Urteil des VG Aachen vom 28.11.2007

VG Aachen: befreiung, besondere härte, bedürftigkeit, härtefall, sozialleistung, bayern, analogie, verfügung, ermessen, stadt

Verwaltungsgericht Aachen, 8 K 2082/05
Datum:
28.11.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 2082/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin begehrt die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht wegen geringen
Einkommens für den Zeitraum Juli bis August 2005.
2
Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit August 1994 mit einem Hörfunk- und einem
Fernsehgerät als Rundfunkteilnehmerin gemeldet. Zuletzt war sie aufgrund
entsprechender Befreiungen durch die Stadt E. bis Juni 2005 wegen geringen
Einkommens von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.
3
Am 12. Mai 2005 beantragte sie bei dem Beklagten die Verlängerung der Befreiung von
der Rundfunkgebührenpflicht für die Zeit ab Juli 2005. Auf dem Antragsformular war
keiner der Befreiungstatbestände des § 6 Abs. 1 Nrn. 1-10 des
Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV) angekreuzt. Dem Antrag beigefügt waren
ein Bescheid der Agentur für Arbeit E. vom 22. Februar 2005 über den Bezug von
Arbeitslosengeld von Februar 2005 bis Februar 2006 in Höhe von monatlich 379,50
EUR, eine Bescheinigung der Stadt E. vom 23. November 2004, dass der Kindsvater
der Tochter der Klägerin zur Zahlung von Unterhalt in Höhe von monatlich 241,00 EUR
verpflichtet sei, in den Jahren 2003 und 2004 aber keine Unterhaltszahlungen geleistet
habe, sowie ein Bescheid über den Bezug von Wohngeld der Stadt E. vom 2. März 2005
für die Zeit vom 1. März 2005 bis zum 31. Januar 2006 in Höhe von monatlich 159,-
EUR.
4
Mit Bescheid vom 30. Juni 2005 lehnte der Beklagte den Befreiungsantrag der Klägerin
unter Hinweis darauf ab, dass die vorgelegten Unterlagen nicht den geforderten
Nachweisen entsprächen, die eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 RGebStV rechtfertigten.
5
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin unter dem 11. Juli 2005 Widerspruch, zu
dessen Begründung sie geltend machte, dass ihr Antrag auf Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht vom 12. Mai 2005 nicht als Antrag nach § 6 Abs. 1 RGebStV,
sondern vielmehr als Antrag nach § 6 Abs. 3 RGebStV zu verstehen sei. Da sie einen
zur Befreiung nach § 6 Abs. 1 RGebStV führenden Leistungsbescheid nicht vorlegen
könne, habe sie bewusst keinen der dortigen Befreiungstatbestände angekreuzt. Sie
begehre vielmehr eine Befreiung unter Härtefallgesichtspunkten nach § 6 Abs. 3
RGebStV. Ausweislich des von ihr vorgelegten Wohngeldbescheides, belaufe sich ihr
monatliches Gesamteinkommen auf 840,76 EUR bei einer zu berücksichtigenden Miete
in Höhe von 365,- EUR. Im Falle der Beantragung von Arbeitslosengeld II stünde ihr
unter Berücksichtigung der maßgeblichen Regelleistungen, des Mehrbedarfs, des
Sozialgeldes für ihre Tochter sowie der Leistungen für Unterkunft und Heizung jedoch
ein Leistungsanspruch in Höhe von insgesamt 1.002,43 EUR zu. Damit bleibe ihr
monatliches Einkommen hinter dem vergleichbaren Einkommen zurück, das nach § 6
Abs. 1 Nr. 3 RGebStV die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht rechtfertige.
Damit läge ein Härtefall im Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV vor.
6
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2005, zugestellt am 23. August 2005, wies
der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus,
dass eine Befreiung natürlicher Personen von der Rundfunkgebührenpflicht im
ausschließlich privaten Bereich nach der Änderung des
Rundfunkgebührenstaatsvertrages durch den 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag
nunmehr allein nach Maßgabe von § 6 Abs. 1 RGebStV gewährt werden könne. Nach
dieser Vorschrift knüpften sämtliche Befreiungstatbestände an den Bezug bestimmter
staatlicher Leistungen an, der durch Vorlage eines entsprechenden
Leistungsbescheides im Original oder in beglaubigter Kopie nachzuweisen sei. Die
Gewährung einer Befreiung sei damit unabhängig von der Höhe des Einkommens. Die
Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie eine der in § 6 Abs. 1 RGebStV im
Einzelnen aufgeführten staatlichen Leistungen beziehe. Solange die Klägerin keine der
genannten Leistungen empfange, erfülle sie - unabhängig von den finanziellen Mitteln -
nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht.
Ergänzend wies der Beklagte darauf hin, dass eine Antragstellung nach § 6 Abs. 3
RGebStV explizit erfolgen müsse.
