Urteil des VG Aachen vom 04.04.2007
VG Aachen: öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, sinn und zweck der norm, gefahr im verzug, vollziehung, stadt, formelles recht, häusliche gemeinschaft, körperliche unversehrtheit, verfügung
Verwaltungsgericht Aachen, 6 L 113/07
Datum:
04.04.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 L 113/07
Tenor:
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird
abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
1
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war gemäß § 166
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)
abzulehnen, weil - wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt - der Eilantrag
des Antragstellers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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Der - mit Blick auf die Widerspruchsbegründung und die Antragsbegründung
sinngemäß gestellte - Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen das mit
Bescheid des Antragsgegners vom 15. Februar 2007 verfügte Hausverbot
wiederherzustellen, soweit gegen den Antragsteller ein Hausverbot betreffend das
Übergangsheim W. Straße 149-153 verfügt worden ist,
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ist statthaft und zulässig, aber unbegründet.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
Namentlich entspricht sie den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach das besondere Interesse an der
sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO schriftlich zu begründen ist.
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Erforderlich ist dabei eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des
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besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige
Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das
Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm bekämpften
Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden.
Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 80 Rn. 85.
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Daraus folgt allerdings nicht, dass sich die Begründung der Anordnung der sofortigen
Vollziehung zwingend von der Begründung des ihr zugrunde liegenden
Verwaltungsakts unterscheiden muss. Im Einzelfall können die Gründe für den Erlass
der Grundverfügung durchaus zugleich ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne
des § 80 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 VwGO begründen. In diesem Sinne begründen die
Erwägungen, welche die Grundverfügung tragen, regelmäßig auch ein besonderes
öffentliches Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs, wenn die Verfügung der
Verhinderung strafbaren Verhaltens dient, das mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
erwartet werden kann.
9
Vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflage, § 80 Rdn. 87.
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So liegt der Fall hier. Der Antragsgegner hat zur Begründung des Sofortvollzugs
ausgeführt, die Anordnung erfolge, weil ansonsten "der Erfolg dieser Maßnahme
gefährdet" sei und "die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und die mit der
Ausnutzung weiterer Rechtsmittel verbundenen Zeitverzögerungen die Sicherheit und
Ordnung in dem Übergangsheim W. Straße vereiteln würde". Auch wenn sich diese
Begründung des Sofortvollzugs im Kern nicht von den Gründen unterscheidet, auf die
das Hausverbot selbst gestützt wird, hat der Antragsgegner damit zugleich ein
besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Hausverbots
dargelegt. Denn der Sofortvollzug dient ersichtlich der effektiven Gefahrenabwehr,
namentlich der vom Antragsgegner erkennbar befürchteten erneuten Begehung von
Straftaten (Beleidigung, Nötigung, Körperverletzung) - wie sie dem Antragsteller
bezogen auf den Vorfall am 8. Februar 2007 auf dem Gelände des Übergangsheims W.
Straße konkret in der Verfügung vorgehalten werden - sowie der Sicherung des
ordnungsgemäßen Betriebs der städtischen Übergangsheime. Die damit im Falle des
Antragstellers angenommene Wiederholungsprognose verleiht dem Interesse am
sofortigen Vollzug der angegriffenen Verfügung ein besonderes Gewicht gegenüber
dem allgemeinen Interesse an der Durchsetzung behördlicher Maßnahmen.
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Die in materieller Hinsicht vorzunehmende Interessenabwägung fällt zuungunsten des
Antragstellers aus.
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Die durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO entfallene aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist gemäß § 80 Abs. 5
VwGO wiederherzustellen, wenn der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich
rechtswidrig ist und demnach ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung
nicht bestehen kann oder wenn - bei noch offener Rechtslage - das Interesse des
Betroffenen daran, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt; dabei kann ein
berücksichtigungsfähiges Interesse des Betroffenen regelmäßig dann ausgeschlossen
werden, wenn die angegriffene Maßnahme offensichtlich rechtmäßig ist und überdies
ein besonderes Vollzugsinteresse besteht.
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Das im Bescheid des Antragsgegners vom 15. Februar 2007 verfügte Hausverbot ist
nicht offensichtlich rechtswidrig.
