Urteil des VG Berlin vom 14.04.2005
VG Berlin: aufschiebende wirkung, grundstück, bauarbeiten, treu und glauben, gerichtsakte, lärm, verwirkung, nachbar, anfang, vollziehung
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Gericht:
VG Berlin 13.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 L 219.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 VwGO, § 80a VwGO, § 34
BauGB, § 15 BauNVO
Baurecht: Nachbarklage gegen Baugenehmigung wegen
Lärmemissionen: Nutzungsbeeinträchtigung,
Rücksichtnahmegebot
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die
Baugenehmigung vom 14. April 2005 wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladene zu 2. je zur
Hälfte, ausgenommen die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1., die diese
selbst trägt.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 3.750,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine der Rechtsvorgängerin
der Beigeladenen zu 1. erteilte Baugenehmigung.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gr. Straße 224 in 1... Berlin. Die
dort aufstehende mehrstöckige Bebauung besteht in einem zu Wohnzwecken genutzten
Vorderhaus sowie aus je zwei Seitenflügeln und Quergebäuden, die ursprünglich
größtenteils Fabrikgebäude waren. Es gibt zwei Innenhöfe, die untereinander und zur
Straße mit Durchgängen verbunden sind. Die Flächen der zweiten Hälfte des ersten
Seitenflügels sowie des zweiten Seitenflügels und des ersten Quergebäudes werden seit
Jahrzehnten – vom Antragsgegner baurechtlich und gewerberechtlich genehmigt - als
Jugendclub, Konzerthalle und Diskothek („Kn. Klub“) – genutzt.
Das Grundstück der Antragstellerin grenzt in seinem hinteren Teil mit der südlichen
Grundstücksgrenze rechtwinklig an das Grundstück He. Straße 14. Dieses Grundstück ist
mit einem Vorderhaus, einem Quergebäude im hinteren Grundstücksbereich
(„Hinterhaus“) und einem beide verbindenden Seitenflügel bebaut. Das zweite
Quergebäude und der zweite Seitenflügel des Grundstücks Gr. Straße 224 sind direkt an
das Hinterhaus des Grundstücks He. Straße 14 angebaut.
Die Grundstücke liegen in einem Gebiet, für das ein Bebauungsplan nicht existiert.
Am 14. April 2005 erhielt die seinerzeitige Eigentümerin des Grundstücks He. Straße 14,
die KG... GmbH & Co., antragsgemäß die Baugenehmigung für den „Umbau eines
ehemaligen Büro- und Verwaltungsgebäudes in ein Wohnhaus …“. Die Baugenehmigung
betraf Seitenflügel und Hinterhaus. Auf die auf dem Grundstück Gr. 224 betriebene
Diskothek wurde in den Bauunterlagen nicht hingewiesen; diese wird auch in der Bauakte
und der Baugenehmigung nicht erwähnt. Die Baugenehmigung enthielt keine
Schallschutzauflagen.
In der Folgezeit wurden auf dem Grundstück He. Straße 14 das alte Hinterhaus und Teile
des Seitenflügels beseitigt und durch die genehmigten Wohnbauten ersetzt. Am 30.
September 2008 wurde die Anlage fertig gestellt. Unmittelbar nach Einzug der ersten
Mitglieder der Antragstellerin zu 2. in die Eigentumswohnungen im Hinterhaus
beschwerten sich diese über vom Grundstück der Antragstellerin ausgehende nächtliche
Lärmbelästigungen, vor allem durch „wummernde“ Bässe. Es erfolgten Anzeigen bei der
Polizei; das Ordnungsamt wurde eingeschaltet. Messungen führten zu dem Ergebnis,
dass die bauliche Schalldämmung namentlich im Bassbereich unzureichend war und die
Grenzwerte der TA Lärm deutlich überschritten wurden.
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Mit Schreiben vom 29. August 2009 legte die Antragstellerin – beschränkt auf den
Neubau im Hinterhaus - Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein, über den noch
nicht entschieden ist.