7
Die Klägerin hat am 23. September 2005 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren
weiterverfolgt. Ergänzend trägt sie vor, dass das vom Beklagten zur Verfügung gestellte
Antragsformular sich ausweislich der Überschrift ("Antrag auf Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht gemäß § 6 Rundfunkgebührenstaatsvertrag") auf eine
Befreiung nach § 6 RGebStV im Allgemeinen beziehe. Erst in der unteren
Formularhälfte könne der Antrag nach § 6 Abs. 1 RGebStV konkretisiert werden. Soweit
eine solche Konkretisierung nicht erfolgt sei, sei der Antrag jedoch auch als Antrag auf
Befreiung nach der Härtefallregelung des § 6 Abs. 3 RGebStV zu verstehen. Dies gelte
umso mehr, als der Beklagte für einen Befreiungsantrag unter Härtefallgesichtspunkten
keine weiteren Formulare zur Verfügung stelle. Die Befreiungsvoraussetzungen nach §
6 Abs. 3 RGebStV lägen in ihrem Fall auch vor. Ausweislich der beigefügten
Einkommensnachweise habe sie über ein Einkommen bestehend aus Wohngeld,
Arbeitslosengeld I und Einkünften aus einer unselbständigen Nebentätigkeit im Monat
8
Juli 2005 in Höhe von insgesamt 710,10 EUR und im Monat August 2005 in Höhe von
722,40 EUR verfügt. Im Falle der Beantragung von Arbeitslosengeld II stünden ihr
demgegenüber Leistungen in Höhe von insgesamt 1.002,43 EUR zu. Damit bleibe ihr
monatliches Einkommen hinter einem vergleichbaren Einkommen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3
RGebStV zurück. Diese Situation begründe einen Härtefall im Sinne von § 6 Abs. 3
RGebStV. Entgegen der Auffassung des Beklagten stelle die finanzielle Bedürftigkeit
auch nach der Änderung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages nach wie vor einen
Grund zur Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht dar. Bereits die
Gebührenbefreiung nach § 6 Abs. 1 RGebStV knüpfe unmittelbar an die finanzielle
Situation des Betroffenen an. Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien, namentlich der
Begründung des Antrags der Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen zu § 6
RGebStV ergebe sich, dass neben dem unverändert befreibaren Kreis der behinderten
und kranken Menschen vor allem für den einkommensschwachen Personenkreis eine
Befreiungsmöglichkeit eröffnet werden sollte. Ergänzend bleibe nach Abs. 3 für die
Rundfunkanstalten die Möglichkeit der Ermessensentscheidung bei der Befreiung in
besonderen Härtefällen erhalten. Ein besonderer Härtefall liege insbesondere vor,
wenn, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 vorlägen, eine
vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden könne. Einzuräumen sei, dass durch
die Neuregelung der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht eine Vereinfachung
des Verwaltungsverfahrens durch eine bescheidgebundene Prüfung nach § 6 Abs. 1
RGebStV eingeführt worden sei. Dabei habe der Gesetzgeber ausdrücklich eine
Befreiung für den einkommensschwachen Personenkreis vorgesehen. Es entspreche
jedoch auch dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen, durch die Einführung des
Befreiungsanspruchs nach § 6 Abs. 3 RGebStV die Kopplung der
Befreiungsmöglichkeit an einen Bescheid nach § 6 Abs. 1 RGebStV zu durchbrechen
und eine Einzelfallentscheidung zu ermöglichen. Der Beklagte habe daher rechtswidrig
das ihm eingeräumte Ermessen erst gar nicht erkannt und ausgeübt.
Seit dem 8. September 2005 bezieht die Klägerin - ergänzende - Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Beklagte gewährte ihr daraufhin antragsgemäß für den Zeitraum Dezember 2005
bis Februar 2006 sowie für den Zeitraum Juni 2006 bis Februar 2007 die Befreiung von
der Rundfunkgebührenpflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV.
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Die Klägerin beantragt nach entsprechender Klarstellung des Klageantrags in der
mündlichen Verhandlung,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 30. Juni 2005 sowie des
Widerspruchsbescheides vom 17. August 2005 zu verpflichten, sie für den Zeitraum von
Juli bis August 2005 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.
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Der Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht richte sich seit dem 1. April 2005 nur noch nach § 6 RGebStV.
