseitigung von Unklarheiten, sondern auch
die Einführung einer Neuregelung, die deutlich macht, daß der Gesetzgeber mit
dem Familienasyl jetzt nicht mehr eine Beweiserleichterung verband, sondern daß
eine gänzlich andere Motivation im Vordergrund stand, nämlich die Herbeiführung
eines einheitlichen Rechtsstatus der Familie des Asylberechtigten (vgl. BT-Drs.
12/2718 S. 60). Deshalb wird der Anspruch auf Familienasyl in § 26 AsylVfG jetzt
auch auf Kinder ausgedehnt, die erst im Bundesgebiet geboren werden und
deshalb ganz offensichtlich im Heimatland ihrer Eltern nicht verfolgt gewesen sein
können. Während also im Jahre 1990 der soziale Gesichtspunkt der Integration der
Familie noch den Rang einer Hilfserwägung hatte, rückte er jetzt in den
Vordergrund. Dient aber das Familienasyl in erster Linie nun nicht mehr der
Beweiserleichterung für die Frage einer politischen Verfolgung, sondern der
erleichterten Familienzusammenführung unter einem einheitlichen Rechtsstatus
(so auch BVerwG, Urt. v. 13.5.1997 – 9 C 35/96 –, NVwZ 1997, 1137), dann folgt
daraus das systematische Argument, daß auf das Familienasyl die
Drittstaatenregelung keine Anwendung finden kann. Denn diese würde insoweit
kontraproduktiv sein, indem sie die Familie gerade trennt, wenn der
Asylberechtigte in Deutschland bleiben darf, seine Angehörigen aber auf einen
sicheren Drittstaat verwiesen werden.
Das Bundesverwaltungsgericht analysiert die Entstehungsgeschichte des § 26
AsylVfG ebenfalls, kommt dabei aber zu dem gegenteiligen Ergebnis, weil es den
Gang der Ereignisse verfälscht. Danach soll der Gesichtspunkt der Integration und
des gleichen Rechtsstatus zwar für die frühere Regelung maßgeblich gewesen sein,
in der Neuregelung des § 26 AsylVfG sei er aber entfallen. Diese Behauptung kann
der Senat nur deshalb aufrechterhalten, weil er auch insoweit die Materialien
ignoriert. Er bezieht seine Argumente vielmehr aus Gesichtspunkten, die in keiner
Weise geeignet sind, das Ergebnis zu rechtfertigen. Er führt insoweit nämlich
folgendes aus:
"Der weitere Zweck des Familienasyl, allen Angehörigen der Flüchtlingsfamilie
zu einer raschen Integration und einem einheitlichen Rechtsstatus ... zu verhelfen,
steht der Anwendung der Drittstaatenregelung auf den Anspruch aus § 26 AsylVfG
nicht entgegen. Insoweit ist nunmehr nämlich zu berücksichtigen, daß der
Gesetzgeber das gesamte Asylrecht grundlegend geändert und mit der
Drittstaatenregelung ein neues System der Schutzgewährung geschaffen hat,
welches die Subsidiarität des Asylschutzes in Deutschland betont und eine
gesamteuropäische Verteilungsregelung anstrebt und ermöglichen soll. Die
Vorschriften über das Familienasyl sind hiervon nicht unberührt geblieben, wie sich
am deutlichsten aus § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ergibt."
Weder § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, noch ein anderer Passus des § 26 a AsylVfG
spricht jedoch das Familienasyl überhaupt an. Der Umstand, daß in § 26 a Abs. 1
Satz 3 AsylVfG ein Katalog von Ausnahmetatbeständen aufgeführt ist, bei deren
Vorliegen jemand trotz der Einreise aus einem sicheren Drittstaat als
Asylberechtigter anerkannt werden kann, und der weitere Umstand, daß die
Familienangehörigkeit zu einem Asylberechtigten nicht unter diesen
Ausnahmekatalog fällt, geben nichts für die Frage her, ob die Einreise über einen
sicheren Drittstaat den Anspruch aus § 26 AsylVfG ausschließt. Denn § 26 a
AsylVfG steht nur im Zusammenhang mit dem Asylanspruch aus Art. 16 a GG und
nimmt nicht Bezug auf § 26 AsylVfG.
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Der weitere vom Bundesverwaltungsgericht ins Feld geführte Umstand, daß das
neue Asylrecht im Kontext einer angestrebten gesamteuropäischen Lösung zu
betrachten ist, stützt sein Ergebnis ebenfalls in keiner Weise, sondern steht ihm
diametral entgegen. Sowohl Art. 4 des Dubliner Übereinkommens vom 15.6.1990
(BGBl. 1994 II S. 791) als auch Art. 35 des Schengener Durchführungsabkommens
vom 19.6.1990 (BGBl. 1993 II S. 1010) bestimmen nämlich für die
Familienangehörigen eines Asylberechtigten den Staat als zuständig, der dessen
Flüchtlingsanerkennung ausgesprochen hat. Diese Abkommen gelten zwar nicht
für die tschechische Republik, sie zeigen aber die Richtung auf, in der eine
gesamteuropäische Lösung erstrebt wird. Das Bundesverwaltungsgericht will statt
dessen für die Familienangehörigen den Drittstaat zuständig machen und die
Familienzusammenführung damit verhindern oder erschweren.
