Urteil des VG Aachen vom 11.07.2007

VG Aachen (psychotherapie, antragsteller, psychische störung, behandlung, facharzt, medizin, notwendigkeit, verwaltungsgericht, bvo, anordnung)

Verwaltungsgericht Aachen, 7 L 211/07
Datum:
11.07.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 211/07
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des
Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 1.156,25 EUR festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu
verpflichten, die Kosten einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie durch Frau
Dipl.- Psychologin B. entsprechend dem Antrag vom 12. Mai 2006 vorab als
beihilfefähig anzuerkennen,
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hat keinen Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Der jeweilige Antragsteller muss jedoch gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §
920 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen, dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte
Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen
Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit schlechthin unzumutbaren
Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund).
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Der Antragsteller hat jedenfalls das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht
glaubhaft gemacht, so dass dahinstehen kann, ob der Erlass einer einstweiligen
Anordnung auch nach den Grundsätzen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache
nicht in Betracht kommt,
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vgl. allgemein zu diesem Problemkreis: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn.
102 ff; sowie zur "vorläufigen" Anerkennung von Aufwendungen als beihilfefähig: OVG
NRW, Urteil vom 22. Juni 2006 - 1 A 2526/04 - (S. 15 f. des Urteilsabdrucks).
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Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass es sich bei den Kosten für die von
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ihm beabsichtigte tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (in 50 Sitzungen) bei
der Diplompsychologin und psychologischen Psychotherapeutin Frau N. B. um
beihilfefähige Aufwendungen im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 5 der
Beihilfenverordnung (BVO) vom 27. März 1975, GV.NRW. S. 332, in Verbindung mit der
hierzu erlassenen Anlage 1 - jeweils in der Fassung der 17. Änderungsverordnung vom
27. April 2001, GV.NRW. S. 219 - handelt.
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 5 BVO bestimmen sich Voraussetzung und Umfang der
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für ambulant durchgeführte psychotherapeutische
Leistungen und Maßnahmen der psychosomatischen Grundversorgung nach der
Anlage 1 zur BVO. Nach deren Ziffer 2.1 sind Aufwendungen für tiefenpsychologisch
fundierte und analytische Psychotherapien nur dann beihilfefähig, wenn - die
vorgenommene Tätigkeit der Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit
Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist, dient und - beim Patienten nach
Erhebung der biografischen Anamnese, gegebenenfalls nach höchstens fünf
probatorischen Sitzungen, die Voraussetzungen für einen Behandlungserfolg gegeben
sind und - die Festsetzungsstelle vor Beginn der Behandlung die Beihilfefähigkeit der
Aufwendungen auf Grund der Stellungnahme eines vertrauensärztlichen Gutachters zur
Notwendigkeit und zu Art und Umfang der Behandlung anerkannt hat. Jedenfalls die
letztere Voraussetzung ist bislang nicht erfüllt. Sowohl das dem Bescheid vom zugrunde
gelegte Gutachten des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin sowie Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. T. vom 16. Juni 2006 als auch das im
Widerspruchsverfahren eingeholte Obergutachten von Dr. S. W. (Facharzt für
Psychotherapeutische Medizin, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalyse
DGPT/DPG - sowie Leitender Arzt an der S1. -Klinik, Krankenhaus für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie) vom 4. Oktober 2006 gelangen zu dem
Ergebnis, dass die Beihilfefähigkeit bzw. Notwendigkeit der begehrten
tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie nicht bestätigt werden könne bzw. nicht
ausreichend dargelegt sei.
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In seinem Gutachten vom 16. Juni 2006 führte Dr. T. im Wesentlichen aus, dass der
Antragsteller zwar mehrfach stationär und auch ambulant mit tiefenpsychologisch
fundierter Psychotherapie behandelt worden sei und die vorliegenden Berichte eine
behandlungsbedürftige psychische Störung erkennen ließen. Letztlich seien die
Störungen aber als chronischer Ausdruck einer neurotischen Entwicklungsstörung zu
deuten, für die vordringlich eine analytische Psychotherapie anzusprechen sei.
