Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: anwendungsbereich, chemische industrie, kommission, feststellungsklage, vorschlag, gas, ausschuss, anfechtungsklage, abgabepflicht, genehmigung

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Gericht:
VG Berlin 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 A 205.06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 TEHG, § 5 TEHG, § 6 TEHG, §
17 TEHG, § 18 TEHG
Gas- oder kohlebefeuerten Hilfsdampferzeuger von
Abfallverbrennungsanlagen; Anwendungsbereich des TEHG
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die gerichtliche Feststellung, mit dem Betrieb ihres
Hilfsdampferzeugers nicht berichts- und abgabepflichtig nach dem Treibhausgas-
Emissionshandelsgesetz zu sein.
Sie betreibt die Abfallverwertungsanlage R. in Hamburg. Diese besteht aus zwei
Hauptkesseln mit einer Feuerungswärmeleistung von jeweils rund 58 MW und einer
Hilfsdampferzeugeranlage, bestehend aus zwei mit Gas betriebenen Dampfkesseln mit
einer Feuerungswärmeleistung von jeweils 18,4 MW. Die Hilfsdampferzeugeranlage dient
dazu, bei besonderen Umständen wie Revisionen, technischen Ausfällen der
Hauptanlage, zu geringem Abfallaufkommen, Witterungseinflüssen die Versorgung der
Kunden mit Dampf und Fernwärme sicherzustellen. Genehmigt wurde ihre Errichtung
und ihr Betrieb durch Bescheid der Immissionsschutzbehörde vom 16. September 1998
nach Maßgabe des § 16 Bundesimmissionsschutzgesetz.
Mit Schreiben vom 22. Juli 2004 beantragte die Klägerin sowohl bei der Deutschen
Emissionshandelsstelle (DEHSt) als auch bei der Immissionsschutzbehörde die
Feststellung, dass ihre Abfallverbrennungsanlage einschließlich der
Hilfsdampferzeugeranlage nicht dem Anwendungsbereich des Treibhausgas-
Emissionshandels-gesetz unterfalle. Nachdem eine positive Bescheidung dieser Anträge
nicht erfolgte, beantragte die Klägerin am 17. September 2004 vorsorglich hilfsweise die
Zuteilung von Emissionsberechtigungen für die Hilfsdampferzeugeranlage.
Mit Zuteilungsbescheid vom 14. Dezember 2004 wurden der Klägerin für die
Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 insgesamt 99.588 Berechtigungen zugeteilt. In der
Begründung dieses Bescheides heißt es, dem Hauptantrag der Klägerin auf Feststellung,
auch mit dem Hilfsdampferzeuger nicht dem Anwendungsbereich des Treibhaus-
Emissionshandelsgesetz zu unterfallen, habe nicht entsprochen werden können.
Der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom
22. März 2006 zurückgewiesen. Mit ihrer am 21. April 2006 bei Gericht eingegangenen
Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Mit bestandskräftigem Bescheid der DEHSt vom 16. Januar 2008 wurden der Klägerin für
die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 insgesamt 57.235 Berechtigungen zugeteilt. Zur
Frage der Emissionshandelspflichtigkeit der Hilfsdampferzeugeranlage verhält sich
dieser Bescheid nicht.
Die Klägerin meint, auch die von ihr betriebene Hilfsdampferzeugeranlage unterliege
nicht dem Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG).
Ausweislich der Begründung des federführenden Bundestagsausschusses für Umwelt
seien von der auf seine Veranlassung hin ins Gesetz aufgenommenen Regelung des § 2
Abs. 5 TEHG ausdrücklich auch Hilfsdampferzeuger erfasst. § 2 Abs. 1 Satz 2 TEHG finde
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Abs. 5 TEHG ausdrücklich auch Hilfsdampferzeuger erfasst. § 2 Abs. 1 Satz 2 TEHG finde
keine Anwendung, weil diese Regelung von der spezielleren des § 2 Abs. 5 TEHG
verdrängt werde.
