Urteil des VG Aachen vom 11.08.2006

VG Aachen: mangel, pauschal, landrat, gespräch, abwertung, vorbeugung, verfahrenskosten, neubeurteilung, amt, leiter

Verwaltungsgericht Aachen, 1 L 289/06
Datum:
11.08.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 289/06
Tenor:
1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
untersagt, den dem Landrat des Kreises E. als Kreispolizeibehörde zum
1. April 2006 zugewiesenen Beförderungsdienstposten mit der
Wertigkeit A 13 g.D. mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die
Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts neu entschieden worden ist.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, den dem
Landrat des Kreises E. als Kreispolizeibehörde zum 1. April 2006 zugewiesenen
Beförderungsdienstposten mit der Wertigkeit A 13 g.D. mit dem Beigeladenen zu
besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden worden ist,
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ist zulässig und begründet.
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Der Antragsteller hat sowohl einen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
123 Abs. 1 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), §§ 920 Abs. 2, 294 der
Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlichen Anordnungsgrund als auch einen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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Der Anordnungsgrund folgt daraus, dass der Antragsgegner ausweislich der an den
Antragsteller ergangenen Mitteilungen des Landrates des Kreises E. (LR) vom 24. April
2006 aktuell beabsichtigt, den Dienstposten dem Beigeladenen zu übertragen und
diesen zu befördern.
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Des Weiteren hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. In
Fällen der Konkurrenz von Bewerbern um die Besetzung eines
Beförderungsdienstpostens hat der im Auswahlverfahren unterlegene Beamte einen
Anordnungsanspruch, wenn dies zur Sicherung seines
Bewerbungsverfahrensanspruchs geboten ist. Dieser Anspruch enthält vor allem das
Recht, dass der Dienstherr bei konkurrierenden Bewerbungen die Auswahl unter
Beachtung des durch Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) verfassungskräftig
verbürgten Grundsatzes der Bestenauslese (Leistungsgrundsatz) vorzunehmen hat. Ein
Anordnungsanspruch ist schon dann zu bejahen, wenn es nach dem im Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung erkennbaren Sach- und Streitstand nicht mit hinreichender
Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Auswahlentscheidung zu Lasten des
Antragstellers rechtsfehlerhaft ist, weil dessen Bewerbungsverfahrensanspruch keine
hinreichende Beachtung gefunden hat. Zugleich müssen die Aussichten des
Betroffenen, in einem neuen rechtmäßigen Auswahlverfahren ausgewählt zu werden,
zumindest "offen" sein, was bereits zu bejahen ist, wenn seine Auswahl möglich
erscheint,
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vgl.: OVG NRW, Beschluss vom 5. Mai 2006 - 1 B 41/06 - m. w. N., juris MWRE
206012924.
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Ausgehend von den im vorliegenden Verfahren vorgetragenen Rügen ist der
Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers verletzt. Die Bewerberauswahl des
Antragsgegners ist auf einer fehlerhaften Auswahlgrundlage erfolgt.
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Dem Grundsatz der Bestenauslese entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes
konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien
zurückzugreifen, regelmäßig sind dies die aktuellsten Beurteilungen der Bewerber.
Angesichts der im Gesamturteil (jeweils "übertrifft die Anforderungen" = 4 Punkte) gleich
lautenden dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen ist der
Antragsgegner hier auf der Grundlage einer inhaltlichen Ausschärfung der
Beurteilungen zu einem Leistungsvorsprung des Beigeladenen gekommen, der in zwei
von vier Hauptmerkmalen mit 5 Punkten beurteilt wurde, wohingegen der Antragsteller
nur in einem von vier Hauptmerkmalen 5 Punkte, ansonsten 4 Punkte erreicht hat.
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Die dieser Auswahlentscheidung zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilungen des
Antragstellers und des Beigeladenen sind rechtswidrig. Sie leiden an dem vom
Antragsteller in seiner Antragsbegründung ausdrücklich geltend gemachten Mangel der
fehlenden Nachvollziehbarkeit gerade in der hier ausschlaggebenden Bewertung der
Hauptmerkmale.
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Nach Nr. 9.1., Nr. 9.2. der Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes
Nordrhein - Westfalen (BRL - Runderlass des Innenministeriums vom 25. Januar 1996 -
IV B 1 - 3034 H - geändert durch Runderlass vom 19. Januar 1999 (SMBl NRW 203034)
ist das Beurteilungsverfahren zweistufig ausgestaltet. Nach Nr. 9.1. BRL verfasst
zunächst ein Erstbeurteiler, der den betroffenen Beamten aus eigener Anschauung
kennt, unabhängig und weisungsfrei eine Erstbeurteilung. Die abschließende
Entscheidung über die Bewertung der Hauptmerkmale und des Gesamturteils trifft nach
Nr. 9.2. BRL der Endbeurteiler, hier Landrat Spelthahn, der eine Abweichung in der
Bewertung von der Erstbeurteilung zu begründen hat. Hier fehlt es an einer
nachvollziehbaren Begründung für die Abweichung von der Bewertung des Ersturteils -
beim Antragsteller beim Hauptmerkmal Sozialverhalten sowie beim Beigeladenen beim
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Hauptmerkmal Leistungsverhalten.