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Die von der Diplompsychologin und psychologischen Psychotherapeutin B. mit
Schreiben vom 14. Juli 2006 für den Antragsteller hiergegen ergänzend vorgetragenen
Angaben sind nicht geeignet, eine für ihn günstigere Bewertung zu rechtfertigen. Im
Wesentlichen wird von Frau B. geltend gemacht, aufgrund der durchgeführten
probatorischen Sitzungen sei deutlich geworden, dass die vorliegende neurotische
Störung bzw. Persönlichkeitsstruktur nicht so pathogen sei, dass eine analytische
Psychotherapie angezeigt sei. Erst vor dem Hintergrund vielfältig belastender
Lebensereignisse habe die seit längerem bestehende Depression des Antragstellers
nach dessen Berichten zugenommen. Der Aktualkonflikt habe eine gewisse Ähnlichkeit
mit seinem strukturprägenden kindlichen Grundkonflikt. Vor diesem Hintergrund sei eine
tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie indiziert. Zudem wünsche der
Antragsteller konkrete und schnelle Hilfe und schließe eine längere Psychoanalyse
selber aus.
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Aber die von Frau B. geschilderte intrapsychische Dynamik lässt nach den
Ausführungen von Dr. S. W. in seinem im Widerspruchsverfahren erstellten
Obergutachten vom 4. Oktober 2006 kaum einen abgrenzbaren intrapsychischen
Konflikt erkennen, der als Gegenstand tiefenpsycholgoisch fundierter Psychotherapie
zur Behandlung kommen könne. Die Behandlungsplanung sei verallgemeinernd
gehalten. Auch wenn Frau B. in ihrem ergänzenden Bericht einen Aktualkonflikt unter
Berücksichtigung aktueller äußerer Belastungen hervorhebe, seien mögliche konkrete
Gegenstände (wie die Darstellung unbewusster Konflikte) einer fokuszentrierten
Behandlung entsprechend den Möglichkeiten tiefenpsychologisch fundierter
Psychotherapie bislang nicht ausreichend dargelegt. Auch der geltend gemacht
Aktualkonflikt sei nicht ausreichend belegt. Die vorliegenden Mitteilungen legten
vielmehr nahe, dass die Symptomatik sehr weitreichend mit der pathogenen Struktur
verbunden sei. Andere umschriebene Konfliktbereiche, die Gegenstand einer
tiefenpsycholgoisch fundierten Psychotherapie sein könnten, seien nicht abgrenzbar
dargestellt worden. Die ganze Behandlungsplanung ziele eher auf Stützung und
Bewältigung der aktuellen äußeren Konfliktsituation ab und trage damit Züge einer
stützenden Psychotherapie. Es sei danach nicht zu empfehlen für die beantragte
Behandlung Beihilfe zu gewähren.
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Vor diesem Hintergrund sind jedenfalls bislang die Notwendigkeit der vom Antragsteller
gewünschten tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie und damit die
Beihilfefähigkeit der hierdurch entstehenden Kosten nicht dargelegt worden. Im Rahmen
eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 123 VwGO mit seinen
eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten sieht die Kammer keine Veranlassung, von
den fachärztlichen Bewertungen der vom Antragsgegner eingeschalteten Gutachter
abzuweichen, mit denen sich der Antragsteller weder im vorliegenden
Rechtsschutzverfahren noch in dem zugehörigen Klageverfahren gleichen Rubrums (7
K 463/07) detailliert auseinander gesetzt hat.
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Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob Frau B. die für eine Anerkennung der
Beihilfefähigkeit ihrer Behandlung erforderliche Qualifikation besitzt. Anhand der im
Antragsformular vom 15. Mai 2006 gemachten Angaben ist dies bislang nicht
überprüfbar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt
sich aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt den lediglich vorläufigen
Charakter der begehrten Regelung. Hierbei wurden die Behandlungskosten der
begehrten Therapie (4.625,00 EUR bzw. 50 Sitzungen zu je 92,50 EUR) und ein
Beihilfesatz des Antragstellers von 50 % berücksichtigt sowie dem lediglich vorläufigen
Charakter der begehrten Regelung durch Halbierung des sich ergebenden Betrages
Rechnung getragen.
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