Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 21.11.2005

VG Frankfurt: zugang, amt, wahrscheinlichkeit, untergang, qualifikation, erfüllung, beförderung, ermessen, erlass, bekanntgabe

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Gericht:
VG Frankfurt 9.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 G 2520/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 99 Abs 1 BPersG, § 64 Abs 1
PersVG HE
Chancengleicher Zugang im Stellenbesetzungsverfahren
bei einem freigestellten Personalratsmitglied.
Leitsatz
Chancengleicher Zugang zu einem öffentlichen Amt - Beförderung eines Mitglieds des
Personalrats zum Hauptbrandmeister bei fehlender zeitnaher Beurteilung wegen
Freistellung.
Tenor
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, von
der Besetzung der Stellen eines Ausbilders im Sachgebiet Aus- und Fortbildung in
der Branddirektion X mit der Stellenbezeichnung Hauptbrandmeister
(Besoldungsgruppe A 9 s + Z BBO) mit den Beigeladenen zu 11) und 12) und von
der Besetzung der Stellen eines Staffelführers, Hilfsleistungslöschfahrzeug in der
Branddirektion X mit der Bezeichnung Hauptbrandmeister (Besoldungsgruppe A 9
s + Z BBO) mit den Beigeladenen zu 1) bis 10) bis zum Ablauf von 2 Wochen nach
der Bekanntgabe einer neuen Auswahlentscheidung abzusehen.
Die Antragsgegnerin und der Beigeladene zu 9) tragen die außergerichtlichen
Kosten des Antragstellers und die Gerichtskosten jeweils zur Hälfte. Die
Antragsgegnerin und die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten
selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 13.462, 61 € festgesetzt.
Gründe
Das Begehren des Antragstellers ist auf die Sicherung seines
Bewerbungsverfahrensanspruchs hinsichtlich der Besetzung der Stellen eines
Ausbilders im Sachgebiet Aus- und Fortbildung in der Branddirektion X mit der
Stellenbezeichnung Hauptbrandmeister (Besoldungsgruppe A 9 s + Z BBO) mit
den Beigeladenen zu 11) und 12) und der Besetzung der Stellen eines
Staffelführers, Hilfsleistungslöschfahrzeug in der Branddirektion X mit der
Stellenbezeichnung Hauptbrandmeister (Besoldungsgruppe A 9 s + Z BBO) mit
den Beigeladenen zu 1) bis 10) gerichtet. Das Begehren ist nach § 123 Abs. 1 S. 1
VwGO statthaft und hat auch Erfolg, da der Antragsteller sowohl einen
Anordnungsgrund wie auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat (§
123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) und die Maßnahme erforderlich ist,
um den Bewerbungsverfahrensanspruch vor einem Untergang durch die
rechtswidrige Ablehnung der Bewerbung des Antragstellers zu bewahren (§ 123
Abs. 3 VwGO i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO).
Dem Antragsteller steht ein Anordnungsgrund zur Seite, da ohne den Erlass der
einstweiligen Anordnung eine erhebliche Beeinträchtigung des
Bewerbungsverfahrensanspruchs des Antragstellers droht, die einen späteren
Erfolg der Bewerbung in einer für den Antragsteller unzumutbaren Weise
gefährdet. Die Antragsgegnerin beabsichtigt, die Beigeladenen mit den Aufgaben
der ausgeschriebenen Stellen zu beauftragen, was den Beigeladenen einen
erheblichen Vorsprung einräumen wird, sollte es zu einem späteren Zeitpunkt im
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erheblichen Vorsprung einräumen wird, sollte es zu einem späteren Zeitpunkt im
Hinblick auf eine fehlerhafte Ablehnung der Bewerbung des Antragstellers zu einer
Wiederholung des Auswahlverfahrens kommen. Diesen Nachteil muss der
Antragsteller nicht hinnehmen, da es für ihn insoweit unzumutbar ist,
ausschließlich auf den Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren, gerichtet auf die
Neubescheidung seiner Bewerbung, verwiesen zu werden, zumal nach
erfolgreicher Bewährung der Beigeladenen in der Funktionsstelle (§ 19 Abs. 2 S. 1
Nr. 4 HBG) ihre Beförderung (§ 1 Abs. 3 S. 2 HLVO, § 1 Abs. 2 FeuerwLVO) zu
erwarten ist, die zum endgültigen Untergang des Bewerbungsverfahrensanspruchs
des Antragstellers führen würde.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Durch
die Art und Weise des Auswahlverfahrens und die darauf beruhende
Auswahlentscheidung des Antragsgegners zu Gunsten des Beigeladenen ist der
Antragsteller aller Voraussicht nach in seinem Recht auf chancengleichen Zugang
zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher
Leistung verletzt worden (Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 134 HV, § 8 Abs. 1 S. 1 HBG, § 10
Abs. 1 S. 1 HGlG). Der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers ist auf
eine faire, chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung gerichtet und verlangt
eine fehlerfreie Durchführung des der Stellenbesetzungs- und
Beförderungsentscheidung vorausgehenden Auswahlverfahrens. Diesen
Anforderungen genügt das vorliegende Eilverfahren aller Wahrscheinlichkeit nach
nicht.