Nach Abs. 1 der Vorschrift erfolge eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht
ausschließlich in Anknüpfung an den Bezug bestimmter staatlicher Leistungen. Eine
eigenständige Einkommens- und Bedarfsberechnung finde nicht mehr statt. Aufgrund
der von der Klägerin vorgelegten Nachweise (Arbeitslosengeldbescheid,
14
Wohngeldbescheid sowie Unterhaltsbescheinigung des Jugendamtes für ihre Tochter)
bestehe kein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Weder der
Bezug von Arbeitslosengeld I noch der Bezug von Wohngeld sei in § 6 Abs. 1 RGebStV
als Befreiungsgrund aufgeführt. Eine Befreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV komme
ebenfalls nicht in Betracht. Es fehle bereits an einem ausdrücklichen Antrag auf
Befreiung von der Gebührenpflicht nach Maßgabe der Härtefallregelung. Im Übrigen
stehe der Klägerin aber auch kein Anspruch auf Befreiung unter
Härtefallgesichtspunkten zu. Wie schon die Vorgängervorschrift in der
Befreiungsverordnung stelle § 6 Abs. 3 RGebStV eine Auffangnorm für vom
Gesetzgeber nicht bedachte Grenzfälle im sozialen Bereich dar, die sich durch das
Hinzutreten besonderer Umstände über die in § 6 Abs. 1 RGebStV umschriebene
Situation hinaus als Härtefall auszeichneten. Solche besonderen Umstände lägen in der
Person der Klägerin nicht vor. Ausweislich der Gesetzesbegründung habe durch die
Neuregelung des Befreiungsrechts gerade erreicht werden sollen, dass keine
umfänglichen Einkommensberechnungen mehr durchzuführen seien, um festzustellen,
ob die Befreiungsvoraussetzungen vorlägen oder nicht. Der Befreiungstatbestand des
früheren § 1 Abs. 1 Nr. 7 der Befreiungsverordnung wegen geringen Einkommens sei
durch die Neuregelung entfallen. Diese Absicht des Gesetzgebers werde geradezu
konterkariert, wenn man nunmehr die nicht für eine Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht in Betracht kommenden Tatbestände über § 6 Abs. 3
RGebStV wieder als Befreiungsgrundlage heranziehen würde. Schließlich scheide eine
Befreiung unter Härtefallgesichtspunkten auch deshalb aus, weil eine vergleichbare
Bedürftigkeit im Sinne der von der Klägerin zitierten Begründung zu § 6 Abs. 3 RGebStV
nur dann vorliegen könne, wenn das Einkommen des Betroffenen den einfachen
Sozialhilferegelsatz von derzeit 331,- EUR monatlich unterschreite. Dies sei jedoch
schon nach dem klägerischen Vortrag nicht der Fall. Die Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht könne schließlich auch nicht aufgrund einer analogen
Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV beansprucht werden. Es fehle nämlich an
der für die Annahme einer Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. In
dem Katalog des § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV seien in zehn Ziffern detailliert die Fälle
aufgezählt, in denen eine Rundfunkgebührenbefreiung zu gewähren sei. Bei einer
derart umfassenden Regelung sei grundsätzlich davon auszugehen, dass diese
abschließend sein solle. Hinzu komme, dass es sich bei den Befreiungstatbeständen
um Ausnahmevorschriften handle, die einer entsprechenden Anwendung im Hinblick
auf das allgemeine abgabenrechtliche Bestimmtheitsgebot grundsätzlich nicht
zugänglich seien. Der Ausschluss von Beziehern von Arbeitslosengeld I von der
Vergünstigung des § 6 Abs. 1 RGebStV verstoße auch nicht gegen den Gleichheitssatz
des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Die Kammer hat mit Beschluss vom 18. Mai 2006 Prozesskostenhilfe bewilligt und das
Verfahren auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs des Beklagten.
16
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
17
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
18
Der Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
19
vom 17. August 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl.
§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO -). Die Klägerin hat für den
hier streitgegenständlichen Zeitraum Juli bis August 2005 keinen Anspruch auf
Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht.
Die Klägerin kann die Gebührenbefreiung weder in direkter noch in analoger
Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags i.d.F. des Art. 5
des 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 8./15. Oktober 2004 (GV.NRW.2005
S.192) - RGebStV - verlangen, noch ergibt sich ein solcher Anspruch unter
Härtefallgesichtspunkten aus § 6 Abs. 3 RGebStV.
20
Die Klägerin erfüllt zunächst nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1
Satz 1 RGebStV. Sie bezog im streitgegenständlichen Zeitraum lediglich
Arbeitslosengeld nach Maßgabe des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) sowie
Wohngeld und damit - wie sie selbst einräumt - keine der in § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV
aufgeführten Leistungen. Ein Anspruch auf Befreiung von der Gebührenpflicht folgt
insbesondere auch nicht aus der hier allein in Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 6
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Bestimmung
werden insoweit nur Empfänger von Arbeitslosengeld II nach dem SGB II - ohne
Zuschläge nach § 24 SGB II - erfasst, nicht jedoch auch Bezieher von Arbeitslosengeld
nach dem SGB III.
21
Ein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht im Wege einer Analogie
zu § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 - insbesondere Nr. 3 - RGebStV scheidet ebenfalls aus.
Für eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Empfänger von Arbeitslosengeld nach
dem SGB III und/oder auf Empfänger von Leistungen nach dem Wohngeldgesetz
(WoGG) besteht kein Raum.
22
Vgl. für Rentenbezieher und Empfänger von Wohngeld: Urteil der Kammer vom 13.
Dezember 2006 - 8 K 2445/05 -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 3. August
2006 - 14 K 983/06 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 26. April 2006 - 27 K 4554/05 -.
23
Es fehlt insoweit bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Zwar fallen nach dem
Wegfall des allgemeinen Befreiungstatbestandes für Personen mit geringem
Einkommen, wie er bislang in § 1 Abs. 1 Nr. 7 der bis zum 31. März 2005 geltenden
Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (BefrVO) enthalten
war, Personen, die keine der in § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV genannten Sozialleistungen
beziehen, die aber der Höhe ihrer Einkünfte nach den Empfängern dieser Leistungen
wirtschaftlich gleichstehen, nicht mehr unter den nach § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV
befreiungsfähigen Personenkreis. Die Änderung des Befreiungsrechts für den
einkommensschwachen Personenkreis von einer individuellen Einkommensprüfung hin
zu einer ausschließlich bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit mit dem 8.
