Urteil des VG Aachen vom 10.11.2005

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Verwaltungsgericht Aachen, 6 K 2664/03
Datum:
10.11.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 2664/03
Tenor:
Der ergänzende Festsetzungsbescheid der Beklagten vom 27. Oktober
2003 zum Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2001 wird
aufgehoben.
Die Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens
und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin jeweils zur Hälfte;
außerdem tragen die Beklagte und der Beigeladene jeweils ihre
eigenen außergerichtlichen Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrags vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Ausgleichszahlungen nach § 55
Abs. 2 Landeswassergesetz Nordrhein-Westfalen -LWG NW-, welche die Beklagte zu
Lasten der Klägerin zum Ausgleich von Kosten festgesetzt hat, die dem Beigeladenen
durch Maßnahmen der Abwasserbeseitigung, nämlich durch den Bau einer zusätzlichen
Flockungsfiltrationsstufe an der Kläranlage V. /O. entstanden sind (Investitionskosten)
und seit der Inbetriebnahme der Anlagen fortlaufend weiter entstehen (Betriebskosten).
2
Mit Schreiben vom 8. Februar und 16. September 1996 beantragte der Beigeladene bei
der Beklagten die Festsetzung einer pauschalen Ausgleichszahlung gemäß § 55 Abs. 2
Landeswassergesetz Nordrhein-Westfalen -LWG NW- für Aufwendungen, die ihm im
Einzugsbereich der Flüsse V. und P. durch Maßnahmen der Abwasserbeseitigung,
nämlich durch
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(1) den Bau und Betrieb zusätzlicher Flockungsfiltrationsstufen an den Kläranlagen
Gemünd, T. , L. , N. und V. /O. entstanden sind (Investitionskosten) und seit der
Inbetriebnahme der Anlagen fortlaufend weiter entstehen (Betriebskosten) sowie
4
(2)
5
(3) durch den Bau von Regenwasserbehandlungsanlagen (Regenüberlaufbecken) im
Einzugsgebiet der Kläranlagen T. , H. , C. , V. , T1. , T2. , L. , N. und O. entstanden sind
(Investitionskosten).
6
(4)
7
Mit Bescheid vom 25. November 1997 lehnte die Beklagte nach erfolgter Anhörung den
Antrag der Beigeladenen auf Festsetzung einer Ausgleichszahlung nach § 55 Abs. 2
LWG NW ab.
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Der Beigeladene legte gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten mit Schreiben
vom 19. Dezember 1997 Widerspruch ein.
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Die Beklagte beteiligte die Klägerin am Widerspruchsverfahren und gab ihr mit
Anhörungsschreiben vom 22. Februar 1999 und 11. Juli 2001 bekannt, dass und aus
welchen Gründen sie beabsichtige, dem Widerspruch des Beigeladenen teilweise
stattzugeben.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2001 beschied die Beklagte den Antrag des
Beigeladenen, soweit dieser den Aufwand für den Bau und Betrieb zusätzlicher
Flockungsfiltrationsstufen an den Kläranlagen H. , T. , L. und N. sowie für den Bau von
Regenüberlaufbecken zum Kostenausgleich angemeldet hatte. Unter teilweiser
Abänderung des Ausgangsbescheids vom 25. November 1997 verpflichtete sie die
Klägerin zu einmaligen und laufenden Ausgleichszahlungen an den Beigeladenen
gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 LWG NW; im Übrigen wies sie den Widerspruch des
Beigeladenen zurück. Außerdem kündigte die Beklagte in dem Widerspruchsbescheid
an, dass bezüglich der Kosten für eine Flockeninfiltrationsanlage an der Kläranlage V.
/O. werde eine Entscheidung noch ergehen.
