Urteil des VG Aachen vom 04.05.2005
VG Aachen: aufschiebende wirkung, überwiegendes interesse, dach, aussetzung, wohnhaus, gebäude, gestaltung, grundstück, wahrscheinlichkeit, vollziehung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Aachen, 3 L 261/05
04.05.2005
Verwaltungsgericht Aachen
3. Kammer
Beschluss
3 L 261/05
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen
hat.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.750,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
Der sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte
Baugenehmigung vom 17. Februar 2005 zur Errichtung einer Mehrfamilien-
Doppelhaushälfte auf den Grundstücken Gemarkung L. , Flur 9, Flurstücke 726 und 869,
anzuordnen,
ist statthaft (vgl. §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 80 a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 212 a Abs. 1 des
Baugesetzbuchs - BauGB -) und auch sonst zulässig, aber nicht begründet.
Im Falle der fehlenden aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 2 Satz 1
Nr. 3 VwGO kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anordnen, wenn das Interesse des
Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Interesse an
der sofortigen Vollziehung vorrangig ist. Ein überwiegendes Vollziehungsinteresse ist dann
anzunehmen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit
erfolglos bleiben wird. Dagegen ist ein überwiegendes Interesse des antragstellenden
Nachbarn an der Aussetzung gegeben, wenn der Rechtsbehelf mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird, das heißt, die angefochtene Baugenehmigung
aufgrund eines Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften offensichtlich
rechtswidrig ist.
Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird der Widerspruch des
Antragstellers keinen Erfolg haben. Es liegen gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass die
der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht gegen nachbarschützende Vorschriften
verstößt und der Antragsteller daher nicht in seinen Rechten verletzt wird.
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Das Bauvorhaben verstößt nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des
Bauordnungsrechts. Insbesondere werden die Abstandflächen nach § 6 der Bauordnung
für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) eingehalten, wie sich aus Abs. 5 und 6
(Schmalseitenprivileg) sowie Abs. 4 (Dach und Dachaufbauten) ergibt. Nach § 6 Abs. 1
Satz 1 BauO NRW genügt vor zwei Außenwänden eines Gebäudes (im Falle einer wie hier
vorliegenden Grenzbebauung vor einer Außenwand, vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW) auf
einer Länge von nicht mehr als 16 m als Tiefe der Abstandfläche die Hälfte der nach Abs. 5
Satz 1 erforderlichen Tiefe, mindestens jedoch 3 m. Dieses Schmalseitenprivileg ist
rechtsfehlerfrei allein auf die westliche Seitenwand des geplanten Gebäudes angewandt
worden, die entgegen dem Vortrag des Antragstellers nicht 16,37 m, sondern 16 m lang ist,
wie sich aus dem Lageplan und dem EG-Grundrissplan mit den Ausmaßen von 14,32 m +
1,68 m = 16 m ergibt. Der 3,655 m von der Seitenwand zurückliegende und 0,375 m tiefe
Vorsprung an der Rückwand des Gebäudes ist nicht Teil der seitlichen Außenwand und
hält seinerseits mit einer Abstandflächentiefe von 5,40 m x 0,80 m = 4,32 m und einem
Grenzabstand von 4,095 m + 3,655 m = 7,75 m die erforderliche Abstandfläche ein.
Die Abstandfläche an der dem Grundstück des Antragstellers zugewandten Rückseite des
Gebäudes ist ebenfalls zutreffend berechnet worden. Das Dach mit einer Dachneigung von
42 0 und die darin enthaltenen Dachgaupen sind nämlich bei der Ermittlung der Wandhöhe
nicht zu berücksichtigen. Gemäß § 6 Abs. 4 Satz 5 BauO NRW sind zu einem Drittel nur die
Höhe von Dächern und Dachteilen mit einer Dachneigung von mehr als 45 0 und nur die
Höhe von solchen Dachgaupen hinzuzurechnen, deren Gesamtbreite mehr als die Hälfte
der darunterliegenden Gebäudewand beträgt. Im vorliegenden Fall ist die Gebäudewand
bei beiden Haushälften je 6,725 m breit; die Dachgaupen jeweils 3 m breit, also weniger
als die Hälfte, so dass Dach und Dachgaupen die Wandhöhe nicht beeinflussen.
Das Bauvorhaben der Beigeladenen verstößt auch nicht gegen nachbarschützende
Vorschriften des Bauplanungsrechts. Die planungsrechtliche Zulässigkeit gemäß § 34
BauGB beurteilt sich danach, ob sich das Vorhaben nach Art und Maß der baulichen
Nutzung, der Bauweise und er überbauten Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren
Umgebung einfügt.
Nach gefestigter Rechtsprechung,
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 14. Januar 1993 - 4 C 19.90 -
Baurechtssammlung (BRS) 55 Nr. 175 = Baurecht (BauR) 1993, 445 = Neue Zeitschrift für
Verwaltungsrecht (NVwZ), 1993, 1184,
kommt § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung zu. Jedoch ist
im Erfordernis des "Einfügens" das objektivrechtliche Gebot enthalten, auf schutzwürdige
Nachbarinteressen Rücksicht zu nehmen. Ob das Vorhaben der Beigeladenen - wie der
Antragsteller meint - sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist in
nachbarrechtlicher Hinsicht daher erst von Bedeutung, wenn es sich dem Nachbarn
gegenüber als rücksichtslos erweist, ihm mithin gemessen an der bodenrechtlichen
Situation nicht zugemutet werden kann.