Rundfunkänderungsstaatsvertrag war jedoch eine bewusste Entscheidung des
Normgebers zum Zwecke der Verfahrensvereinfachung (vgl. LT-Drucks. 13/6202, S. 42).
Zudem ist der Katalog der Befreiungsgründe in § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV nach
Wortlaut, Normstruktur sowie Entstehungsgeschichte der Bestimmung auch als
abschließende Regelung konzipiert. § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV enthält eine
enumerative Aufzählung von konkret umschriebenen Tatbestände, die zu einer
Befreiung von der Gebührenpflicht führen, ohne dass dabei eine Öffnungsklausel für
weitere gleichgelagerte Fälle vorgesehen ist (z.B. durch Formulierungen wie
"insbesondere" etc.). Schon diese Normstruktur rechtfertigt die Schlussfolgerung, dass
24
den einzelnen Befreiungstatbeständen abschließender Charakter zukommt. Diese
Auslegung wird weiter gestützt durch die Begründung des Normgebers, in der
ausdrücklich festgestellt wird, dass die Befreiungstatbestände nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 bis 10 abschließend sind. Demnach ist nicht davon auszugehen, dass der Normgeber
die Gruppe der Personen, die zwar keine der festgelegten Sozialleistungen, aber ein
entsprechend geringes Einkommen beziehen, trotz der vergleichbaren Bedürftigkeit bei
der Neuregelung der Befreiungsvorschriften unbewusst und damit planwidrig
unberücksichtigt gelassen hat. Eine generelle Ausdehnung der Befreiungstatbestände
des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 RGebStV auf den Kreis einkommensschwacher
Personen kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht, es sei denn es ließe sich eine
über die soziale Bedürftigkeit hinausgehende Vergleichbarkeit mit den in dort
genannten Personengruppen feststellen, wie etwa beim Bezug vergleichbar
bedarfsorientierter Sozialleistungen.
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 22. Juni 2006 - 16 E 1615/05 -, juris für Leistungen nach den §§ 59 ff. SGB III, die
nach Inkrafttreten des 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrag nunmehr in § 6 Abs. 1 Satz 1
Nr. 5 b) RGebStV aufgeführt sind (aber zu § 6 Abs. 3 RGebStV).
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Darüber hinaus fehlt es, was die Art der Sozialleistungen anbetrifft, auch an einer für die
Annahme einer Analogie außerdem erforderlichen vergleichbaren Interessenlage der
Bezieher von Arbeitslosengeld nach dem SGB III und/oder von Wohngeld mit
derjenigen von Empfängern der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 RGebStV genannten
Leistungen. Der Entscheidung des Normgeber, zum Zwecke der
Verfahrenserleichterung für den einkommensschwachen Personenkreis in § 6 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 bis 5 RGebStV nur noch eine bescheidgebundene Befreiungsmöglichkeit
vorzusehen, liegt maßgeblich die Erwägung zugrunde, dass in den Fällen des Bezugs
der dort aufgeführten staatlichen Leistungen bereits von einer anderen
Sozialleistungsbehörde eine individuelle Bedürftigkeitsprüfung unter Berücksichtigung
der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen vorgenommen und
dessen Bedürftigkeit positiv festgestellt worden ist. Mit Blick darauf erschien es dem
Normgeber insbesondere unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten
gerechtfertigt, auf eine nochmalige, ggf. umfangreiche und schwierige
Einkommensberechnung durch die - im Übrigen auch nicht über eine entsprechende
personelle und sachliche Ausstattung verfügenden - Rundfunkanstalten zu verzichten
und deren Entscheidung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht inhaltlich
an die Entscheidung des vorbefassten Sozialleistungsträgers anzuknüpfen (vgl. LT-
Drucks. 13/6202, S. 42). Diese Überlegungen greifen jedoch weder im Falle des Bezugs
von Arbeitslosengeld nach dem SGB III noch im Falle des Bezugs von Wohngeld. Denn
in beiden Fällen handelt es sich gerade nicht um bedarfsorientierte Sozialleistungen,
denen eine entsprechende Bedürftigkeitsprüfung und -feststellung durch eine andere
Fachbehörde vorausgegangen ist, die die Rundfunkanstalten ihrer Entscheidung
zugrunde legen könnten. Das Arbeitslosengeld nach dem SGB III stellt eine
beitragsfinanzierte Versicherungsleistung mit Entgeltersatzcharakter dar, deren
Entstehung von der Erfüllung bestimmter Anwartschaftszeiten abhängt und deren Höhe
sich u.a. nach dem früheren Arbeitsentgelt, der Dauer des
Versicherungspflichtverhältnisses und dem Lebensalter des Versicherten richtet. Auch
beim Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz handelt es sich nicht um eine Leistung zur
Bedarfsdeckung, sondern vielmehr um einen bloßen Zuschuss zu den Aufwendungen
für den Wohnraum zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten
Wohnens (vgl. § 1 Abs. 1 WoGG). Daher verbietet sich auch im Hinblick auf die
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unterschiedliche Qualität dieser Sozialleistungen eine analoge Anwendung des § 6
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 RGebStV auf die Gruppe der Bezieher von Arbeitslosengeld
nach dem SGB III bzw. von Wohngeld selbst dann, wenn diese den Empfängern der dort
genannten Leistungen wirtschaftlich vergleichbar bedürftig sind.
