Urteil des VerfGH Berlin vom 16.06.2001

VerfGH Berlin: öffentliche gewalt, verfassungsbeschwerde, beendigung, mehrheit, gehalt, verfassungsrecht, quelle, parlament, sammlung, wahlrecht

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
116 A/01, 116/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Abs 2 Verf BE Ar 54, § 49 VGHG
BE, § 50 VGHG BE
Leitsatz
Art. 54 Abs. 2 VvB ist Vorschrift des objektiven Rechts und begründet kein subjektives
Verfassungsrecht für den einzelnen.
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. 1. Das Abgeordnetenhaus von Berlin entzog am 16. Juni 2001 dem Regierenden
Bürgermeister sowie vier weiteren Senatsmitgliedern gemäß Art. 57 VvB das Vertrauen
und führte anschließend die Neuwahl des Regierenden Bürgermeisters sowie der
Mitglieder des Senats durch (Drs 14/1297 bis 14/1301, Plenarprotokoll 14/29). Danach
stellten die Fraktionen der CDU, der SPD, der PDS sowie die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zunächst am 12. Juli 2001 einen Antrag auf Annahme einer Entschließung über
„Neuwahlen in Berlin am 21. Oktober 2001“ mit folgendem Wortlaut (Drs 14/1450):
„Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:
Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, durch vorzeitige Neuwahlen
darüber zu entscheiden, wem sie einen politischen Neuanfang in Berlin zutrauen.
Grundvoraussetzung hierfür ist die Einigung der Fraktionen des Abgeordnetenhauses auf
die vorzeitige Beendigung der 14. Wahlperiode und auf einen Wahltermin.
Über einen Antrag zur vorzeitigen Beendigung der 14. Wahlperiode gemäß Art. 54 Abs. 2
der Verfassung von Berlin wird das Abgeordnetenhaus in einer Sondersitzung am 1.
September 2001 abstimmen.
Als Termin für die dann innerhalb von acht Wochen durchzuführenden Wahlen zum
Abgeordnetenhaus von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen schlägt
das Abgeordnetenhaus den 21. Oktober 2001 vor.“
Das Abgeordnetenhaus stimmte diesem Antrag mit Mehrheit zu.
Am 24. Juli 2001 stellten die Fraktionen schließlich folgenden Antrag (Drs 14/1470):
„Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:
Gemäß Artikel 54 Abs. 2 VvB wird die 14. Wahlperiode vorzeitig beendet.“
Das Abgeordnetenhaus von Berlin beschloß daraufhin am 1. September 2001 mit der
nach Art. 54 Abs. 2 VvB erforderlichen Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder die
vorzeitige Beendigung der 14. Wahlperiode (Plenarprotokoll 14/32). Noch am selben
Tage setzte der Senat auf Grund des § 33 Abs. 2 des Landeswahlgesetzes den Wahltag
für die Wahl zur 15. Wahlperiode des Abgeordnetenhauses von Berlin und für die Wahlen
zu den Bezirksverordnetenversammlungen auf Sonntag, den 21. Oktober 2001 fest (vgl.
auch Drs 14/1500).
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer als „Berliner
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2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer als „Berliner
Bürger, Steuerzahler und Wähler“ gegen den Beschluß des Abgeordnetenhauses von
Berlin vom 1. September 2001 über die vorzeitige Beendigung der Wahlperiode. Er
beantragt ferner den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Aufhebung des
vorgenannten Beschlusses und zur Aussetzung der Vorbereitungen der Neuwahlen. Der
Beschluß sei rechtsmißbräuchlich, willkürlich und damit verfassungswidrig. Die
Voraussetzungen für eine vorzeitige Beendigung der Wahlperiode nach Art. 54 Abs. 2
VvB hätten nicht vorgelegen, da ein handlungsfähiger Senat mit einer handlungsfähigen
politischen Mehrheit vorhanden sei.
3. Gemäß § 53 Abs. 1 VerfGHG ist den Beteiligten Gelegenheit gegeben worden, sich zu
der Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu
äußern. Die Beteiligten haben dahingehend Stellung genommen, daß die
Verfassungsbeschwerde unzulässig sei.
II. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
Nach § 49 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt
des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte
verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben. Nach
§ 50 VerfGHG ist eine Verfassungsbeschwerde jedoch nur zulässig, soweit sich der
Beschwerdeführer auf ihm in der Verfassung von Berlin gewährleistete Rechte beruft und
sich aus seinem Vorbringen zumindest die Möglichkeit einer unmittelbaren und
gegenwärtigen Verletzung dieser Rechte nachvollziehbar ergibt (Beschluß vom 8.
September 1993 - VerfGH 59/93 - LVerfGE 1, 149 <151>; st. Rspr.). Daran fehlt es hier.
Art. 54 Abs. 2 VvB, dessen Nichteinhaltung der Beschwerdeführer allein beanstandet, ist
eine Vorschrift objektiven Rechts, die kein subjektives Verfassungsrecht für den
einzelnen begründet und deren Verletzung deshalb nicht mit der
Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer
die Selbstauflösung des Abgeordnetenhauses von Berlin für unnötig und die durch die
Neuwahlen ausgelösten Kosten für unwirtschaftlich ansieht, ändert daran nichts. Der
Beschwerdeführer ist auch nicht in seinem Wahlrecht aus Art. 39 Abs. 1 und 3 VvB
verletzt. Diese Bestimmungen geben jedem wahlberechtigten Berliner das subjektive
Recht, an der Wahl der Abgeordneten zum Abgeordnetenhaus teilzunehmen (vgl.
BVerfGE 47, 253 <269> bezogen auf den Art. 38 GG). Dieses Recht erschöpft sich nicht
in der Ausübung eines formalen Wahlakts, sondern erstreckt sich auch auf den
grundlegenden demokratischen Gehalt der Wahl, also darauf, daß das gewählte
Parlament maßgebliche demokratische Aufgaben und Befugnisse besitzt (vgl. BVerfGE
89, 155 <171>). Durch eine vorzeitige Beendigung einer Wahlperiode und die damit
notwendig werdenden Neuwahlen werden jedoch die Kompetenzen des
Verfassungsorgans Abgeordnetenhaus als solche in keiner Weise geschmälert. Daher
bleibt auch die demokratische Substanz des Wahlrechts der Berliner Bürger in seinem
Gehalt unverändert bestehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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