Am 2. September 2009 hat sie den vorliegenden Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gestellt. Sie macht geltend, sie habe erst
Anfang 2009 von der Lärmproblematik und dem Neubau des Quergebäudes auf dem
Nachbargrundstück Kenntnis erhalten. Wegen der besonderen räumlichen
Gegebenheiten und weil der Clubbetrieb erst in den Abendstunden beginne, seien die
Bauarbeiten für sie oder den „Kn. Club“ weder optisch noch akustisch wahrnehmbar
gewesen. Das Bauvorhaben sei rücksichtslos.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom
14. April 2005 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Das Widerspruchsrecht sei verwirkt. Auch sei die Baugenehmigung rechtmäßig. Eine
Beteiligung der Antragstellerin am Genehmigungsverfahren sei nicht geboten gewesen,
ebenso wenig eine Recherche bereits erteilter Genehmigungen für die angrenzenden
Grundstücke durch ihn.
Die Beigeladene zu 2. beantragt ebenfalls,
den Antrag zurückzuweisen.
II.
Der gemäß § 80 a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, §
212 a Abs. 1 BauGB statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs ist zulässig und begründet. Der Gesetzgeber hat mit § 212 a Abs. 1 BauGB
eine Interessenwertung für den Fall vorgenommen, dass ein Dritter mit Widerspruch und
Anfechtungsklage gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens vorgeht,
indem er die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen und die sofortige Vollziehung für
den Regelfall angeordnet hat. Soll der Antrag dennoch Erfolg haben, erfordert dies bei
der danach vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen
Interessen, dass das Interesse der Antragstellerin, von der sofortigen Vollziehung vorerst
verschont zu bleiben, das Interesse der Allgemeinheit und der Beigeladenen
ausnahmsweise überwiegt. Dies setzt bei der durch § 212 a Abs. 1 BauGB getroffenen
Wertentscheidung des Gesetzgebers einen offensichtlich gegebenen Abwehranspruch
des Dritten voraus (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. April 2009 - OVG 10
S 5.09 -). Das ist hier der Fall.
Der Antragstellerin fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ist das Bauwerk
inzwischen fertig gestellt worden. Die Antragstellerin wendet sich indessen nicht gegen
den Baukörper als solchen, sondern dessen (genehmigte) Nutzung zu Wohnzwecken,
weil es gerade diese Nutzung ist, die den Betrieb der Diskothek auf ihrem Grundstück
beeinträchtigt. Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Nachbarantrag nach §§ 80 a, 80
Abs. 5 VwGO besteht nach Fertigstellung fort, wenn die geltend gemachte
Beeinträchtigung (auch) in der Nutzung liegt und diese Nutzung fortdauert (vgl. im
Einzelnen OVG Münster, Beschluss vom 13. Juli 1995 – 11 B 1543/95 -, BauR 1996, 240).
Das Widerspruchsrecht der Antragstellerin ist nicht verwirkt.
Mangels Bekanntgabe durch die Behörde setzte die Erteilung der Baugenehmigung
gegenüber der Antragstellerin keinen regulären Fristenlauf in unmittelbarer Anwendung
der §§ 57, 58 und 70 VwGO in Gang, weil dies wegen des Schriftformerfordernisses für
Baugenehmigungen (§ 71 Abs. 2 Satz 1 BauO Bln) die Übergabe einer Ausfertigung des
Bescheids auch an diese als betroffene Nachbarin erfordert hätte. Von dem Zeitpunkt
an, von dem ab anzunehmen ist, dass der Nachbar sichere Kenntnis von der erteilten
Baugenehmigung erlangt hat oder zumindest hätte erlangen müssen, hat er sich jedoch
in aller Regel nach Treu und Glauben so behandeln zu lassen, als sei ihm die
Baugenehmigung amtlich bekannt gegeben worden. Maßgebend ist insoweit nicht der
Zeitpunkt des Erkennens, sondern der Erkennbarkeit der (später) geltend gemachten
Beeinträchtigung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Dezember 2005 – OVG
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Beeinträchtigung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Dezember 2005 – OVG
10 B 10.05 –, sowie Beschluss vom 15. Mai 2008 – OVG 10 N 21.06 -). Von diesem
Zeitpunkt an läuft im Hinblick auf die Regelung des § 58 Abs. 2 VwGO grundsätzlich eine
einjährige Widerspruchsfrist; mit Fristablauf ist dann regelmäßig Verwirkung anzunehmen
(OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. April 2009 – OVG 10 S 5.09 -).
Die Kammer geht bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen und
gebotenen summarischen Prüfung davon aus, dass die Antragstellerin vor Eingang der
ersten Beschwerden der Bewohner des streitgegenständlichen Gebäudes im November
2008 aufgrund der besonderen Umstände des Falles keine Kenntnis von der
Baugenehmigung hatte und sie diese auch nicht hätte erlangen müssen.
