Urteil des StGH Hessen vom 10.12.2007
StGH Hessen: verfassungskonforme auslegung, staatliche neutralität, glaubensfreiheit, kopftuch, schule, abweichende meinung, hessen, mehrheit, schüler, religionsfreiheit
Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 2016
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 4 GG, Art 33 Abs 5 GG,
BAT, Art 1 Verf HE, Art 9 Verf
HE
Leitsatz
1. § 68 Abs. 2 HBG und § 86 Abs. 3 HSchG verstoßen nicht gegen die Grundrechte auf
Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern und
Gleichbehandlung von Mann und Frau.
2. Die Landesanwaltschaft ist im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle vor dem
Staatsgerichtshof antragsberechtigt.
3. Für die Darlegung eines Antragsgrundes reicht es im abstrakten
Normenkontrollverfahren aus, dass die vorgetragenen verfassungsrechtlichen
Bedenken auf einer bestimmten und nachvollziehbaren Auslegung der angefochtenen
Norm beruhen. Ein Antragsteller muss nicht alle in Betracht kommenden
Norminterpretationen aufzeigen.
4. „Maßnahmegesetze“ sind weder unzulässig, noch unterliegen sie einer strengeren
verfassungsrechtlichen Überprüfung.
5. Der Staat ist zur politischen, religiösen und weltanschaulichen Neutralität verpflichtet.
Dieser Grundsatz ist von den Beamten und sonstigen öffentlichen Bediensteten ebenso
zu beachten wie das Toleranzgebot und das Beeinflussungsverbot.
6. Der Hessischen Verfassung liegt nicht das laizistische Modell einer strikten Trennung
von Staat und Kirche zu Grunde. Die Ausübung der Religionsfreiheit im Dienst hat aber
Grenzen zu beachten. Diese bestimmt der Gesetzgeber im Rahmen der
verfassungsimmanenten Schranken, denen auch das Grundrecht der Religionsfreiheit
unterliegt.
7. § 68 Abs. 2 Satz 3 HBG und § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG sind verfassungsrechtlich nicht
zu beanstanden, auch wenn sie die individuelle Glaubensfreiheit der Lehrkräfte und
Beamten hinter die negative Glaubensfreiheit Dritter und andere gewichtige
Verfassungsgüter zurücktreten lassen.
8. Über die Frage, welche Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale nach
Maßgabe der §§ 68 Abs. 2 HBG und 86 Abs. 3 HSchG nicht getragen oder verwendet
werden dürfen, entscheidet zunächst die zuständige Behörde im Einzelfall.
9. § 68 Abs. 2 Satz 3 HBG und § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG privilegieren nicht den
christlichen Glauben und das Christentum. Der hier verwendete Begriff „des
Christlichen“ bezeichnet eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der
christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Werteordnung, die sowohl
Grundlage der Hessischen Verfassung als auch des Grundgesetzes ist.
Tenor
§ 68 Abs. 2 HBG in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur
Sicherung der staatlichen Neutralität vom 18. Oktober 2004 (GVBl. I S. 306 und -
berichtigt - GVBl. 2005 I S. 95) sowie § 86 Abs. 3 HSchG in der Fassung des Art. 2
Nr. 1 des Gesetzes zur Sicherung der staatlichen Neutralität vom 18. Oktober
2004 (GVBl. I S. 306 und - berichtigt - GVBl. 2005 I S. 95) sind mit der Verfassung
des Landes Hessen vereinbar.
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Gründe
A
I.
Die Landesanwaltschaft hat unter dem 28. April 2005 bei dem Staatsgerichtshof
des Landes Hessen - StGH - zwei Normenkontrollanträge eingereicht. Sie richten
sich gegen § 68 Abs. 2 des Hessischen Beamtengesetzes in der Fassung vom 11.
Januar 1989 (GVBl. I S. 26) - HBG -, zuletzt geändert durch das Gesetz zur
Sicherung der staatlichen Neutralität vom 18. Oktober 2004 (GVBl. I S. 306,
berichtigt GVBl. 2005 I S. 95), kurz: Neutralitätsgesetz, sowie gegen § 86 Abs. 3
des Hessischen Schulgesetzes in der Fassung vom 2. August 2002 (GVBl. I S. 465)
- HSchG -, zuletzt geändert durch das Neutralitätsgesetz, hilfsweise gegen Art. 1
Nr. 2 und Art. 2 Nr. 1 des Neutralitätsgesetzes.
Die zur Überprüfung durch den Staatsgerichtshof gestellten Vorschriften lauten:
§ 68 Abs. 2 HBG:
§ 86 Abs. 3 HSchG:
II.
Die Landesanwaltschaft vertritt den Standpunkt, sie sei als öffentliche Klägerin
berechtigt, ein Verfahren der abstrakten Normenkontrolle einzuleiten. Es liege
auch ein Antragsgrund vor. Es werde nicht nur eine bestimmte Auslegung der
angefochtenen Normen gerügt. Selbst dies wäre aber im Rahmen eines
abstrakten Normenkontrollverfahrens zulässig. Bedenken gegen die Gültigkeit
einer Norm würden nämlich auch dann in zulässiger Weise geltend gemacht, wenn
Ziel des Antrags eine verfassungskonforme Auslegung wäre, was aber hier nicht
der Fall sei. Ziel des Antrags sei auch nicht nur eine teleologische Reduktion der
angefochtenen Normen.
Zur Begründetheit ihrer Anträge trägt die Landesanwaltschaft zusammengefasst
wie folgt vor:
§ 86 Abs. 3 HSchG verstoße gegen das Grundrecht auf Glaubensfreiheit und das
Grundrecht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 9 und 48 in
Verbindung mit Art. 134 der Verfassung des Landes Hessen, kurz: Hessische
Verfassung - HV -) sowie gegen das Grundrecht auf Gleichberechtigung von Mann
und Frau aus Art. 1 HV. § 86 Abs. 3 HSchG verfolge insgesamt den Zweck,
insbesondere das Kopftuchtragen von Lehrerinnen generell zu verbieten. Von
diesem Ziel werde die gesamte Vorschrift erfasst, weshalb sie insgesamt zur
Überprüfung gestellt werde, auch wenn das in Satz 1 enthaltene Neutralitätsgebot
für Lehrkräfte isoliert betrachtet nicht zu beanstanden sei.
Das Tragen von Kleidungsstücken sei nur dann „objektiv geeignet“, diese
Rechtsgüter zu gefährden bzw. zu beeinträchtigen, wenn Schülerinnen und Schüler
in politischer, religiöser oder weltanschaulicher Hinsicht gezielt beeinflusst würden.
Deshalb verlange die staatliche Neutralität von den Lehrkräften, keine Merkmale
mit „werbendem“ Charakter zu verwenden. Alle Merkmale, die nach außen
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mit „werbendem“ Charakter zu verwenden. Alle Merkmale, die nach außen
gerichtet seien, die also andere Personen, insbesondere Schülerinnen und
Schüler, dazu bewegen sollen, die politische, religiöse oder weltanschauliche
Haltung des Lehrers zu übernehmen, seien mit der staatlichen Neutralität im
Unterricht nicht vereinbar.
Zwischen den politischen bzw. weltanschaulichen Merkmalen einerseits und den
religiösen Gründen des Tragens von Kleidungsstücken oder Symbolen andererseits
zeigten sich aber große Unterschiede. Politische Symbole seien regelmäßig darauf
gerichtet, andere aufzufordern, sich der gezeigten Auffassung anzuschließen. Dies
sei bei religiösen Symbolen oder Kleidungsstücken nicht der Fall. Diese trügen
regelmäßig keinen werbenden Charakter. Für religiöse Kleidungsstücke sei es
typisch, dass sie aus innerer Überzeugung einer Verpflichtung gegenüber Gott
getragen würden, nicht aber, um andere zur Konversion oder Anpassung zu
ermuntern. Allein das aus religiöser Verpflichtung getragene Kleidungsstück sei
daher kein Indiz dafür, dass damit auf die religiöse Überzeugung anderer Einfluss
genommen werden solle. Das religiöse Symbol sei zwar nach außen sichtbar, nicht
aber nach außen gerichtet. Solange ein Kopftuch von einer Muslima nur getragen,
nicht aber auf andere, insbesondere Schülerinnen, eingewirkt werde mit dem Ziel,
sie zum Übertritt zum Islam bzw. zur Übernahme einer bestimmten Richtung des
Islam zu bewegen, sei eine „objektive Eignung“ zur Beeinträchtigung des
Vertrauens in die Neutralität der Amtsführung daher nicht ersichtlich.
Auch eine „objektive Eignung“ zur Gefährdung des Schulfriedens könne derzeit
nicht angenommen werden. Denn es gebe keine Hinweise darauf, dass Kopftuch
tragende Lehrerinnen, die in anderen Bundesländern ohne Gefährdung des
Schulfriedens eingesetzt würden, gerade in Hessen den Schulfrieden gefährden
könnten. Im Ergebnis würde daher das Kopftuch vom Wortlaut des Gesetzes gar
nicht erfasst. Doch eine solche - theoretisch denkbare - Interpretation würde der
Zielsetzung des Gesetzes nicht gerecht. Sinn des Gesetzes sei es, das
Kopftuchtragen von Lehrerinnen zu unterbinden, was auch aus der
Gesetzesbegründung hervorgehe.
§ 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG lasse die Verwendung christlicher Symbole zu. Die
Vorschrift könne daher insgesamt nur so verstanden werden, dass sie sich gezielt
gegen das Kopftuchtragen muslimischer Lehrerinnen richte, während das Tragen
christlich motivierter Kleidung zulässig bleiben solle. Dies stelle einen eindeutigen
Verstoß gegen Grundrechte der Hessischen Verfassung dar. Die Gleichbehandlung
der Religionen sei zentraler Inhalt der Grundrechte auf Glaubensfreiheit und
ungestörte Religionsausübung. Art. 48 Abs. 3 HV lege fest, dass es keine
Staatskirche gebe. Damit sei zudem gesagt, dass es keine Religion gebe, die dem
Staat näher stehe als andere. Der Staat habe sich gegenüber den Religionen
neutral zu verhalten. Dies heiße zumindest, dass der Staat keine Religion
bevorzugen oder benachteiligen dürfe. Die Glaubensfreiheit beinhalte das Gebot
strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen. Die Einführung
einer Dienstpflicht, die es Lehrern verbiete, in ihrem äußeren Erscheinungsbild ihre
Religionszugehörigkeit erkennbar zu machen, könne auch nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten „Kopftuchurteil“
(BVerfGE 108, 282)
. Eine
Privilegierung einzelner Religionen sei verfassungsrechtlich ausgeschlossen: Wenn
muslimische Lehrerinnen kein Kopftuch tragen dürften, könne es auch kein Kreuz
und keine Kippa in der Schule geben. Die Gleichbehandlung der Religionen sei
zentraler Inhalt der im Grundgesetz garantierten Glaubensfreiheit. Auch der
Staatsgerichtshof habe immer wieder betont, dass Art. 9 HV inhaltlich mit Art. 4
Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - übereinstimme. Eine Privilegierung der
christlichen Religion in hessischen Schulen sei unzulässig. Gerade dies bezweckten
aber die angefochtenen Vorschriften. Andererseits sei die Hessische Verfassung
nicht laizistisch. Sie schreibe gerade nicht den völligen Ausschluss von Religion aus
der öffentlichen Sphäre vor. Vielmehr liege der Hessischen Verfassung ein
Verständnis offener und übergreifender Neutralität zu Grunde. Damit gebe die
Hessische Verfassung religiösen und weltanschaulichen Fragen und Bekundungen
Raum, lasse ihnen Freiheit der Entfaltung, ohne sich aber damit zu identifizieren
oder in irgendeiner Richtung zu missionieren bzw. zu indoktrinieren. Mit einem
solchen Konzept lasse sich schwerlich vereinbaren, das Verhalten von Lehrkräften
gemäß ihrer religiösen Überzeugung dann in der Schule zu untersagen, wenn
damit keine Gefahren für Schülerinnen und Schüler einhergingen. Die
angefochtenen Vorschriften berücksichtigten nicht, dass es Inhalt der
Glaubensfreiheit als eines zentralen Grundrechts sei, dass von einem Gläubigen so
weit als möglich nicht verlangt werde, die als zutiefst verpflichtend erlebten
moralischen Gebote seiner Religion zu verletzen.
Der durch Art. 134 HV garantierte Anspruch auf gleichen Zugang zu öffentlichen
Ämtern werde beeinträchtigt, wenn zur Eignungsbeurteilung Kriterien
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Ämtern werde beeinträchtigt, wenn zur Eignungsbeurteilung Kriterien
herangezogen würden, die die Glaubensfreiheit der Bewerber tangierten.
Demgegenüber sei aber allein das Tragen eines religiösen Symbols nach dem
bisher in Deutschland vorherrschenden und für die Hessische Verfassung
verbindlichen Neutralitätsverständnis kein Grund, die Einstellung in den
Schuldienst zu versagen. Zwar bedienten sich islamistische Fundamentalisten des
Kopftuchs als Symbol und erzwängen dessen Tragen. Nicht möglich sei es jedoch,
einen entsprechenden Umkehrschluss zu ziehen: Aus dem Tragen eines Kopftuchs
folge nicht zwingend, dass die Trägerin dem islamistischen Fundamentalismus
anhänge. Ob eine Person die Werte des Grundgesetzes ablehne, könne nur im
Einzelfall festgestellt werden. Das bloße Tragen eines Kopftuches indiziere dies
nicht. Angesichts der Vielfalt der möglichen Deutungsmöglichkeiten sei es
unzulässig, dem Kopftuch einen entsprechenden „objektiven Erklärungsgehalt“
oder eine „objektive Wirkung“ beizumessen. Der Islam habe verschiedene
Strömungen, ebenso wie die anderen großen Religionen. Es greife zu kurz, aus
Bekleidungsvorschriften notwendig auf extremistische Einstellungen zu schließen.
Das Verbot, durch das Tragen religiöser Symbole seine Religionszugehörigkeit
erkennen zu lassen, könne nicht durch die staatliche Neutralität gerechtfertigt
werden. Diese verbiete es, sich mit einer bestimmten Religion zu identifizieren.