Nach dem so definierten Gebot der Rücksichtnahme kann um so mehr an Rücksichtnahme
verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die
Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt; umgekehrt braucht
derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, um so weniger Rücksicht zu nehmen, je
verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Die hierbei
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vorzunehmende Interessenabwägung hat sich an den Kriterien der Unzumutbarkeit
auszurichten, und zwar in dem Sinne, dass dem Betroffenen die nachteilige Einwirkung
des streitigen Vorhabens billigerweise nicht zugemutet werden kann. Dem Gebot der
Rücksichtnahme kommt nachbarschützende Wirkung zu, wenn in qualifizierter und
individualisierter Weise auf schutzwürdige bodenrechtliche Interessen eines erkennbar
abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist,
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 7. Juni 1994 - 10 B 2923/94 -, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (NWVBl.)
1994, 421 m.w.N.
Gemessen an diesen Grundsätzen verstößt die der Beigeladenen erteilte
Baugenehmigung bei summarischer Prüfung nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Im Einzelfall ist ein Vorhaben wegen seiner erdrückenden Wirkung mit dem Gebot der
Rücksichtnahme nicht vereinbar, wenn ein durch seine Ausmaße (Breite und/oder Höhe)
und Gestaltung als außergewöhnlich zu qualifizierender Baukörper den Bewohnern eines
Nachbargrundstücks den Eindruck des "Eingemauertseins" vermittelt. Einer in dieser
Weise hervorgerufenen Abriegelung kommt erdrückende Wirkung zu. Maßgeblich ist
insoweit die städtebauliche Situation, infolge derer ein Nachbargrundstück durch das
Bauvorhaben wegen seines Volumens, Standorts oder seiner Gestaltung unzumutbar
beeinträchtigt wird,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. November 2003 - 7 B 1575/03 -,
Rechtsprechungsdatenbank NRWE: www.nrwe.de , m.w.N.
Von dem die Abstandflächen einhaltenden Vorhaben der Beigeladenen wird keine
erdrückende Wirkung ausgehen. Der Baukörper wird erkennbar nicht solche Dimensionen
erreichen, dass für den Antragsteller der Eindruck des "Eingemauertseins" hervorgerufen
werden könnte, zumal das Gebäude der Beigeladenen mit einer Firsthöhe von ca. 12 m
nicht höher sein wird als das Gebäudes des Antragstellers und andere Gebäude in der
Umgebung, wie sich aus der Profilzeichnung zum Bauvorbescheid vom 12. Juli 2004 und
aus den in der Verwaltungsakte des Antragsgegners enthaltenen Lichtbildern mit den
Häusern der Umgebung ergibt. Hinzu kommt, dass die Baustelle im abfallenden Gelände
ca. 8 - 10 m tiefer liegt als das Wohnhaus des Antragstellers, so dass von einer
erdrückenden Wirkung auf das höher gelegene, ca. 28 m entfernte Wohnhaus des
Antragstellers nicht ausgegangen werden kann.
Der Landesgesetzgeber hat in § 6 BauO NRW für die Frage, welche Mindestabstände zur
Grundstücksgrenze bei Gebäuden zu wahren sind, abschließende Regelungen getroffen.
Diese Regelungen beschreiben, in welchen Fällen aus der Sicht des Gesetzgebers die in §
6 BauO NRW geschützten Belange des Brandschutzes, der Sicherung einer
ausreichenden Beleuchtung und Belüftung der Grundstücke und der Gewährleistung eines
ausreichenden Sozialabstandes zum Zwecke der Wahrung des Wohnfriedens ausreichend
und in einem für die benachbarten Grundstücke zumutbaren Umfang gewahrt werden.
Werden die Abstandflächen eingehalten, so ist das Rücksichtnahmegebot daher zumindest
aus tatsächlichen Gründen im Regelfall nicht verletzt,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1999 - 4 B 128.98 -, Baurechtssammlung (BRS)
62 Nr. 102; OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2004 - 7 B 920/04 -.
Im Falle des Antragstellers bestehen keine Besonderheiten, die ein Abweichen von diesem
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Grundsatz rechtfertigen würden. Insbesondere werden sich die Belichtungs- und
Besonnungsverhältnisse auf seinem Grundstück nicht mehr als durch eine übliche
Nachbarbebauung verändern. Dies hat der Antragsteller hinzunehmen. Sofern sich eine
hofartige Situation ergeben sollte, beruht dies auf der westlich gelegenen grenzständigen
Wohnbebauung und nicht auf dem Vorhaben der Beigeladenen.
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 und 154 Abs. 3 VwGO. Da
die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich somit nicht dem Risiko einer
Kostentragung ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtliche Kosten für
nicht erstattungsfähig zu erklären.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Ziff. 2 des
Gerichtskostengesetzes (i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai
2004, BGBl. I S. 718) und entspricht der Bedeutung der Sache für den Antragsteller.