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Das Hausverbot verstößt nicht gegen formelles Recht. Insbesondere war der
Antragsgegner nicht verpflichtet, den Antragsteller vor dem Erlass des Hausverbots
gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) anzuhören. Er durfte von der
Anhörung nach den Umständen des Einzelfalls absehen, weil im Sinne des § 28 Abs. 2
Nr. 1 VwVfG "eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug...notwendig" war.
Nach den massiven körperlichen und verbalen Angriffen des Antragstellers und eines
seiner Brüder auf Bedienstete der Stadt B. am 8. Februar 2007, durch die der
Antragsteller Straftatbestände wie den der Nötigung und der Beleidigung erfüllt hat, ist
der Antragsgegner zu Recht davon ausgegangen, dass die dringende Gefahr weiterer
vergleichbarer Angriffe des Antragstellers auf städtische Bedienstete bestand, die ein
sofortiges Handeln zum Schutz der Bediensteten erforderte. Unabhängig davon würde
sich ein - unterstellter - Anhörungsfehler bei der hier vorzunehmenden Abwägung nicht
zu Gunsten des Antragstellers auswirken, weil ein Anhörungsmangel nach § 45 Abs. 1
Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 VwVfG bereits durch die auf den Widerspruch des Antragstellers hin
zu treffende Abhilfeentscheidung des Antragsgegners geheilt werden kann und mit Blick
auf die Begründung des Widerspruchs auch nicht ansatzweise ersichtlich ist, dass eine
Anhörung des Antragstellers zu einer für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätte.
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Taugliche Ermächtigungsgrundlage für das Hausverbot ist der vom Antragsgegner
herangezogene § 3 Abs. 7 der "Satzung über die Benutzung des Übergangsheimes
sowie über die Erhebung von Gebühren und von Entgelten für Verbrauchskosten für die
Benutzung des Übergangsheimes der Stadt B. zur vorläufigen Unterbringung von
Spätaussiedlern/Spätaussiedlerinnen, Flüchtlingen und Wohnungslosen" vom 23. Juli
2003 - im Folgenden: Heimsatzung -. Nach dieser Bestimmung kann zur Wahrung der
Interessen der Benutzer/Benutzerinnen der Übergangsheime der Stadt B. bestimmten
Personen in besonderen Fällen das Betreten der Häuser untersagt werden. Die danach
erforderlichen Voraussetzungen für die Anordnung des Hausverbots gegenüber dem
Antragsteller sind bei summarischer Betrachtung gegeben.
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Das Hausverbot dient der Wahrung der Interessen der Benutzer/Benutzerinnen des
Übergangsheims W. Straße . Dem steht nicht entgegen, dass das Hausverbot in erster
Linie erlassen wurde, um unmittelbar Personen zu schützen, die nicht Benutzer des
Übergangsheims sind, sondern städtische Mitarbeiter wie der auf dem Gelände des
Übergangsheims W. Straße angegriffene Architekt und der Hausmeister des
Übergangsheims sowie Mitarbeiter einer von der Stadt B. beauftragten Firma. Für den
Betrieb des Übergangsheims sind die Dienstleistungen der genannten Personen jedoch
unverzichtbar. Der Schutz des Personals dient damit jedenfalls auch dazu, die
Interessen der Benutzer/Benutzerinnen des Übergangsheims zu wahren.
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Der Antragsgegner ist auch zu Recht vom Vorliegen eines "besonderen Falles" im
Sinne der Ermächtigungsnorm ausgegangen. Das Tatbestandsmerkmal eines b e s o n
d e r e n Falles ist in dem Sinne zu verstehen, dass nicht aus jedem geringfügigen
Anlass ein Hausverbot angeordnet werden darf. Die Störung des Heimbetriebs, die ein
Hausverbot rechtfertigt, muss zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Interessen der
Benutzer/Benutzerinnen führen. Welches Gewicht die abzuwehrende Störung im
Einzelfall mindestens haben muss, bedarf hier keiner Klärung, weil durch den
Antragsteller schwerwiegende Störungen des Heimbetriebes in der Form erneuter
körperlicher und verbaler Angriffe gegen Heimmitarbeiter drohen, die in der Bandbreite
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möglicher vorstellbarer Störungen des Heimbetriebs in ihrer Schädlichkeit kaum zu
überbieten sind. Die Kammer geht davon aus, dass der Antragsteller am 8. Februar
2007 gemeinsam mit einem Bruder einen bei der Stadt B. beschäftigten Architekten
angegriffen und ihn durch massiven körperlichen Einsatz vom Gelände des
Übergangsheims W. Straße gedrängt hat, dass er des weiteren den Hausverwalter S.
