Urteil des VG Berlin vom 02.08.2006

VG Berlin: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, minderung, widerspruchsverfahren, innenverhältnis, vergleich, gebühr, probe, beamtenverhältnis, entlassung, quelle

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Gericht:
VG Berlin 35.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
35 KE 48.07, 28 A
307.05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 RVG, § 2 Anl 1 Nr 3100
RVG, § 2 Anl 1 Nr 2301 RVG, § 2
Anl 1 Teil 3 Vorbem 3 Abs 4 S 1
RVG, § 11 RVG
Rechtsanwaltsvergütung: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf
die Verfahrensgebühr im Rahmen der Kostenfestsetzung im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren
Leitsatz
Erstattung der Geschäftsgebühr, d.h. auch Minderung der
Verfahrensgebühr
Tenor
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. August 2006 wird
zurückgewiesen.
Der Erinnerungsführer hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 517,25 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Erinnerung (Antrag auf gerichtliche Entscheidung, §§ 165, 151 VwGO) hat
keinen Erfolg.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat in dem angegriffenen
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. August 2006 die mit dem
Kostenfestsetzungsantrag des Erinnerungsführers vom 1. Juni 2006 geltend gemachten
Gebühren nach § 11 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG) zutreffend nicht in vollem Umfang
festgesetzt, sondern auf die Verfahrensgebühr nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 3100 des
Vergütungsverzeichnisses RVG (Anlage 1 zu § 2 RVG – im Folgenden: VV) die wegen
desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 S.
1 VV angerechnet. Aus den Akten ergibt sich, dass eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2301
VV entstanden ist, diese durch die Gegenseite zu erstatten ist (vgl. § 162 Abs. 2 S. 2
VwGO) und mit dem Kostenfestsetzungsantrag vom 1. Juni 2006 geltend gemacht
wurde.
1.
der Anwalt – wie vom Erinnerungsführer in den Schriftsätzen vom 13. Juni 2006, 20. Juli
2007 und 8. August 2006 angegeben – weniger verdient, entspricht der Intention des
Gesetzgebers. Das mit der Schaffung von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV bezweckte Ziel
war gerade die Vermeidung einer „doppelten Honorierung“ des Rechtsanwalts (BT-Drs.
15/1971, S. 209).
Gegen eine Anrechnung spricht auch nicht die Regelung des § 17 Nr. 1 RVG, dass
Vorverfahren und gerichtliches Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind. Daraus
ergibt sich – wie im Kostenfestsetzungsbeschluss zutreffend ausgeführt wurde –, dass
verschiedene Gebühren anfallen (Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV und
Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV), aber nicht, ob eine Anrechnung dieser Gebühren
aufeinander erfolgt. Daher ist Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV auch und gerade im
Anwendungsbereich des § 17 Nr. 1 RVG anzuwenden.
Die Gebühren sind auch wegen desselben Gegenstandes angefallen, da vorliegend das
Widerspruchsverfahren und das gerichtliche Hauptsacheverfahren denselben
Streitgegenstand (Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe) betrafen. Die
Frage, ob das Verfahren VG 28 A 276.05 auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung der Widerspruchs – hier: gegen die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf
Probe – möglicherweise einen anderen Gegenstand betrifft und ob in diesem Verfahren
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Probe – möglicherweise einen anderen Gegenstand betrifft und ob in diesem Verfahren
keine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens zu erfolgen hätte (vgl. BayVGH, Beschluss vom 25. August 2005
– 22 C 05.1871 –, zitiert nach juris; HessVGH, Beschluss vom 29. November 2005 – 10 TJ
1637.05 –, NJW 2006, 1992), spielt bei der Frage der Anrechnung auf die
Verfahrensgebühr des hiesigen Hauptsacheverfahrens – entgegen den Ausführungen
des Erinnerungsführers im Schriftsatz vom 11. Oktober 2006 – keine Rolle.