Auch bestehe zumindest hinsichtlich der Frage der Berichts- und Abgabepflicht ein
streitiges Rechtsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten, vertreten durch die DEHSt,
welches einer Klärung im Wege der Feststellungsklage zugänglich sei.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass sie für die Hilfsdampferzeugeranlage der von ihr betriebenen
Müllverwertungsanlage R. in Hamburg nicht berichtspflichtig im Sinne der §§ 5 und 17
Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz ist und nicht abgabepflichtig im Sinne der §§ 6
und 18 dieses Gesetzes.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Feststellungsklage bereits für unzulässig. Die Klägerin habe richtiger Weise
im Wege der Anfechtungsklage gegen den Zuteilungsbescheid vorgehen müssen, weil
darin notwendig auch über die Handelspflichtigkeit der Anlage entschieden werde. Im
Übrigen bestehe das streitige Rechtsverhältnis über die Handelspflichtigkeit des
Hilfsdampferzeugers nicht zwischen der Klägerin und der Beklagten, sondern zwischen
der Klägerin und der Landesimmissionsschutzbehörde. Diese erteile die
Emissionsgenehmigung und entscheide daher mit Verbindlichkeit auch für die Beklagte
über die Handelspflichtigkeit von immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen
Anlagen.
Dessen ungeachtet sei die Klage auch unbegründet, weil die zeitlich erst nach § 2 Abs. 5
TEHG in den letztlich beschlossenen Gesetzentwurf aufgenommene Regelung des § 2
Abs. 1 Satz 2 TEHG die Einbeziehung des Hilfsdampferzeugers als gesondert
genehmigungsbedürftigem Anlagenteil in den Anwendungsbereich des Treibhausgas-
Emissionshandelsgesetzes verlange.
Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben vorgelegen und
waren, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend hierauf sowie auf den Inhalt der
Streitakte, insbesondere auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg; die Klägerin kann die begehrte gerichtliche Feststellung nicht
erlangen.
Das folgt indes nicht bereits daraus, dass ein streitiges Rechtsverhältnis hinsichtlich des
Unterfallens des Hilfsdampferzeugers der Klägerin unter den Anwendungsbereich des
TEHG (vom 8. Juli 2004, BGBl. I S. 1578, zuletzt geändert d. G. v. 25. Oktober 2008,
BGBl. I S. 2074) allein zwischen der Klägerin und der Landesimmissionsschutzbehörde
bestehe, wie die Beklagte meint. Selbst wenn dem so wäre, würde das am Vorliegen
eines streitigen Rechtsverhältnisses nichts ändern. Gegenstand der Feststellungsklage
kann nicht nur ein Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagtem sein, sondern auch
ein Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und einem Dritten, dem Beklagten und einem
Dritten oder gar nur zwischen Dritten (vgl. statt vieler Möstl, in Posser/Wolff, VwGO, § 43
Rn. 9 m. w. Nw. zur st. Rspr. des BVerwG). Im Hinblick darauf, dass die Durchsetzung der
Berichtspflicht (§§ 5, 17 TEHG) und vor allem der Abgabepflicht (§§ 6 Abs. 1, 18 TEHG)
der Beklagten und nicht der Landesimmissionsschutzbehörde obliegt (§ 20 Abs. 1
TEHG), besteht hinsichtlich des notwendigen Feststellungsinteresses der Klägerin an
einer Feststellung gerade gegenüber der Beklagten kein Zweifel, zumal diese an die
Rechtskraft eines Feststellungsurteils gegenüber der Landesimmissionsschutzbehörde
nicht gebunden wäre (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2005 – 7 C 26/04 -, NVwZ 2005, 1178,
1180 f.).
