Urteil des VG Aachen vom 23.01.2003
VG Aachen: anhörung, aussageverweigerungsrecht, kennzeichen, rechtsgrundlage, unmöglichkeit, unterrichtung, sanktion, aufbewahrung, erstreckung, geschwindigkeit
Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 879/02
Datum:
23.01.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
2 K 879/02
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Aufhebung einer vom Beklagten angeordneten
Fahrtenbuchauflage für das von ihm gehaltene Fahrzeug der Marke Mercedes-Benz mit
dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 000.
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Laut Aufzeichnung einer Stativmessanlage wurde mit diesem Fahrzeug am 29. Mai
2001 um 11.19 Uhr auf der Bundesautobahn A 7 bei Werneck in Fahrtrichtung Würzburg
eine Verkehrsordnungswidrigkeit (ungenügender Sicherheitabstand von weniger als
3/10 des halben Tachowertes bei einer Fahrtgeschwindigkeit von 109 km/h) begangen.
Auf die Anhörung im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens begehrte der Kläger
über seine Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 8. Juni 2001 Akteneinsicht.
Zum mutmaßlichen Fahrzeugführer machte er keine Angaben. Die Ermittlungen des
Ermittlungsdienstes anhand des Messfotos führten nicht zur Feststellung des
verantwortlichen Fahrzeugführers, der Kläger machte von seinem
Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, so dass das Ordnungswidrigkeitenverfahren
eingestellt wurde.
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Mit Ordnungsverfügung vom 10. Dezember 2001 legte der Beklagte dem Kläger die
Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von sechs Monaten auf, nachdem ihm
zuvor Gelegenheit gegeben worden war, sich zu der beabsichtigten Maßnahme zu
äußern. Der Kläger erhob gegen diese Ordnungsverfügung am 20. Dezember 2001
Widerspruch, mit dem er geltend machte, dass bereits der Anhörungsbogen im Rahmen
des Ordnungswidrigkeitenverfahrens erst eine Woche nach dem Vorfall übersandt
worden, der Ermittlungsdienst erst zwei Monate später tätig geworden sei, so dass er
sich bereits aufgrund des Zeitablaufes nicht mehr an den Fahrer seines Fahrzeuges
habe erinnern können. Darüber hinaus dürfe man das ihm zustehende
Aussageverweigerungsrecht nicht mit Hilfe der nachfolgenden Fahrtenbuchauflage
aushöhlen. Schließlich sei die Fahrtenbuchauflage unverhältnismäßig, da es sich um
einen erst- und einmaligen Verstoß gehandelt habe. Die Bezirksregierung Köln wies mit
Widerspruchsbescheid vom 12. April 2002 den Widerspruch zurück.
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Der Kläger hat am 3. Mai 2002 Klage erhoben. Er trägt in Ergänzung seiner bisherigen
Ausführungen vor, die Fahrtenbuchauflage sei bereits deshalb unverhältnismäßig, weil
der zugrundeliegende Verkehrsverstoß nur mit einem Punkt belegt worden wäre.
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Er beantragt schriftsätzlich,
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den Bescheid des Beklagten vom 10. Dezember 2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 12. April 2002 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Er nimmt Bezug auf die streitgegenständlichen Bescheide.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der
Bezirksregierung Köln verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer kann gemäß § 84 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne
mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine
besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der
Sachverhalt geklärt ist. Kläger und Beklagter sind hierzu entsprechend gehört worden.
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Die Klage ist unbegründet.
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Die angegriffene Ordnungsverfügung des Beklagten vom 10. Dezember 2001 und der
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Köln vom 12. April 2002 sind rechtmäßig
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die angeordnete Fahrtenbuchauflage ist § 6 Abs. 1 Nr. 3 des
Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 31 a Abs. 1 Satz 1 der
Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO). Nach letztgenannter Vorschrift kann die
Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn
zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches
anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung
gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm sind erfüllt:
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Mit dem in Rede stehenden Fahrzeug des Klägers wurde am 29. Mai 2001 den
Verkehrsvorschriften der §§ 24 StVG, 4 Abs. 1, 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 4 der
Straßenverkehrsordnung (StVO) und Ziffer 6.1 der Verordnung über Regelsätze für
Geldbußen und über die Anordnung eines Fahrverbots wegen Ordnungswidrigkeiten im
Straßenverkehr (BKatV) zuwider gehandelt, indem der Führer des Fahrzeuges bei einer
Geschwindigkeit von 109 km/h weniger 3/10 des halben Tachowertes
Sicherheitsabstand eingehalten hat.
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Die Feststellung des Fahrzeugführers nach dieser Zuwiderhandlung war nicht möglich.
"Unmöglichkeit" im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist anzunehmen, wenn die
Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu
ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat.
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vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteile vom
23. Februar 1996 - 25 A 4716/95 -, und vom 17. Dezember 1998 - 25 A 1358/98 -.
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Insoweit ist die Verfolgungsbehörde grundsätzlich gehalten, wenn die Feststellung des
Fahrzeugführers auf frischer Tat nicht möglich oder nicht tunlich ist, zumindest den
Halter sobald wie möglich von der mit seinem Fahrzeug begangenen
Verkehrsordnungswidrigkeit zu unterrichten. Dies erfordert im Regelfall eine
Unterrichtung des Fahrzeughalters von dem Verkehrsverstoß innerhalb von zwei
Wochen, damit dieser die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch
zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 13. Oktober 1978 - 7 C 77.74 -,
Buchholz 442.16 § 31 a StVZO, Nr. 5; Beschluss vom 25. Juni 1987 - 7 B 139.87 -,
Deutsches Autorecht (DAR) 1987, 393.