Aus dem vom Bundesverfassungsgericht postulierten Verbot, in jedem
Klassenzimmer ein Kruzifix anzubringen (BVerfGE 93, 1), könne nicht im Wege
eines Erst-Recht-Schlusses ein Kopftuchverbot gefolgert werden. Denn diese
Entscheidung untersage die Zwangswirkung, die durch die Identifikation des
Staates mit einer bestimmten Religion zum Ausdruck gebracht werde. Wenn der
Staat in jedem Klassenzimmer ein Kruzifix aufhänge, bringe er zum Ausdruck, wer
als zugehörig (zur staatlichen Gemeinschaft) gelte und wer ausgeschlossen sei.
Dagegen sei das Kopftuch einer Lehrerin Ausdruck ihres individuellen Glaubens,
der dem Staat nicht zugerechnet werde. Das staatliche Neutralitätsgebot gewähre
Freiheit von Zwang, berücksichtige also in besonderer Weise die negative
Religionsfreiheit der Kinder. Von daher sei von vornherein klar, dass eine Lehrerin,
die Kinder missionieren oder indoktrinieren wolle, keinen Platz in der staatlichen
Schule finde.
Die negative Religionsfreiheit der Schulkinder werde durch Kopftuch tragende
Lehrkräfte nicht beeinträchtigt, denn das Kopftuch habe keine negativen
Auswirkungen auf die Kinder. Gefahren, die durch das Kopftuch hervorgerufen
würden, seien nicht erkennbar. Im Gegenteil lernten Kinder, dass es verschiedene
Religionen auf der Welt und in Deutschland gebe, und würden zur Toleranz
erzogen, wie es die Hessische Verfassung fordere.
Auch das von der Verfassung gewährte Erziehungsrecht der Eltern könne ein
Kopftuchverbot nicht rechtfertigen. Denn das Erziehungsrecht der Eltern sei im
Bereich der Schule durch den staatlichen Erziehungsauftrag beschränkt.
Eine befürchtete Störung des Schulfriedens könne ebenfalls keinen hinreichenden
Grund für die Ablehnung einer Kopftuchträgerin darstellen. Es sei sicherlich
staatliche Aufgabe, für den Schulfrieden zu sorgen. Eine Störung des Schulfriedens
sei aber bislang durch mit Kopftuch unterrichtende Lehrerinnen nicht bekannt
geworden. Ebenso wenig wie befürchtete Elternproteste die Einstellung eines
farbigen Lehrers verhindern könnten, könne dies bei religiösen Merkmalen der Fall
sein.
Im Hinblick auf die erhebliche Intensität des Eingriffs in die Glaubensfreiheit träten
die zur Stützung eines Kopftuchverbotes vorgebrachten Gründe zurück. Für den
Gläubigen trage das Befolgen religiöser Vorschriften einen erheblichen
Verpflichtungscharakter. Religiöse Gebote verpflichteten die Gläubigen
grundsätzlich unbedingt - im Gegensatz zur politischen Meinungsäußerung, die im
Unterricht unterlassen werden könne, ohne dass die Lehrkraft deshalb in
Gewissensnöte komme.
§ 86 Abs. 3 HSchG verstoße zudem gegen das Grundrecht auf Gleichberechtigung
der Geschlechter aus Art. 1 HV. Die Vorschrift knüpfe zwar nicht unmittelbar an
das Merkmal „Geschlecht“ an, sie stelle aber eine unzulässige mittelbare
Benachteiligung von Frauen dar. Das Kopftuchverbot sei nicht geeignet, Gefahren
eines fundamentalistischen Islams abzuwehren. Die vom fundamentalistischen
Islamismus erzwungene Unterordnung von Frauen stelle einen Verstoß gegen Idee
und Zielsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern dar. Diesen
realen und gewichtigen Gefahren des fundamentalistischen Islamismus könne
nicht dadurch begegnet werden, dass es Frauen, die freiwillig ein Kopftuch trügen,
untersagt werde, als Lehrkräfte tätig zu werden. Denn dadurch würden nicht nur
die ökonomische Unabhängigkeit dieser muslimischen Frauen gefährdet, sondern
überhaupt nur solche Frauen getroffen, die sich nicht auf ihre tradierte Rolle im
Haushalt reduzieren lassen wollten. Männliche fundamentalistische Islamisten, von
denen eher die Gefahr ausginge, eine gleichberechtigungswidrige
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denen eher die Gefahr ausginge, eine gleichberechtigungswidrige
Geschlechterordnung durchzusetzen, würden von dem Gesetz dagegen überhaupt
nicht erfasst.
§ 68 Abs. 2 HBG, der ein Kopftuchverbot nicht nur für Lehrerinnen, sondern für alle
Beamtinnen anordne, verstoße erst recht gegen die Grundrechte der
Glaubensfreiheit, des gleichen Zugangs zu öffentlichen Ämtern und des Verbots
der Ungleichbehandlung der Geschlechter.
Das Bundesverfassungsgericht habe allein für den Bereich der Schule den Ländern
die Möglichkeit eröffnet, sich einem laizistischen Modell des Verhältnisses von
Religion und Staat anzunähern. Schon bundesrechtlich sei daher eine Erstreckung
auf alle Beamtinnen ausgeschlossen.
Aber auch die Hessische Verfassung lasse ein Kopftuchverbot für alle Beamtinnen
nicht zu. Während für die Situation in der Schule noch eine Reihe von Gründen
angeführt werden könne, die ein Verbot des Tragens religiöser Symbole
möglicherweise rechtfertigen könnten, sei eine Erstreckung auf alle Beamtinnen
unabhängig von ihrer Funktion offensichtlich nicht mehr angemessen. Dies gelte
etwa bei Beamtinnen, die in Funktionen tätig seien, die keinen oder nur ganz
selten Publikumsverkehr erforderten.
Die Landesanwaltschaft beantragt, wie folgt zu erkennen:
1. § 68 Abs. 2 des Hessischen Beamtengesetzes in der Fassung vom
11. Januar 1989 (GVBl. I S. 26), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Oktober
2004 (GVBl. I S. 306), wird wegen Verstoßes gegen Art. 9 und Art. 48 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 134 HV sowie gegen Art. 1 HV für nichtig erklärt,
2. § 86 Abs. 3 des Hessischen Schulgesetzes in der Fassung vom 2.
August 2002 (GVBl. I S. 465), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Oktober
2004 (GVBl. I S. 306), wird wegen Verstoßes gegen Art. 9 und Art. 48 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 134 HV sowie gegen Art. 1 HV für nichtig erklärt,
hilfsweise: Art. 1 Nr. 2 und Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Sicherung der
staatlichen Neutralität vom 18. Oktober 2004 (GVBl. I S. 306 und - berichtigt -
GVBl. 2005 I S. 95) werden wegen Verstoßes gegen Art. 9 und Art. 48 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 134 HV sowie gegen Art. 1 HV für nichtig erklärt.
III.
Die Hessische Landesregierung hält die Anträge für unzulässig.
Die Landesanwaltschaft trage keine Bedenken gegen die Gültigkeit der
angefochtenen Normen vor. § 68 Abs. 2 Satz 1 HBG und § 86 Abs. 3 Satz 1 HSchG
halte sie selbst für verfassungsgemäß. Im Übrigen erstrebe sie in Wirklichkeit eine
verfassungskonforme Auslegung der zur Überprüfung gestellten Vorschriften,
nämlich eine Auslegung, die das Tragen des islamischen Kopftuches für Lehrkräfte
und Beamtinnen sowie Bewerberinnen um diese Ämter nicht verbietet. Ein solches
Ziel könne im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nicht in zulässiger Weise
verfolgt werden. Für die verfassungskonforme Auslegung von Normen des
einfachen Rechts gebe es kein Entscheidungsmonopol des Staatsgerichtshofs. Der
verfassungskonforme Vollzug von Normen sei primär Aufgabe der Verwaltung; die
Kontrolle obliege den Fachgerichten. Eine verfassungskonforme Auslegung könne
zwar das Ergebnis eines zulässigen Normenkontrollantrags sein, aber nicht dessen
Ziel.
Die Normenkontrollanträge erwiesen sich jedenfalls als unbegründet. Die
angefochtenen Vorschriften seien formell und materiell verfassungsgemäß.
Der Landesgesetzgeber habe sich durch das sogenannte Kopftuch-Urteil des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 108, 282) veranlasst gesehen, dem dort
postulierten Gesetzesvorbehalt Rechnung zu tragen. Er habe die Dienstpflichten
für die Lehrkräfte und Landesbeamten dahingehend präzisiert, dass die zu
wahrende Neutralitätsgrenze in Richtung auf religiöse und weltanschauliche
Kleidung, Symbole und Zeichen - so gut es gehe - näher beschrieben werde. Dies
habe zur Folge, dass Bewerber um ein Amt, die kompromisslos ankündigten, auf
das neutralitätsgefährdende Symbol oder Zeichen im Dienst nicht verzichten zu
wollen, aufgrund fehlender Eignung abgelehnt werden dürften. Dies sei
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zwar habe das Bundesverfassungsgericht lediglich für Lehrkräfte an Schulen
vorgeschrieben, dass ihnen das Tragen eines islamischen Kopftuches nur dann
untersagt werden dürfe, wenn eine entsprechende gesetzliche Regelung existiere.
Mehr als der Schuldienst habe aber auch nicht zur Entscheidung angestanden.
Jenseits der Bindungswirkung dieses Urteils liege auf der Hand, dass die
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Jenseits der Bindungswirkung dieses Urteils liege auf der Hand, dass die
Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage über den Bereich der Schule hinaus
gegeben sei, wenn in allen Beamtenrechtsverhältnissen die
neutralitätsgefährdende Präsentation von religiösen Erkennungsmerkmalen zum
Gegen-stand einer Eignungsprognose gemacht und die Versagung einer
Einstellung allein auf diesen Aspekt gestützt werden solle.
Der Gesetzentwurf, der den angefochtenen Vorschriften zu Grunde liege,
verdeutliche, dass es nicht ausschließlich um ein Verbot des „islamischen
Kopftuchs“ gehe. Welche Erkennungsmerkmale im Einzelnen nicht verwendet
werden dürften, entziehe sich allerdings einer gesetzlichen Regelung. Die zur
Prüfung gestellten Normen seien auch so hinreichend bestimmt. Sie stellten
abstrakt auf die objektive Wirkung der Erkennungsmerkmale ab. Unauffällige
Schmuckstücke würden von dem Verbot nicht erfasst. Der Gesetzentwurf
formuliere die Erwartung, dass eine Verwaltungsvorschrift das Gesetz näher
konkretisieren und dabei auch bestimmte Erkennungsmerkmale benennen könne.
Mit der von den angefochtenen Normen untersagten Bekleidung bzw. mit den dort
erfassten sonstigen Erkennungsmerkmalen könnten Konflikte verbunden sein, die
der Gesetzgeber als abstrakte Gefahr habe einschätzen dürfen. Das Schutzgut,
dem hier typischerweise Gefahren drohten, sei im Fall des § 86 Abs. 3 HSchG der
Schulfrieden. Diese Konfliktsituation sei realitätsnah, wie zwei im
Gesetzgebungsverfahren geschilderte hessische Beispiele aus dem Kreis von
Lehramtsbewerberinnen zeigten. Zudem sei dem Landesgesetzgeber für die
prognostische Entscheidung, ob Gefahren für Schutzgüter drohten, eine
Einschätzungsprärogative zuzubilligen. Diese schütze ihn davor, richterlich schon
dann korrigiert zu werden, wenn das Gericht nicht zu einer gleichlautenden
Prognoseentscheidung komme. Eine gesetzgeberische Einschätzung müsse schon
offenkundig falsch sein, wenn sie richterlich korrigiert werden solle. Die
höchstrichterlichen Entscheidungen, die bislang zu den verschiedenen
landesrechtlichen Regelungen zum Verbot des Tragens bestimmter Kleidung
vorlägen, hätten sämtlich die Gefahreneinschätzung der jeweiligen
Landesgesetzgeber gebilligt.
Die angefochtenen Normen seien verhältnismäßig. Dies gelte zunächst für § 68
Abs. 2 HBG.
Die Grundrechtsposition des Beamten finde ihre Grenze im
Sonderstatusverhältnis. Es gehe um das Grundrecht auf Selbstdarstellung des
Beamten in der Öffentlichkeit. Dieses Grundrecht finde seine Grenze in dem schon
über das Staatsformprinzip der Republik gewährleisteten Amt. Das Amt werde
treuhänderisch, also fremdnützig ausgeübt. Die treuhänderische Funktion der
Amtswahrnehmung verpflichte auf verantworteten, sachlichen Dienst für die
Allgemeinheit. Im Amt handele der Amtswalter in kompetenzieller Bindung und
nicht in grundrechtlicher Freiheit. Das Amt als organisierte zugewiesene
Kompetenzwahrnehmung verlange vom Amtswalter den Verzicht auf die eigene
Subjektivität zu Gunsten des Gesetzes. Das Amt mache den Amtswalter resistent
gegen den Einfluss partikularer Interessen. Amtliche Entscheidungen seien für den
Betroffenen hinnehmbar, auch wenn sie sich für ihn negativ auswirkten, weil sie (im
amtsgemäßen Fall) nicht aus der Subjektivität des Amtswalters, sondern aus der
Objektivität des Rechts folgten, die amtsgemäßem Verhalten Autorität verleihe.
Eine Norm wie § 68 Abs. 2 HBG, die diese verfassungsmäßigen Prinzipien
neutralitätssichernd konkretisiere, könne nur dann mit der Verfassung unvereinbar
sein, wenn sie die Freiheitssphäre des Bürgers unverhältnismäßig schmälere. Dies
sei nicht der Fall. Die Einschränkung der Freiheit zur Selbstdarstellung des
Beamten im Dienst durch § 68 Abs. 2 HBG sei gerechtfertigt. Im kompromisslosen
Tragen gesetzlich verbotener Bekleidung und Symbole zeige sich, dass der
jeweilige Beamte oder Bewerber der eigenen Subjektivität Vorrang vor den
dienstlichen Bindungen einräume. Damit sei ein Loyalitätskonflikt verbunden.
Dieser Fall sei vergleichbar mit Konflikten, in denen ein Beamter meine, gesetzlich
gebotene Handlungen, zum Beispiel die Schießausbildung, aus Gewissensgründen
verweigern zu dürfen. Wenn eine solche Situation bei der Einstellung in den
öffentlichen Dienst als Beamter erkennbar werde, sei die Eignung zu verneinen,
weil damit implizit notwendige amtsgebundene Ausübungsregeln für das
öffentliche Amt von ihm negiert würden - nämlich der eigenen Subjektivität bei der
Pflichtenwahrnehmung keinen Raum zu geben.
