Urteil des VG Aachen vom 16.12.2003

VG Aachen: serbien und montenegro, kosovo, staatliche verfolgung, politische verfolgung, verwaltung, provinz, anerkennung, eltern, vollstreckung, ausreise

Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 1716/03.A
Datum:
16.12.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 1716/03.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der im Jahre 2002 im Bundesgebiet geborene Kläger ist Staatsangehöriger Serbien und
Montenegros. Seine Eltern sind albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo (Serbien
und Montenegro).
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Mit Bescheid vom 4. August 2003, zur Zustellung an die Prozessbevollmächtigten des
Klägers aufgegeben am 14. August 2003, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) ihren Asylantrag als offensichtlich unbegründet
ab. Zugleich stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des
Ausländergesetzes (AuslG) offensichtlich nicht und Abschiebungshindernisse nach § 53
AuslG nicht vorlägen. Schließlich forderte es den Kläger auf, das Bundesgebiet binnen
einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, und drohte ihm für den
Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Serbien und
Montenegro bei gleichzeitigem Hinweis, dass er auch in einen anderen Staat, in den er
einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, abgeschoben
werden könnte, an.
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Der Kläger hat am 19. August 2030 Klage erhoben. Er beantragt schriftsätzlich
sinngemäß,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 4. August 2003 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten
anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
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vorliegen,
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse
nach § 53 AuslG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes Bezug.
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Durch Beschluss vom 9. Oktober 2003 hat die Kammer die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe abgelehnt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug genommen. Die
Erkenntnisse der Kammer zum Herkunftsland Serbien und Montenegro sind in das
Verfahren eingeführt worden.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer entscheidet im von den Beteiligten erteilten Einverständnis ohne
mündliche Verhandlung (vgl. § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten
Ansprüche nicht zu, und die Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen
Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1
VwGO).
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Zunächst liegen die Voraussetzungen für die Anerkennung des Klägers als
Asylberechtigter sowie die diejenigen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vor. Dabei gilt für die
Anforderungen an die Bejahung einer politischen Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1
AuslG in Bezug auf Verfolgungshandlung, geschütztes Rechtsgut und politischen
Charakter der Verfolgung dasselbe wie bei Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes. Auch
die Unterscheidung der Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe gilt entsprechend.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -,
Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.) 1992, 843, vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -,
NVwZ 1994, 500, und vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, DVBl. 1994, 531.
16
Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer,
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vgl. nur die Urteile vom 24. März 2003 - 9 K 859/02.A u.a. -,
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die der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen (OVG NRW) entspricht,
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vgl. Urteile vom 30. September 1999 - 13 A 93/98.A -, vom 10. Dezember 1999 - 14 A
3768/94.A - und vom 17. Dezember 1999 - 13 A 3931/94.A -, sowie Beschlüsse vom 30.
Oktober 2000 - 14 A 4034/94.A -, vom 6. August 2001 - 14 A 2438/00.A -, vom 28.
Dezember 2001 - 13 A 4338/94.A -, vom 4. April 2002 - 14 A 1362/98.A - und vom 4. Juli
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2002 - 14 A 891/02.A -,
sind ethnische Albaner aus der Provinz Kosovo, also auch der Kläger, dessen Eltern
von dort stammen, gegenwärtig und auf absehbare Zeit bei einer Rückkehr bzw.
Ausreise dorthin vor einer etwaigen politischen Verfolgung durch Serbien und
Montenegro (sogar) hinreichend sicher. Diesem Staat fehlt nämlich für das Gebiet der
Provinz Kosovo die Staatsgewalt im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit, die
ihm eine politische Verfolgung der dort lebenden Bevölkerung ermöglichen könnte.
Demgemäß scheidet eine - wie auch immer geartete - politische Verfolgung ethnischer
Albaner im Kosovo durch Serbien und Montenegro auf absehbare Zeit aus.
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Darüber hinaus ist ethnischen Albanern aus Serbien und Montenegro eine Rückkehr
bzw. Ausreise in die Provinz Kosovo auch nicht im Hinblick auf erschwerte
Lebensbedingungen oder aber Minen und Blindgänger unzumutbar. Denn die infolge
der Zerstörung von Infrastruktur erschwerten Lebensbedingungen für alle
Bevölkerungsgruppen im Kosovo haben sich zwischenzeitlich spürbar verbessert, und
die Umsetzung der UN-Resolution zum Kosovo vom 10. Juni 1999 schreitet erkennbar
weiter fort. Anhaltspunkte dafür, dass die Änderung der Verhältnisse lediglich
vorübergehender Natur wäre, sind weiterhin nicht ersichtlich.
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Vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnislage,
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vgl. AA, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo) vom 27. November 2002 (ad-hoc-Lagebericht);
UNHCR, Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem
Kosovo, Januar 2003; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Auskunft vom 22. Januar
2003 an das Verwaltungsgericht (VG) Greifswald; SFH, "Kosovo - Lebensbedingungen
der Minderheiten und Bedingungen für Rückkehrer -", Bericht vom 2. April 2003; NZZ
vom 30. April 2003 "Nach wie vor Übergriffe auf Minderheiten im Kosovo",
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findet in der Provinz Kosovo auch weder eine mittelbare noch eine quasi-staatliche
Verfolgung statt.