Schließlich kann die Klägerin eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht auch
nicht nach Maßgabe von § 6 Abs. 3 RGebStV beanspruchen, wonach die
Rundfunkanstalt unbeschadet der Gebührenbefreiung nach Absatz 1 in besonderen
Härtefällen auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht befreien kann.
27
Die Gebührenbefreiung auf der Grundlage der Härtefallregelung scheitert - entgegen der
Auffassung des Beklagten - allerdings nicht schon daran, dass es an einem
ausdrücklichen Antrag für eine Befreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV fehlt. Die Kammer
geht davon aus, dass der Befreiungsantrag der Klägerin vom 12. Mai 2005 auch einen
Antrag auf Befreiung aus Härtefallgründen umfasst. Zwar ist davon auszugehen, dass
der Beklagte im Falle der Beantragung der aus verschiedenen Gründen möglichen
Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht gehalten ist, von sich aus
Befreiungsgründe zu prüfen, die der Rundfunkteilnehmer nicht geltend gemacht bzw.
nachgewiesen hat. Dies ergibt sich zum einen aus den Regelungen in § 6 Abs. 1, 2 und
3 RGebStV, die - ähnlich wie die Vorgängervorschrift des § 5 Abs. 1 und 4 BefrVO -
einen Antrag sowie den Nachweis der - geltend gemachten -
Befreiungsvoraussetzungen durch Vorlage eines entsprechenden Bescheides
verlangen. Zum anderen folgt dies auch schon aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht.
Durch den Antrag und die erforderliche Begründung desselben wird nämlich der
Verfahrensgegenstand und damit auch die Pflicht der Behörde zur
Sachverhaltsermittlung eingegrenzt. Wenn für eine weitere Begründung des Antrags auf
anderer Begründungsgrundlage nichts erkennbar und vorgetragen ist, ist die Behörde
daher regelmäßig nicht verpflichtet, von Amts wegen in die Prüfung einzutreten, ob
solche weitere Gründe bestehen und sie möglicherweise eine dem Antrag
entsprechende Entscheidung rechtfertigen.
28
Vgl. Urteil der Kammer vom 13. Dezember 2006 - 8 K 2445/05 -, a.a.O., im Anschluss an
Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg (VGH BW), Urteil vom 29.9.2003 - 2 S
360/03 -, NVwZ-RR 2004, 260 (zu § 5 BefrVO).
29
Gemessen hieran hat die Klägerin in dem Antrag vom 12. Mai 2005 hinreichend zum
Ausdruck gebracht, dass sie eine Befreiung von der Gebührenpflicht auch, wenn nicht
sogar gerade unter Härtefallgesichtspunkten nach § 6 Abs. 3 RGebStV begehrt. Sie hat
in dem Antragsformular keinen der dort aufgeführten Befreiungstatbestände des § 6 Abs.
1 RGebStV angekreuzt und den Antrag damit inhaltlich nicht auf einen bestimmten
Befreiungsgrund begrenzt. Vielmehr hat sie zur Begründung ihres Befreiungsbegehrens
ausschließlich auf den beigefügten Leistungsbescheid der Agentur für Arbeit und den
Wohngeldbescheid verwiesen und damit der Sache nach eine Bedürftigkeit wegen
geringen Einkommens geltend gemacht. Es stellt sich damit die Frage, ob die geltend
gemachten Gründe, die den Verfahrensgegenstand bestimmen, eine Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt rechtfertigen,
wozu auch die Härtefallklausel des § 6 Abs. 3 RGebStV zählt. Eine Benennung der
maßgeblichen Rechtsgrundlage ist dabei nicht zu verlangen. Dies gilt um so mehr,
wenn man berücksichtigt, dass das vom Beklagten zur Verfügung gestellte
Antragsformular, das mit "Antrag auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht gemäß
§ 6 RGebStV" überschrieben ist, auch keinen Hinweis auf die zusätzliche Möglichkeit
30
einer Befreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV enthält. Schließlich ist auch nicht erkennbar,
dass eine Befreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV ein von der Befreiung nach § 6 Abs. 1
RGebStV getrenntes Verwaltungsverfahren erforderte. Beide Befreiungsmöglichkeiten
sind in derselben Vorschrift geregelt, Absatz 3 nimmt inhaltlich Bezug auf Absatz 1
("unbeschadet der Gebührenbefreiung nach Absatz 1") und die Landesrundfunkanstalt
ist - anders als nach der bis zum 31. März 2005 geltenden Befreiungsverordnung,
wonach die Zuständigkeit für Befreiungen aus sozialen Gründen bei den Gemeinden
und für Befreiungen nach der Härtefallregelung bei der Landesrundfunkanstalt lag -
nunmehr für alle Befreiungen einheitlich zuständig (vgl. § 6 Abs. 3 und 4 RGebStV).