An diese Begründung sind nicht unbeachtliche Anforderungen gestellt. Nach den
Beurteilungsrichtlinien darf der Endbeurteiler im Interesse der Durchsetzung
einheitlicher Beurteilungsmaßstäbe für seinen gesamten Dienstbereich nur dann
abweichen, wenn er aufgrund eigener Wahrnehmungen und Eindrücke oder indirekter
Erkenntnisquellen im Einzelfall selbst zu einer anderen Einschätzung des Beamten in
der Lage ist. Dabei hat er seine Entscheidung plausibel zu machen, wobei er zur
Plausibilisierung seines Werturteils in einer Weise verpflichtet ist, die über eine
formelhafte Behauptung hinausgeht und die Gründe und Argumente des Dienstherrn für
den Beamten einsichtig und für außenstehende Dritte nachvollziehbar macht. Die
inhaltlichen Anforderungen an diese Plausibilisierung müssen sich dabei - jedenfalls im
Ausgangspunkt - an den Gründen orientieren, die den abschließenden Beurteiler zu
einer abweichenden Beurteilung veranlasst haben. Liegt der maßgebliche Grund in
einer anderslautenden Bewertung des individuellen Leistungs- und Befähigungsprofils
des Beamten, so muss der Dienstherr die entsprechenden Wertungen - wie bei einer im
einstufigen Beurteilungsverfahren erstellten Beurteilung auch - durch Angabe von
Tatsachen oder zumindest von weiteren (Teil-) Werturteilen plausibel machen, die sich
auf die individuellen Besonderheiten des Einzelfalles beziehen. Erfolgt die
abweichende Bewertung indes wie hier aus einzelfallübergreifenden Erwägungen, so
muss die Plausibilisierung mit Blick auf diesen Aspekt erfolgen. Dazu reicht es
allerdings nicht aus, lediglich pauschal auf einen Quervergleich mit den Beamten im
gleichen statusrechtlichen Amt zu verweisen. Vielmehr muss z. B. durch die Angabe der
maßstabsbildenden Kriterien im Einzelnen erkennbar sein, aus welchen Gründen der
Endbeurteiler zu einer anderen Einschätzung von Leistung und Befähigung der zu
Beurteilenden gekommen ist.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Juni 2006 - 6 B 618/06 - zitiert nach juris, vom 10.
Juli 2006 - 1 B 523/06 - und vom 5. Mai 2006 - 1 B 41/06 - m.w.N., zitiert nach juris;
Urteile der Kammer vom 18. Mai 2006 - 1 K 3699/04 -, - 1 K 3525, 3542 und 3481/04 -.
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Hier fehlt es an einer Begründung, die diesen Anforderungen genügt. In der Beurteilung
hat der Endbeurteiler zunächst lediglich pauschal auf den in der Vergleichsgruppe
vorzunehmenden Quervergleich verwiesen. In einem persönlichen Gespräch mit dem
Antragsteller und in der Antragserwiderung hat er diesen Grund ausgetauscht und
stattdessen individuelle Gründe als maßgebend für die Abwertung angeführt. So hat er
insbesondere darauf verwiesen, dass er der Herabwertung des Hauptmerkmals
Sozialverhalten des Antragstellers auch Vorfälle und Konflikte aus der Tätigkeit des
Antragstellers als Leiter des Kriminalkommissariats Vorbeugung zugrunde gelegt habe.
Diese neue Begründung ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weil sie die Ansicht
des Antragstellers zu den Ursachen für die Vorfälle und Konflikte nicht einbezieht. Nach
den übereinstimmenden Ausführungen des Antragstellers und des Antragsgegners hat
der Antragsteller zu diesen Vorfällen wiederholt die Gelegenheit zur Aufarbeitung sowie
die Möglichkeit gesucht, sie aus seiner Sicht darstellen zu können, ohne mit diesem
Begehren Erfolg zu haben. Ohne Mitberücksichtigung der Darstellung des
Antragsstellers kann der Endbeurteiler diese Vorfälle aber nicht vollständig und
abschließend bewerten.
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Der strukturell gleiche Begründungsmangel haftet der Anhebung der Bewertung des
Beigeladenen im Hauptmerkmal Leistungsverhalten an, zu dessen Begründung
lediglich pauschal auf den Quervergleich in der Vergleichsgruppe verwiesen wird. Dies
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reicht nach dem oben Gesagten zur Begründung nicht aus.
Der gravierende Begründungsmangel führt dazu, dass der auf dieser Basis getroffenen
Auswahlentscheidung eine hinreichende Orientierung am Maßstab der Bestenauslese
fehlt. Dieser Mangel schlägt zugleich im Sinne einer möglichen Fehlerkausalität auf den
Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers durch. Da sich der Mangel der
Beurteilungsgrundlage gerade auch auf die im Beförderungsverfahren
ausschlaggebende Bewertung der Hauptmerkmale bezieht, ist es nicht ausgeschlossen,
dass bei einer fehlerfreien Neubeurteilung der Konkurrenten der Antragsteller
ausgewählt wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da der
Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, konnten ihm keine Verfahrenskosten auferlegt
werden.
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