Die Beklagte meint ferner, die Klägerin sei wegen der Subsidiarität der
Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 VwGO) gehalten gewesen, im Wege der
Anfechtungsklage gegen die Zuteilungsbescheide vom 14. Dezember 2004 und,
hinsichtlich der Handelsperiode 2008 bis 2012, vom 16. Januar 2008 vorzugehen. Die
gerichtliche Entscheidung über eine Aufhebung der Zuteilungsbescheide beinhalte die
Prüfung der Emissionshandelspflichtigkeit der Anlage, so dass die Klägerin mit einer
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Prüfung der Emissionshandelspflichtigkeit der Anlage, so dass die Klägerin mit einer
Anfechtungsklage ihr Ziel erreicht hätte. Sie geht dabei offensichtlich davon aus, dass
die Zuteilungsbescheide – konkludent – auch eine verbindliche Feststellung über die
Emissionshandelspflichtigkeit der Anlage träfen und diese nicht nur als Vorfrage für die
Zuteilung behandelten. Wie sich dies zu ihrer soeben referierten Auffassung verhält,
allein die Landesimmissionsschutzbehörden entschieden bei der Erteilung der
Emissionsgenehmigung verbindlich über die Handelspflichtigkeit einer Anlage, mag indes
ebenso dahinstehen wie die Fragen, ob dem Zuteilungsbescheid vom 14. Dezember
2004 trotz Ablaufs der Handelsperiode eine konkludente Feststellungswirkung noch
zukommt und ob demjenigen vom 16. Januar 2008 eine solche zukommt, obwohl die
Klägerin in diesem Verfahren eine behördliche Feststellung über die Nichtanwendbarkeit
des TEHG nicht mehr beantragt hatte.
Denn die von der Klägerin begehrte gerichtliche Feststellung kann – mit der Folge der
Unbegründetheit der Klage – jedenfalls deshalb nicht getroffen werden, weil die Klägerin
als Betreiberin der streitigen Hilfsdampferzeugeranlage sowohl der Berichtspflicht nach
§§ 5 und 17 TEHG unterliegt als auch der Abgabepflicht nach §§ 6 und 18 TEHG.
Sie übt mit dem Betrieb dieser Anlage eine Tätigkeit i. S. d. § 3 (3) TEHG aus. Danach
gelten als Tätigkeiten im Sinne des TEHG die in seinem Anhang 1 genannten Tätigkeiten;
bei genehmigungsbedürftigen Anlagen im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 3 des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) sind die Festlegungen der
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung maßgeblich.
Zwar stellt, wie auch die Beklagte nicht verkennt, der Betrieb der beiden Hauptkessel der
Anlage der Klägerin keine Tätigkeit im Sinne des TEHG dar; wohl aber derjenige der zwei
Kessel der Hilfsdampferzeugeranlage. Dies folgt aus § 2 Abs. 1 Satz 2 TEHG, wonach das
TEHG auch für die in seinem Anhang 1 genannten Anlagen gilt, die gesondert
immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagenteil oder Nebeneinrichtung
einer Anlage sind, die nicht in Anhang 1 aufgeführt ist. Das ist bei beiden in Betracht
kommenden rechtlichen Einordnungen der Abfallverbrennungsanlage der Klägerin der
Fall:
Die Beklagte vertritt die Auffassung, die nach Nr. 8.1 a Spalte 1 des Anhangs zur 4.
Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (4. BImSchV)
genehmigte Abfallverbrennungsanlage der Klägerin unterfalle, da sie in erster Linie der
thermischen Beseitigung und Verwertung von Abfällen diene, keiner der im Anhang 1
zum TEHG genannten Tätigkeiten, insbesondere auch nicht der in Nr. I
zusammengefassten Tätigkeiten. Zu den in den Nummern I bis III des Anhangs zum
TEHG genannten Tätigkeiten zähle nur der Betrieb von Energieumwandlungsanlagen, die
nach den Nummern 1.1 bis 1.3 der 4. BImSchV genehmigt worden seien. Für die
Richtigkeit dieser Auffassung könnte etwa die (weitgehende) Wortgleichheit der
genannten Regelungen des Anhangs zum TEHG wie zur 4. BImSchV sprechen sowie die
Gesetzesmaterialen zur Schaffung des § 3 Abs. 3 Satz 2 TEHG durch Art. 2 Nr. 2 des
Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen zum Emissionshandel im Hinblick auf die
Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 vom 7. August 2007 [BGBl. I 1788] (vgl. die
Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 16/5240 S. 31; die Stellungnahme des
Bundesrats hierzu, BR-Drucks. 276/07 S. 11, sowie die Gegenäußerung der
Bundesregierung, BT-Drucks. 16/5617, Anlage 3, S. 13). Ferner könnte für sie sprechen,
dass auch der 15. Ausschuss ein Bedürfnis für die Schaffung des § 2 Abs. 5 TEHG nur
deshalb gesehen hat, weil „(…) das TEHG die ca. 55 Abfallverbrennungsanlagen, die
gemäß den abfallrechtlichen Vorgaben originär dem Zweck der thermischen Behandlung
von Abfällen dienen, als Anlagen zur Erzeugung von Strom, Dampf und Warmwasser
erfassen ( könnte) “ [BT-Drucks. a. a. O. S. 7 f.], nicht aber, weil es sie nach Ansicht des
Ausschusses ansonsten mit Bestimmtheit erfassen würde. Der Zweck des § 2 Abs. 5
Halbsatz 1 TEHG würde sich bei einem solchen Verständnis allerdings in der Regel darauf
beschränken, den Folgen einer Fehlinterpretation des Anhangs 1 zum TEHG bezüglich
Abfallverbrennungsanlagen vorzubeugen.