Die angefochtenen Normen sicherten republikanische Amtlichkeit. Diese
Sicherung sei im Verhältnis zu den Grundrechten auf Gewissensfreiheit,
Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung ein genügend gewichtiger
Gemeinwohlbelang, um diese Freiheiten einzuschränken. Insoweit gehe es um die
Kollision gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter. Da der
Eintritt in den beamteten Dienst eine Freiheitsentscheidung sei, müsse der
Grundrechtsträger mit solchen Bindungen rechnen. In diesem Zusammenhang
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Grundrechtsträger mit solchen Bindungen rechnen. In diesem Zusammenhang
könne auch nicht angeführt werden, der Konflikt könne sich für Personal, das nicht
im Publikumsverkehr eingesetzt werde, gar nicht stellen. Solchen Überlegungen
stehe die dienstrechtlich erwartete Fungibilität entgegen. Beamte wüssten, dass
sie im Rahmen ihrer Laufbahn örtlich und sachlich flexibel einsetzbar sein
müssten.
Die angefochtene Regelung benachteilige nicht Beamte gegenüber Angestellten in
gleichheitswidriger Weise. Für Angestellte gelte das Tarifrecht, weshalb sich eine
gesetzliche Regelung verbiete. Für den Vorbereitungsdienst, der wegen der
staatlichen Monopolstellung in bestimmten Ausbildungsbereichen unter dem
Aspekt der Berufsfreiheit besonders sensibel sei, strebe man „flexible
Regelungen“ in der Anwendung des Gesetzes an.
Auch § 86 Abs. 3 HSchG sei verhältnismäßig.
Für beamtete Lehrkräfte könne insoweit nichts Anderes gelten als für alle
Beamten. Die Freiheitseinschränkung von Lehrkräften lasse sich ohne weiteres
aber auch speziell rechtfertigen. Die Einstellung gesetzlich von der
Eignungsprognose abhängig zu machen, die zu verneinen sei, wenn die abstrakte
Gefahr bestünde, dass das zeichenhafte Verhalten der Lehrperson die
weltanschaulich-religiöse Neutralität der Schule und den religiösen Schulfrieden
gefährde, knüpfe an Verfassungswerte an, die geeignet seien, die grundrechtliche
Freiheit von Lehrkräften, ob beamtet oder nicht, zu begrenzen.
Der Gesetzgeber habe die abstrakte Gefahr gesehen, dass durch Kopftuch
tragende Lehrerinnen mögliche Konflikte zwischen den widerstreitenden
Grundrechten der Lehrkräfte, der Schüler und der Eltern sowie des mit
Verfassungsrang ausgestatteten staatlichen Erziehungsauftrages auftreten
könnten. Deshalb habe der Gesetzgeber die verfassungsimmanenten Schranken
bestimmt und konkretisiert. Es sei verfassungsrechtlich hinzunehmen, im Einzelfall
möglicherweise sogar geboten, dass eine der konkurrierenden
Grundrechtspositionen zu Gunsten der anderen weitgehend zurücktreten müsse.
So verhalte es sich beim Unterricht in der Klasse. Der in Neutralität zu erfüllende
staatliche Erziehungsauftrag erlaube es nicht, mittels religiöser oder
weltanschaulicher Zeichenhaftigkeit den Schülern zu signalisieren, dass die
Lehrkraft nicht nur eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Überzeugung
habe, sondern dadurch so wesentlich geprägt sei, dass sie auf die zeichenhafte
Verdeutlichung nicht zu verzichten bereit sei. Dem dürften Schüler nicht
unausweichlich ausgesetzt sein, und darin stecke auch ein erhebliches
Konfliktpotential mit anderen Lehrkräften. Es fehle dann das Vertrauen in die
unbedingte Sachlichkeit und die zu fordernde Distanz zu anderen Glaubens- und
Denkrichtungen. Die Aufrechterhaltung dieses Vertrauens sei aber gerade für das
gedeihliche Zusammenwirken von Schule und Elternhaus in der schwierigen
Erziehungsaufgabe essentiell. Der Staat sei nicht verpflichtet, absehbare
Störfaktoren in seiner Einstellungsentscheidung zu ignorieren. Er dürfe solche
Störfaktoren im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative in Rechnung stellen und
sich gegen das Konzept einer pädagogischen Inpflichtnahme des Kopftuches als
Toleranz einübendes Mandat aussprechen.
Durch die angefochtenen Normen würden Frauen nicht mittelbar benachteiligt. Es
gehe nämlich nicht nur um das Kopftuch. So würde zum Beispiel auch ein
männlicher Lehrer in der Gewandung eines Angehörigen der Taliban oder in
Bhagwan-Kleidung unter die neutralitätssichernden Vorschriften fallen. Der
Anwendungsbereich der angefochtenen Normen sei weder geschlechtsspezifisch,
noch wirkten sich die Normen ausschließlich zum Nachteil von Frauen aus. Ihr
Anknüpfungspunkt seien - verfassungsrechtlich gerechtfertigt - religiöse und
weltanschauliche Prägungen, nicht das Geschlecht. Die für eine mittelbare
Benachteiligung zu fordernde (verdeckte) Typizität fehle hier.
Es könne nicht angenommen werden, dass § 68 Abs. 2 Satz 3 HBG und § 86 Abs.
3 Satz 3 HSchG christliche Symbole - was verfassungsrechtlich unzulässig sei -
privilegiere. Die Normen beinhalteten insofern nicht mehr als eine
Auslegungsregel. Die Auslegungsregel weise den Rechtsanwender darauf hin, dass
nicht jedes Zeichen nur deshalb Konflikt auslösend sein müsse, weil es aus dem
religiösen Raum stamme. Die angegriffenen Normen sprächen deshalb auch
ausdrücklich von der „christlich geprägten abendländischen Tradition“ und nicht
etwa von dem christlichen Glauben. Das Christliche bezeichne nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine von Glaubensinhalten
losgelöste aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur
hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zu Grunde
liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche. Es sei
unschädlich, dass die Hessische Verfassung, anders als andere
Landesverfassungen, die christlich geprägte abendländische Tradition nicht
ausdrücklich erwähne. Denn dass das Land Hessen in dieser Tradition stehe, sei
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ausdrücklich erwähne. Denn dass das Land Hessen in dieser Tradition stehe, sei
Teil einer unbestreitbaren historischen Wahrheit.
Die Hessische Landesregierung hat keinen Antrag gestellt.
IV.
Der Hessische Landtag hat von einer Stellungnahme abgesehen.
B
I.
Die Normenkontrollanträge sind zulässig.
1. Die Landesanwaltschaft ist befugt, ein Verfahren der abstrakten
Normenkontrolle nach Art. 131 Abs. 1 HV in Verbindung mit §§ 39 f. des Gesetzes
über den Staatsgerichtshof, kurz: Staatsgerichtshofsgesetz - StGHG -, vor dem
Staatsgerichtshof des Landes Hessen - StGH - einzuleiten (ständige
Rechtsprechung des StGH, vgl. - grundlegend - StGH, StAnz. 1986, 1089 [1095 f.],
ferner etwa StAnz. 1994, S. 1331 [1334]). Zwar fehlt die Landesanwaltschaft in der
Reihe der in Art. 131 Abs. 2 HV ausdrücklich genannten Antragsberechtigten. Sie
gehört aber nach Art. 130 Abs. 4 HV in Verbindung mit § 19 Abs. 2 Nr. 7 StGHG
zum Kreis der Antragsberechtigten. § 39 Abs. 2 StGHG gewährt ihr für das
Verfahren der abstrakten Normenkontrolle ein Anschließungs- und Antragsrecht.
Überdies ist die Antragsberechtigung der Landesanwaltschaft im Verfahren der
abstrakten Normenkontrolle zwingende Folge der ihr durch Art. 130 Abs. 1 Satz 2
HV zugewiesenen Rolle als öffentliche Klägerin (vgl. Günther,
Verfassungsgerichtsbarkeit in Hessen, 2004, § 19 Rdnrn. 28, 40 und 46).
2. Die Landesanwaltschaft hat einen Antragsgrund in zulässiger Weise dargelegt.
§ 39 Abs. 1 StGHG verlangt, dass „Bedenken“ gegen die Gültigkeit der
angefochtenen Norm geäußert werden. Diesen Anforderungen genügen die
Normenkontrollanträge.
Zwar hat die Landesanwaltschaft zunächst ausgeführt, dass - isoliert betrachtet -
gegen § 68 Abs. 2 Satz 1 HBG und § 86 Abs. 3 Satz 1 HSchG keine
verfassungsrechtlichen Einwände zu erheben seien (Antragsschrift vom
28.04.2005, S. 3). Satz 1 beider Vorschriften spreche eine Selbstverständlichkeit
aus. Bereits Art. 56 Abs. 3 Satz 2 HV verpflichte die Lehrkraft darauf, die religiösen
und weltanschaulichen Auffassungen sachlich darzulegen. In der mündlichen
Verhandlung hat die Landesanwaltschaft aber klargestellt, dass die Normen
insgesamt angefochten seien. Die Sätze 1 bekämen durch die Sätze 2 ihren
Gehalt und könnten daher nicht isoliert betrachtet werden. Dass es einen
verfassungskonformen Anwendungsbereich der Normen gebe, schließe nicht eine
Verfassungswidrigkeit der Vorschriften im Übrigen aus.
Die Darlegung von Bedenken auch gegen die Gültigkeit der jeweiligen Sätze 1 des
§ 68 Abs. 2 HBG und des § 86 Abs. 3 HSchG durch die Landesanwaltschaft findet
zudem darin eine Stütze, dass die jeweiligen Sätze 2 dieser Vorschriften - wie auch
die Sätze 3 - mit den vorhergehenden Sätzen 1 einen engen sachlichen
Zusammenhang aufweisen. Die Sätze 2 bestimmen die Sätze 1 inhaltlich. Sie
beginnen mit dem Wort „insbesondere“. Dies legt es nahe, den Inhalt der Sätze 1
nicht ohne den Inhalt der Sätze 2 zu lesen.
Auch hinsichtlich § 68 Abs. 2 Sätze 2 und 3 HBG und § 86 Abs. 3 Sätze 2 bis 4
HSchG hat die Landesanwaltschaft einen Antragsgrund in zulässiger Weise
dargelegt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob es - entgegen der Auffassung der
Landesregierung - zulässiges Ziel eines Normenkontrollantrags sein kann, die
angefochtenen Normen verfassungskonform auszulegen (die Frage wird in der
Literatur kontrovers diskutiert, vgl. Rozek, in: Maunz/Schmidt-
Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Bd. 2, Losebl., 26. Lfg. 2007, § 76 Rdnr. 49
m.w.N.). Denn schon dem konkreten Antrag der Landesanwaltschaft lässt sich
wörtlich entnehmen, dass sie die Nichtigerklärung der angefochtenen Normen als
Ziel des Verfahrens verfolgt. Damit geht die Landesanwaltschaft mit dem von ihr
erklärten Ziel nicht nur über die verfassungskonforme Auslegung, sondern sogar
über die - gegenüber der Nichtigerklärung mildere - Unvereinbarerklärung hinaus.
Der gestellte Antrag wird durch die Begründung in zulässiger Weise getragen. An
die Darlegung der Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Normen sind
zudem keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, weil es sich bei der abstrakten
Normenkontrolle um ein Verfahren handelt, welches der Wahrung objektiven
Rechts dient (vgl. Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Auflage 1991, § 8 Rdnr.
4). Ob die angefochtenen Normen vorrangig ein - nach Auffassung der
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4). Ob die angefochtenen Normen vorrangig ein - nach Auffassung der
Landesanwaltschaft verfassungswidriges - Kopftuchverbot zum Inhalt haben oder -
in verfassungsgemäßer Weise - auch darüber hinausgehen, kann Ergebnis der
Norminterpretation durch den Staatsgerichtshof sein. Denkbar sind aber auch
andere Interpretationen. Diese sind von einem Antragsteller im abstrakten
Normenkontrollverfahren nicht vorweg erschöpfend aufzuzeigen. Davon
abgesehen hat die Landesanwaltschaft ihren Rechtsstandpunkt mit Schriftsatz
vom 28. März 2007 und in der mündlichen Verhandlung vom 15. August 2007
präzisiert und ausgeführt, es könne „neben dem - zwingenden - Anwendungsfall
der Kopftuchträgerin durchaus noch andere Fälle geben“, in denen die Normen zur
Anwendung kommen könnten. Letztlich hält die Landesanwaltschaft die
angefochtenen Normen für verfassungswidrig, weil diese - jedenfalls auch - ein
Verbot statuierten, ein Kopftuch islamischer Provenienz im Dienst zu tragen. Diese
Auffassung wird nachvollziehbar dargelegt. Hinzu kommt, dass bereits im
Gesetzgebungsverfahren Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des
Gesetzentwurfs, der später unverändert verabschiedet wurde, geäußert wurden.
II.
Die Normenkontrollanträge sind unbegründet.
Die in zulässiger Weise zur Überprüfung des Staatsgerichtshofs gestellten
Vorschriften der §§ 68 Abs. 2 HBG und 86 Abs. 3 HSchG verstoßen nicht gegen
Art. 9, Art. 48 Abs. 1, Art. 134, Art. 1 sowie Art. 11 Abs. 1 HV.
Art. 9 HV lautet:
Art. 48 Abs. 1 HV lautet:
Art. 134 HV lautet:
Art. 1 HV lautet:
Art. 11 Abs. 1 HV lautet:
1. Der Schutzbereich der genannten Grundrechte ist in personaler Hinsicht
eröffnet.
Auch öffentliche Bedienstete (hier: Beamte und Lehrkräfte - Lehrkräfte auch im
Angestelltenverhältnis) können sich innerhalb ihres Dienstverhältnisses
grundsätzlich auf Grundrechte berufen. Dies war zwar nach der Lehre vom
besonderen Gewaltverhältnis bei Beamten nicht der Fall; auch galt insofern der
Gesetzesvorbehalt nicht (vgl. StGH, ESVGH 11/II, 16; Mayer, Deutsches
Verwaltungsrecht, Band I, 3. Auflage 1924, S. 101 f.). Die Vorstellung eines
Raumes grundrechtsfreier Herrschaft, die dieser Lehre zu Grunde lag, ist aber mit
der umfassenden Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt nach Art. 26 HV bzw. Art.
1 Abs. 3 GG unvereinbar. Der Gesetzesvorbehalt gilt allgemein, also auch im
„besonderen Gewaltverhältnis“ (vgl. - gerade für das Schulverhältnis - bereits
StGH, StAnz. 1979, S. 1669 [1677]; vgl. auch BVerfGE 108, 282 , was
als Folge dieser Entwicklung seit BVerfGE 33, 1 [9 f.] angesehen
werden kann, vgl. i.E. BVerfGE 108, 282 [294, 311 ff.], beachte aber auch die abw.