2.
erstattenden Verfahrensgebühr im Kostenerinnerungsverfahren, da vorliegend ein
Anspruch gegen den Erinnerungsgegner sowohl hinsichtlich der Geschäftsgebühr als
auch der Verfahrensgebühr besteht (zur gegenteiligen Konstellation: VG Berlin,
Beschluss vom heutigen Tag – VG 35 KE 38.07 – m.w.N.).
a.
hinsichtlich der Verfahrensgebühr als auch der Geschäftsgebühr, somit hinsichtlich
zweier gleichartiger Leistungen, ermöglicht der Wortlaut von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV
die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr (vgl. VG Berlin,
Beschluss vom heutigen Tag – VG 35 KE 38.07 –; in diese Richtung auch VG Freiburg,
Beschluss vom 10. August 2006 – A 3 K 11018/05 –, zitiert nach juris, Leitsatz).
Der Wortlaut von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV knüpft daran an, gegenüber wem der
Erstattungsanspruch besteht. Die Anrechnung setzt dem Wortlaut nach allein das
Bestehen eines Anspruchs auf Erstattung der Geschäftsgebühr und der
Verfahrensgebühr voraus, ist aber nicht auf das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt
und Mandant beschränkt.
b.
nach Nr. 2301 VV und Nr. 3103 VV, die unabhängig von der Erstattungsfähigkeit der
einen Gebühr zur Minderung einer anderen Gebühr führen. Aus diesem Vergleich folgt
zwar, dass angesichts einer anderen Regelungstechnik Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV nur
bei Erstattungsfähigkeit der Geschäftsgebühr zur Minderung der Verfahrensgebühr führt
(vgl. VG Berlin, Beschluss vom heutigen Tag – VG 35 KE 38.07 –, m.w.N.). Aber
vorliegend ist gerade die – im Kostenfestsetzungsverfahren festzusetzende –
Geschäftsgebühr von der Gegenseite zu erstatten und somit unter systematischen
Aspekten nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV eine Minderung der Verfahrensgebühr
vorzunehmen.
c.
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV in der vorliegenden Konstellation nicht gegen die Minderung
der Verfahrensgebühr. Die Minderung der Verfahrensgebühr führt nicht zu einer
unbilligen Entlastung der Gegenseite und Belastung der obsiegenden Seite, wenn diese
– wie hier – der obsiegenden Partei die Geschäftsgebühr zu erstatten hat (zur
gegenteiligen Konstellation VG Berlin, Beschluss vom heutigen Tag – VG 35 KE 38.07 –,
m.w.N.): Die Gegenseite hat der obsiegenden Partei zwei Gebühren zu erstatten, bei
deren Addition zwar eine Anrechnung erfolgt, so dass das Ergebnis geringer ausfällt die
Summe aus Geschäftsgebühr und Verfahrensgebühr, jedoch höher als der Wert der
Verfahrensgebühr. Dass der Rechtsanwalt der obsiegenden Partei, der diese bereits im
Widerspruchsverfahren vertreten hat, dabei weniger Gebühren erhält, als zwei
verschiedene Anwälte für das Widerspruchsverfahren bzw. das gerichtliche Verfahren
erhalten hätten, entspricht der Intention des Gesetzgebers (s.o., zu 1.). Der
Rechtsanwalt muss auch gegenüber seinem Mandanten die gegenüber der Gegenseite
vorgenommene Minderung des Erstattungsanspruches gelten lassen. Er hat gegenüber
seinem Mandanten keinen Anspruch nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 2301, 3100 auf
Erstattung des infolge der Anrechnung geminderten Anteils.
Damit entspricht diese Auslegung dem Grundsatz des Kostenrechts, dass die Reichweite
der Erstattungspflicht sich nach dem Anspruch des Rechtsanwalts gegen seinen
Mandanten richtet (vgl. BayVGH, Beschluss vom 6. März 2006 – 19 C 06.268 –, NJW
2006, 1990; VG Oldenburg, Beschluss vom 5. Dezember 2006 – 11 A 436.06 –, zitiert
nach juris, Rn. 8 m.w.N.). Auch im Verhältnis des Rechtsanwalts zu seinem Mandanten
fällt zwar zunächst die ungekürzte Verfahrensgebühr an, auf die jedoch eine
entstandene Geschäftsgebühr anteilig anzurechnen ist, so dass nicht beide Gebühren in
voller Höhe erstattungsfähig sind.
Aus diesem kostenrechtlichen Grundsatz folgt auch, dass die Anrechnungsvorschrift
zwar primär das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant betrifft, aber auch
Auswirkungen auf das Außenverhältnis zur Gegenseite hat (BayVGH, Beschluss vom 6.
