Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 08.10.2008
VG Frankfurt: kosovo, aufenthaltserlaubnis, republik, staatsangehörigkeit, aufschiebende wirkung, serbien, auslandsvertretung, auskunft, souveränität, strafverfahren
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Gericht:
VG Frankfurt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 K 1432/08.F
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 AufenthG 2004, § 5
AufenthV, § 23 AufenthG
2004, § 104a AufenthG 2004
(Beantragung von Pässen für Staatsangehörige der
Republik Kosovo derzeit - Oktober 2008 - unzumutbar)
Leitsatz
Kosovarischen Staatsbürgern ist derzeit (Oktober 2008) die Beschaffung eines Passes
nicht zumutbar, weil die Republik Kosovo in der Bundesrepublik noch keine
Auslandsvertretungen unterhält, die einen Pass ausstellen könnten. Kosovarischen
Staatsangehörigen ist es nicht zumutbar, sich um die Ausstellung eines Passes durch
die Auslandsvertretung der Republik Serbien zu bemühen.
Tenor
1. Soweit die Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das
Verfahren eingestellt. Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern zu 1 und zu 3 bis
6 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten
abwenden, wenn die Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Die Kläger zu 1 und zu 2 stammen aus dem Kosovo und sprechen albanisch. Sie
reisten im Jahre 1992 in die Bundesrepublik ein und stellten Asylanträge, die
erfolglos blieben. Im Zusammenhang mit einem Asylfolgeantrag ordnete das VG
Wiesbaden die aufschiebende Wirkung der Klage an. Das Verfahren blieb
gleichwohl erfolglos. Am 30.12.2004 trat die Rechtskraft des ablehnenden
Bescheide ein. Die Kläger wurden jedoch weiterhin geduldet, weil sie der
Volksgruppe der Ashkali angehörten, deren Abschiebung in den Kosovo von der
UMNIK nicht akzeptiert wurde. Insgesamt werden die Kläger seit 1999 geduldet. Im
Jahre 2002 heirateten sie. Aus der Verbindung gingen die Kläger zu 3 bis 6 hervor.
Unter dem 10.12.2006 stellten die Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG i.V.m. mit dem Erlass des
Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport vom 26.11.2006. Nachdem
sich am 01.03.2007 ein Rechtsanwalt für die Kläger gemeldet hatte und an den
Antrag erinnerte, forderte der Beklagte mit Schreiben vom 02.03.2007 eine Reihe
von Unterlagen an, darunter auch gültige Nationalpässe. Er forderte außerdem
eine Auskunft aus dem Zentralregister an, aus der sich ergibt, dass keine
Eintragungen vorliegen. Nachdem einige der geforderten Unterlagen eingegangen
waren, forderte der Beklagte mit Schreiben vom 18.05.2007 die noch
ausstehenden Nachweise für die Krankenversicherung sowie
Schulbescheinigungen und Schulzeugnisse für die schulpflichtigen Kinder an. Die
noch nicht vorliegenden Nationalpässe wurden nicht angefordert. Mit einem
weiteren Schreiben vom 22.05.2007 wurde ein Nachweis darüber angefordert, ob
Ermittlungs- und Strafverfahren gegen den Kläger zu 1 mittlerweise abgeschlossen
seien.
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Mit Schreiben vom 10.09.2007 stellte der Bevollmächtigte der Kläger bei dem
Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a
AufenthG. Unterlagen über ein neu aufgenommenes Beschäftigungsverhältnis des
Klägers zu 1 waren beigefügt.
Mit Schriftsatz vom 02.05.2008 meldete sich der jetzige Bevollmächtigte der
Kläger bei dem Beklagten und teilte mit, dass ausweislich der Auskunft aus dem
Zentralregister keine Verurteilungen zu Geldstrafen von mehr als 50 Tagessätzen
vorlägen und der diesbezügliche Ausschlussgrund nicht gegeben sei. Er setzte
dem Beklagten eine Frist bis zum 16.05.2008 zur Entscheidung. Darauf teilte der
Beklagte mit Schreiben vom 09.05.2008 mit, er beabsichtige, die Anträge auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzulehnen, weil für den Kläger zu 1 kein
gültiger Nationalpass vorliege und weil der Kläger nicht den Nachweis erbracht
habe, dass Ermittlungs- und Strafverfahren gegen ihn nicht zu
entscheidungsrelevanten Verurteilungen geführt hätten. Die Auskunft aus dem
Zentralregister sei insoweit nicht zuverlässig.