Sollte die Auffassung der Beklagten zutreffend sein, würde die gasbetriebene (Hilfs-
)dampferzeugeranlage der Klägerin als Anlage im Sinne der Nr. II des Anhangs 1 zum
TEHG ohne weiteres gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 TEHG dem Anwendungsbereich des TEHG
unterfallen, da die Leistungskapazitäten der beiden Hilfsdampferzeuger gemäß § 2 Abs.
3 TEHG zu addieren sind, womit eine Leistung beider Kessel vom mehr als 20 MW und
weniger als 50 MW vorliegt. Sofern nämlich eine Abfallverbrennungsanlage aufgrund der
Bindungswirkung ihrer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht dem Anhang 1
Nr. I bis V unterfallen sollte, läge ein Fall des § 2 Abs. 5 TEHG schon tatbestandlich nicht
vor, so dass sich die Frage nach dem Verhältnis des Absatzes 5 von § 2 TEHG zu seinem
Absatz 1 Satz 2 gar nicht stellen würde.
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Nichts anderes gilt, wenn die Abfallverbrennungsanlage der Klägerin entgegen der
Auffassung der Beklagten trotz ihrer Genehmigung nach Nr. 8.1 a Spalte 1 des Anhangs
zur 4. BImSchV tatbestandlich als Tätigkeit i. S. d. Nr. I des Anhangs 1 zum TEHG zu
qualifizieren sein sollte, nämlich als Anlage zur Erzeugung von Dampf, Warmwasser oder
Prozesswärme mit einer Feuerungswärmeleistung von 50 MW oder mehr. Denn dann
wäre sie als Abfallverbrennungsanlage zumindest mittelbar dem Anwendungsbereich
des TEHG und somit auch demjenigen seines Anhangs 1 entzogen, weil § 2 Abs. 5 TEHG
Anlagen vom Anwendungsbereich des TEHG ausnimmt, die ausschließlich gefährliche
Abfälle oder Siedlungsabfälle verbrennen (so auch Spieth/Hamer,
Abfallverbrennungsanlagen und Emissionshandel, AbfallR 2004, 218, 223).
Dies gilt indes nicht für die gas- oder kohlebefeuerten Hilfsdampferzeuger von
Abfallverbrennungsanlagen; diese bleiben – wie die entsprechende Anlage der Klägerin -
vielmehr gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 TEHG als gesondert genehmigungsbedürftiger
handelspflichtiger Anlagenteil oder Nebeneinrichtung einer (ansonsten) nicht
handelspflichtigen Anlage dem Anwendungsbereich des TEHG unterworfen (so auch
Beyer, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, Bd. II § 2 TEHG Rn. 22; Rebentisch, in: Feldhaus,
BundesimmissionsschutzR, Band 8, § 2 TEHG Rn. 10)
Die Klägerin sieht vom gesetzlichen Ausschluss der Abfallverbrennungsanlagen in § 2
Abs. 5 TEHG auch die Hilfsdampferzeuger solcher Anlagen umfasst (so mit Bezug auf
die Gesetzesbegründung auch Spieth/Hamer, a. a. O. S. 223; Theuer, in: Frenz,
Emissionshandelsrecht, 2. Aufl., § 2 TEHG Rn. 63). Denn der Bericht des Ausschusses für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss), auf dessen Vorschlag die
Schaffung des § 2 Abs. 5 TEHG zurückgeht, habe ausweislich seiner Begründung für
diesen Vorschlag die in der Bundesrepublik betriebenen Abfallverbrennungsanlagen
„einschließlich aller Nebenanlagen (Hilfsdampferzeuger, Zwischenüberhitzer
Stützbrenner, etc.)“ [BT-Drucks. 15/2693 S. 7 f.] vom Anwendungsbereich des Gesetzes
suspendiert sehen wollen.
Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Die Schaffung des § 2 Abs. 5 TEHG dient
ausweislich der Begründung des 15. Ausschusses dazu sicherzustellen, dass der
nationale Gesetzgeber den umzusetzenden Vorgaben der Emissionshandelsrichtlinie
2003/87/EG (vom 13. Oktober 2003, Amtsblatt der Europäischen Union L 275/32; fortan
EH-RiLi) Rechnung trägt (BT-Drucks. a. a. O. S. 7). Diese – im Verfahren nach Art. 251
EGV ergangene - Richtlinie nimmt in ihrem Anhang 1 „Anlagen für die Verbrennung von
gefährlichen oder Siedlungsabfällen“ von der Emissionshandelspflichtigkeit aus und geht
ihrerseits zurück auf den insoweit wortgleichen Vorschlag der Kommission der
Europäischen Gemeinschaften vom 23. Oktober 2001.
Dort heißt es zur Begründung:
„11. UNTER DIE RICHTLINIE FALLENDE SEKTOREN
(…)
Die chemische Industrie und die Abfallverbrennungswirtschaft werden nicht
einbezogen, wohl aber Kohlendioxidemissionen der an ihren Standorten vorhandenen
Kapazitäten zur Energie- und Wärmeerzeugung, wenn diese über 20 MW liegen. (…)
Auch die Abfallverbrennungswirtschaft wurde nicht einbezogen, da die Messung des
Kohlenstoffanteils im zu verbrennenden Abfallmaterial sich sehr komplex gestaltet.“
(KOM (2001) 581 endgültig S. 11)
Von einer weitergehenden Begünstigung der Abfallverbrennungswirtschaft hat die
Kommission auch im weiteren Verfahren ausdrücklich abgesehen und ausgeführt:
„Laut Änderungsantrag 97 (…) sollen KWK und der Einsatz von Brennstoffen aus
Abfall besonders berücksichtigt werden, die Kommission soll entsprechende Leitlinien
ausarbeiten. Dieser Änderungsantrag kann nicht akzeptiert werden. (…) Was Brennstoffe
aus Abfall angeht, so könnte die Gewährung zusätzlicher Berechtigungen die
Abfallverbrennung anstatt von Wiederverwendung und Recycling fördern.“ (KOM(2002)
680 endgültig S. 8 f.)
Da keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der 15. Ausschuss mit seinem
Änderungsvorschlag über die EH-RiLi hinausgehen wollte, ist davon auszugehen, dass
ihm bei der Abfassung der Begründung seines Vorschlags nicht geläufig war, dass die
Kommission und ihr folgend der Richtliniengeber die „vorhandenen Kapazitäten zur
Energie- und Wärmeerzeugung, wenn diese über 20 MW liegen“, gerade nicht
privilegieren wollte. Im Hinblick auf das Gebot richtlinienkonformer Auslegung nationalen
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privilegieren wollte. Im Hinblick auf das Gebot richtlinienkonformer Auslegung nationalen
Rechts (hierzu etwa Herdegen, Europarecht, 11. Aufl., § 9 Rn. 40 ff. m. w. Nw. zur Rspr.
des EuGH sowie der nationalen Bundesgerichte) besteht vor diesem Hintergrund kein
Anlass, Hilfsdampferzeuger von Abfallverbrennungsanlagen vom Anwendungsbereich
des TEHG auszunehmen. Anders als etwa Stützbrenner dienen sie nicht unmittelbar
dazu, den Verbrennungsprozess von Abfall in Gang zu setzen oder aufrecht zu halten.