Ein weiteres systematisches Argument sieht das Bundesverwaltungsgericht noch
darin, daß § 26 a AsylVfG hinter § 26 AsylVfG in das Gesetz eingefügt worden sei,
wodurch der Zusammenhang von Familienasyl und Drittstaatenregelung betont
werde. Diese Optik ist jedoch unergiebig, weil § 26 a AsylVfG seinen Platz
erkennbar weniger wegen seines Zusammenhangs mit dem Familienasyl, als
vielmehr wegen der in § 27 AsylVfG geregelten anderweitigen
Verfolgungssicherheit in Drittstaaten erhalten hat. Da § 27 AsylVfG im Verhältnis
zu § 26 a AsylVfG als Auffangtatbestand fungiert, lag es nahe, die Sichere-
Drittstaaten-Regelung davor und nicht danach einzufügen.
Auch das Argument, die Familienzusammenführung könne über eine vom Ausland
aus zu beantragende Aufenthaltserlaubnis nach § 20 AuslG bewerkstelligt werden,
ändert nichts daran, daß der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts
insgesamt die Gefolgschaft versagt werden muß. Nach § 20 Abs. 1 AuslG ist dem
minderjährigen ledigen Kind eines Asylberechtigten nach Maßgabe des § 17 AuslG
eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Voraussetzung ist nach § 17 AuslG u. a., daß
ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht und der Lebensunterhalt des
Familienangehörigen aus eigener Erwerbstätigkeit des Asylberechtigten, aus
eigenem Vermögen oder sonstigen eigenen Mitteln gesichert ist. Zwar kann nach
§ 17 Abs. 3 AuslG von diesen Bedingungen auch abgesehen werden, indessen
steht dies im Ermessen der Ausländerbehörde. Außerdem kann die
Aufenthaltserlaubnis nach §§ 20 Abs. 1, 17 AuslG gemäß § 17 Abs. 5 AuslG
versagt werden, wenn gegen den Familienangehörigen ein Ausweisungsgrund
vorliegt oder wenn der Asylberechtigte für andere Familienmitglieder, denen er
unterhaltspflichtig ist, Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Eine Aufenthaltserlaubnis
nach § 20 Abs. 1 AuslG wird außerdem zunächst auch nur befristet erteilt (§ 12
Abs. 2 AuslG). Schließlich muß der Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltsgenehmigung nach § 20 Abs. 1 AuslG gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AuslG
vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks eingeholt werden. Das könnte für
die minderjährigen Kinder eines in Deutschland lebenden Asylberechtigten ein
unüberwindliches Hindernis werden, weil Sie für die Antragstellung bei der
deutschen Auslandsvertretung auf die Mitwirkung des Sorgeberechtigten
angewiesen wären.
Demgegenüber führt die Anerkennung als Asylberechtigte nach § 26 AsylVfG dazu,
daß dem danach selbst asylberechtigten Familienangehörigen nach § 68 AsylVfG
eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, ohne daß es darauf
ankommt, ob die Bedingungen des § 17 AuslG erfüllt sind. Wird dem
Familienangehörigen eines Asylberechtigten, der über einen sicheren Drittstaat
eingereist ist, das Familienasyl unter Hinweis auf die Möglichkeiten der §§ 18, 20
AuslG verweigert, dann führt das im Ergebnis dazu, daß dieser, wenn überhaupt,
nur unter erheblich erschwerten Umständen den selben Rechtsstatus erreichen
kann wie derjenige Familienangehörige, der direkt aus dem Herkunftsland oder aus
einem nicht unter § 26 a AsylVfG fallenden Drittstaat in die Bundesrepublik
einreist. Die Durchreise durch einen sicheren Drittstaat steht aber in keinerlei
sachlichem Zusammenhang zu diesen Erschwernissen. Denn die Qualifikation als
sicherer Drittstaat hat nichts mit der Frage zu tun, ob jemand seinen Unterhalt
aus eigenen Mitteln bestreiten kann oder ob gegen jemand Ausweisungsgründe
vorliegen. Mithin erfolgt die unterschiedliche rechtliche Behandlung der
Familienangehörigen von Asylberechtigten je nachdem, ob sie über einen sicheren
Drittstaat eingereist sind oder nicht, nach einem Differenzierungskriterium, das
sich als willkürlich erweist. Damit erlangt die Auslegung der Rechtslage durch das
Bundesverwaltungsgerichts aber eine verfassungsrechtliche Dimension, die der
Senat überhaupt nicht ins Auge gefaßt hat. Wäre das Gesetz tatsächlich so
auszulegen wie das Bundesverwaltungsgericht es tut, dann wäre es wegen
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auszulegen wie das Bundesverwaltungsgericht es tut, dann wäre es wegen
Verletzung des Art. 3 GG verfassungswidrig und nichtig. Indessen ist stets eine
verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes geboten (BVerfGE 2, 266 (282)).
Auch deshalb ist das Judikat des Bundesverwaltungsgerichts vom 6.5.1997 zur
Orientierung für die erkennende Kammer ungeeignet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154, 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene
sich durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko beteiligt hat, entspricht es der
Billigkeit, die Erstattungsfähigkeit seiner außergerichtlichen Kosten zu bejahen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.