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Dies ist vorliegend erfolgt. Der Kläger hat auf die Anhörung zur
Verkehrsordnungswidrigkeit, die am 29. Mai 2001 begangen wurde, bereits mit
Schriftsatz vom 8. Juni 2001 reagiert. Die Verfolgungsbehörde hat alle angemessenen
und zumutbaren Maßnahmen ergriffen. Mangels entsprechender Anknüpfungspunkte
waren weitergehende Ermittlungen als die vorgenommene Halterbefragung nicht
angezeigt, zumal Anhaltspunkte, die auf einen konkreten anderen Täter hätten
hindeuten können, nicht ersichtlich waren.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Juli 2002 - 8 A 1688/01 - und vom 8. August 2002 -
8 A 3137/02 - zur Frage, welcher Ermittlungsaufwand bei fehlender Mitwirkung des
Fahrzeughalters angemessen ist.
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Ein Ermittlungsdefizit ist nach Einschätzung der Kammer nicht gegeben. Die
Anwendbarkeit von § 31 a StVZO wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger
auf die Anhörung zum Verkehrsverstoß von seinem gesetzlichen
Aussageverweigerungsrecht gemäß § 136 der Strafprozessordnung (StPO) Gebrauch
gemacht und die Benennung des Fahrzeugführers abgelehnt hat. Es enspricht ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die Ausübung des
Aussgeverweigerungsrechts in einem wegen des Verkehrsverstoßes durchgeführten
Verfahren der Anwendbarkeit von § 31 a StVZO nicht entgegensteht, namentlich durch
eine Fahrtenbuchauflage nicht "unterlaufen oder ausgehöhlt" wird.
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Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 7. Dezember 1981 - 2 BvR
1172/81 -, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1982, 5688; BVerwG, Beschlüsse
vom 11. August 1999 - 3 B 96.99 - und vom 22. Juni 1995 - 11 B 7.95 -; OVG NRW,
Urteil vom 23. Februar 1996 - 25 A 4716/95 -.
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Die Fahrtenbuchauflage ist nämlich keine Sanktion der Aussageverweigerung; sie
knüpft nicht an die Tatsache der Aussageverweigerung an, sondern an die fehlende
Täterfeststellung. Die bei der Entscheidung für oder gegen die Aussageverweigerung
theoretisch bestehende Möglichkeit, dem Halter mit dem Fahrtenbuch eine Pflicht zur
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Mitwirkung an der Aufklärung künftiger Verkehrsverstöße aufzuerlegen, berührt die
Ausübung des Aussageverweigerungsrechts nicht, zumal auch bei Vorhandensein
eines Fahrtenbuches gegebenfalls die Aussage über dessen inhaltliche Richtigkeit
verweigert werden kann.
Sind nach alledem die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 a Abs. 1 Satz 1
StVZO gegeben, so erweist sich die Anordnung der Fahrtenbuchauflage auch im
Übrigen als rechtmäßig. Die Auferlegung eines Fahrtenbuches für die Dauer von sechs
Monaten nach dem vorliegend vorgetragenen einmaligen Verkehrsverstoß begegnet
namentlich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten keinen Bedenken.
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Angesichts der Schwere der vorliegenden Zuwiderhandlung, die nach Nr. 5.5 der
Anlage 13 zur im August 1998 in Kraft getretenen Fahrerlaubnisverordnung mit drei
Punkten erfasst wird, ist bereits nach einem erstmaligen Verstoß eine
Fahrtenbuchauflage erforderlich und angemessen, ohne dass es einer konkreten
Verkehrsgefährdung bedurft hätte.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. März 1995 - 25 B 98/95 -, NJW 1995, 2242, Urteil
vom 31. März 1995 - 25 A 2798/93 - sowie vom 23. Februar 1996 - 25 A 4716/95 -;
BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 - 11 C 12.94 -, NJW 1995, 2866; zur neueren
Rechtslage: OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 1999 - 8 B 1399/99 -, bestätigt
durch BVerwG, Beschluss vom 9. September 1999 - 3 B 94.99 -, OVG NRW, Urteil vom
29. April 1999 - 8 A 699/97 -.
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Die in der Ordnungsverfügung ferner geregelte Erstreckung der Fahrtenbuchauflage auf
Ersatzfahrzeuge für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 000 findet in
§ 31 a Abs. 1 Satz 2 StVZO eine ausreichende Rechtsgrundlage und erweist sich
vorliegend als hinreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes. Vorliegend sind Anhaltspunkte für eine Veräußerung
ohne Wiederbeschaffung weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Die weiterhin in der Ordnungsverfügung enthaltenen Bestimmungen, die Inhalt, Vorlage
und Aufbewahrung des Fahrtenbuches betreffen, rechtfertigen sich aus § 31 a Abs. 2
und 3 StVZO.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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