Daher ist auch aus verfahrensökonomischer Sicht eine umfassende Entscheidung über
den im Antrag vorgetragenen Sachverhalt unter allen rechtlichen Gesichtspunkten
geboten.
Ein Anspruch auf Gebührenbefreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV scheidet jedoch
deswegen aus, weil das Tatbestandsmerkmal des "besonderen Härtefalls" nicht erfüllt
ist, mit der Folge, dass dem Beklagten hinsichtlich der Entscheidung über eine
Gebührenbefreiung der Klägerin auch kein Ermessen eröffnet ist. Ein besonderer
Härtefall im Sinne der Vorschrift kann sich nämlich nicht allein daraus ergeben, dass ein
Rundfunkteilnehmer unter Hinweis auf geringes Einkommen eine "sozialhilferechtliche"
Bedürftigkeit im Sinne der Nrn. 1 bis 5 des § 6 Abs. 1 RGebStV gelten macht, ohne
einen entsprechenden Sozialleistungsbescheid vorzulegen.
31
Vgl. ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 3. Juni 2007 - 16 E 294/07 -, juris; Bayerischer
Verwaltungsgerichtshof (VGH Bayern), Urteil vom 16. Mai 2007 - 7 B 06.2642 -, juris;
Niedersächsisches OVG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 12 LC 87/06 -, juris; Urteil der
Kammer vom 13. Dezember 2006 - 8 K 2445/05 -, a.a.O.; VG Göttingen, Urteil vom 26.
April 2007 - 2 A 297/05 -, juris; a.A: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. Februar
2007 - 3 O 35/06 -, juris; VG Weimar, Urteil vom 11. Januar 2007 - 2 K 308/06 We -,
NVwZ-RR, 537.
32
Wann ein besonderer Härtefall gegeben ist, lässt sich § 6 Abs. 3 RGebStV, der insoweit
keine nähere Definition enthält, nicht entnehmen. Bei der daher erforderlichen
Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Härte und damit der
Bestimmung des Anwendungsbereichs der Vorschrift ist zum einen die Funktion der
Bestimmung als Härtefallklausel und zum anderen das Regelungskonzept des vom
Normgeber in § 6 Abs. 1 und 3 RGebStV neu gefassten Befreiungsrechts zu
berücksichtigen. Härtefallklauseln sollen als Ausprägung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit gerade in den Fällen, in denen der Gesetzgeber sich - wie hier - der
Typisierung von Sachverhalten bedient, gewährleisten, dass auch in Ausnahmefällen,
die wegen ihrer atypischen Gestaltung nicht im Einzelnen vorhersehbar sind und sich
daher auch nicht durch abstrakt- generelle Regelungen erfassen lassen, ein Ergebnis
erreicht wird, das der gesetzlichen Regelung in seiner grundsätzlichen Zielsetzung
gleichwertig ist. Es handelt sich mit anderen Worten um Auffangtatbestände, die zur
Vermeidung unbilliger Härten im Einzelfall auch atypische, vom Gesetzgeber wegen
des Hinzutretens besonderer Umstände nicht berücksichtigte Fallgestaltungen erfassen
sollen. Allerdings darf über sie auch nicht die grundlegende Zielsetzung der
gesetzlichen Regelung umgangen werden.
33
Vgl. VGH Bayern, Urteil vom 16. Mai 2007 - 7 B 06.2642 -, a.a.O.; Hahn/Vesting,
Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2003, § 6 RGebStV Rdnr. 31 (zu § 2
BefrVO); Urteil der Kammer vom 13. Dezember 2006 - 8 K 2445/05 -, a.a.O.
34
Soweit die Klägerin geltend macht, dass sie lediglich über Einkünfte - aus
Arbeitslosengeld nach dem SGB III und Wohngeld - verfüge, die unterhalb des nach
SGB II für sie und ihre Tochter anzuerkennenden Bedarfs zur Deckung des
Lebensunterhalts lägen, und dass sie deswegen den in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
RGebStV genannten Empfängern von Leistungen nach dem SGB II vergleichbar
bedürftig sei, hat sie damit keine vom gesetzlich geregelten Normalfall abweichende,
atypische Sondersituation aufgezeigt. Sie beruft sich insoweit auf eine wirtschaftliche
Bedürftigkeit, die den Empfängern von Leistungen nach dem SGB II entspricht und
damit grundsätzlich in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV
fällt. Es fehlt lediglich an dem dort aufgestellten weiteren Erfordernis eines durch
Bescheid nachgewiesenen tatsächlichen Leistungsbezugs. Allein in der materiellen
sozialhilferechtlichen Bedürftigkeit ohne einen diese nachweisenden Bescheid liegt
jedoch gerade keine sich durch besondere atypische Umstände auszeichnende, vom
Normgeber ungeregelt gelassene Fallgestaltung, die eine "besondere" Härte begründet.
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Ziel der Neuregelung der Befreiung natürlicher Personen von der
Rundfunkgebührenpflicht im ausschließlich privaten Bereich durch den 8.