Der Antragsteller ist aller Wahrscheinlichkeit nach in seinem Recht verletzt, durch
die Wahrnehmung der Aufgaben eines Personalratsmitglieds nicht in seinem
beruflichen Werdegang benachteiligt zu werden (§ 64 Abs. 1 HPVG, § 99 Abs. 1
BPersVG). Da der Antragsteller seit dem Jahr 2000 von seinen Dienstaufgaben als
Feuerwehrbeamter entsprechend § 40 Abs. 3 HPVG vollständig freigestellt ist,
kann er nicht mehr dienstlich beurteilt werden. Diese Erkenntnisquelle zur
Feststellung der Qualifikation des Antragstellers entsprechend den Erfordernissen
des § 10 Abs. 1 S. 1 HGlG scheidet daher für die Dauer der Freistellung des
Antragstellers aus. Da andererseits jede Auswahlentscheidung für ein
Beförderungsamt zwingend eine aktuelle Qualifikationsfeststellung der im
Auswahlverfahren befindlichen Beamten erfordert, muss die Erfüllung des
personalvertretungsrechtlichen Benachteiligungs- und Begünstigungsverbots auf
andere Weise sichergestellt werden. Insoweit steht der Antragsgegnerin allerdings
ein Ermessen zu. Dieses Ermessen ist jedoch pflichtgemäß zu betätigen, muss
also einerseits auf die optimale Qualifikationsfeststellung, andererseits auf die
Realisierung der Regelung in § 64 Abs. 1 HPVG ausgerichtet sein. Dafür hat sich als
anerkanntes Verfahren vor allem in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte die
sog. fiktive Nachzeichnung des beruflichen Werdegangs eines für
Personalvertretungsaufgaben freigestellten Beamten (oder Arbeitnehmers)
eingebürgert.
Hier hat sich die Antragsgegnerin nicht in ausreichend klarer und nachvollziehbarer
Weise für ein bestimmtes Vorgehen zur Erfüllung einer leistungsorientierten
Qualifikationsfeststellung einerseits und des Benachteiligungsverbots andererseits
entschieden. Sie hat für den Antragsteller eine dienstliche Beurteilung erstellt, die
zwar die Freistellung erwähnt und damit auch eine Beurteilung in der davor zuletzt
ausgeübten Tätigkeit verneint, andererseits zu einer Reihe weiterer Tätigkeitsfelder
Aussagen und Bewertungen getroffen, als ob der Antragsteller in diesen
Tätigkeitsfeldern mit den entsprechenden Anforderungen auch tatsächlich
dienstlich tätig gewesen wäre. Das ist jedoch im Hinblick auf die vollständige
Freistellung von den dienstlichen Aufgaben beim Antragsteller nicht der Fall
gewesen. Zwar mag sich der Antragsteller gelegentlich einer dienstlichen Tätigkeit
gewidmet haben. Dabei kann es sich aber nur um sporadische Einzelfälle
gehandelt haben, die keinerlei Repräsentativität für eine dreijährige Leistungs- und
Befähigungsbeurteilung vermitteln können.