massiv verbal attackiert, Mitarbeiter der Stadt B. vor Ort bedroht und nicht anwesende
Mitarbeiter auf das Äußerste beleidigt hat. Die Angriffe des Antragstellers waren derart
massiv, dass sich anwesende Mitarbeiter eines von der Stadt B. beauftragten
Unternehmens bedroht fühlten. Der angegriffene Architekt wurde in einem solchen Maß
bedroht, dass er aus Angst um seine Familie zu keiner Aussage bereit ist. Eine
beteiligte Firma hat erklärt, sie werde den Vorfall am 8. Februar 2007 nicht bezeugen,
weil massive Drohungen auch ihr gegenüber ausgesprochen worden seien und sie
Angst um ihre gewerbliche Einrichtung habe. Zu Zweifeln an dieser Darstellung des
Antragsgegners, die sich aus der Bescheidbegründung und dem vom städtischen
Oberverwaltungsrat L. am 29. März 2007 gefertigten Vermerk ergibt, der Bestandteil des
vorgelegten Verwaltungsvorgangs ist, besteht nicht der geringste Anlass. Die
verharmlosende Einlassung des Antragstellers in der Begründung seines Widerspruchs,
er habe am 8. Februar 2007 eine ihm unbekannte Person im Keller des Hauses, in dem
seine Mutter und seine übrigen Verwandten leben, angetroffen und zur Rede gestellt, ist
schlichtweg unglaubhaft. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die angegriffenen
Personen den Vorfall "erfinden" oder wahrheitswidrig hätten aufbauschen sollen. Die
damit vom Antragsgegner dargelegten Störungen des Heimbetriebs durch den
Antragsteller am 8. Februar 2007 haben in der Summe ein solches Ausmaß, dass sie
als ein "besonderer Fall" zu werten sind, der ein Hausverbot rechtfertigt.
Der Antragsgegner, der damit grundsätzlich berechtigt war, ein Hausverbot gegenüber
dem Antragsteller auszusprechen, hat auch nicht dadurch eine nach der
Ermächtigungsnorm unzulässige Rechtsfolge angeordnet, dass er das Hausverbot auch
auf die Außenanlagen des Übergangsheims erstreckt hat. Die am Sinn und Zweck der
Norm orientierte Auslegung ergibt, dass mit dem Begriff "Betreten der Häuser" nicht in
einem engen Sinn ausschließlich das Heimgebäude gemeint ist. Soll der Heimbetrieb
wirksam geschützt werden, muss es möglich sein, Hausverbote auch auf die
Außenanlagen zu erstrecken. Gerade das Verhalten des Antragstellers am 8. Februar
2007 macht deutlich, dass nur eine solche Auslegung des § 3 Abs. 7 der Heimsatzung
dem Zweck der Vorschrift gerecht wird. Denn am 8. Februar 2007 hat er einen
Mitarbeiter der Stadt B. außerhalb des Heimgebäudes "vom Gelände" gedrängt. Es
kann nicht zweifelhaft sein, dass in einem solchen Fall der Schutz der Interessen der
Heimbewohner durch ein Hausverbot schon in den Außenanlagen beginnen muss.
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Unabhängig davon würde es nicht an einer Ermächtigungsgrundlage für das
Hausverbot bezüglich der Außenanlagen fehlen, wenn § 3 Abs. 7 der Heimsatzung
tatsächlich nur dazu ermächtigen würde, das "Betreten der Häuser" zu untersagen.
Denn in diesem Falle wäre der Antragsgegner als Betreiber der öffentlich-rechtlich
organisierten Übergangswohnheime berechtigt, das Hausverbot auf die ihm zustehende
Anstaltsgewalt zu stützen.
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vgl. hierzu Knemeyer, Das Hausrecht der öffentlichen Verwaltung, VBlBW 1982, 259 ff.