Am 27.05.2008 haben die Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Sie tragen vor, alle
Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den
Bleiberechtsregelungen zu erfüllen. Insbesondere verfügten sowohl der Kläger zu 1
als auch die Klägerin zu 2 über ausreichende Deutschkenntnisse. Sie seien auch
nicht auf staatliche Unterhaltsleistungen angewiesen. Unstreitig seien in der
Vergangenheit gegen den Kläger zu 1 Ermittlungs- und Strafverfahren anhängig
gewesen. Der Auszug aus dem Zentralregister weise jedoch keine Eintragungen
aus. Zu weitergehenden Nachweisen seien sie nicht verpflichtet. Die Klägerin zu 2
besitze einen serbischen Reisepass. Die Bemühungen des Klägers zu 1 um Erhalt
eines serbischen Reisepasses seien daran gescheitert, dass er keine
Personenstandsunterlagen beschaffen könne. Die entsprechenden Register seines
Heimatortes seien zwar aus dem Kosovo nach Serbien geschafft worden, so dass
sein Bruder etwa in der Lage gewesen sei, Unterlagen für die Ausstellung eines
serbischen Passes zu beschaffen. Für seine Peron seien aber keine Unterlagen
aufzufinden. Deshalb weigere sich die serbische Botschaft auch, den Klägern zu 3
bis 6 einen serbischen Pass auszustellen. Das setze nämlich voraus, dass beide
Elternteile einen serbischen Pass besäßen. Der Kläger legt eine Bescheinigung des
Amtes für Verwaltungs- und personelle Angelegenheiten der Gemeinde A./Kosovo
vom 02.09.2008 nebst deutscher Übersetzung durch einen vereidigten
Dolmetscher vor, aus der sich ergibt, dass der Kläger zu 1 die kosovarische
Staatsangehörigkeit besitzt. Der Kläger zu 1 teilte auf Nachfrage des Gerichts mit,
dass am 01.01.1998 seine Mutter noch in A. gelebt habe, inzwischen aber
verstorben sei.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verpflichten, den Klägern eine Aufenthaltserlaubnis zu
erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält die Klage für unzulässig, weil das Antragverfahren noch nicht
abgeschlossen sei. Die Untätigkeitsklage komme nicht in Betracht, weil
zureichende Gründe dafür vorlägen, dass bisher nicht entschieden worden sei. Der
Beklagte räumt ein, dass etwaige Straftaten des Klägers zu 1 der Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nicht entgegenstünden, weil diese länger als fünf Jahre
zurücklägen. Die Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 hätten bisher jedoch keinen gültigen
Nationalpass vorgelegt, ohne dass Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass solche
nicht von der serbischen Auslandsvertretung zu erhalten seien. Andere Gründe
gegen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Kläger zu 1 und zu 3 bis 6
lägen nicht vor. Nachdem die Klägerin zu 2 in der mündlichen Verhandlung ihre
Deutschkenntnisse ausgewiesen habe, sei sie jedoch bereit, ihr eine
Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 25.08.2008 auf den
Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Das Gericht hat neben der
Gerichtsakte neun Hefter Behördenakten sowie den Bericht des Auswärtigen
Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Serbien vom
22.09.2008 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
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Die Beteiligten haben aufgrund der Erklärung des Beklagten in der mündlichen
Verhandlung, der Klägerin zu 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilen zu wollen,
insoweit übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, denn der Beklagte hat ohne zureichenden Grund nicht in
angemessener Frist entschieden (§ 75 Satz 1 VwGO). Die Kläger zu 1 und zu 3 bis
6 haben zwar keine gültigen Nationalpässe vorgelegt. Das stand einer
Entscheidung über den Antrag jedoch auch dann nicht entgegen, wenn man die
Auffassung des Beklagten folgt, wonach Nationalpässe erforderlich seien. Die
Anträge hätten nämlich in diesem Fall abgelehnt werden können, weil keine
konkreten Umstände vorlagen, die zu der Erwartung hätten berechtigen können,
dass die Pässe noch vorgelegt werden. Ein weiteres Zuwarten war daher nicht
erforderlich.