Dem Weg der fiktiven Nachzeichnung hat sich die Antragsgegnerin ebenfalls nicht
hinreichend korrekt zugewandt. Es ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, welche
Vergleichspersonen für den Antragsteller zur Fortschreibung seiner Leistungen und
seiner Befähigung herangezogen wurden. Nur so kann aber eine fiktive
Nachzeichnung korrekt durchgeführt werden, geht es doch darum, festzustellen,
wie sich mit dem freigestellten Beamten vergleichbare Beschäftigte beruflich,
leistungsmäßig und in ihrer Befähigung während der Freistellungszeit des
Personalratsmitglieds entwickelt haben, ob insoweit eine Fortentwicklung, eine
Verbesserung eingetreten ist oder derartiges zu verneinen ist. Diesen Weg hat die
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Verbesserung eingetreten ist oder derartiges zu verneinen ist. Diesen Weg hat die
Antragsgegnerin nicht gewählt, jedenfalls ist nicht hinreichend nachvollziehbar,
anhand welcher Vergleichspersonen die Fortschreibung der dienstlichen
Qualifikationsfeststellung des Antragstellers tatsächlich erfolgt sein soll. Dazu
hätte das Ausgangsniveau der Vergleichspersonen zu Beginn der Freistellung des
Antragstellers und dessen Qualifikationsniveau festgestellt werden müssen, um
dann für die nächsten Jahre zu ermitteln, wie sich die mit dem Antragsteller
vergleichbaren Beschäftigten tatsächlich entwickelt haben, bei einer größeren
Gruppe in etwa die Hälfte dieser Beschäftigten.
Damit fehlt es für den Antragsteller an einer § 64 Abs. 1 HPVG genügenden
hinreichend aktuellen Qualifikationsfeststellung, sodass das Auswahlverfahren
schon aus diesem Grunde fehlerhaft durchgeführt wurde und den Anspruch des
Antragstellers auf chancengleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt unter
Berücksichtigung seiner individuellen Qualifikation unerfüllt lässt.
Die dem Antragsteller von der Antragsgegnerin im Wege der tatsächlich erstellten
Beurteilung zuerkannte Note von 12 Punkten zeigt, dass der Antragsteller bei
einer korrekten Beurteilungsweise der Antragsgegnerin keineswegs chancenlos
wäre, kann doch eine hinreichende Verbesserung seiner Beurteilung keineswegs
ausgeschlossen werden.
Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob sich die Auswahlentscheidung
hinreichend am stellenspezifischen Anforderungsprofil orientiert und den
Qualifikationsvergleich nach Maßgabe der jeweiligen Merkmale dieses
Anforderungsprofils vornimmt. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob Dienst- und
Beförderungsdienstalter in der vorgesehenen Weise Berücksichtigung finden
durften. § 10 Abs. 2 HGlG schließt allerdings die Berücksichtigung dieser
leistungsfremden Aspekte aus, wenn ihnen nicht ausnahmsweise konkrete
Bedeutung für die Qualifikationsfeststellung selbst zukommt. Dies muss sich dann
konkret in der Qualifikationsabstufung selbst niederschlagen, d. h. beim hier
gewählten Verfahren in der dienstlichen Beurteilung. Darüber hinaus kann dem
Dienst- oder Beförderungsdienstalter keine weitere Bedeutung zukommen.
Da die Antragsgegnerin und der Beigeladene zu 9) unterliegen, haben sie nach §
154 Abs. 1, § 159 S. 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO die außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers und die Gerichtskosten jeweils zur Hälfte zu tragen. Im Übrigen
haben der Beigeladene zu 9) und die Antragsgegnerin ihrer außergerichtlichen
Kosten selbst zu tragen.
Es entspricht nicht der Billigkeit i. S. d. § 162 Abs. 3 VwGO, die Erstattungsfähigkeit
eventueller außergerichtlicher Kosten der anderen Beigeladenen anzuordnen, da
sie sich im Gegensatz zum Beigeladenen zu 9) nicht durch eigene
Sachantragstellung am Kostenrisiko beteiligt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 5 S. 2
GKG. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des HessVGH in Auseinandersetzung mit
der gegenteiligen Auffassung der Kammer hält diese an ihrer früheren Auffassung
nicht mehr fest, auch im Interesse des Rechtsfriedens. Damit bemisst sich der
Streitwert nach dem 6,5fachen Betrag des Endgrundgehalts der
Besoldungsgruppe A 9 mit Amtszulage. Für das Eilverfahren ist dieser Wert auf 3/8
zu vermindern, im Hinblick auf die Streitbefangenheit von 2 Stellen auf 6/8 zu
erhöhen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.