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Soweit die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2001 dem Antrag
des Beigeladenen auf Festsetzung einer pauschalen Ausgleichszahlung wegen der an
den Kläranlagen H. , T. , L. und N. entstanden und fortlaufend weiter entstehenden
Kosten stattgegeben und die Klägerin zu Zahlungen verpflichtet hat, hat die Klägerin
Klage erhoben -Az.: 6 K 2149/01-, über die zeitgleich mit der vorliegenden Klage
entschieden worden ist. Soweit die Beklagte dem Antrag des Beigeladenen wegen der
an den Kläranlagen H. , T. , L. und N. entstanden und fortlaufend weiter entstehenden
Kosten auch mit dem Widerspruchsbescheid nicht entsprochen und den Widerspruch
zurückgewiesen hat, hat der Beigeladen Verpflichtungsklage mit dem Ziel der
Festsetzung weiterer pauschaler Ausgleichszahlungen erhoben -Az.: 6 K 2236/01-, über
die ebenfalls zeitgleich mit der vorliegenden Klage entschieden worden ist.
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Mit dem im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen und an den Beigeladenen
gerichteten Festsetzungsbescheid vom 27. Oktober 2003, den sie der Klägerin mit
weiterem Bescheid vom 27. Oktober 2003 bekannt gab, entschied die Beklagte -wie
angekündigt in Ergänzung und auf der Grundlage des Widerspruchsbescheids vom 15.
Oktober 2001 und zur Erledigung des bis dahin offen gebliebenen Widerspruchs des
Beigeladenen wegen der Kosten für eine Flockeninfiltrationsanlage an der Kläranlage
V. /O. -, die Klägerin habe dem Beigeladenen gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 LWG NW
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1. zum anteiligen Ausgleich der Investitionskosten für die Ausstattung der Kläranlage V.
/O. mit einer Flockungsfiltration einmalig 497.244,-- EUR zu zahlen;
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2. zum anteiligen Ausgleich des durch den Betrieb der Filtrationen auf den genannten
Kläranlagen im Zeitraum 2. August 2000 bis 31. Dezember 2002 entstandenen
Mehraufwands einmalig 85.738,-- EUR zu zahlen;
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3. zukünftig den durch den Betrieb der Filtrationen entstehenden Mehraufwand
beginnend für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2003 anteilig durch pauschale
Ausgleichzahlungen i. H. v. jährlich insgesamt 35.478,-- EUR zu erstatten.
16
4.
17
Die Beklagte folgte damit der Kostenberechnung des Beigeladenen und verpflichtete
die Klägerin zu einer Ausgleichszahlung in Höhe von 50 % der in Ansatz gebrachten
Kosten. Zur Begründung im Einzelnen bezog er sich auf die Gründe seines
Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2001.
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Die Klägerin hat fristgerecht die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung sie
sich auf ihr Vorbringen im Klageverfahren 6 K 2149/01 bezieht.
19
Die Klägerin beantragt,
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den ergänzenden Festsetzungsbescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2003 zum
Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2001 aufzuheben.
21
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,
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die Klage abzuweisen.
23
Zur Begründung beziehen sie sich auf ihr Vorbringen im Klageverfahren 6 K 2149/01.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Streitakte, der Gerichtsakten in den Parallelverfahren 6 K 2236/01 und 6 K 2149/01
sowie auf die zum vorliegenden Verfahren beigezogene Verwaltungsakte (1 Heft) und
auf die zum Parallelverfahren 6 K 2149/01 beigezogenen Verwaltungsakten (2 Ordner)
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß den §§ 87 a Abs. 2 und
101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden entschieden
wird, ist zulässig und begründet. Der ergänzende Festsetzungsbescheid der Beklagten
vom 27. Oktober 2003 zum Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2001 ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin
Ausgleichszahlungen zu ihren Lasten festgesetzt worden sind, §§ 115, 79 Abs. 1 Nr. 2
und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Beklagte war nicht berechtigt, eine Ausgleichspflicht der Klägerin gegenüber dem
Beigeladenen für Kosten festzusetzen, die dem Beigeladenen für den Bau von
Flockungsfiltrationsstufen an der Kläranlage V. /O. als Investitionskosten entstanden
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sind und seit der Inbetriebnahme der Anlagen als Betriebskosten fortlaufend weiter
entstehen. Der von der Beklagten als Rechtsgrundlage für die Feststellung einer
Zahlungspflicht der Klägerin herangezogene § 55 Abs. 2 des Wasser-gesetzes für das
Land Nordrhein-Westfalen in der im maßgeblichen Zeitpunkt der
Widerspruchsentscheidung anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 25.