Rundfunkänderungsstaatsvertrag war - wie bereits dargelegt - neben einer
Vereinheitlichung des Befreiungsrechts insbesondere auch eine Vereinfachung des
Verfahrens im Bereich der Befreiung aus finanziellen Gründen (vgl. LT-Drucks. 13/6202,
S. 42). Zu diesem Zweck wurde der früher in § 1 Abs. 1 Nr. 7 BefrVO enthaltene
Befreiungstatbestand für Personen, deren monatliches Einkommen eine bestimmte an
Sozialhilfemaßstäben orientierte Einkommensgrenze unterschritt, gestrichen und durch
die Regelungen in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 RGebStV ersetzt, die allesamt an den
durch Leistungsbescheid nachgewiesenen Bezug bestimmter Sozialleistungen
anknüpfen. Der Normgeber hat damit im Grundsatz nach wie vor anerkannt, dass für
Personen, die nur über ein Einkommen unterhalb der sozialrechtlichen Bedarfsgrenzen
verfügen, eine Möglichkeit zur Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht bestehen
muss. Die bewusste Abkehr von einer individuellen Einkommensprüfung, die oftmals
umfangreiche und schwierige Berechnungen erfordert hatte, zugunsten einer
ausschließlich bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit zeigt jedoch, dass die
bloße Einkommensschwäche als solche nicht mehr zu einer Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht führen soll. Das zusätzliche Erfordernis eines die Bedürftigkeit
feststellenden Leistungsbescheides einer Sozialbehörde in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5
RGebStV macht deutlich, dass das Vorliegen einer sozialrechtlichen Bedarfslage
wegen geringen Einkommens ohne einen bestätigenden Leistungsbescheid
grundsätzlich noch keinen Befreiungsanspruch begründet.
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Angesichts dieser vom Ziel der Verfahrensvereinfachung getragenen Neuregelung des
Befreiungsrechts kann in der von der Klägerin angeführten materiellen Bedürftigkeit kein
bei der Formulierung des § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV übersehener, atypischer
Ausnahmefall gesehen werden. Andernfalls würde auf dem Umweg über die
Härtefallklausel wieder eine individuelle Einkommensprüfung - zudem ohne
betragsmäßig konkretisierte Einkommensgrenze - in das Befreiungssystem eingeführt
und damit der eindeutige gesetzgeberische Wille unterlaufen, Fälle nicht
bescheidmäßig belegbarer Bedürftigkeit wegen geringen Einkommens nicht mehr für
eine Gebührenbefreiung ausreichen zu lassen. Ein solches Verständnis des § 6 Abs. 3
RGebStV verbietet sich im Übrigen auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität.
Denn den Rundfunkanstalten fehlen im Gegensatz zu den früher zuständigen
Sozialhilfebehörden auch die verwaltungstechnischen Mittel zur Sachaufklärung,
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namentlich die Möglichkeit, die Angaben der um Befreiung nachsuchenden Personen
über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse ggf. im Wege des automatisierten
Datenabgleichs mit anderen Stellen zu verifizieren (vgl. §§ 117 f. SGB XII, §§ 20 ff., §§
67 ff. SGB X).
Etwas Anderes folgt - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch nicht aus der in der
Normbegründung enthaltenen Aussage, ein besonderer Härtefall sei insbesondere
dann gegeben, wenn ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 vorliegen,
eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann (vgl. LT-Drucks. 13/6202,
S. 42). Auch diese Umschreibung zeigt, dass die den Härtefall begründende
Bedarfslage nicht genau dieselbe sein darf wie in den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1
RGebStV, sondern damit nur "vergleichbar". § 6 Abs. 3 RGebStV erfasst daher nur
solche Fallkonstellationen, die nach dem vom Normgeber verfolgten Regelungskonzept
konsequenterweise in den Katalog der Befreiungsgründe hätten aufgenommen werden
müssen. Dazu zählt etwa der Bezug spezieller Sozialleistungen, die unter wertenden
Gesichtspunkten eine den Katalogfällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV vergleichbare
Bedarfslage voraussetzen. Das bloße Bestehen eines gegenüber dem
Sozialleistungsträger (noch) nicht geltend gemachten Anspruchs namentlich auf Hilfe
zum Lebensunterhalt gehört hingegen nicht zu dieser Kategorie.
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Vgl. VGH Bayern, Urteil vom 16. Mai 2007 - 7 B 06.2642 -, a.a.O. und OVG NRW,
Beschluss vom 3. Juni 2007 - 16 E 294/07 - , a.a.O.
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Diese Verständnis der Härtefallklausel wird im Übrigen auch dadurch bestätigt, dass der
Normgeber mit dem 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 30. Januar 2007
(GV.NRW.2007, S. 107) in den als lückenhaft erkannten Katalog des § 6 Abs. 1 Satz 1
RGebStV zwar weitere Befreiungstatbestände aufgenommen hat (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 5
lit. b und c sowie Nr. 11 RGebStV), demgegenüber bei § 6 Abs. 3 RGebStV trotz der
überwiegend restriktiven Auslegung der Vorschrift in der Rechtsprechung keine
Änderungen vorgenommen und damit offenbar auch keinen Korrektur- bzw.
Ergänzungsbedarf gesehen hat.
