Urteil des VG Aachen vom 12.08.2004
VG Aachen: wiedereinsetzung in den vorigen stand, gewerbe, klagefrist, einkommenssteuer, zustellung, handel, entschuldigung, verwaltungsrecht, rechtsmittelbelehrung, behörde
Verwaltungsgericht Aachen, 3 K 2921/03
Datum:
12.08.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 2921/03
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d :
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Der am 30. Juli 1952 geborene Kläger betreibt seit dem 1. Juli 1993 das Gewerbe
"Handel und Direktvertrieb mit Waren aller Art".
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Am 18. September 2000 meldete das Finanzamt B. -Außenstadt dem Beklagten, dass
der Kläger Steuerrückstände in Höhe von 8.639,30 DM zuzüglich 378,00 DM
Säumniszuschläge, insgesamt 9.017,30 DM habe. Außerdem führte das Finanzamt aus:
Die Umsatzsteuervoranmeldungen für das 1. und 2. Quartal 2000 seien ebenso wenig
eingegangen wie die Einkommenssteuer- und Umsatzsteuererklärungen für die Jahre
1997, 1998 und 1999. Schätzungen seien für die Umsatzsteuervoranmeldungen des 1.
und 2. Quartals 2000 sowie hinsichtlich der Einkommenssteuer und Umsatzsteuer für
das Jahr 1997 erfolgt.
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Nach einer Anhörung des Klägers trug dieser am 15. Dezember 2000 vor, er werde die
Steuerrückstände auf unter 5.000,00 DM bringen. Am 17. und 30. Januar 2001 ergänzte
er, er habe 2.000,00 DM und die Umsatzsteuer bis zum 4. Quartal 2000 gezahlt.
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In der Folgezeit stiegen die Steuerrückstände des Klägers bis zum 15. November 2002
auf 24.336,08 EUR zuzüglich 3.565,77 EUR, insgesamt 27.901,85 EUR an.
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Daraufhin untersagte der Beklagte dem Kläger mit Ordnungsverfügung vom 26.
November 2002 die selbstständige Ausübung des Gewerbes "Handel und Direktvertrieb
mit Waren aller Art" sowie jegliche gewerbliche Tätigkeiten und auch die Tätigkeit als
Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines
Gewerbebetriebes Beauftragten. Gleichzeitig forderte er den Kläger auf, die Tätigkeit in
dem Gewerbe innerhalb eines Monats nach Unanfechtbarkeit der Ordnungsverfügung
einzustellen. Für den Fall, dass er dieser Anordnung nicht nachkomme, drohte er ihm
ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000,00 EUR an. Zur Begründung führte er das Verhalten
des Klägers gegenüber dem Finanzamt an.
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Der Kläger legte Widerspruch ein und trug vor: Die hohen Steuerrückstände beruhten
auf unrealen Schätzungen des Finanzamts. Er sei mittellos und müsse im Falle der
Untersagung des Gewerbes Sozialhilfe beantragen.
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Nachdem die Steuerrückstände auf 34.454,41 EUR angestiegen waren, wies die
Bezirksregierung L. den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 31. Oktober 2003 -
zugestellt am 4. November 2003 - zurück. Zur Begründung führte sie aus: Gemäß § 35
Abs. 1 der Gewerbeordnung (GewO) sei die Ausübung eines Gewerbes ganz oder
teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des
Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Betriebes beauftragten Person in
Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der
Allgemeinheit erforderlich ist. Aus dem Verhalten des Klägers gegenüber dem
Finanzamt und seiner Leistungsunfähigkeit ergebe sich dessen Unzuverlässigkeit.
Unerheblich sei, ob die Rückstände auf überhöhten Schätzungen beruhten oder die
Leistungsunfähigkeit verschuldet sei. Die Ausdehnung der Untersagung auf alle
Gewerbe sei gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ebenfalls nicht zu beanstanden, da der
Kläger Verpflichtungen verletzt habe, die jedem Gewerbetreibenden obliegen. Nach den
Gesamtumständen sei auch nicht auszuschließen, dass der Kläger als
Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines
Gewerbebetriebes beauftragten Person tätig werde.
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Der Kläger hat mit an die Widerspruchsbehörde gerichtetem Schreiben vom 29.
November 2003 - dort eingegangen am 1. Dezember 2003 - "gegen den Bescheid, Az:
63.3.22-43/03, Gewerbeuntersagungsverfahren Widerspruch" eingelegt und
vorgetragen, dass er zurzeit keine geschäftlichen Aktivitäten durchführe. Die anfallende
Umsatzsteuer und Lohnsteuer sei von ihm immer bezahlt worden.
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Die Bezirksregierung L. hat das Schreiben des Klägers am 5. Dezember 2003 an das
Verwaltungsgericht B. - Eingang 9. Dezember 2003 - weitergeleitet und dem Kläger dies
am selben Tage mitgeteilt.
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Der stellvertretende Vorsitzende der Kammer hat dem Kläger mitgeteilt, dass sein
"Widerspruch" gegen den Widerspruchsbescheid als Klage behandelt werde und ihn
auf die Überschreitung der Klagefrist sowie auf die Vorschriften über die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO hingewiesen.
