Urteil des VG Aachen vom 28.08.2007
VG Aachen: aufschiebende wirkung, aufenthaltserlaubnis, lebensgemeinschaft, berechtigung, ausländerrecht, bedrohung, ausweisung, zustand, aufschub, gerichtsverfassungsgesetz
Verwaltungsgericht Aachen, 8 L 50/07
Datum:
28.08.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 L 50/07
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des
Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung vom 30.
Januar 2007 anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
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Soweit der Antragsteller sich gegen die Versagung der Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis wendet, ist der Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
zulässig, weil der Verlängerungsantrag des Antragstellers die Erlaubnisfiktion des § 81
Abs. 4 AufenthG ausgelöst hat und der Widerspruch gegen die Ablehnung des Antrags
auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine
aufschiebende Wirkung entfaltet.
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Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil sich die Ordnungsverfügung vom 30. Januar
2007 bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und
gebotenen summarischen Prüfung der Rechtslage als offensichtlich rechtmäßig erweist.
Es spricht alles dafür, dass die Versagung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu
Recht erfolgt und in dieser Situation dem öffentlichen Vollzugsinteresse entsprechend
der gesetzgeberischen Wertung des § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Vorrang
einzuräumen ist.
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Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als
eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 und 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)
zu.
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Ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht aus § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kommt ebenfalls
nicht in Betracht, weil die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mindestens zwei Jahre,
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sondern nach der eigenen Erklärung des Antragstellers vom 22. Juli 2004 von seiner
Einreise bis zur Trennung lediglich etwa ein Jahr und neun Monate rechtmäßig im
Bundesgebiet bestanden hat. Es kommt daher nicht auf die im Verwaltungsverfahren
wegen der dahin gehenden Angaben der früheren Ehefrau des Antragstellers
behandelte Frage an, ob die eheliche Lebensgemeinschaft überhaupt bzw.
erzwungenermaßen nur für ein oder zwei Wochen stattgefunden hat.
Auch ein Anspruch des Antragstellers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis
nach § 31 Abs. 2 AufenthG ist nicht gegeben. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist
von der Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen
Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht
abzusehen, soweit dies zur Vermeidung einer besonderen Härte nach Maßgabe des §
31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erforderlich ist. Hierfür sind Anhaltspunkte weder vorgetragen
noch ersichtlich.
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Ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ergibt sich
auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates
EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80).
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Durch seine Beschäftigung bei der Fa. Q. & Q1. in P. hatte der Antragsteller allenfalls
die erste Stufe der durch Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eingeräumten Rechte erreicht. Dies
bedeutet, einen rechtmäßigen Aufenthalt unterstellt, dass er nach dem ersten
Spiegelstrich der Vorschrift nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung bei
diesem Arbeitgeber einen Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis und daraus
folgend des Aufenthaltstitels bei demselben Arbeitgeber hatte. Erst nach drei Jahren
ordnungsgemäßer Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber hätte er die zweite Stufe -
Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 - und mithin das Recht erreicht, sich auch
bei einem anderen Arbeitgeber zu bewerben. Der Antragsteller hat aber nicht drei Jahre,
sondern nur vom 12. Dezember 2002 bis zum 7. April 2005, bei der Fa. Q. & Q1.
gearbeitet.
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Auch die Beschäftigung bei der Fa. L. hat dem Antragsteller kein Recht aus Art. 6 Abs. 1
ARB 1/80 verschafft. Dort ist der Antragsteller seit November 2005 tätig.
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Eine Zusammenrechnung der Beschäftigungszeit bei der Fa. L. mit der vorherigen
Tätigkeit bei der Fa. Q. & Q1. ist nicht möglich. Nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs,
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Urteil vom 10. Januar 2006 - C-230/03 - (Sedef)
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kann ein türkischer Arbeitnehmer generell ein Recht nach Art. 6 Absatz 1 dritter
Spiegelstrich ARB 1/80 nicht allein aufgrund der Tatsache geltend machen, dass er im
Aufnahmemitgliedstaat mehr als vier Jahre lang rechtmäßig eine Tätigkeit im Lohn- oder
Gehaltsverhältnis ausgeübt hat, wenn er nicht, erstens, mehr als ein Jahr bei demselben
Arbeitgeber (erster Spiegelstrich) und, zweitens, zwei weitere Jahre für diesen
gearbeitet hat (zweiter Spiegelstrich). Die Assoziationsberechtigung entsteht und
erweitert sich nach dem System des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 in abgestufter Weise. Wie
oben ausgeführt, hat der Kläger bereits die Voraussetzungen des zweiten Spiegelstrichs
nicht erfüllt.
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Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, durch die nunmehr fast
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zweijährige Erwerbstätigkeit bei der Fa. L. seit November 2005 jedenfalls erneut die für
das Erreichen der Berechtigung nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80
erforderliche Zeit absolviert zu haben, woraus ein Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht für
eine Weiterbeschäftigung bei diesem Arbeitgeber folge.
Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, Urteile vom 20.