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Schließlich ist eine weite Auslegung des Begriffs der "besonderen Härte" in § 6 Abs. 3
RGebStV auch nicht mit Rücksicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1
GG oder das Sozialstaatsprinzip geboten. Die mit dem Regelungskonzept in § 6 Abs. 1
Satz 1 und Abs. 3 RGebStV verbundene unterschiedliche Behandlung von Empfängern
bestimmter durch Leistungsbescheid nachgewiesener Sozialleistungen und Personen
mit einem vergleichbar niedrigem Einkommen bzw. solchen, die eine materielle
Sozialhilfebedürftigkeit geltend machen, ist sachlich gerechtfertigt. Es steht
grundsätzlich im Ermessen des Normgebers, an welche tatsächlichen Verhältnisse er
bestimmte Rechtsfolgen knüpft bzw. wie er Personengruppen bestimmt, denen er
Vergünstigungen zukommen lassen will. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt erst
dann vor, wenn ein Sachverhalt und/oder eine Personengruppe im Vergleich zu einem
anderen Sachverhalt und/oder einer anderen Personengruppe unterschiedlich
behandelt wird, ohne dass Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht
vorliegen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Solche sachlichen
Differenzierungsgründe sind hier jedoch gegeben, soweit der leistungsberechtigte
Personenkreis für Befreiungen aus finanziellen Gründen im Wege einer verstärkten
Typisierung in Anknüpfung an den durch Leistungsbescheid nachgewiesenen Bezug
bestimmter Sozialleistungen festgelegt wird. Neben der damit beabsichtigten
Verfahrensvereinfachung sprechen für eine solche Bestimmung des begünstigten
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Personenkreises auch eine erhöhte Richtigkeitsgewähr und das Prinzip der Einheit der
Rechtsordnung. Denn der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit liegt - wie
dargelegt - auch maßgeblich die Erwägung zugrunde, dass bereits eine individuelle
Bedürftigkeitsprüfung einer anderen Fachbehörde stattgefunden hat, die insoweit
sowohl über eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung als auch über
die nötigen Sachaufklärungsmittel (vgl. §§ 117 f. SGB XII, §§ 20 ff., §§ 67 ff. SGB X)
verfügt.
Dass mit der Neuregelung des Befreiungsrechts demnach für einkommensschwache
Rundfunkteilnehmer die Möglichkeit entfällt, eine Gebührenbefreiung zu erhalten, ohne
zuvor eine andere Sozialleistung beantragt zu haben, begegnet im Lichte des Art. 3 Abs.
1 GG ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Hierin liegt in der Regel kein derart
unzumutbares Verfahrenserschwernis, dass allein daraus ein besonderer Härtefall
abgeleitet werden könnte. Der Betroffene hat es nämlich selbst in der Hand hat, eine
aus seiner Sicht bestehende Härte zu beseitigen und die Voraussetzungen für eine
Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV zu schaffen, indem er einen Antrag auf die
jeweils für ihn in Betracht kommende Sozialleistung stellt. Diesbezügliche Ausnahmen
wären allenfalls insoweit denkbar, als die Inanspruchnahme der Sozialleistung wegen
besonderer Umstände des Einzelfalls als unmöglich oder unzumutbar erscheint, was
jedoch nicht bereits für den Fall eines freiwilligen oder bewussten Verzichts
anzunehmen ist. Eine ausnahmsweise die Annahme eines Härtefalls rechtfertigende
Besonderheit ergibt sich insbesondere auch nicht daraus, dass ein Antragsteller es
versäumt hat, rechtzeitig einen Antrag auf - ggf. auch ergänzende - Sozialleistungen zu
stellen. Denn ebenso wenig wie eine verspätete Antragstellung wegen des Verbots der
rückwirkenden Befreiung nach § 6 Abs. 5 RGebStV eine besondere Härte im Sinne des
§ 6 Abs. 3 RGebStV zu begründen vermag, ist die Annahme eines besonderen
Härtefalls gerechtfertigt, wenn der Antrag auf Sozialleistungen im Sinne des § 6 Abs. 1
Satz 1 RGebStV nicht oder verspätet gestellt wird.
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Vgl. Kammerurteil vom 13. Dezember 2006 - 8 K 2445/05 -; sowie VG Düsseldorf, Urteil
vom 26. April 2006 - 27 K 4554/05 -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 3. August 2006 -
14 K 983/06 - m.w.N.
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Im Übrigen hält es sich auch im Rahmen des dem Gesetzgeber gerade im Bereich der
Leistungsverwaltung zustehenden weiten Gestaltungsspielraums, die Gewährung einer
staatlichen Vergünstigung an eine anderweitig getroffene Bedarfsfeststellung und damit
die Gewährung einer anderen Sozialleistung zu koppeln. Dass damit einzelne
Sozialleistungen nicht allein, sondern nur zusammen im Rahmen eines "Gesamtpaktes"
in Anspruch genommen werden können, stellt für den Betroffenen trotz der damit
verbundenen erweiterten Mitwirkungspflichten eine grundsätzlich hinnehmbare
Belastung dar.
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Vgl. VGH Bayern, Urteil vom 16. Mai 2007 - 7 B 06.2642 -, a.a.O.; Urteil der Kammer
vom 13. Dezember 2006 - 8 K 2445/05 -, a.a.O.
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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