Anlass, der Frage nachzugehen, ob eine Baugenehmigung erteilt worden ist, geben
spätestens deutlich wahrnehmbare Bauarbeiten (vgl. OVG Brandenburg, Beschlüsse
vom 28. Januar 2000 – 3 B 67/99 –, LKV 2001, 466, und vom 8. Mai 1998 – 3 B 89/97 -).
Dabei kommt es nicht auf den Zeitpunkt an, in dem der Nachbar von solchen
Bauarbeiten tatsächlich Kenntnis genommen hat, sondern auf denjenigen, in dem er von
diesen Arbeiten hätte Kenntnis nehmen können (OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 1988 –
7 A 827/86 -). Allein das Abstellen auf die Erkennbarkeit wird dem zwischen dem
Bauherrn und dem Nachbarn bestehenden nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis
gerecht, das dem Nachbarn die Obliegenheit auferlegt, durch ein zumutbares aktives
Handeln mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder
den Vermögensverlust möglichst niedrig zu halten, und der er dadurch nachzukommen
hat, dass er nach Erkennen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen seine
nachbarlichen Einwendungen ohne Verzögerung geltend macht (vgl. BVerwG, Urteil vom
25. Januar 1974 – BVerwG IV C 2.72 –, BVerwGE 44, 294; Beschluss vom 16. April 2002 –
BVerwG 4 B 8.02 –, BRS 65 Nr. 195).
Die Gesellschafter der Antragstellerin und auch die Betreiber und Mitarbeiter des „Kn.
Klubs“ haben eidesstattlich und für die Kammer nachvollziehbar versichert, dass sie von
den Bauarbeiten bis Ende des Jahres 2008 tatsächlich keine positive Kenntnis erlangt
haben. Für die Richtigkeit dieser Erklärungen sprechen eine Reihe von Umständen.
Bereits aus der Lage der Grundstücke und der Anordnung und Gestaltung der
aufstehenden baulichen Anlagen, die die Kammer auch ohne Ortsbesichtigung anhand
der zur Gerichtsakte gereichten Pläne und Fotografien (Bd. I, Bl. 166 ff. der Gerichtsakte)
hinreichend beurteilen konnte, folgt ein starkes Indiz, dass die Bauarbeiten von dem
Grundstück der Antragstellerin und der ihr Grundstück erschließenden Gr. Straße aus
nicht wahrzunehmen waren. Das Grundstück der Antragstellerin und das Baugrundstück
stoßen lediglich im hinteren Bereich rechtwinklig aneinander; der Zugang zum
Baugrundstück liegt nicht an der Greifswalder Straße, sondern in der angrenzenden He.
Straße. In dieser Nebenstraße - nicht in der Gr. Straße - war folglich auch gemäß § 11
Abs. 3 BauO das Bauschild aufzustellen, womit nachvollziehbar wird, dass dieses von der
Antragstellerin unbemerkt blieb. Dass die Bauarbeiten selbst ebenfalls von ihr nicht
wahrgenommen wurden, erscheint aufgrund der geschilderten räumlichen
Gegebenheiten ebenfalls plausibel. Das gilt umso mehr, als die Bebauung des
Grundstücks der Antragstellerin die Bebauung des Nachbargrundstücks deutlich
überragt, die entsprechende grenzständige Brandwand fensterlos ist und die Höfe des
Grundstücks der Antragstellerin nicht zum Grundstück Heinrich-Roller-Straße 14,
sondern zur gegenüberliegenden Seite geöffnet sind. Diese Situation hatte zur Folge,
dass die Bauarbeiten auf dem Grundstück He. Straße 14 vom Grundstück der
Antragstellerin aus gesehen vollständig optisch abgeschirmt waren. Dass Baugeräte
zum Einsatz gekommen wären, die die Bebauung deutlich überragt hätten – etwa Kräne
– ist dem Verwaltungsvorgang gerade nicht zu entnehmen (vgl. die Aufzählung der
verwendeten Gerätschaften in der Baubeginn-Anzeige, Bl. 96 der Bauakte). Es ist auch
nicht davon auszugehen, dass die Bauarbeiten von den Gesellschaftern der
Antragstellerin oder auch den Bediensteten des „Kn. Klubs“ akustisch hätten
wahrgenommen werden müssen. Dagegen spricht schon, dass Bauarbeiten einerseits
und Diskotheken- und Probenbetrieb andererseits weitgehend zeitversetzt stattfanden
und im Übrigen während des engen Zeitfensters, in dem sich Bauarbeiten und
Anwesenheit von Personen auf dem Grundstück der Antragstellerin überschnitten, auf
letzterem ebenfalls geräuschintensive Aktivitäten (Proben) stattfanden.