September 1990 in der Rechtssache C- 192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3461, Randnr. 30,
vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-237/91, Kus, Slg. 1992, I-6781, Randnrn.
12 und 22, und vom 6. Juni 1995 in der Rechtssache C-434/93, Bozkurt, Slg. 1995, I-
1475, Randnr. 26,
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setzt nämlich jede Berechtigung nach Art. 6 ARB 1/80 voraus, dass der Betroffene über
eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt eines
Mitgliedstaats und damit über ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht verfügt. In dem
oben genannten
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Urteil vom 16. Dezember 1992
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hat der Gerichtshof entschieden, daß ein türkischer Arbeitnehmer diese Voraussetzung
nicht erfüllt, wenn ihm ein Aufenthaltsrecht nur aufgrund einer nationalen Regelung
eingeräumt wurde, nach der der Aufenthalt während des Verfahrens zur Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmeland erlaubt ist, da der Betroffene das Recht, sich bis
zu einer endgültigen Entscheidung über sein Aufenthaltsrecht in dem betreffenden Staat
aufzuhalten und dort zu arbeiten, nur vorläufig erhalten hatte. Beschäftigungszeiten
können danach nicht als ordnungsgemäß im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80
angesehen werden, solange nicht endgültig feststeht, daß dem Arbeitnehmer während
dieses Zeitraums das Aufenthaltsrecht von Rechts wegen zustand.
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Als lediglich vorläufig im Sinne dieser Rechtsprechung gelten insbesondere Zeiten, in
denen der Aufenthalt des Ausländers nur auf Grund der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4
AufenthG (vorläufig) als erlaubt gilt,
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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschlüsse vom 4. August 2005 - 10 CS 05.1658 -
und 8. Dezember 2005 - 24 ZB 05.2712 - vgl. schon zu § 69 Abs. 3 AuslG: BVerwG,
Urteil vom 21. August 1996, InfAuslR 1997, 15/16, VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
15. Oktober 2003 -11 S 910/03 -, Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, RdNr.
44 zu § 69 AuslG m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, RdNr. 55 zu Art. 6 ARB 1/80
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Der Kläger verfügt seit dem 14. Dezember 2005 lediglich über ein solches
Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 4 AufenthG; sein Aufenthalt gilt aufgrund seines
rechtzeitigen Antrages auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis als erlaubt
(Erlaubnisfiktion). Deshalb ist die bei der Fa. L. seit dem 10. November 2005
zurückgelegte Zeit seit dem 14. Dezember 2005 mit der o. g. Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs nicht mehr als ordnungsgemäß im Sinne des Art. 6 Abs. 1
ARB 1/80 anzusehen und damit nicht geeignet, dem Antragsteller eine Rechtspositon
nach dieser Vorschrift zu verschaffen.
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Die Ausführungen des Antragstellers, ob eine Ausweisung des Antragstellers wegen
seiner Straftaten gerechtfertigt wäre, sind nicht erheblich, weil eine
Ausweisungsverfügung nicht vorliegt. Deshalb wird nur am Rande angemerkt, dass der
Vortrag nicht nachvollziehbar ist, wonach es für den Antragsteller im Rahmen einer
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Ausweisungsentscheidung entlastend zu berücksichtigen sei, dass die den
Verurteilungen wegen Bedrohung zugrunde liegenden Taten sich "nur" gegen seine
frühere Ehefrau und nicht gegen andere Personen gerichtet hätten.
Soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung begehrt, ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 2 Satz
2 VwGO i.V.m. § 8 AG VwGO NRW zulässig, weil der Widerspruch gegen die
Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung entfaltet.
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Der Aussetzungsantrag ist jedoch auch insoweit unbegründet, weil bei der im
Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden
Interessenabwägung vorliegend das öffentliche Vollzugsinteresse des Antragsgegners
gegenüber den privaten Interessen des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub
der Vollziehung überwiegt; die Abschiebungsandrohung ist offensichtlich rechtmäßig.
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Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der Abschiebungsandrohung nach §§
58, 59, 50 AufenthG sind erfüllt. Der Antragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig, weil er
einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht (mehr) besitzt (vgl. § 50 Abs. 1 AufenthG) und
kein die Vollziehbarkeit hemmender Tatbestand vorliegt (vgl. § 58 Abs. 2 AufenthG). Die
Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ergibt sich aus § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Danach
ist die Ausreisepflicht vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels vollziehbar
ist. Dies ist vorliegend der Fall, weil dem Widerspruch gegen die Versagung der
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine
aufschiebende Wirkung zukommt und auch im vorliegenden Verfahren der Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung keinen Erfolg hat. Die gesetzte Ausreisefrist ist
nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m.
§ 52 Abs. 1 und 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GKG). Das Antragsinteresse erscheint mit
Rücksicht auf den vorläufigen Charakter dieses Verfahrens in Höhe der Hälfte des
gesetzlichen Auffangstreitwertes (5.000,- EUR) ausreichend und angemessen
berücksichtigt.
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