21
Die Anordnung des Hausverbots ist auch ermessensfehlerfrei im Sinne des § 114 Satz
1 VwGO erfolgt. Mit dem Ziel, das für den ordnungsgemäßen Betrieb des
Übergangsheims notwendige Personal vor Angriffen des Antragstellers zu schützen,
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entspricht es dem mit der Ermächtigungsnorm verfolgten Zweck, Personen - hier den
Antragsteller - vom Betreten des Übergangsheims auszuschließen, bei deren
Anwesenheit das Interesse der Benutzer/Benutzerinnen, das Heim ungestört
widmungsgemäß zu nutzen, gefährdet ist.
Eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung ist nicht mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG
geboten.
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Auf den Schutz dieses Grundrechtes kann sich der Antragsteller ohnehin nur im
Verhältnis zu seiner Mutter berufen, die im Übergangsheim W. Straße wohnt. Art. 6 Abs.
1 GG stellt mit dem Begriff der "Familie" nämlich nur das Eltern- Kind-Verhältnis unter
den besonderen Schutz des Staates. Die Beziehungen des Antragstellers zu den
weiteren im Übergangsheim W. Straße wohnenden Verwandten (drei Brüder, zwei
Schwestern, zwei Neffen und eine Nichte) werden grundrechtlich nicht durch Art. 6 Abs.
1 GG, sondern nur durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2
Abs. 1 GG geschützt.
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Das somit - nur - im Verhältnis zur Mutter des Antragstellers zu beachtende Grundrecht
aus Art. 6 Abs. 1 GG wird durch das Hausverbot nicht verletzt. Der Antragsgegner war
berechtigt, dieses Grundrecht des Antragstellers als weniger schützenswert einzustufen
als das aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitende allgemeine
Persönlichkeitsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG
der Beschäftigten und der Benutzer des Übergangsheims, zu deren Schutz das
Hausverbot angeordnet worden ist. Führt die Ausübung eines Grundrechts zur Kollision
mit den Grundrechten anderer Grundrechtsträger, ist aufgrund einer Abwägung mit dem
Ziel der Herstellung "praktischer Konkordanz" zu entscheiden, welches der Grundrechte
im Kollisionsfall zurückzutreten hat. Welches Gewicht bei dieser Abwägung dem
Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG zukommt, hängt davon ab, in welchem Grade die
Beteiligten auf das familiäre Zusammenleben angewiesen sind. Minderjährige Kinder
sind in der Regel auf das Zusammenleben mit ihren Eltern angewiesen, und zwar umso
mehr, je jünger sie sind. Erwachsene dagegen bedürfen im Allgemeinen nicht mehr der
häuslichen Gemeinschaft mit Eltern oder Geschwistern.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. Juli 1984 - 1 C 52/81 -, BVerwGE 69, 359
ff..
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Davon ausgehend hat der Antragsgegner zu Recht dem Schutz der Grundrechte der
Personen, die durch das Hausverbot geschützt werden, den Vorrang vor der durch Art. 6
Abs. 1 GG geschützten Beziehung des Antragstellers zu seiner Mutter eingeräumt.
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Der Antragsteller ist als Erwachsener allenfalls noch eingeschränkt auf eine häusliche
Gemeinschaft mit seiner Mutter angewiesen. Er hat sich überdies bereits dadurch
weitgehend aus dem mütterlichen Haushalt gelöst, dass er eine eigene Wohnung in der
S1. Straße 64 bezogen hat. Dass er dennoch und in welchem Grad auf das familiäre
Zusammenleben mit seiner Mutter angewiesen ist, ist weder von ihm dargelegt worden
noch sonst ersichtlich. Ist somit davon auszugehen, dass der Antragsteller auf das
Zusammenleben mit seiner Mutter nicht im Sinne einer echten häuslichen Gemeinschaft
angewiesen ist, sondern dass im Wesentlichen nur Besuchskontakte erfolgen, kommt
dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nur ein geringes Gewicht zu. Dies gilt umso
mehr, als der Antragsteller nach der nicht bestrittenen Angabe des Antragsgegners die
Möglichkeit hat, den Besuchskontakt mit seiner Mutter ohne spürbare Erschwernis
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dadurch aufrecht zu erhalten, dass er sich mit ihr im Internetcafé oder in der Wohnung
seines Bruders C. trifft, der etwa 50 m entfernt vom Übergangsheim W. Straße wohnt
und dort ein Internetcafé betreibt.