Ein weiteres Indiz dafür, dass die Bauarbeiten von der Antragstellerin tatsächlich nicht
bemerkt wurden, ist die Tatsache, dass die Antragstellerin einige Jahre zuvor gegen ein
anderes (Wohn-)Bauvorhaben, das auf dem nordöstlich angrenzenden
Nachbargrundstück genehmigt worden war, energisch und zeitnah nach
Genehmigungserteilung vorgegangen ist (vgl. das verwaltungsgerichtliche Verfahren VG
13 A 70.05). Dieses Nachbargrundstück liegt an der Gre. Straße direkt neben dem
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13 A 70.05). Dieses Nachbargrundstück liegt an der Gre. Straße direkt neben dem
Grundstück der Antragstellerin und ist vom Grundstück der Antragstellerin aus von
beiden Höfen einsehbar, sodass die Bauarbeiten für sie unmittelbar erkennbar waren. Es
spricht alles dafür, dass die Antragstellerin gegen das Bauprojekt auf dem Grundstück
He. Straße 14, von dem in gleicher Weise eine Gefährdung des Diskothekenbetriebs
drohte, ebenfalls schnell und nachdrücklich vorgegangen wäre, hätte sie von diesem
Kenntnis gehabt. Umgekehrt erschiene es unverständlich, warum sie trotz dieser
Kenntnis das – die Existenz der Diskothek gefährdende – Projekt hätte zur Ausführung
kommen lassen sollen.
Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten waren die Bauarbeiten für die Antragstellerin
auch nicht erkennbar. Eine Erkennbarkeit könnte allenfalls dann erwogen werden, wenn
die Antragstellerin von Rechts wegen verpflichtet gewesen wäre, in regelmäßigen
Abständen und ohne konkreten Anlass alle Nachbargrundstücke daraufhin in
Augenschein zu nehmen, ob hier beeinträchtigende Bauarbeiten stattfinden. Eine solche
Pflicht ist indes weder in der Bauordnung noch in anderen Rechtsvorschriften festgelegt:
Eine derart weitgehende Pflicht kann – selbst bei unübersichtlichen baulichen
Gegebenheiten – auch nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis abgeleitet
werden.
Die Antragstellerin hat nach eigenen Angaben erst zu Anfang des Jahres 2009 von der
Baugenehmigung Kenntnis erlangt. Ihr Ende August 2009 eingelegter Widerspruch ist
folglich vor Ablauf der einjährigen Widerspruchsfrist erfolgt. Daran würde sich auch nichts
ändern, wenn sie bereits im November 2008 aufgrund der ersten Beschwerden von der
Baugenehmigung Kenntnis erlangt hätte oder hätte erlangen müssen. Besondere
Umstände, die es ausnahmsweise geboten erscheinen ließen, eine Verwirkung des
Rechts zur Einlegung des Widerspruchs deutlich vor Ablauf der regelmäßig
heranzuziehenden Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO anzunehmen (vgl. OVG Bln-Bbg,
Urteil vom 20. Dezember 2005 – OVG 10 B 10.05 –), sind von den Beteiligten weder
vorgetragen worden noch sonst erkennbar. Weder standen für die Beigeladenen ab
November 2008 erhebliche, zeitnah zu treffende Vermögensdispositionen an – diese
waren bereits vor und während der Errichtung des Bauwerks zu treffen gewesen - noch
hat die Antragstellerin bei den von den Beteiligten ab Frühjahr 2009 geführten
Verhandlungen – die sich wohl auch auf die immissionsschutzrechtliche Problematik
konzentrierten – den Anschein erweckt, sie werde ihr Widerspruchsrecht nicht ausüben.
Die Antragstellerin hat unabhängig davon, wie das Gebiet planungsrechtlich einzustufen
ist, einen aus § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO oder § 34
Abs. 1 BauGB folgenden Abwehranspruch.Die angegriffene Baugenehmigung verletzt
das diesen Vorschriften zu entnehmende (drittschützende) Rücksichtnahmegebot.