Meinung der Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff, S. 314 ff.). Die Grundrechte
gelten somit grundsätzlich auch im Verhältnis des Staates zu seinen
Bediensteten, das heißt im sogenannten Sonderstatusverhältnis: „
“ (BVerfGE 39, 334 [366]; herrschende Meinung, vgl.
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“ (BVerfGE 39, 334 [366]; herrschende Meinung, vgl.
Loschelder, Grundrechte im Sonderstatus, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch
des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl. 2000, § 123 Rdnr. 7; Graf Vitzthum, Der
funktionale Anwendungsbereich der Grundrechte, in: Merten/Papier (Hrsg.),
Handbuch der Grundrechte, Band II, 2006, § 48 Rdnrn. 19 u. 35; Starck, in: v.
Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 5. Aufl. 2005, Art. 1 Rdnr. 298; Jarass, in:
Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl. 2007, Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 39).
Dies bedeutet andererseits nicht, dass die Grundrechte im öffentlich-rechtlichen
Dienstverhältnis ihre Wirkung in gleicher Weise entfalten wie außerhalb dieses
speziellen Sonderstatusverhältnisses. Der Grundrechtsausübung des Beamten im
Dienst können Grenzen gesetzt werden, die sich aus allgemeinen Anforderungen
an den öffentlichen Dienst oder aus besonderen Erfordernissen des jeweiligen
öffentlichen Amtes ergeben. Für das Maß der Einschränkungen im
Sonderstatusverhältnis gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Starck, a.a.O., Rdnr.
299).
2. § 86 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HSchG verstößt nicht gegen Art. 9 in Verbindung mit
Art. 48 Abs. 1 HV.
a) § 86 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HSchG greift in den Schutzbereich der Grundrechte
aus Art. 9 in Verbindung mit Art. 48 Abs. 1 HV ein.
Art. 9 HV stimmt inhaltlich mit Art. 4 Abs. 1 GG überein (StGH, StAnz. 1965, S.
1394 [1397] = ESVGH 16, 1 [3], und StAnz. 1968, S. 1225 [1229] = ESVGH 19, 7
[10]; Löhr, Die Rechte des Menschen in der Verfassung des Landes Hessen im
Lichte des Grundgesetzes, 2007, S. 228 f.). Art. 9 HV gilt deshalb gemäß Art. 142
GG fort. Im Gegensatz zu Art. 48 HV, der - wie Art. 4 Abs. 2 GG - die äußere
Religionsfreiheit regelt, behandelt Art. 9 HV primär die innere Glaubens-,
Überzeugungs- und Gewissensfreiheit. Allerdings ist Art. 9 HV nicht darauf
beschränkt, sondern umfasst auch die Betätigung dieser (inneren) Freiheit. Damit
ist ausdrücklich das Recht anerkannt, sich zu einem religiösen Glauben oder einer
Weltanschauung zu bekennen oder nicht zu bekennen, die Überzeugung anderen
mitzuteilen und sich ihr entsprechend im gesellschaftlichen Leben zu betätigen
(vgl. StGH, StAnz. 1965, S. 1394 [1398]; zu alledem auch Stein, in: Zinn/Stein,
Verfassung des Landes Hessen, Bd. 1, Losebl., 16. Lfg. 1999, Art. 9 Anm. 1 bis 3).
Art. 48 HV entspricht Art. 4 Abs. 2 GG und regelt die äußere Kultusfreiheit bzw.
Bekenntnisfreiheit. Er schützt die äußere Betätigung der Religion oder einer
Weltanschauung durch Einzelne oder eine Gemeinschaft und die öffentliche
Religionsausübung (vgl. Stein/Engelhardt, in: Zinn/Stein, a.a.O., Art. 48 Anm. 1 u.
2).
Art. 9 HV und Art. 48 HV bilden wie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein umfassend zu
verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. z.B. BVerfGE 83, 341 [354]). Zu der
somit umfassend gewährleisteten Religions- bzw. Glaubens-, Weltanschauungs-
und Gewissensfreiheit gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes
Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren
Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Dies betrifft nicht nur imperative
Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten
als das zur Bewältigung einer Lebenslage Richtige bestimmen (BVerfGE 108, 282
[297] m.w.N.).
Die Regelungen des § 86 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HSchG greifen in die
Überzeugungs- und Gewissensfreiheit des Art. 9 HV und in die öffentliche
Religionsausübung - Bekenntnisfreiheit - des Art. 9 HV in Verbindung mit Art. 48
Abs. 1 HV ein (vgl. auch BVerfGE 108, 282 [297]). Denn die Religion vermag
Verhaltenspflichten aufzuerlegen, zu deren Befolgung sich der Gläubige aufgrund
seiner Überzeugung und seines Gewissens verpflichtet fühlt. Diese
Verhaltenspflichten können auch für das öffentliche Auftreten des Gläubigen
gelten und, wie etwa bestimmte Kleidungsvorschriften, äußerlich erkennbar sein.
Ob auch das Tragen eines Kopftuches islamischer Provenienz in den Schutzbereich
des Grundrechts der Glaubensfreiheit fällt und vom Verbot des § 86 Abs. 3 Sätze 1
und 2 HSchG umfasst ist, bedarf hier indes keiner Entscheidung. Der
Staatsgerichtshof entscheidet im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nicht
über die Frage, welche Kleidungsstücke, Symbole und andere Merkmale nach § 86
Abs. 3 HSchG (oder § 68 Abs. 2 HBG) nicht verwendet oder getragen werden
dürfen. Insbesondere prüft er nicht, welche Kleidungsstücke als „islamisches
Kopftuch“ zu qualifizieren sind und ob und unter welchen Voraussetzungen ein
„islamisches Kopftuch“ objektiv geeignet ist, das Vertrauen in die Neutralität der
Amtsführung zu beeinträchtigen oder den Schul- und Dienstfrieden zu stören.
Denn die konkrete Auslegung des einfachen Rechts ist zuvörderst Aufgabe der
Behörden und Fachgerichte (ebenso BayVerfGH, BayVBl. 2007, S. 235 [236]).
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Dies gilt auch dann, wenn der Gesetzgeber wie hier das Kopftuch zum Anlass
seiner Neuregelung genommen hat. Für die verfassungsgerichtliche Prüfung ist es
unerheblich, dass der Gesetzgeber gerade das islamische Kopftuch zum Anlass
genommen hat, überhaupt die angefochtenen Vorschriften zu erlassen. Auch
wenn es sich bei dem „Gesetz zur Sicherung der staatlichen Neutralität“ um ein
sogenanntes „Maßnahmegesetz“ handeln sollte, wäre dies verfassungsrechtlich
ohne Bedeutung. „Maßnahmegesetze“ sind Gesetze, die auf einen konkreten
Sachverhalt abgestellt sind. Sie sind als solche weder unzulässig noch unterliegen
sie einer strengeren verfassungsrechtlichen Prüfung als andere Gesetze (BVerfGE
25, 371 [396]). Bei den angegriffenen Normen handelt es sich nicht etwa um
Einzelfallgesetze. Enthalten die Gesetze - wie hier - generalisierende Rechtssätze,
gehen sie über ein - grundsätzlich nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 1 HV
verfassungsrechtlich unzulässiges - Einzelfallgesetz hinaus.
b) Der Eingriff in die Grundrechte aus Art. 9 in Verbindung mit Art. 48 Abs. 1 HV ist
verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Die „Religionsfreiheit“ des Art. 9 HV in Verbindung mit Art. 48 Abs. 1 HV wird ohne
besondere Schranken gewährleistet. Es gelten somit nur die sogenannten
verfassungsimmanenten Schranken: „
“ (BVerfGE 28, 243 [261]; vgl. auch BVerfGE 108, 282
[297] m.w.N.:
). Die Einschränkung der vorbehaltlos gewährleisteten
Glaubensfreiheit bedarf überdies einer hinreichend bestimmten gesetzlichen
Grundlage (BVerfGE 108, 282 [297]; a.A. Sondervotum zu dieser Entscheidung,
BVerfGE 108, 282 [322 ff.]).
aa) § 86 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HSchG ist hinreichend bestimmt. Der Gesetzgeber
hat die Vorschriften so formuliert, dass sie den rechtsstaatlichen Anforderungen
entsprechen. Sie sind hinreichend klar und justiziabel.
Die Verwendung interpretationsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriffe begegnet
insoweit keinen Bedenken. Denkbare Alternative wäre gewesen, in der
gesetzlichen Bestimmung bestimmte Kleidungsstücke, Symbole oder Merkmale,
die verboten werden sollen, beispielhaft oder abschließend aufzulisten. Dies ist
jedoch verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten (ebenso BayVerfGH, BayVBl.
2007, S. 235 [237]). Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen seiner vom
Staatsgerichtshof zu akzeptierenden Einschätzungsprärogative grundsätzlich frei,
bei der Normgestaltung auch unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden und
somit den Behörden und Gerichten Interpretationsspielräume zu eröffnen. Die
rechtsstaatlichen Grenzen hat der Gesetzgeber vorliegend beachtet.
bb) Wie bereits ausgeführt (B II. 1.), ist die Lehrkraft, die politisch, religiös oder
weltanschaulich geprägte Merkmale trägt, gegenüber ihrem Dienstherrn
grundrechtsberechtigt. Ihre Grundrechtsausübung unterliegt aber Grenzen. Diese
Grenzen bilden widerstreitende Grundrechte Dritter und sonstige
Gemeinschaftsgüter von Verfassungsrang. Sie vermögen in der gebotenen
Verhältnismäßigkeitsabwägung den durch § 86 Abs. 3 HSchG erfolgenden Eingriff
in die Grundrechte der Lehrkraft zu rechtfertigen.
Zu den kollidierenden Grundrechten Dritter und Gemeinschaftswerten von
Verfassungsrang gehören: die negative Glaubensfreiheit der Schüler und Eltern
aus Art. 9 HV - nachfolgend (1); der Grundsatz der politischen, religiösen und
weltanschaulichen Neutralität des Staates (vgl. Art. 50 Abs. 2 HV), der von den
Beamten und sonstigen öffentlichen Bediensteten zu beachten ist; das
Toleranzgebot und Beeinflussungsverbot (2); das Erziehungsrecht der Eltern aus
Art. 55, Art. 56 Abs. 6 u. Abs. 7 Satz 2 HV, insbesondere ihr Recht, die Kinder
religiös zu erziehen (3); der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag, der sich an
den oben genannten Grundsätzen orientieren muss, Art. 56 Abs. 3 Satz 2 HV, Art.
56 Abs. 7 Satz 2 HV (4), und ein geordneter Schulbetrieb, zu dem auch die
Sicherstellung des Schulfriedens gehört, vgl. Art. 56 Abs. 1 HV (5).
(1) Die negative Glaubensfreiheit der Schüler und der Eltern (vgl. dazu OVG
Bremen, NVwZ-RR 2006, S. 402 [404]; Hufen, Der Regelungsspielraum des
Landesgesetzgebers im „Kopftuchstreit“, NVwZ 2004, S. 575 [576]) folgt aus Art.
9 HV.
Art. 9 HV schützt wie Art. 4 Abs. 1 GG nicht nur die positive, sondern auch die
negative Glaubensfreiheit (zu Art. 4 Abs. 1 GG z.B. BVerfGE 41, 29 [49]). Dies
bedeutet, auch die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung abzulehnen,
wird grundrechtlich geschützt. Dies umfasst auch die Ablehnung religiöser
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wird grundrechtlich geschützt. Dies umfasst auch die Ablehnung religiöser
Symbole (BVerfGE 93, 1 [15 f.]). Die negative Glaubensfreiheit wird beeinträchtigt
durch „
“ (BVerfGE 93, 1 [16]; dazu v.a. auch BVerfGE 108,
282 [306], und OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, S. 402 [403]).
Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Verwendung von Merkmalen im
Sinne der angefochtenen Vorschriften sei - im Unterschied etwa zum staatlich
angeordneten Kruzifix im Klassenzimmer - Ausdruck einer individuellen
Glaubenshandlung, die dem Staat nicht zugerechnet werden könne (so aber
Sacksofsky, Die Kopftuch-Entscheidung - von der religiösen zur föderalen Vielfalt,
NJW 2003, S. 3297 [3299]; Gasser, Kopftuch und Kruzifix in der Schule - Zwei
Seiten einer Medaille, in: Festschrift für F. von Zezschwitz, 2005, S. 68 [76 f.]; vgl.
auch BVerfGE 108. 282 [305 f.]; a.A. Hufen, a.a.O., S. 575 f., Kästner, Anmerkung,
JZ 2003, S. 1178 [1179]; Müller-Volbehr, Die Religionsfreiheit in der neueren
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Festschrift für W. Frotscher,
2007, S. 285 [297]).
Allerdings wäre es fernliegend anzunehmen, der Staat bekenne sich zu den
politischen oder religiösen Aussagen, die mit dem jeweiligen Merkmal verbunden
werden, wenn er die Verwendung dieser Merkmale zuließe. Indes würde ihm dann
aber jedenfalls die Duldung eines religiösen bzw. politischen Symbols, dem unter
Umständen starke Ausdruckskraft zukommt, zuzurechnen sein. Diese Duldung
beeinträchtigt die negative Glaubensfreiheit zumindest mittelbar. Vor allem aber
treten die Lehrkräfte im Unterricht nicht als Privatpersonen auf. Soweit sie in
Ausübung ihres Amtes bzw. Berufes - bürgergerichtet - tätig werden, handelt der
Staat durch sie (BayVerfGH, BayVBl. 2007, S. 235 [237]; ebenso Hufen, a.a.O., S.
238 m.w.N. in Fn. 14).
(2) In die Abwägung mit dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit sind mit einzustellen
der Grundsatz der politischen, religiösen und weltanschaulichen Neutralität des
Staates (vgl. Art. 50 Abs. 2 HV), der von den Beamten und sonstigen öffentlichen
Bediensteten zu beachten ist; ferner das Toleranzgebot und Beeinflussungsverbot
(dazu insbes. BVerwGE 121, 140 [146]; BayVerfGH, BayVBl. 2007, S. 235 [237];
OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, S. 402 [404]).