Die Klage ist auch begründet. Bis auf die Erfüllung der Passpflicht erfüllen die
Kläger unstreitig alle Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 104a AufenhG. Der Umstand, dass die Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 über
keinen Nationalpass verfügen, kann der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im
vorliegenden Falle nicht entgegengehalten werden, weil es den Klägern
unzumutbar ist, sich einen solchen zu beschaffen.
Zwar setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis regelmäßig voraus, dass der
Ausländer über einen gültigen Pass verfügt (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Nach § 5
Abs. 3 S. 2 AufenthG kann allerdings in den Fällen der Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 5 davon abgesehen werden. Dies
kommt aber nur in Betracht, wenn dem Ausländer die Beschaffung eines Passes
nicht zumutbar ist (vgl. § 5 Abs. 1 AufenthV).
Die Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 besitzen die kosovarische Staatsangehörigkeit. Das
ergibt sich nicht nur aus der vom Kläger zu 1 vorgelegten Bescheinigung, sondern
auch aus Art. 155 der Verfassung der Republik Kosovo
(http://www.kushtetutakosoves.info/reposito
ry/docs/Constitution.of.the.Republic.of.Kosovo.pdf [21.08.2008]). Danach haben
alle Personen die kosovarische Staatsangehörigkeit, die zum Zeitpunkt der
Annahme der Verfassung ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Kosovo hatten sowie
alle Personen, die am 01.01.1998 als Staatsangehörige der Bundesrepublik
Jugoslawien ihren Lebensmittelpunkt im Kosovo hatten sowie deren Nachkommen
unabhängig vom gegenwärtigen Wohnsitz und etwaigen anderen
Staatsangehörigkeiten, die sie haben mögen. Der Kläger zu 1 hat auf Nachfrage
des Gerichts glaubhaft angegeben, dass seine Mutter zum maßgeblichen Stichtag
noch im Kosovo lebte. Als deren Nachfahren besitzen deshalb sowohl der Kläger
zu 1 als auch dessen Kinder die kosovarische Staatsangehörigkeit.
Als Staatsangehörigen der Republik Kosovo ist den Klägern die Beschaffung eines
kosovarischen Reisepasses derzeit nicht zumutbar, weil die Republik Kosovo, die
von der Bundesrepublik Deutschland am 20.02.2008 als eigenständiger Staat
anerkannt worden ist, in Deutschland über keine Auslandsvertretung verfügt, die
Pässe oder andere Personalpapiere ausstellen könnte (vgl. auch VG Göttingen,
Urt. v. 21.05.2008 - 1 A 390/07 -, Asylmagazin 7-8/2008, S. 14).
Auf die Beschaffung eines serbischen Passes können Personen, die die
kosovarische Staatsangehörigkeit besitzen, nicht verwiesen werden. Zwar ist es
denkbar und sogar wahrscheinlich, dass die Auslandsvertretung der Republik
Serbien Personen mit kosovarischer Staatsangehörigkeit serbische Nationalpässe
ausstellt. Denn Serbien erkennt die Souveränität des Kosovo nicht an und erklärt
in seiner Verfassung das Kosovo zu einem integralen Teil Serbiens. Daraus folgt,
dass Serbien auch die Bewohner des Kosovo als seine Staatsangehörigen
betrachtet und ihnen Personalpapiere ausstellt.
Einem kosovarischen Staatsangehörigen ist es jedoch nicht zumutbar, sich über
die serbische Auslandsvertretung einen serbischen Pass zu verschaffen und damit
konkludent zu erklären, dass er die Souveränität Serbiens über das Kosovo
anerkennt. Denn damit müsste er zugleich die Souveränität seines eigenen
Staates leugnen.
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung geklärten Tatsache der
kosovarischen Staatsangehörigkeit kommt es nicht mehr darauf an, ob es
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kosovarischen Staatsangehörigkeit kommt es nicht mehr darauf an, ob es
angesichts der derzeitigen Verhältnisse in Serbien Personen ashkalischer
Volkszugehörigkeit, albanischer Sprache und muslimischer Religion, die aus dem
Kosovo stammen, zumutbar wäre, sich einen serbischen Pass zu beschaffen, wenn
sie die kosovarische Staatsangehörigkeit nicht erworben haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Berufungszulassungsgründe des § 124
Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 S. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.