Sie dienen vielmehr dazu, Leistungsengpässe der Abfallverbrennung auszugleichen. Das
Ausmaß ihres Einsatzes hängt nicht nur von der Menge des jeweils zur Verfügung
stehenden Abfalls ab, sondern auch davon, welche Kapazitäten der Betreiber der
Abfallverbrennungsanlage bereit zu stellen sich verpflichtet hat. Würde die Klägerin die
Kapazitäten ihrer Hilfsdampferzeugeranlage voll ausnutzen, stünde ihr neben der
Leistung aus den Hauptkesseln (je 58 MW) eine Feuerungswärmeleistung von immerhin
weiteren 36,8 MW zur Verfügung, deren Nutzung einer Beschränkung nicht unterliegen
würde. Besteht des Weiteren, wie aufgezeigt wurde, der Grund für die Privilegierung der
Abfallverbrennungsanlagen in der Schwierigkeit der Erfassung der durch die
Verbrennung von Abfall verursachten Emissionen, ist nicht ersichtlich, weshalb Gas oder
andere fossile Brennstoffe verfeuernde Nebenanlagen von Abfallverbrennungsanlagen
gegenüber sonstigen gesondert genehmigungsbedürftigen Nebenanlagen nicht
handelspflichtiger Anlagen bevorzugt werden sollten. Zumal die Regelung des § 2 Abs. 5
TEHG ausschließlich deshalb als notwendig erschien, weil der nationale Gesetzgeber den
Tätigkeitskatalog des TEHG in Anlehnung an den Anhang zur 4. BImSchV verfasst hat,
statt den Anhang I der EH-RiLi wortgetreu zu übernehmen, was gesetzestechnisch in
gleicher Weise möglich gewesen wäre.
Etwas anders folgt entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus der Definition
des Anlagenbegriffs in Art. 3 lit. e EH-RiLi, denn es besteht kein Anhaltspunkt für die
Annahme, der Richtliniengeber habe mit dieser (weiten) Fassung des Anlagenbegriffs die
(bereits aufgezeigte) Absicht der Kommission konterkarieren wollen, Nebenanlagen von
Abfallverbrennungsanlagen mit einer Leistung von mehr als 20 MW in den
Anwendungsbereich der Richtlinie einzubeziehen. Ein derartiges Verständnis des
Anlagenbegriffs i. S. d. § 2 Abs. 5 TEHG würde daher dem Grundsatz richtlinienkonformer
Auslegung widersprechen.
Es hätte ferner die zweifellos nicht gewünschte Folge, dass keine
Abfallverbrennungsanlage in der Bundesrepublik, die über einen gas- oder
kohlebefeuerten Hilfsdampferzeuger verfügt, vom Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 5
TEHG erfasst wäre; bei einem derart einheitlichen Anlagenbegriff würde nämlich keine
dieser Anlagen „ausschließlich“ mit den in § 2 Abs. 5 TEHG geforderten gefährlichen
Abfällen oder Siedlungsabfällen befeuert werden.
Nach allem besteht kein hinreichender Grund für die Annahme, die Regelung des § 2
Abs. 5 TEHG gehe als speziellere derjenigen des § 2 Abs. 1 Satz 2 TEHG vor, zumal
letztgenannte Norm erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses in das TEHG
aufgenommen wurde (vgl. BR-Drucks. 452/04 S. 3 bzw. BT-Drucks. 15/3250 S. 2), zu
einem Zeitpunkt also, zu dem § 2 Abs. 5 TEHG bereits Eingang in den Gesetzentwurf
gefunden hatte, und der Gesetzgeber keine Veranlassung sah, Anlagenteile oder
Nebenanlagen von Anlagen nach § 2 Abs. 5 TEHG vom Anwendungsbereich des § 2 Abs.
1 Satz 2 TEHG auszunehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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