Die Neutralitätspflicht des Staates ist als solche allgemein anerkannt. Sie folgt in
erster Linie aus den Grundrechten. Das Gebot politischer Neutralität folgt zudem
aus dem Demokratieprinzip, denn die Minderheit soll ohne staatliche
Beeinflussung die Chance erhalten, zur Mehrheit zu werden (vgl. BVerfGE 44, 125
[145 f.]). Insbesondere in Fragen des religiösen oder weltanschaulichen
Bekenntnisses hat sich der Staat neutral zu verhalten (BVerfGE 93, 1 [16 f.]; 105,
279 [294]; 108, 282 [299 f.]). Art. 50 Abs. 2 HV gebietet Kirchen, Religions- und
Weltanschauungsgemeinschaften auf der einen und dem Staat auf der anderen
Seite, sich nicht gegenseitig in die Belange des jeweils anderen einzumischen.
Dies bedeutet keine laizistische Trennung von Kirche und Staat. Bestrebungen,
das Prinzip des Laizismus in die Hessische Verfassung hineinzuschreiben, sind
während der konstitutionellen Beratungen abgelehnt worden (vgl.
Stein/Engelhardt, in: Zinn/Stein, a.a.O., Art. 50 Anm. 1). Zudem belegen
zahlreiche Verfassungsbestimmungen einen Bezug von staatlichen und religiös-
weltanschaulichen Belangen: Art. 51, 52 und 57 HV (vgl. auch die Sonn- und
Feiertagsschutzvorschriften des einfachen Landesrechts). Die Hessische
Verfassung macht ein Zusammenwirken von Staat und Religion(en) notwendig,
welches von wechselseitiger Toleranz getragen sein muss.
Duldete der Staat in den Schulen das Tragen oder Verwenden von
Kleidungsstücken, Symbolen oder anderen Merkmalen, die objektiv geeignet sind,
das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung der Lehrkräfte zu
beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu
gefährden, wäre eine Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht und des
Beeinflussungsverbots zu besorgen. Eine solche Duldung wäre nicht „neutral“.
Denn indem der Staat duldete, dass seine Lehrkräfte ihre Glaubens-,
weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen ohne Einschränkungen offen
zur Schau stellen dürften, würden die Schüler religiös, weltanschaulich oder
politisch beeinflusst (vgl. BVerwGE 116, 359 [362]). Da die Lehrkräfte naturgemäß
eine starke erzieherische Wirkung auf die Schüler ausüben, würden diese sogar
stärker beeinflusst als etwa durch ein Kruzifix an der Wand, das „irgend jemand“ -
für die Schüler nicht personifizierbar - dorthin gehängt hat.
§ 86 Abs. 3 HSchG enthält kein generelles Verbot, im Dienst Kleidungsstücke,
Symbole oder andere Merkmale zu tragen oder zu verwenden, denen eine
politische, religiöse oder weltanschauliche Bedeutung zukommt. Dies ist vielmehr
nur dann der Fall, wenn durch das Tragen oder die Verwendung des
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nur dann der Fall, wenn durch das Tragen oder die Verwendung des
Kleidungsstückes, Symbols oder anderen Merkmals bei einer objektiven
Betrachtungsweise das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung des
betreffenden Bediensteten beeinträchtigt sein oder der Schulfrieden gefährdet
werden kann. Dass nicht ein generelles Verbot gilt, betrifft insbesondere
Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale, denen eine religiöse Bedeutung
zukommt. Denn der Hessischen Verfassung liegt, wie bereits ausgeführt, nicht das
laizistische Modell einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu Grunde. Den
öffentlichen Bediensteten ist deshalb nicht von vornherein verwehrt, sich auch im
Dienst religiös zu betätigen. Allerdings müssen sie hierbei die Grenzen beachten,
die ihnen der Gesetzgeber in Ausführung der verfassungsimmanenten Schranken
setzt, denen das Grundrecht der Religionsfreiheit unterliegt.
(3) Das Grundrecht der Lehrkräfte, ihre religiösen oder weltanschaulichen
Überzeugungen nach außen sichtbar zu zeigen, ist ferner abzuwägen mit dem
Erziehungsrecht der Eltern (Art. 55 u. 56 Abs. 6 u. Abs. 7 Satz 2 HV), insbesondere
dem Recht der Eltern, ihre Kinder religiös oder nicht religiös zu erziehen (vgl.
BVerfGE 41, 29 [48 f.]; 108, 282 [303]; Hufen, a.a.O., S. 577: Recht der Eltern, die
Kinder vor einseitiger Indoktrination zu bewahren).
Die Erziehung der Jugend ist Recht und Pflicht der Eltern (vgl. Art. 55 HV). Dies hat
der Staat bei der Regelung des Schulwesens zu berücksichtigen. Insbesondere
muss das Gesetz Vorkehrungen dagegen treffen, dass in der Schule die religiösen
und weltanschaulichen Grundsätze verletzt werden, nach denen die
Erziehungsberechtigten ihre Kinder erzogen haben wollen (Art. 56 Abs. 7 HV).
(4) In der Abwägung mit zu berücksichtigen ist auch der staatliche Bildungs- und
Erziehungsauftrag, der sich an den oben genannten Grundsätzen orientieren
muss, Art. 56 Abs. 3 Satz 2 HV, Art. 56 Abs. 7 Satz 2 HV (vgl. BVerfGE 108, 282
[303]; BayVerfGH, BayVBl. 2007, S. 235 [238]; OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, S.
402 [404]; Hufen, a.a.O., S. 577).
Bei der Ausgestaltung der öffentlichen Schulen ist der Gesetzgeber an die
Vorgaben der Verfassung gebunden (Art. 55 ff. HV). Art. 56 Abs. 2 HV schreibt die
Gemeinschaftsschule vor. Dies bedeutet, dass Kinder aller religiösen Bekenntnisse
und Weltanschauungen gemeinsam unterrichtet (erzogen) werden. Die Lehrkraft
hat in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller
Schüler Rücksicht zu nehmen und die religiösen und weltanschaulichen
Auffassungen sachlich darzulegen (Art. 56 Abs. 3 Satz 2 HV). Alle Bestimmungen
der Hessischen Verfassung zum staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag
machen deutlich, dass der Staat zur politischen und religiösen Toleranz, zur
Rücksichtnahme auf alle Religionsbekenntnisse und Weltanschauungen der
Schülerinnen und Schüler verpflichtet ist. Das Verhalten einer Lehrkraft, welches
durch äußere Merkmale eine bestimmte politische oder religiöse Anschauung
offen, eventuell gar werbend, besonders herausstellt, widerspricht dem staatlichen
Bildungs- und Erziehungsauftrag.
(5) In die Abwägung der widerstreitenden Grundrechte und Verfassungsgüter ist
schließlich das Erfordernis eines geordneten Schulbetriebes einzustellen, zu dem
auch die Sicherstellung des Schulfriedens (vgl. Art. 56 Abs. 1 HV ) gehört (vgl.
BVerfGE 108, 282 [303]; ausführlich OVG Bremen, NVwZ-RR 2006, S. 402 [403 f.];
über einen konkreten Fall der Störung des Schulfriedens berichtet Bader,
Gleichbehandlung von Kopftuch und Nonnenhabit, NVwZ 2006, S. 1333).
cc) Die als Schranken in Betracht kommenden Grundrechte Dritter und sonstigen
Verfassungsgüter stehen der (positiven) Glaubensfreiheit in einer multipolaren
Konfliktsituation gegenüber. Verfassungsrechtliches Gebot ist es in solchen Fällen,
praktische Konkordanz herzustellen. Dies bedeutet, die individuellen
Rechtspositionen und objektiv-rechtlichen Gewährleistungen dürfen nicht
vorschnell zu Lasten des jeweils anderen geopfert werden, sondern müssen
einander so zugeordnet werden, dass jedes von ihnen möglichst Wirksamkeit
behält (vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik
Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rdnr. 72). Die einander widerstreitenden
Grundrechtspositionen und Verfassungsgüter sind durch Abwägung in einen
verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen. Dabei ist die besondere Situation in der
Schule zu berücksichtigen. Dem Gesetzgeber steht insofern eine
Einschätzungsprärogative und ein Gestaltungsermessen zu (vgl. BVerfGE 108, 282
[302]). Dies ist letztlich auch von den Verfassungsgerichten zu akzeptieren.
Insbesondere darf der Gesetzgeber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch
bereits auf abstrakte Gefahren für die im Schulbereich zu schützenden
Grundrechte und Verfassungsgüter durch gesetzliche Verbote reagieren. Er muss
insoweit also grundsätzlich nicht erst konkrete Gefahren für Schutzgüter und
individuelle Rechte abwarten, sondern darf bereits bloße Möglichkeiten einer
Gefährdung oder eines Konflikts als Anlass für sein Handeln nehmen (vgl. BVerfGE
108, 282 [303]).
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Das Bundesverfassungsgericht überlässt es dem für das Schulwesen jeweils
zuständigen Landesgesetzgeber, auf die oben beschriebenen abstrakten Gefahren
- in der Schule - zu reagieren oder nicht. Ihm stehe es frei, die bislang fehlende
gesetzliche Grundlage zu schaffen, etwa indem er im Rahmen der
verfassungsrechtlichen Vorgaben das zulässige Maß religiöser Bezüge in der
Schule neu bestimme. Werde er insoweit tätig, habe er dabei der Glaubensfreiheit
der Lehrer wie auch der betroffenen Schüler, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie
der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität in angemessener
Weise Rechnung zu tragen (BVerfGE 108, 282 [302 f., 309]).
Der Gesetzgeber des Landes Hessen hat sich im Rahmen seiner
Einschätzungsprärogative und seines Gestaltungsermessens dafür entschieden,
den oben im Einzelnen beschriebenen Grundrechten Dritter und sonstigen
Verfassungsgütern Vorrang vor der (positiven) Glaubensfreiheit der jeweiligen
Lehrkraft zu geben.
Die Entscheidung des Gesetzgebers, die nach außen sichtbare und durch
entsprechende Kleidung, Symbole oder Merkmale gelebte individuelle
Glaubensfreiheit einzelner Lehrkräfte durch das Verbot, bestimmte
Erkennungsmerkmale zu verwenden, hinter die negative Glaubensfreiheit der
Schüler und die oben genannten Verfassungsgüter teilweise zurücktreten zu
lassen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch BVerwGE 121, 141
[148 ff.]; BayVerfGH, BayVBl. 2007, S. 235 [237 ff.]; OVG Bremen, NVwZ-RR 2006,
S. 402 [405]).
§ 86 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HSchG ist zweifellos geeignet, den vorbezeichneten
Gefahren zu begegnen.
Die Vorschrift erweist sich auch als erforderlich, denn im Vergleich mit einem
generellen Verbot sind eindeutig mildere, eindeutig gleich geeignete Mittel nicht
ersichtlich. Dass die Norm nicht nach verschiedenen Altersstufen der Schülerinnen
und Schüler oder verschiedenen Schulformen (Grundschule, Gymnasium usw.)
differenziert, steht ihrer Erforderlichkeit nicht entgegen. Der Gesetzgeber ist
berechtigt, in der Weise zu generalisieren, typisieren und pauschalieren, dass an
Regelfälle des Sachbereichs angeknüpft wird und dabei etwaige Besonderheiten
von Einzelfällen außer Betracht bleiben (BayVerfGH, BayVBl. 2007, S. 235 [238]).
Davon abgesehen wäre eine entsprechende gesetzliche Differenzierung praktisch
kaum umsetzbar. Dies würde eine Reihe von Einzelfragen aufwerfen, die der
Gesetzgeber im Voraus weder erkennen noch abschließend regeln könnte.
Schließlich war der Gesetzgeber verfassungsrechtlich auch nicht verpflichtet, eine
Widerspruchslösung zu schaffen. Dies wäre eine Regelung, die ein Verbot des
Tragens bestimmter Merkmale durch Lehrkräfte erst dann ermöglichen würde,
wenn betroffene Eltern oder Schüler widersprechen würden. Die vorbezeichneten
Grundrechte und Verfassungsgüter, insbesondere das gesetzgeberische Ziel, die
staatliche Neutralität zu schützen, rechtfertigen es, das Tragen bestimmter
Merkmale unabhängig davon zu untersagen, ob einzelne Schüler oder Eltern eine
Verletzung ihrer subjektiven Rechte geltend machen. Der Gesetzgeber darf
insoweit auch grundrechtseinschränkende Regelungen zur Wahrung der objektiven
Werteordnung der Verfassung treffen. Zu berücksichtigen ist, dass § 86 Abs. 3
Satz 2 HSchG den gesetzesvollziehenden Behörden möglicherweise einen
Vollzugsspielraum belässt. So erscheint beispielsweise die Auslegung vertretbar,
dass das Tragen oder Verwenden bestimmter Kleidungsstücke, Symbole oder
anderer Merkmale nur in Fällen des Außenkontakts mit Schülern, also
insbesondere im Unterricht, nicht aber zum Beispiel im Lehrerzimmer etwa
während der Lehrerkonferenzen, untersagt wird. All dies zu prüfen, ist zunächst
Aufgabe der gesetzesanwendenden Behörden und der gegen den Gesetzesvollzug
angerufenen Fachgerichte.
§ 86 Abs. 3 HSchG erweist sich auch als verhältnismäßig im engeren Sinne. Denn
der einzelnen Lehrkraft ist es nicht verwehrt, ihren Glauben oder ihre
weltanschauliche Überzeugung zu haben. Sie wird zum Schutze der Grundrechte
Dritter und überragender Gemeinschaftsgüter aber gehindert, ihre Überzeugung in
der Schule uneingeschränkt nach außen zu dokumentieren. Diese
Grundrechtsbeeinträchtigung ist gerade für den hochsensiblen Bereich der Schule
hinnehmbar und angemessen.
c) § 86 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HSchG verstößt nicht gegen das durch Art. 134 HV
gewährte Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern.
aa) In den Schutzbereich der Verfassungsnorm wird durch die angefochtene Norm
eingegriffen, denn das durch entsprechende Bekleidung, äußerlich sichtbare
Symbole und sonstige Merkmale offenbarte Bekenntnis zu einer Religion oder
Weltanschauung könnte einen objektiven Eignungsmangel im Sinne des Art. 134
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Weltanschauung könnte einen objektiven Eignungsmangel im Sinne des Art. 134
HV darstellen.
bb) Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung gilt das bereits zu Art. 9, Art. 48
HV Ausgeführte. Wenn es verfassungsgemäß ist, dass Lehrer aufgrund
gesetzlicher Vorschriften bestimmte Bekleidungsstücke, Symbole usw. nicht
tragen oder verwenden dürfen, kann in der Weigerung, diesem Gebot Folge zu
leisten, in verfassungsrechtlich zulässiger Weise ein objektiver Eignungsmangel
gesehen werden.