Vor diesem Hintergrund drängt sich geradezu auf, dass im gegebenen Konfliktfall der
Antragsgegner abwägungsfehlerfrei die "praktische Konkordanz" dadurch herstellen
durfte, dass er dem Schutz der Grundrechte aus den Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 2 Abs. 2
GG der durch erneute Angriffe des Antragstellers gefährdeten Personen den Vorrang vor
den Besuchskontakten des Antragstellers zu seiner Mutter eingeräumt hat, und es
unterliegt auch keinem Zweifel, dass aus den gleichen Erwägungen auch das aus Art. 2
Abs. 1 GG folgende Recht des Antragstellers zum Besuch seiner weiteren Verwandten
im Übergangsheim W. Straße gegenüber den Grundrechten der durch das Hausverbot
geschützten Dritten zurückzutreten hat.
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Das Hausverbot wahrt schließlich auch den verfassungsrechtlich abgesicherten
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
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Es ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner das Hausverbot unbefristet
angeordnet hat. Entscheidend spricht für diese Wertung, dass keine Anhaltspunkte dafür
ersichtlich sind, dass dem Antragsteller für die Zukunft ein beanstandungsfreies
Verhalten, das dem Gebot zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Benutzer und
Benutzerinnen des Übergangsheims Rechnung trägt, prognostiziert werden könnte. Im
Gegenteil spricht deutlich Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller bei weiteren
Besuchen im Übergangsheim W. Straße rückfällig wird.
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Wie der Antragsgegner in der Antragserwiderung zur ergänzenden Begründung des
Hausverbots dargelegt hat und wie sich auch aus dem beigefügten Verwaltungsvorgang
ergibt, neigen der Antragsteller und seine Verwandten dazu, selbst eine Art Hausrecht in
dem Übergangsheim auszuüben. Bezeichnend dafür ist z. B. die unglaubhafte
Einlassung des Antragstellers, er habe am 8. Februar 2007 eine ihm unbekannte
Person im Keller des Hauses, in dem seine Mutter und seine übrigen Verwandten leben,
angetroffen und zur Rede gestellt. Obwohl der Antragsteller nicht selbst in dem Haus
wohnt, meint er offenbar, er dürfe stellvertretend für seine dort wohnenden Verwandten
eine Art Hausrecht gegenüber Unbekannten ausüben und diese zur Rede stellen. Diese
Vorstellung ist ersichtlich derart fest im Denken des Antragstellers verankert, dass mit
einer Änderung seines anmaßenden, alle Regeln friedlichen Zusammenlebens
missachtenden Verhaltens in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Vor diesem
Hintergrund war es angemessen, das Hausverbot jedenfalls zunächst unbefristet
auszusprechen.
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Unabhängig davon erscheint das unbefristete Hausverbot nicht als unverhältnismäßig,
weil es dem Antragsteller unbenommen ist, nach einer ausreichenden Bewährungszeit
die Aufhebung des Hausverbots zu beantragen und nachzuweisen, dass sich seine
Einstellung zur Achtung der Rechte Dritter geändert hat. Gelingt ihm dies, kann der
Antragsgegner das Hausverbot auch noch nachträglich befristen oder aufheben.
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Obwohl die Verfügung sich damit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage
als nicht rechtswidrig erweist, ist sie nicht als o f f e n s i c h t l i c h rechtmäßig
einzustufen. Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass der das Hausverbot auslösende
Vorfall am 8. Februar 2007 nur im Kern aus der Verfügung deutlich wird. Die
Glaubhaftmachung des maßgeblichen Sachverhalts erfolgt im Wesentlichen nur durch
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die Vorlage eines Vermerks des Abteilungsleiters im Sozialamt der Stadt B. L. vom 29.
März 2007. Erkennbar bestehen weitere Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung, die
bisher nicht genutzt wurden. Der vorgelegte "Verwaltungsvorgang" ist äußerst
lückenhaft. Die von Herrn L. mitgeteilte "Vorgeschichte" wird nur teilweise aus den als
"Verwaltungsvorgang" bezeichneten Unterlagen deutlich. Wenn der Antragsgegner im
weiteren Verfahren in der Hauptsache das Hausverbot ergänzend auch mit der
"Vorgeschichte" begründen will, womit er ansatzweise in der Antragserwiderung
begonnen hat, wird er den Verwaltungsvorgang vervollständigen und insbesondere in
der Vergangenheit ergangene Bescheide dem Vorgang hinzufügen müssen.