Juni 1995 (GV. NW. 1995, S. 926 -LWG NW-) trägt die angefochtene Festsetzung einer
von der Klägerin zu tragenden Ausgleichszahlung nämlich nicht, und eine andere
Ermächtigungsgrundlage ist nicht ersichtlich.
Bei der Entscheidung, dass § 55 Abs. 2 LWG NW die streitige Festsetzung einer
Zahlungspflicht der Klägerin nicht trägt, geht das Gericht zu Gunsten des Beigeladenen
und der Beklagten von der Gültigkeit der angewendeten Norm aus, ohne die von der
Klägerin aufgeworfene Frage zu entscheiden, ob die Norm in vollem Umfang -
insbesondere auch auf der Rechtsfolgenseite - mit höherrangigem Recht zu vereinbaren
ist. Der Klage ist trotzdem uneingeschränkt stattzugeben, weil in dem vorliegend für die
Beurteilung der Sach- und Rechtslage entscheidenden Zeitpunkt des Erlasses des
angefochtenen Ergänzungsbescheids die nach § 55 Abs. 2 LWG NW erforderlichen
Voraussetzungen für die Festsetzung einer Ausgleichspflicht nicht erfüllt waren; denn
jedenfalls waren bei seinem Erlass die auch in entsprechender Anwendung des § 55
Abs. 2 Satz 1 LWG NW im Rahmen einer behördlichen Entscheidung im Einzelfall nach
Satz 2 a.a.O. zwingend zu beachtenden inhaltlichen Voraussetzungen für die
Festsetzung einer Ausgleichspflicht nicht erfüllt. Die der Anordnung einer pauschalen
Ausgleichszahlung zu Lasten der Klägerin zugrunde gelegten Maßnahmen der
Abwasserbeseitigung sind nämlich nicht "zugunsten eines Unternehmens … der
Wasserkraftnutzung … vorgesehen". Die Gründe hierfür im Einzelnen ergibt sich aus
dem den Parteien bekannten Urteil vom heutigen Tag im Parallelverfahren -6 K
2149/01-, in dem -bezogen lediglich auf andere Kläranlagen- die ansonsten völlig gleich
gelagerte Frage zu entscheiden war, ob sich der Bau und Betrieb eines
Flockungsfiltrationsbeckens auf das von der Klägerin betriebene Wasserkraftwerk I.
i.S.d § 55 Abs. 2 LWG NW vorteilhaft auswirkt. Hierauf wird zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug genommen.
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Da der angefochtene Festsetzungsbescheid aus den vorstehenden Gründen ohnehin
rechtswidrig ist, kann dahinstehen, ob der mit der Klage angefochtene ergänzende
Festsetzungsbescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2003 zum Widerspruchsbescheid
vom 15. Oktober 2001 auch aus anderen Gründen rechtsfehlerhaft ist.
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Da der angefochtene Bescheid vom 27. Oktober 2001 die Klägerin in ihren Rechten
verletzt, ist er antragsgemäß aufzuheben, §§ 115 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und
Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 709 Satz 1 der Zivilprozessordnung.
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Das Gericht folgt dem Antrag des Beigeladenen, die Berufung gemäß § 124 a Abs. 1
Satz 1 VwGO zuzulassen. Der Zulassungsgrund nach 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ist vorliegend gegeben, weil die
entscheidungserhebliche Frage, ob § 55 Abs. 2 LWG NW im Sinne der Klägerin eng
oder im Sinne der Beklagten und des Beigeladenen weit auszulegen ist, aus Gründen
der Fortbildung des Rechts im allgemeinen Interesse liegt und deshalb von
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grundsätzlicher Bedeutung ist.