Im Übrigen überlässt das Gesetz die Entscheidung, ob ein Eignungsmangel
vorliegt und welche Konsequenzen er hätte, den zuständigen Behörden und
Fachgerichten, die jeweils die besonderen Umstände des Einzelfalles zu
berücksichtigen haben. § 86 Abs. 3 HSchG regelt gerade nicht die Konsequenzen
eines Verstoßes gegen Satz 2 und auch nicht die Konsequenzen eines
befürchteten Verstoßes von Bewerbern für den öffentlichen Dienst.
d) § 86 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HSchG verstößt nicht gegen das Verbot der
Diskriminierung von Frauen (Art. 1 HV).
Eine unmittelbare Diskriminierung scheidet aus, weil die angefochtene Norm nicht
zwischen den unterschiedlichen Geschlechtern unterscheidet.
Ob Art. 1 HV auch ein Verbot mittelbarer Diskriminierung enthält, bedarf hier
keiner Entscheidung durch den Staatsgerichtshof. Denn die angefochtenen
Vorschriften führen nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen.
Es gibt religiöse oder weltanschauliche Kleidungsstücke, Symbole usw., die
jedenfalls auch - oder nur - von Männern getragen werden (z.B. die Tracht der
Taliban, rote Bhagwan-Kleidung, religiöser Schmuck, Barttracht orthodoxer Juden
usw.; vgl. Hufen, a.a.O., S. 577). Die angefochtene Norm ist nicht auf den
Anwendungsbereich spezifisch weiblicher Kleidungsstücke, Symbole oder sonstiger
Merkmale beschränkt (vgl. Hufen, a.a.O., S. 577).
Davon abgesehen kann es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sein, Bestimmungen
zu treffen, die darauf abzielen, Gefahren abzuwehren, die durch ein spezifisch
weibliches (umgekehrt auch männliches) Verhalten begründet werden. Dies ist
beim Tragen spezifisch weiblicher Kleidungsstücke (z.B. dem Kopftuch) ebenso der
Fall wie beim Verwenden von politischen Erkennungsmerkmalen mit spezifisch
weiblichen Aussagen (z.B. eine Plakette mit der Aufschrift „Mein Bauch gehört
mir“).
e) § 86 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HSchG verletzt nicht die Meinungsfreiheit des Art. 11
Abs. 1 HV.
aa) Die angefochtene gesetzliche Regelung greift in den Schutzbereich des Art. 11
Abs. 1 HV ein, der nicht nur politische, sondern auch religiöse oder
weltanschauliche Meinungen und deren Kundgabe schützt.
bb) Eingeschränkt wird Art. 11 HV durch Art. 17 HV (Gefährdung des
verfassungsmäßigen Zustands, das heißt die freiheitliche demokratische
Grundordnung; vgl. Hinkel, Verfassung des Landes Hessen, 1999, Erl. 3 zu Art. 17)
und Art. 18 HV (Jugendschutz). Im Unterschied zur Glaubensfreiheit wird die
Meinungsfreiheit auch schon durch den Verfassungstext selbst nicht vorbehaltlos
gewährleistet.
Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung gilt das zur Glaubensfreiheit Ausgeführte
entsprechend (oben B II. 2. b) bb) u. cc)).
f) Eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs 1 HV und des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 HV
scheidet schon deshalb aus, weil diese Grundrechte gegenüber dem Schutz der
Glaubensfreiheit und der Meinungsfreiheit subsidiär sind (vgl. Jarass, in:
Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 4 Rdnr. 6a).
Im Übrigen und bezüglich politischer Erkennungsmerkmale ist zu bedenken, dass
die allgemeine Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht den
Schranken der Rechte anderer und der verfassungsmäßigen Ordnung unterliegen.
Im Ergebnis gilt zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs das oben
(B II. 2. b)) zur Glaubensfreiheit Ausgeführte entsprechend.
3. § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot, den
Gleichheitssatz des Art. 1 HV und den verfassungsrechtlichen Grundsatz der
religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates (vgl. oben B II. 2. b)).
Die Vorschrift kann dahingehend verfassungskonform ausgelegt werden, dass sie
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Die Vorschrift kann dahingehend verfassungskonform ausgelegt werden, dass sie
hinreichend bestimmt ist und den christlichen Glauben wie die Christen nicht
privilegiert (vgl. BVerwGE 121, 240 [151]). Dies zeigt sich schon darin, dass auch
christliche Kleidungsstücke, Symbole usw. grundsätzlich in den
Anwendungsbereich des § 86 Abs. 3 Satz 2 HSchG fallen und verboten sein
können (Stichworte: christlicher Fundamentalismus, große auffällige Kreuze, die als
Schmuck getragen werden usw.). Ob und inwieweit unauffällige Merkmale, wie zum
Beispiel als Schmuckstück getragene Kreuze, Halbmonde und Ähnliches,
zugelassen sind, bleibt der Entscheidung der Behörden und Fachgerichte
vorbehalten.
Der hier verwendete Begriff des „Christlichen“ ist im Sinne des Beschlusses des
Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 1975 (BVerfGE 41, 29 [52]; vgl.
auch BVerfGE 41, 65 [84 f.]) auszulegen: Er bezeichnet - ungeachtet seiner
Herkunft aus dem religiösen Bereich - eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus
der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die
erkennbar auch dem Grundgesetz zu Grunde liegt und unabhängig von ihrer
religiösen Fundierung Geltung beansprucht (vgl. BVerwGE 121, 140 [151]).
Die christlich und humanistisch geprägte abendländische Tradition des Landes
Hessen spiegelt sich in der gesamten Werteordnung der Hessischen Verfassung
wider: Garantie der Menschenwürde und der Grundrechte, speziell der
Glaubensfreiheit einschließlich der negativen Glaubensfreiheit; Toleranz gegenüber
Andersdenkenden und gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen;
Gleichberechtigung von Männern und Frauen; Selbstbestimmungsrecht der
Frauen; soziale und wirtschaftliche Rechte und Pflichten; Demokratie;
Parlamentarismus; republikanisches Prinzip; Rechtsstaatlichkeit; völkerrechtliche
Bindungen usw. Für den Bereich von Schule und Erziehung kommt dies besonders
anschaulich in Art. 56 HV zum Ausdruck, insbesondere in dessen Absatz 4, in dem
die Ziele der Erziehung junger Menschen genannt werden:
. Weiter umfasst der Begriff „christlich und
humanistisch geprägte abendländische Tradition“ humane Werte wie
Hilfsbereitschaft, Sorge für und allgemeine Rücksichtnahme auf den Nächsten
sowie Solidarität mit den Schwächeren (BVerwGE 121, 140 [151]).
Wenn § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG von der „christlich und humanistisch geprägten
abendländischen Tradition des Landes Hessen“ spricht und verlangt, dieser
angemessen Rechnung zu tragen, wird damit also auf die Werteordnung des
Grundgesetzes und der Hessischen Verfassung verwiesen. So verstanden stellt
sich diese Regelung als eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit dar (vgl.
BVerfGE 41, 69 [84]:
). Eine Auslegung hingegen, die aus § 86 Abs. 3
Satz 3 HSchG eine gezielte Privilegierung des christlichen Glaubens gegenüber
anderen Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen ableiten wollte, wäre mit der
aus der Hessischen Verfassung folgenden staatlichen Neutralitätspflicht nicht zu
vereinbaren.
Dies bedeutet: Kleidung, Symbole und ähnliche Merkmale, die lediglich die
genannten Werte und Wertvorstellungen zum Ausdruck bringen oder die mit ihnen
jedenfalls im Einklang stehen, sind objektiv nicht geeignet, das Vertrauen in die
Neutralität der Amtsführung der Lehrkräfte zu beeinträchtigen oder den
politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in der Schule zu gefährden.
Andere Symbole usw. fallen hingegen unter § 86 Abs. 3 Satz 2 HSchG.
Die Hessische Verfassung verbietet keine Unterscheidung zwischen religiösen
Kleidungsstücken, Symbolen und anderen Merkmalen, die objektiv geeignet sind,
das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung zu beeinträchtigen oder den
Schulfrieden zu stören, und religiösen Kleidungsstücken, Symbolen und anderen
Kennzeichen, bei denen dies nicht der Fall ist. Unzulässig ist lediglich eine
generelle Diskriminierung bestimmter Religionen oder Weltanschauungen. Dies
wäre zum Beispiel der Fall, wenn der Gesetzgeber die Verwendung von Merkmalen
gerade deshalb verbieten würde, weil sie Ausdruck eines bestimmten religiösen
oder weltanschaulichen Glaubens sind. Dies ist hier indes nicht der Fall.
4. Für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst kann die Behörde nach § 86 Abs. 3 Satz 4
HSchG Ausnahmen vom Verbot des Satzes 2 zulassen, bestimmte
weltanschauliche oder religiöse Merkmale zu verwenden, wenn zwingende
öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Für Lehrkräfte im
Vorbereitungsdienst enthält § 86 Abs. 3 Satz 4 HSchG damit eine Privilegierung.
Dies geschieht im Hinblick auf das für Lehrkräfte bestehende Ausbildungsmonopol
des Staates und den aus Art. 2 Abs. 1 HV in Verbindung mit Art. 12 GG
resultierenden verfassungsrechtlichen Auftrag, die Freiheit der Berufswahl zu
ermöglichen. Die Berufsfreiheit wird in der Hessischen Verfassung zwar nicht
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ermöglichen. Die Berufsfreiheit wird in der Hessischen Verfassung zwar nicht
ausdrücklich erwähnt, folgt aber - in Ansehung des Art. 12 GG - aus der
allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 HV (vgl. Hinkel, a.a.O., Erl. 1 zu
Art. 2).
Die damit einhergehende Ungleichbehandlung gegenüber Lehrkräften, die nicht
(mehr) im Vorbereitungsdienst stehen, ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der
Staat hat im Bereich der Lehrerausbildung ein Monopol. Die staatliche
Referendarausbildung ist faktische Voraussetzung für eine spätere Tätigkeit als
Lehrer sowohl an staatlichen als auch an privaten Schulen (zur Frage des durch
Art. 12 GG gewährleisteten Zugangs zur staatlichen Monopolausbildung vgl.
grundlegend BVerfGE 39, 334 [371 ff.]). Wird die Einstellung in den
Referendardienst mit der Begründung abgelehnt, es sei zu erwarten, dass der
Bewerber oder die Bewerberin im Referendardienst auf die Verwendung eines
bestimmten religiösen Merkmals nicht verzichten werde, macht dies eine
berufliche Tätigkeit als Lehrkraft nahezu unmöglich. Anders verhält es sich bei den
bereits fest eingestellten Lehrkräften. Wird eine Lehrkraft deshalb aus dem
öffentlichen Dienst entlassen, weil sie sich beharrlich weigert, auf die Verwendung
eines bestimmten Merkmals im Dienst zu verzichten, hat sie die Möglichkeit, den
Lehrerberuf an einer nichtstaatlichen Schule auszuüben. Dieser Unterschied in der
tatsächlichen und rechtlichen Betroffenheit von Lehramtsbewerbern und sonstigen
Lehrkräften ist ein sachlicher Grund für die somit verfassungsrechtlich
gerechtfertigte Ungleichbehandlung.
5. § 68 Abs. 2 HBG ist ebenfalls mit der Hessischen Verfassung vereinbar.
a) § 68 Abs. 2 HBG entspricht § 86 Abs. 3 HSchG, gilt jedoch für alle Beamten, ist
also nicht auf den Bereich der Schule beschränkt. Dies bedeutet, dass die sich aus
der Eigenart der Schule ergebenden Besonderheiten, die sich aus dem elterlichen
Erziehungsrecht, dem staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag und dem
Erfordernis eines geordneten Schulbetriebes herleiten, hier nicht gelten. Im
Übrigen kann aber - unter Berücksichtigung der nachfolgenden Besonderheiten -
auf die Ausführungen zu § 86 Abs. 3 HSchG verwiesen werden (s. oben B II. 2.).
b) § 68 Abs. 2 Sätze 1 und 2 HBG greift in die Glaubensfreiheit des Art. 9 HV in
Verbindung mit Art. 48 HV ein.
c) Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
aa) Abzuwägen ist die Glaubensfreiheit der von der Norm nachteilig betroffenen
Beamtinnen und Beamten mit der negativen Glaubensfreiheit derjenigen
Personen, die Kontakt mit der dienstlichen Tätigkeit der Beamten haben - dies
betrifft nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die
Beamtenkolleginnen und -kollegen -, ferner mit der Neutralitätspflicht der
Beamtinnen und Beamten (vgl. dazu oben B II. 2. b) bb) (1) und (2)). Darüber
hinaus sind die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums als
kollidierendes Verfassungsgut zu berücksichtigen (vgl. Hufen, a.a.O., S. 576).
Art. 33 Abs. 5 GG bestimmt, dass das Recht des öffentlichen Dienstes unter
Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu
regeln und fortzuentwickeln ist. Daraus folgen unter anderem bestimmte Pflichten
für die Beamten, die weitgehend im Hessischen Beamtengesetz ihren
Niederschlag gefunden haben, zum Teil aber auch darüber hinausgehen. Zu den
hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört insbesondere die
Pflicht zur unparteiischen Amtsführung, zur politischen Mäßigung und zur
Neutralität (Mayer, in: Festschrift für A. Gehlen, 1974, S. 227 [230 ff.]; Stern,
Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 354 f.). Die hergebrachten Grundsätze des
Berufsbeamtentums haben im Hessischen Beamtengesetz beispielhaft wie folgt
ihren Ausdruck gefunden: in der Pflicht, dem ganzen Volk zu dienen (§ 67 Abs. 1
Satz 1 HBG), zur unparteiischen Amtsführung (§ 67 Abs. 1 Satz 2 HBG), zur
parteipolitischen Neutralität (§ 68 Abs. 1 HBG) und zum Gehorsam (§ 70 Satz 2
HBG). Die politische Treuepflicht gebietet, dass sich der Beamte jederzeit zur
freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt. Auch hat er sich politisch zu
mäßigen. Das politische Mäßigungsgebot kann auch die Kleidung betreffen (vgl. zu
alledem Pieroth, in: Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 33 Rdnr. 51 f. m.w.N.; Stern,
Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 354 f.).
Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums werden allerdings von der
Hessischen Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt. Auch ist Art. 33 Abs. 5 GG als
Bundesrecht kein unmittelbarer Prüfungsmaßstab für den Hessischen
Staatsgerichtshof. Indes verpflichtet Art. 33 Abs. 5 GG den Gesetzgeber, somit
auch den hessischen, zur Schaffung beamtenrechtlicher Vorschriften, die den
hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums Rechnung tragen. Er
berechtigt ihn auch zum Erlass beamtenrechtlicher Regelungen, die in
Grundrechte der Beamten eingreifen, wenn diese Regelungen Ausformungen und
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Grundrechte der Beamten eingreifen, wenn diese Regelungen Ausformungen und
Konkretisierungen der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sind
(Pieroth, in: Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 33 Rdnr. 43).
Soweit Art. 135 HV und Art. 29 Abs. 1 HV darüber hinaus eine arbeits- und
dienstrechtliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten einerseits sowie
Beamten andererseits fordern sollten, sind diese Bestimmungen mit Art. 33 Abs. 5
GG unvereinbar und nichtig (vgl. BGHZ 9, 322 [328]; StGH, StAnz. 1972, S. 1817
[1822 f.]); zustimmend Hinkel, a.a.O., Erl. zu Art. 29; vgl. demgegenüber Barwinski,
in: Zinn/Stein, a.a.O., Art. 29 Erl. 1 und Engelhardt, ebenda, Art. 135 Erl. 2, 4b)).
Dem hessischen Landesgesetzgeber ist es deshalb nicht verwehrt, das
Berufsbeamtentum unter Berücksichtigung des Art. 33 Abs. 5 GG fortzuentwickeln.
Dem trägt das hessische Beamtenrecht in vielfacher Weise Rechnung, etwa in §§
28, 29, 39 ff., 46 ff., 67 Abs. 1, 70 Satz 2 HBG (vgl. auch oben). Gleiches gilt für
das Neutralitätsgebot der angefochtenen Vorschrift des § 68 Abs. 2 Sätze 1 und 2
HBG. Denn ein einseitiges politisches, weltanschauliches oder religiöses Verhalten
der Beamten ist zur nachhaltigen Störung des Dienstbetriebes geeignet.
§ 68 Abs. 2 Satz 1 HBG ist zugleich Ausdruck der Neutralitätspflicht, die dem Staat
gegenüber seinen Bürgern obliegt, die mit ihm in Kontakt treten; die Ausführungen
zu § 86 Abs. 3 HSchG gelten insoweit auch hier (s. oben B II. 2.). Zur politischen,
weltanschaulichen und religiösen Neutralität ist der Staat aber auch gegenüber
seinen eigenen Beamten und sonstigen Arbeitnehmern verpflichtet. Auch sie
können vom Staat verlangen, nicht politisch, weltanschaulich oder religiös
indoktriniert zu werden. Der Staat darf ein solches Verhalten jedenfalls nicht
dulden.
§ 68 Abs. 2 Satz 2 HBG konkretisiert das allgemeine Neutralitätsgebot des § 68
Abs. 2 Satz 1 HBG. Das Tragen oder Verwenden von Kleidungsstücken, Symbolen
oder anderen Merkmalen, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen der Bürger in
die Neutralität der Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen
oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden, stört den Dienstbetrieb und kollidiert
mit den Grundrechten derjenigen Personen, die mit diesen Kleidungsstücken,
Symbolen oder Merkmalen konfrontiert werden.
bb) § 68 Abs. 2 Sätze 1 und 2 HBG ist verhältnismäßig. Ein übermäßiger Eingriff in
Grundrechte der Beamten, die sich im Dienst politisch, weltanschaulich oder
religiös betätigen wollen, ist mit diesen Vorschriften nicht verbunden.
Der Staat wird durch seine Beamten repräsentiert. Der Gesetzgeber darf im
Rahmen seiner Einschätzungsprärogative und seines Gestaltungsspielraums den
Beamten Vorschriften über ihr äußeres Erscheinungsbild vorgeben. Zu diesem
Zweck darf er ihnen auch das Tragen politischer, religiöser oder weltanschaulicher
Merkmale verbieten, um die vorgenannten Verfassungsgüter zu schützen wie auch
den innerbetrieblichen Frieden und das Funktionieren der staatlichen Verwaltung
insgesamt zu gewährleisten. Nicht zuletzt im Rahmen der hergebrachten
Grundsätze des Berufsbeamtentums haben die Beamten die damit verbundene
Einschränkung ihrer Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Glaubensfreiheit
hinzunehmen (vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 23.01.1998 - 3 B 95.3457 -,
juris). Eine Regelung über das Verbot des Verwendens bestimmter religiöser oder
weltanschaulicher Merkmale im Dienst kann dem Gesetzgeber somit nicht
verwehrt werden. Der Gesetzgeber ist dabei nicht verpflichtet, andererseits wäre er
auch nicht gehindert, nach den verschiedenen Beamtengruppen oder den
einzelnen Tätigkeiten der Beamten zu differenzieren. Unabhängig davon lässt § 68
Abs. 2 Satz 2 HBG möglicherweise eine Differenzierung im Vollzug der Norm zu.
So könnte die Auslegung möglich sein, dass die Beurteilung der „objektiven
Eignung“ maßgeblich von der jeweiligen dienstlichen Stellung, Funktion und
Tätigkeit des Beamten abhängt (eine solche Differenzierung deutet auch die
Gesetzesbegründung an, LT-Drs. 16/1897 neu, S. 4). Bei der Beantwortung dieser
Frage geht es jedoch um die Anwendung der Vorschriften im konkreten Einzelfall,
über den der Staatsgerichtshof im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle
nicht entscheidet (ebenso BayVerfGH, BayVBl. 2007, S. 235 [236]). Diese obliegt
zuvörderst den zuständigen Behörden und Fachgerichten. Sie haben im Rahmen
der von ihnen durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung die Grundrechte der
Beamten ebenso in ihre Betrachtungen einzubeziehen wie die vorgenannten
kollidierenden Grundrechte und Verfassungsgüter.
d) § 68 Abs. 2 HBG verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art.
1 HV.
aa) Ein Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung der Geschlechter scheidet
aus den dargelegten Gründen aus (s. oben B II. 2. d)).
bb) Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen auch nicht verpflichtet, für
Angestellte im öffentlichen Dienst eine vergleichbare Regelung zu schaffen. Es
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Angestellte im öffentlichen Dienst eine vergleichbare Regelung zu schaffen. Es
liegen sachliche Gründe vor, die eine ungleiche Behandlung von Beamten und
sonstigen öffentlichen Bediensteten rechtfertigen.
Möglicherweise hätte der Gesetzgeber für den gesamten öffentlichen Dienst, das
heißt sowohl für die Beamten als auch für die Angestellten und Arbeiter, eine mit §
68 Abs. 2 HBG vergleichbare Regelung treffen können (ablehnend Adam, Das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts im „Kopftuch-Streit“ und seine Bedeutung
für das Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, ZTR 2004, S. 450 [453 f.], der den
Standpunkt vertritt, eine solche Regelung, die auch die Angestellten des
öffentlichen Dienstes erfassen würde, verstieße gegen die Tarifautonomie des Art.
9 Abs. 3 GG). Würde der Gesetzgeber eine auch Angestellte und Arbeiter
umfassende Neutralitätsregelung schaffen, hätte er Art. 9 Abs. 3 GG zu beachten,
der als Ausprägung der Koalitionsfreiheit auch die Tarifautonomie grundrechtlich
garantiert (vgl. Höfling, in: Sachs, GG, 4. Auflage 2007, Art. 9 Rdnr. 83; zu den
Voraussetzungen und Grenzen gesetzlicher Regelungen im Anwendungsbereich
der Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG vgl. BVerfGE 94, 268 [282 ff.]; 100, 271
[282 ff.]; 103, 293 [304 ff.]). Danach obliegt es auf kollektiv-rechtlicher Ebene
primär den Tarifvertragsparteien, die Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern festzulegen. Der Bundesangestelltentarifvertrag - BAT -, der in
Hessen mangels anderweitiger Regelung noch zur Anwendung kommt und für alle
tarifgebundenen Arbeitnehmer gilt, sieht zum Beispiel in § 8 allgemeine Pflichten
vor. Aus § 8 Abs. 1 BAT folgt die Pflicht des Arbeitnehmers, sich so zu verhalten,
dass er nach der herkömmlichen Auffassung über Anstand, gute Sitte und
Rechtschaffenheit zu Beanstandungen keinen Anlass gibt und somit das Ansehen
seines Arbeitgebers sowie das Vertrauen der Staatsbürger und Staatsbürgerinnen
zu diesem Arbeitgeber und dessen Bediensteten keinen Schaden erleidet (vgl.
BAG, AP Nr. 1 zu § 54 BAT; LAG Berlin, ZTR 1990, 29;
Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau, BAT, Losebl., 192. Lfg. 2007, § 8 BAT
Anm. 2.3.1). Für Angestellte des öffentlichen Dienstes besteht grundsätzlich
ebenso wie für Beamte das Gebot, bei politischer Betätigung Mäßigung und
Zurückhaltung zu wahren, denn sämtliche Angehörigen des öffentlichen Dienstes
dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei oder sonstigen politischen Gruppierung
(vgl. Uttlinger u.a., a.a.O., § 8 BAT Anm. 2.3.3). Dies verdeutlicht, dass auch
Grundpflichten, die für Beamte aufgrund gesetzlicher Anordnung gelten, für
Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes tarifvertraglich geregelt werden können
und zum Teil auch geregelt sind. Dass der Gesetzgeber von einer etwa
bestehenden Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, für sämtliche
Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes eine § 68 Abs. 2 HBG entsprechende
Regelung zu schaffen, ist bereits aufgrund der von ihm zu beachtenden
Tarifautonomie sachlich gerechtfertigt.
Im Übrigen zwingt der Verzicht auf eine gesetzliche Regelung der politischen,
religiösen und weltanschaulichen Neutralitätspflichten der Angestellten und
Arbeiter des öffentlichen Dienstes nicht zu der Annahme, dass für den Erlass von §
68 Abs. 2 HBG kein hinreichend gewichtiger rechtfertigender Grund besteht. Denn
das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist Privatrecht. Es
gelten vor allem die allgemeinen Regeln des Arbeitsrechts. Beamte und ihre
Koalitionen haben dagegen kein Recht zur tariflichen Gestaltung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen. Maßgebend ist insofern das Gesetz (Scholz, in:
Maunz/Dürig, GG, Losebl., 48. Lfg. 2006, Art. 9 Rdnr. 362). Den Angestellten und
Arbeitern des öffentlichen Dienstes stehen dagegen die besonderen Rechte der
Beamten nicht zu; die allgemeinen und besonderen Grundsätze des
Berufsbeamtentums gelangen nicht zur Anwendung. Ihre Arbeitsbedingungen
werden deshalb - wie bereits ausgeführt - in erster Linie tarifvertraglich
ausgehandelt und bestimmt (vgl. auch BVerfGE 88, 103 [114]). Grundlage einer
die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes treffenden politischen,
weltanschaulichen und religiösen Neutralitätspflicht ist - mangels einer
spezialgesetzlichen Regelung - das Tarifvertrags- und Arbeitsrecht in Verbindung
mit den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches. Ob der Arbeiter oder
Angestellte im öffentlichen Dienst ein bestimmtes Kleidungsstück, Symbol oder
sonstiges Merkmal im Einzelfall tragen darf, entscheidet sich nach Maßgabe dieses
Privatrechts des öffentlichen Dienstes. Bestimmte Verhaltenspflichten, die das
äußere Erscheinungsbild betreffen (z.B. das Verbot des Tragens von Schmuck
oder einer bestimmten Haar- oder Barttracht), können sich bereits aus den
allgemeinen Pflichten des § 8 Abs. 1 BAT ergeben (vgl. Uttlinger u.a., a.a.O. § 8
BAT Anm. 2.3.8). Darüber hinaus kann der öffentliche Arbeitgeber im Rahmen
seiner arbeitsrechtlichen Direktionsbefugnis, die jedem Arbeitsverhältnis
immanent ist (vgl. § 8 Abs. 2 BAT, wonach der Angestellte verpflichtet ist, den
dienstlichen Anordnungen nachzukommen), im Einzelfall entscheiden, ob ein
Bediensteter ein bestimmtes Erkennungsmerkmal tragen oder verwenden darf
(vgl. Uttlinger u.a., a.a.O., § 8 BAT Anm. 4.2). Der öffentliche Arbeitgeber
entscheidet auch über die Folgen einer Missachtung einer solchen Anweisung (vgl.
- für den privaten Arbeitgeber - BAG, NJW 2003, 1685).
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Anders als bei Beamten ist also die öffentliche Hand als Arbeitgeber nicht darauf
angewiesen, Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer durch Gesetz festlegen zu
müssen. Sie können auch tarifvertraglich vereinbart werden bzw. sind wegen Art. 9
Abs. 3 GG sogar primär tarifvertraglich zu vereinbaren. Das Erfordernis einer
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gilt insoweit nicht. Zwar ist der Gesetzgeber
verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der
Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen
(BVerfGE 49, 89 [126 f.]; 53, 30 [56]; 88, 103 [116]). Das staatliche Verbot,
bestimmte Kleidungsstücke, Symbole oder Kennzeichen zu tragen oder zu
verwenden, betrifft auch einen solchen grundrechtswesentlichen Bereich (BVerfGE
108, 282 [311 f.]). Das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung gilt jedoch nicht,
wenn der Staat im Bereich des Arbeitsrechts als Privatrechtssubjekt agiert. Hier
bedarf nur der Einsatz solcher Mittel einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage,
die ausschließlich dem Staat als Träger von Hoheitsgewalt zur Verfügung stehen
(BVerfGE 88, 103 [116]). Dies ist im Falle der Anordnung des Verbots, ein
bestimmtes Kleidungsstück, Kennzeichen oder Symbol zu tragen oder zu
verwenden, indes nicht der Fall.
Im Ergebnis gilt nichts anderes nach derjenigen Auffassung, die als Grundlage für
ein die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes treffendes Verbot des
Tragens oder Verwendens bestimmter Kleidungsstücke, Merkmale oder Symbole
eine entsprechende besondere tarifvertragliche Regelung verlangt, weil das
einschlägige Privatrecht keine ausreichende Grundlage biete (so etwa Adam,
a.a.O., S. 453, unter Verneinung der Befugnis des Gesetzgebers zu einer
entsprechenden Regelung). In diesem Fall bedarf eine entsprechende Ergänzung
des Tarifvertrages einer einvernehmlichen Regelung der Tarifvertragsparteien. Das
Land Hessen kann versuchen, eine solche Ergänzung des Tarifrechts
durchzusetzen.