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Was zunächst eine etwaige mittelbare staatliche Verfolgung anbelangt, so lässt sich den
vorerwähnten Erkenntnissen - abgesehen von der hier ersichtlich nicht einschlägigen
Fallgruppe der Unterstützung derartiger Vorkommnisse - kein hinreichender Anhalt für
eine Duldung von Übergriffen u.ä. oder aber eine mangelnde Fähigkeit und/oder
Bereitschaft der internationalen Verwaltung im Kosovo, beispielsweise Minderheiten zu
schützen, entnehmen.
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Vgl. zur mittelbaren staatlichen Verfolgung BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - BvR
502, 1000, 961/86 -, Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE) 80, 315, 333 ff. (336); zum Kosovo: OVG NRW, Beschluss vom 28. Dezember
2001 - 13 A 4338/94.A - sowie Urteil der Kammer vom 23. Juni 2003 - 9 K 2257/02.A -.
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Des Weiteren ist darauf zu verweisen, dass die Grenze der asylrechtlich bedeutsamen
Pflicht zu staatlicher Schutzgewährleistung erreicht ist, wenn die Kräfte des konkreten
Staates überstiegen werden. Mit anderen Worten endet die asylrechtliche
Verantwortlichkeit eines Staates jenseits der ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Diese
Grundsätze beanspruchen auch für die Fälle Geltung, in denen - wie hier für die Provinz
Kosovo - eine internationale Verwaltung an die Stelle eines Staates getreten ist. Es
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bedarf insoweit indessen keiner weiteren Erörterung, dass die Herstellung staatlicher
Strukturen, deren Vorläufer untergegangen sind, nicht von Anfang an zu den letztlich
angestrebten Verhältnissen führen kann. Vielmehr wären - nicht zuletzt vor dem
Hintergrund, dass selbst ein seit langem gesichert bestehender Staat seinen
Angehörigen keine absolute Sicherheit gegen gewaltsame Übergriffe Dritter bieten kann
(und dies asylrechtlich auch nicht tun muss) - die Anforderungen an die Fähigkeit der
internationalen Verwaltung, Schutz zu gewährleisten, überspannt, wenn man bereits
heute erwarten wollte, dass ein friedliches Zusammenleben der ursprünglich tief
verfeindeten Bevölkerungsgruppen im Kosovo einschränkungslos ermöglicht werden
müsste.
Vgl. OVG NRW, am angegebenen Ort (a.a.O.).
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Schließlich fehlt es mit Blick darauf, dass die Ausübung der Machtbefugnisse weiterhin
ausschließlich in der Hand der internationalen Verwaltung (UNMIK und KFOR) liegt, an
greifbaren Anhaltspunkten für die Annahme, etwaige Übergriffe z. B. auf
Minderheitenangehörige durch (insbesondere) albanische Volkszugehörige erfüllten die
Voraussetzungen einer quasi-staatlichen Verfolgung.
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Vgl. weitergehend zu quasi-staatlicher Verfolgung: BVerfG, Beschluss vom 10. August
2000 - 2 BvR 260/98 u. a. -, Entscheidungssammlung zum Ausländer- und Asylrecht
(EZAR) 202 Nr. 30.
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In Würdigung der vorerwähnten Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass
albanische Gruppierungen - welcher Art sie auch immer sein mögen - weiterhin nicht in
Teilen des Kosovo ein staatsähnliches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität im
Sinne einer "übergreifenden Friedensordnung" errichtet haben. Vielmehr werden diese
Gruppierungen nach wie vor von der internationalen Verwaltung in den Aufbau einer
multi-ethnischen Interimsverwaltung eingebunden. So gibt es beispielsweise
Programme unter Führung der International Organization for Migration (IOM), die die
Wiedereingliederung ehemaliger UCK-Angehöriger in das Zivilleben durch berufliche
Bildungsprogramme, Arbeitsvermittlung, Existenzgründungskredite u.ä. vorsehen.
Demgemäß übt allein die internationale Verwaltung derzeit die staatlichen
Machtbefugnisse im Kosovo aus. Die ehemalige albanische Befreiungsarmee hat sich
schließlich in mehrere politische Parteien und Bewegungen aufgespaltet, die sich
ihrerseits um die Macht bewerben. Nicht zuletzt dieser Umstand verbietet die Annahme,
dass eine organisierte politische und/oder militärische Machtstruktur auf albanischer
Seite besteht.
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Vgl. OVG NRW, a.a.O.; Urteil der Kammer, a.a.O.; Hessischer Verwaltungsgerichtshof,
Beschluss vom 26. Februar 2003 - 7 UE 847/01.A - mit Nachweisen.
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Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG liegen nach der
Kammerrechtsprechung,
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vgl. z. B. Urteil vom 26. Mai 2003 - 9 K 2060/01.A -,
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für albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo in der Regel nicht vor. Es ist nichts
dafür erkennbar, dass bezüglich des Klägers Abweichendes zu gelten haben könnte.
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Die Abschiebungsandrohung stützt sich zutreffend auf die §§ 34, 36 Abs. 1 des
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Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) in Verbindung mit § 50 AuslG.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m.
den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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