März 2006 – 19 C 06.268 –, NJW 2006, 1990 [1991] m.w.N., Rn. 12). Die Minderung
entlastet nicht nur den Mandanten, sondern letztlich auch die Gegenseite, wenn – wie
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entlastet nicht nur den Mandanten, sondern letztlich auch die Gegenseite, wenn – wie
hier – sowohl die Verfahrensgebühr als auch die Geschäftsgebühr gegenüber der
Gegenseite festzusetzen sind.
d.
Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung, und wird daher gleichzeitig die Festsetzung
der Geschäftsgebühr und der Verfahrensgebühr beantragt, sprechen auch keine
praktischen Einwendungen gegen die Anrechnung.
Zwar soll das Kostenfestsetzungsverfahren nicht mit der Prüfung belastet werden, in
welcher Höhe eine Geschäftsgebühr entstanden ist (VG Berlin, Beschluss vom heutigen
Tag – VG 35 KE 38.07 –), und geht der Hinweis auf eine pauschalierte Anrechung (vgl.
BayVGH, Beschluss vom 6. März 2006 – 19 C 06.268 –, NJW 2006, 1990) fehl, da
Vorbemerkung 3 Abs. 4 gerade keine pauschalierte Betrachtung ermöglicht (VG Berlin,
Beschluss vom heutigen Tag – VG 35 KE 38.07 –). Aber in den Fällen, in denen die
Festsetzung einer Geschäftsgebühr beantragt wird, ist es gerade Aufgabe des
Kostenverfahrens, die Höhe der festzusetzenden Geschäftsgebühr zu prüfen.
e.
Geschäftsgebühr nach § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO und Festsetzung dieser
erstattungsfähigen Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren erfolgt somit eine
Anrechnung (so auch BayVGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2007 – 25 C 07.754 –, zitiert
nach juris, und vom 9. Oktober 2007 – 3 C 07.1903 –, zitiert nach juris; VG Freiburg,
Beschlüsse vom 10. August 2006 – A 3 K 11018/05 –, zitiert nach juris, Leitsatz, und vom
21. März 2007 – 2 K 1377/06 –, zitiert nach juris; sowie Enders, JurBüro 2006, 78; so wohl
auch [da die Nicht-Anrechnung in Fällen erfolgte, in denen die Geschäftsgebühr bei der
Kostenfestsetzung nicht zu berücksichtigen war]: OVG NRW, Beschluss vom 25. April
2006 – 7 E 410.06 –, NJW 2006, 1991 [1992]; VG Köln, Beschluss vom 16. März 2006 –
18 K 6475.04 –, zitiert nach juris, Rn. 7; VG Frankfurt, Beschluss vom 13. März 2006 – 2 J
662.06 (1) –, JurBüro 2006, 314 [315]; VG Lüneburg, Beschluss vom 9. März 2006 – 5 A
42.05 -, JurBüro 2006, 314; KG Berlin, Beschlüsse vom 20. Juli 2005 – 1 W 285.06 –,
JurBüro 2006, 202, und vom 17. Juli 2007 – 1 W 256.07 –, JurBüro 2007, 582; OLG Hamm,
Beschluss vom 24. Mai 2005 – 23 W 45.05 –, JurBüro 2006, 202; sowie VG Berlin,
Beschluss vom heutigen Tag – VG 35 KE 39.07 –), so dass die Erinnerung
zurückzuweisen war.
Diese verwaltungsprozessuale Konstellation entspricht der zivilprozessualen
Fallgestaltung, dass der materiellrechtliche Anspruch auf Erstattung der
Geschäftsgebühr (z.B. als Verzugsschaden) miteingeklagt oder bereits tituliert ist und
daher eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr erfolgen kann (so OLG Rostock,
Beschluss vom 11. Oktober 2007 – 10 WF 184/07 –, zitiert nach juris, m.w.N.; OLG
Stuttgart, Beschluss vom 30. Oktober 2007 – 8 W 442/07 –, zitiert nach juris, m.w.N.;
a.A.
November 2007 – 18 W 283/07 –, zitiert nach juris).
3.
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