Welche Anforderungen sich aus dem Rücksichtnahmegebot im Einzelnen ergeben, hängt
davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem
Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies
beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Geht es wie
hier um (Lärm-)Emissionen, ist zur Rücksichtnahme nicht nur derjenige verpflichtet, der
Emissionen verursacht, sondern auch derjenige, der ein gegenüber Immissionen
schutzbedürftiges Vorhaben wie ein Wohngebäude in der Nachbarschaft einer
emittierenden Anlage errichtet. Nicht nur Vorhaben, von denen Belästigungen und
Störungen ausgehen, sondern auch solche, die sich schädlichen Umwelteinwirkungen
aussetzen, können gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (VGH München,
Beschluss vom 4. August 2008 - 1 CS 07.2770 -, juris Rn. 20; VG Berlin, Beschluss vom
9. April 2009 – VG 13 L 31/09 -).
Der streitgegenständliche Bau wird durch die auf dem Grundstück der Antragstellerin
aufgrund bestandskräftiger Baugenehmigung und gewerberechtlicher Genehmigung
betriebene Diskothek unzumutbaren, rücksichtslosen Störungen ausgesetzt. Das folgt
ohne Weiteres daraus, dass der Diskothekenbetrieb in den Wohnungen des
streitgegenständlichen Gebäudes Geräuschimmissionen verursacht, die die Grenzwerte
der TA Lärm übersteigen. Dabei ist ohne Belang, wie das Gebiet planungsrechtlich im
Einzelnen einzustufen ist und ob Absatz 1 oder Absatz 2 des § 34 BauGB zur Anwendung
gelangt. Die TA Lärm setzt in Ziff. 6.2 den hier maßgeblichen Immissionsrichtwert für
Immissionsorte innerhalb von Gebäuden oder bei Körperschallübertragung für die
Nachtzeit einheitlich auf 25 dB(A) fest. Dieser Wert wird in den Wohnungen der
Beigeladenen zu 2. deutlich, z. T. um mehr als 10 dB(A), überschritten, wobei die
Überschreitungen zudem in dem besonders belästigenden und schwer zu reduzierenden
tieffrequenten Bereich festzustellen sind (vgl. den Messbericht des Umweltamtes vom
25.Februar 2009, Bd. I Bl. 91 f. der Ordnungsamtsakte, sowie das „Schalltechnische
Gutachten“ Ra. vom 4. August 2009, Bd. I Bl. 35 ff. der Gerichtsakte, und das Schreiben
des Ordnungsamtes des Antragsgegners vom 13. Januar 2010, Bd. II Bl. 289 f. der
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des Ordnungsamtes des Antragsgegners vom 13. Januar 2010, Bd. II Bl. 289 f. der
Gerichtsakte). Nach einer in der Ordnungsamtsakte (Bd I Bl. 217) befindlichen
umweltmedizinischen Stellungnahme des Gesundheitsamtes vom 8. September 2009
lassen die gemessenen Werte eine Gesundheitsgefährdung befürchten. Wenn
überhaupt, könnte Abhilfe nur durch erhebliche und kostenaufwändige bauliche
Veränderungen geschaffen werden (vgl. auch hierzu das „Schalltechnische Gutachten“).
Der Antragstellerin bzw. dem „Kn. Klub“ drohen zudem einschneidende
immissionsschutzrechtliche Auflagen, die den weiteren Betrieb der Diskothek in Frage
stellen (vgl. Bd. II Bl. 284 ff. der Gerichtsakte). Angesichts dieses Sachstandes, der
letztlich von keinem Beteiligten in Frage gestellt wird, liegt auf der Hand, dass der
streitgegenständliche Wohnbau rücksichtslos ist. Der Nutzungskonflikt zwischen
unmittelbar angrenzender Wohnbebauung und kerngebietstypischer Vergnügungsstätte
(§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) hätte bereits im Genehmigungsverfahren erkannt werden
müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 3 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 39 ff., 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr.
2 GKG. Dabei ist die Kammer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von der
Hälfte des sich nach Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
(Fassung 7/2004, NVwZ 2004, S. 1327 [1329]) für die Klage eines Nachbarn ergebenden
Betrages in Höhe von 7.500,-- Euro ausgegangen (Nr. 1.5).
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