Außergewöhnlich ist insbesondere, dass der vorgelegte "Verwaltungsvorgang" noch
nicht einmal den Bescheid enthält, der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.
Dass sich bei Vervollständigung der Unterlagen eine andere Einschätzung der
Rechtslage ergeben könnte, erscheint zwar als recht unwahrscheinlich, kann aber doch
nicht ausgeschlossen werden. Bei einer solchen Sachlage verbietet es sich, den
Bescheid schon jetzt als offensichtlich rechtmäßig zu bewerten.
Da nicht festgestellt werden kann, dass das Hausverbot offensichtlich rechtmäßig ist, ist
die Entscheidung über den gestellten Eilantrag nicht ausschlaggebend an der
rechtlichen Beurteilung des Verwaltungshandelns, sondern aufgrund einer
abschließenden allgemeinen Interessenabwägung zu treffen. Sie fällt zu Ungunsten des
Antragstellers aus.
35
Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Hausverbots überwiegt das private
Interesse des Antragstellers an dessen Aufschub. Wie schon im Zusammenhang mit der
Prüfung, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des § 80 Abs.
3 VwGO genügt, dargelegt wurde, besteht regelmäßig ein besonderes öffentliches
Interesse daran, dass Straftaten verhindert werden. Das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung von Verboten, die Straftaten verhindern sollen, ist umso
gewichtiger, je wahrscheinlicher die Verwirklichung einer Straftat ohne die Anordnung
des Sofortvollzuges ist. Diese Gesichtspunkte sprechen vorliegend eindeutig dafür, die
aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs nicht
wiederherzustellen.
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Wie bereits dargelegt wurde, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der
Antragsteller gerade im Umfeld des Übergangsheimes W. Straße erneut die
Straftatbestände verwirklicht, die ihm im Zusammenhang mit dem Vorfall am 8. Februar
2007 vorgehalten werden. Denn offenbar ist er mit anderen Mitgliedern seiner
Großfamilie der - irrigen - Auffassung, ihm stünden im Übergangsheim W. Straße
besondere Rechte zu, er dürfe sich über die Benutzungsordnung hinwegsetzen und sei
sogar berechtigt, mit Gewalt und Drohungen eigene Interessen ohne Rücksicht auf
Andere durchzusetzen. Diese Einstellung hat sich ausweislich seines Auftretens am 8.
Februar 2007 offenbar so sehr in seinem Denken festgesetzt, dass es zum Schutz Dritter
nicht nur vernünftig, sondern sogar geboten erscheint, den Antragsteller durch ein
Hausverbot räumlich aus dem Umfeld zu verweisen, in dem er nach seinem
Verhaltenskodex bei nüchterner Bewertung sehr schnell wieder verleitet sein kann,
rücksichtslos wie am 8. Februar 2007 die Interessen der Großfamilie zum Schaden
Dritter durchzusetzen, indem er sie nötigt, bedroht und beleidigt.
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Dem somit erheblichen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des
Hausverbots steht lediglich das gering zu veranschlagende Interesse des Antragstellers
an weiteren Besuchen seiner Mutter und anderer Verwandter in deren Unterkunft
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gegenüber, das schon deshalb nicht überwiegen kann, weil Folge des Hausverbots
nicht ist, dass der Antragsteller - wie schon ausgeführt - seine Mutter und die anderen
Verwandten nicht mehr besuchen kann. Ihm wird lediglich zugemutet, sich an anderem
Ort mit der Mutter und den anderen Verwandten zu treffen. Dass gegenüber dieser
geringfügigen Belastung des Antragstellers, die er wegen der am 8. Februar 2007
gezeigten Agressivität zudem selber zu verantworten hat, das öffentliche Interesse am
sofortigen Vollzug des Hausverbots zum Schutz Dritter und zur Gewährleistung eines
funktionierenden Heimbetriebs überwiegt, drängt sich auf und bedarf deshalb keiner
eingehenderen Begründung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes (GKG). Sie berücksichtigt, dass in Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes wegen des lediglich vorläufigen Charakters der begehrten
Entscheidung der Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG regelmäßig lediglich zur Hälfte
angesetzt wird.
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