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Im weiteren Klageverfahren hat der Kläger auf mehrere Aufforderungen des Gerichts
nicht reagiert. Zur mündlichen Verhandlung ist er ohne Entschuldigung nicht
erschienen.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 26. November 2002 und den
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung L. vom 31. Oktober 2003 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er nimmt auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug und weist in der
mündlichen Verhandlung darauf hin, dass die Klage wegen Klagefristüberschreitung
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unzulässig sei, da auch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand nicht erfüllt seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und der
Bezirksregierung L. Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unzulässig.
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Der Kläger hat die Klagefrist nicht eingehalten. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die
Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Widerspruchsbescheides erhoben werden. Der Widerspruchsbescheid der
Bezirksregierung L. vom 31. Oktober 2003, der eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung
mit dem Hinweis auf die Klageerhebung beim Verwaltungsgericht Aachen enthält, ist
dem Kläger ausweislich der vorliegenden Postzustellungsurkunde am 4. November
2003 zugestellt worden. Die Klagefrist lief demnach am Donnerstag, den 4. Dezember
2003, ab. Das als Klage zu wertende Widerspruchsschreiben des Klägers vom 29.
November 2003 ist erst am 9. Dezember 2003 und somit verspätet bei Gericht
eingegangen.
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Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gemäß § 60 VwGO liegen nicht vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies der Fall
wäre, wenn die Bezirksregierung sein Schreiben verzögerlich an das
Verwaltungsgericht weitergeleitet hätte und diese Verzögerung dazu geführt hätte, dass
die Klagefrist überschritten wird,
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vgl. hierzu: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW),
Beschlüsse vom 3. Juli 1997 - 16 A 1968/97 -, Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.)
1997, 1339 = Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 1997, 1235 und vom 13.
Januar 2000 - 13 A 3934/97.A - NVwZ-Rechtsprechungsreport 2000, 841,
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für die Weiterleitung von an das Verwaltungsgericht gesendete Rechtsmittelschreiben,
die an das Oberverwaltungsgericht zu richten sind.
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Jedenfalls hat im vorliegenden Fall die Bezirksregierung nicht verzögerlich gehandelt.
Denn das Schreiben des Klägers ist nach den vorliegenden Datumsvermerken dem
Dezernenten am 4. Dezember und der Sachbearbeiterin am 5. Dezember 2003
vorgelegt worden. Noch am selben Tag hat die Sachbearbeiterin das Schreiben an das
Verwaltungsgericht weitergeleitet. Der verspätete Klageeingang ist daher allein dem
Kläger vorzuwerfen.
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Die Klage ist auch unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der Ordnungsverfügung des Beklagten
vom 26. November 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der
Bezirksregierung L1. vom 31. Oktober 2003, da diese Bescheide rechtmäßig sind und
ihn nicht in seinen Rechten verletzen, vgl. § 113 Abs. 1 VwGO.
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Nach § 35 Abs. 1 GewO ist die selbstständige Ausübung eines Gewerbes von der
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zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen,
welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden dartun, sofern die Untersagung
zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist. Die Untersagung kann auch auf die
Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung
eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle
anderen Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsache die Annahme
rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe
unzuverlässig ist, § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO.
Im Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung L1. vom 31. Oktober 2003, der die
Begründung der angefochtenen Ordnungsverfügung des Beklagten vertieft und
aktualisiert, ist zutreffend dargelegt, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der
Zustellung des Widerspruchsbescheides gewerberechtlich unzuverlässig war. Die
Kammer folgt dieser Begründung und sieht gemäß § 117 Abs. 5 VwGO insoweit von
einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
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Dass der Kläger in dem vorgenannten Zeitpunkt gewerberechtlich unzuverlässig war,
wird durch sein weiteres Verhalten belegt. Auch während des Klageverfahrens war er
entweder nicht Willens oder nicht in der Lage, seine Steuerrückstände gegenüber dem
Finanzamt Aachen-Außenstadt in einem nennenswerten Umfang abzutragen. Nach der
von der Kammer eingeholten Auskunft des Finanzamts vom 6. August 2004 bestanden
immer noch Rückstände in Höhe von 22.870,47 EUR zuzüglich 8.381,77 EUR
Säumniszuschläge, insgesamt 31.252,24 EUR. Es ist nicht ersichtlich, wie der Kläger in
absehbarer Zeit diese Rückstände abbauen will. Ein Sanierungskonzept hat er nicht
vorgelegt. Zur mündlichen Verhandlung ist er ohne Entschuldigung nicht erschienen.
Unerheblich ist, ob die Rückstände auf überhöhten Schätzungen des Finanzamts
beruhen. Nach ständiger Rechtsprechung,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 29. Januar 1988 - 1 B 164.87
-, NVwZ 1988, 432; OVG NRW, Beschluss vom 19. August 1999 - 4 A 1490/99 -,
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ist die auf der Grundlage von Schätzungen festgesetzte Steuerschuld nicht von anderer
rechtlicher Qualität und daher im Rahmen des § 35 GewO nicht anders zu würdigen als
eine Steuerschuld, die sich aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergibt.
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Dass der Kläger sein Gewerbe zurzeit eventuell nicht ausübt, hat keinen Einfluss auf die
Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung. Nach § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO kann das
Untersagungsverfahren nämlich fortgesetzt werden, auch wenn der Betrieb des
Gewerbes während des Verfahrens aufgegeben wird.
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Die Kostenentscheidung beruh.t auf § 154 Abs. 1 VwGO
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