In Anbetracht der umstrittenen Frage, ob eine gesetzliche Regelung für sämtliche
Angestellten und Arbeiter des hessischen Landesdienstes verfassungsrechtlich
zulässig ist, ob das gegenwärtige Privatrecht eine ausreichende Rechtsgrundlage
für ein Verbot des Tragens oder Verwendens bestimmter Kleidungsstücke,
Kennzeichen oder Symbole bietet und der Schwierigkeiten, unter denen eine
Ergänzung des einschlägigen Tarifrechts möglich ist, war der hessische
Gesetzgeber jedenfalls nicht verpflichtet, auf eine nur für die Beamten geltende
Sonderregelung zu verzichten.
cc) Schließlich bedeutet es auch keinen Verstoß gegen das
Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 HV, dass es der Gesetzgeber unterlassen hat,
für alle Bediensteten im staatlichen Vorbereitungsdienst eine Privilegierung -
entsprechend § 86 Abs. 3 Satz 4 HSchG - zu schaffen (dazu vgl. oben B II. 4.).
Ein (faktisches) staatliches Ausbildungsmonopol besteht nur im Bereich der
Studien- und Rechtsreferendarausbildung. Nur hier ist die Teilnahme an der
staatlichen Ausbildung faktisch eine unabdingbare Voraussetzung für eine spätere
statusangemessene berufliche Tätigkeit in der Privatwirtschaft als Lehrkraft oder
Jurist.
Für Rechtsreferendare enthält zwar weder das Hessische Beamtengesetz noch
das Gesetz über die juristische Ausbildung, kurz: Juristenausbildungsgesetz - JAG -,
eine mit § 86 Abs. 3 Satz 4 HSchG vergleichbare Regelung, die eine differenzierte
Anwendung von § 68 Abs. 2 HBG ermöglicht. Diese Möglichkeit folgt indes daraus,
dass nach § 27 Abs. 1 Satz 2 JAG die Vorschrift des § 68 Abs. 2 HBG nur
entsprechend anwendbar ist. Die entsprechende Anwendung gesetzlicher
Vorschriften lässt Raum für eine differenzierte Handhabung. Den Besonderheiten
desjenigen Rechtsgebietes, auf das die gesetzliche Vorschrift nur entsprechende
Anwendung findet, kann Rechnung getragen werden (Larenz, Methodenlehre der
Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 261). Dies bedeutet, dass bei der
entsprechenden Anwendung von § 68 Abs. 2 HBG auf die Rechtsreferendare nach
der jeweiligen dienstlichen Tätigkeit differenziert werden kann (so auch die
Dienstanweisung des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 28.06.2007), soweit
dies aufgrund der Sondersituation der Rechtsreferendare verfassungsrechtlich
zwingend geboten ist. Einer entsprechenden spezialgesetzlichen Regelung bedarf
es daher nicht.
e) Der durch § 68 Abs. 2 HBG verursachte Eingriff in das Grundrecht auf
Meinungsfreiheit des Art. 11 HV ist aus den dargelegten Gründen ebenfalls
gerechtfertigt.
III.
Der Hilfsantrag der Landesanwaltschaft erweist sich aus den dargelegten Gründen
jedenfalls als unbegründet.
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG.
G. Paul Teufel Detterbeck Falk
Paul Leo Giani Kilian-Bock Klein
Lange Nassauer Plottnitz Wolski
Abweichende Meinung
Abweichende Meinung der Mitglieder des Staatsgerichtshofs Dr. Klein,
Falk, Giani und von Plottnitz zu dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom
10. Dezember 2007
- P.St.
I.
Der von der Mehrheit des Staatsgerichtshofs in der Entscheidungsbegründung
vertretenen Auffassung, es bedürfe keiner Entscheidung, ob das Tragen eines
Kopftuchs islamischer Provenienz in den Schutzbereich des Grundrechts der
Glaubensfreiheit falle und vom Verbot des § 86 Abs. 3 HSchG umfasst sei, kann
nicht zugestimmt werden. Damit ignoriert die Mehrheit die vom
Landesgesetzgeber unmissverständlich zum Ausdruck gebrachte
Regelungsabsicht. Ausweislich der insoweit eindeutigen Gesetzesbegründung und
den ausschließlich um ein Kopftuchverbot kreisenden Erörterungen in der
mündlichen Anhörung des Innenausschusses und des kulturpolitischen
Ausschusses am 7. Juli 2004 (Drs. 16/1897 neu) ging es dem Gesetzgeber im
Anschluss an die Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
24.09.2003 darum eine Rechtsgrundlage zu schaffen, um das Tragen eines
Kopftuchs durch Lehrkräfte untersagen zu können. Mit der Weigerung der
Mehrheit, zu der von der Landesanwältin dem Staatsgerichtshof zur Beantwortung
gestellten verfassungsrechtlichen Frage, ob das vom Landesgesetzgeber
beabsichtigte Verbot des Tragens eines islamischen Kopftuchs mit dem
Grundrecht der Religionsfreiheit vereinbar ist, Stellung zu nehmen, die auch den
wesentlichen Kern der mündlichen Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof und
den der Erörterungen im Gesetzgebungsverfahren des Hessischen Landtags
gebildet hat, kommt der Staatsgerichtshof seiner Aufgabe als
Landesverfassungsgericht nicht nach.
Zwar ist - worauf sich die Mehrheit (Urteilsumdruck S. 22) beruft - die konkrete
Auslegung des einfachen Rechts grundsätzlich Aufgabe der Behörden und
Fachgerichte. Indes kann auch der Staatsgerichtshof im Normenkontrollverfahren
eine Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit sachgerecht nur prüfen, wenn er ihren
Bedeutungsgehalt und Anwendungsbereich geklärt hat. Ist aber nach der
Entstehungsgeschichte und der erklärten Absicht der Mehrheit des Landtags das
Kopftuchverbot wenn nicht der einzige, so jedenfalls der Hauptanwendungsfall der
Norm, darf sich der Staatsgerichtsgerichtshof seiner Aufgabe nicht dadurch
entziehen, dass er den Inhalt der ihm zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung
vorgelegten Norm ins Abstrakte und Allgemeine verflüchtigt und auf die konkreten
Einzelfallentscheidungen durch die Behörden und Fachgerichte verweist.
Konsequenz dieser Auffassung der Mehrheit ist es, dass es in Hessen an der vom
Bundesverfassungsgericht geforderten hinreichend bestimmten Entscheidung
durch den demokratisch legitimierten Landesgesetzgeber in Form eines
Parlamentsgesetzes fehlt, ob und unter welchen Voraussetzungen ein islamisches
Kopftuch objektiv geeignet ist, das Vertrauen in die Neutralität des Staates und
den Schulfrieden zu stören und ferner, ob das Tragen bestimmter religiöser
Kleidungsstücke nur in Fällen des Außenkontakts mit Schülern, nicht aber im
Lehrerzimmer vom Gesetzgeber untersagt ist. Denn die Auffassung der Mehrheit,
alle die aufgeworfenen Fragen seien von den gesetzesanwendenden Behörden im
Einzelfall zu entscheiden und ihnen seien dabei Interpretationsspielräume eröffnet,
ist unvereinbar mit der vom Bundesverfassungsgericht in der
Kopftuchentscheidung aus dem Rechtsstaatsgebot und dem Demokratieprinzip
abgeleiteten Verpflichtung, wesentliche Regelungen wie die der Dienstpflicht einer
Lehrerin, im Unterricht auf das Tragen eines Kopftuchs zu verzichten, durch den
parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffen und sie nicht der
Schulverwaltung zu überlassen (BVerfGE 108, 282, 310 ff.). Das
Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich hervorgehoben, es obliege
ausschließlich dem parlamentarischen Gesetzgeber, in diesem Bereich die
Grenzen der Religionsfreiheit zu bestimmen und zugleich sicherzustellen, dass
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Grenzen der Religionsfreiheit zu bestimmen und zugleich sicherzustellen, dass
Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften gleich behandelt werden.
Dies sei nicht im gleichen Maße gewährleistet, „wenn es den Behörden und den
Gerichten überlassen bleibt, über das Bestehen und die Reichweite einer solchen
Dienstpflicht von Fall zu Fall nach Maßgabe ihrer Prognosen über das Einfluss- und
Konfliktpotential von Erkennungsmerkmalen der Religionszugehörigkeit im
Erscheinungsbild der jeweiligen Lehrkraft zu entscheiden“ (a.a.O. S. 313). Wenn
man das Verständnis der Mehrheitsmeinung von der angegriffenen Norm
zugrunde legt, ist der Landesgesetzgeber diesen Anforderungen nicht
nachgekommen. Auf der Grundlage des von der Mehrheit festgelegten
Normgehalts des § 86 Abs. 3 HSchG wäre es daher den Schulbehörden nicht
erlaubt, zur Abwehr lediglich abstrakter Gefahren ein Verbot für Lehrkräfte zu
erlassen, in der Schule ein Kopftuch oder ein anderes religiöses oder politisches
Kennzeichen zu tragen. Sollten sie dies gleichwohl tun, müssen sie damit rechnen,
dass Klagen der betroffenen Lehrerinnen vor den Verwaltungsgerichten Erfolg
haben, jedenfalls aber das Bundesverfassungsgericht diese Praxis nach Maßgabe
seiner Kopftuchentscheidung für verfassungswidrig erklären könnte.
II.
Der von der Landesanwaltschaft ebenfalls zur Überprüfung gestellte § 68 Abs. 2
HBG ist aus mehreren Gründen verfassungswidrig.
1. Das dort normierte allgemeine Verbot des religiös motivierten Tragens von
Kopftüchern oder anderen religiösen oder politischen Kennzeichen richtet sich
unterschiedslos an alle hessischen Landesbeamten, ohne nach hoheitlichem und
sonstigem Tätigwerden oder den jeweils wahrzunehmenden Aufgaben und der Art
des Umgangs mit Bürgern zu unterscheiden. Die angegriffene Regelung setzt eine
konkrete Gefährdung von Grundrechten Dritter nicht voraus. Sie soll vielmehr der
Abwehr lediglich abstrakter Gefahren dienen. Dies setzt das Vorliegen von
Tatsachen voraus, die eine abstrakte Gefahrenprognose zu rechtfertigen
vermögen. Dabei ist von Bedeutung, dass in die gesetzliche Regelung Angestellte
selbst dann nicht einbezogen sind, wenn sie funktional gleiche Tätigkeiten wie
Beamte wahrnehmen.
Ein solches allgemein für alle Bereiche der Landesverwaltung Geltung
beanspruchendes, auf jegliche Differenzierung verzichtendes Verbot, das die
Ausübung der Religionsfreiheit durch Beamte einschränkt, gibt es nur in Hessen.
Alle anderen Länder mit Ausnahme von Berlin haben sich in Umsetzung der in der
Kopftuchentscheidung vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Möglichkeiten
auf eine entsprechende Regelung für den Schulbereich beschränkt. Diese
Beschränkung ist sachgerecht, weil hier grundrechtliche Kollisions- und
Gefährdungslagen in einzigartiger Weise auftreten können. Deshalb kann ein
Kopftuchverbot gerade unter Berücksichtigung der Schutzbedürfnisse
minderjähriger Kinder im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von der Lehrkraft sowie
deren Autorität und der auf längere Dauer angelegten intensiven emotionalen
Beziehung zwischen Lehrkraft und Schülern einerseits, des elterlichen
Erziehungsrechts und schließlich des staatlichen Erziehungsauftrags andererseits
verfassungsrechtlich hinnehmbar sein, wie das Bundesverfassungsgericht im
Einzelnen dargelegt hat.
2. Tragfähige Gründe, die ein Verbot des religiös motivierten Tragens von
Kopftüchern verfassungsrechtlich rechtfertigen können, sind für den Bereich der
allgemeinen Landesverwaltung weder im Gesetzgebungsverfahren noch in der
mündlichen Verhandlung von der Landesregierung vorgetragen worden und sie
sind im Übrigen auch nicht ersichtlich. Es ist offenkundig, dass die Argumente des
Bundesverfassungsgerichts in seinem Kopftuchurteil für die dem
Landesgesetzgeber zugestandene Möglichkeit, im Bereich schulischen Unterrichts
ein Kopftuchverbot zu erlassen und dadurch ausnahmsweise das auch Lehrkräften
zustehende Grundrecht der Religionsfreiheit zur Abwehr abstrakter Gefahren
einzuschränken, auf den hier interessierenden Bereich der Landesverwaltung im
Übrigen, also zum Beispiel auf beamtete Postbotinnen, Sachbearbeiterinnen im
Katasteramt oder Beamtinnen des mittleren Dienstes eines Gerichts, nicht einmal
ansatzweise übertragbar sind.
3. Die verfassungsrechtliche Prüfung des § 68 Abs. 2 HBG verlangt daher vertiefte
grundsätzliche Erwägungen insbesondere dazu, ob der Gesetzgeber in allen
Bereichen der Landesverwaltung von einer durch das Tragen eines islamischen
Kopftuchs begründeten abstrakten Gefahr ausgehen durfte, aber auch zur
Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Regelung und der Beachtung des
Gleichheitssatzes. Hätte sich die Mehrheit des Staatsgerichtshofs dieser
Überprüfung nicht durch eine Einschränkung des Gegenstands der
Normenkontrolle entzogen, hätte der Staatsgerichtshof die Verfassungswidrigkeit
der Norm feststellen müssen.
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a) Der Landesgesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht befugt, die
Religionsfreiheit der Beamten durch eine allgemein-abstrakte und undifferenziert
die gesamte Landesverwaltung betreffende Regelung einzuschränken, die ihre
Rechtfertigung nicht in einer konkreten Gefahr für gleichrangige
Verfassungsrechtsgüter findet, sondern lediglich der Abwehr unbestimmter
abstrakter Gefahren dienen soll.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Landesgesetzgebern in seiner
Kopftuchentscheidung ausschließlich für den schulischen Bereich wegen der dort
bestehenden spezifischen Verhältnisse zugestanden, eine lediglich abstrakte
Gefahren abwehrende Regelung für das Verbot des Tragens islamischer
Kopftücher und anderer Erkennungszeichen zu erlassen. Ausweislich der
Materialien und nach den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor dem
Staatsgerichtshof hat die Landesregierung den durch die Besonderheiten des
Schulbereiches, die in der allgemeinen Landesverwaltung keine Entsprechung
finden, begründeten Unterschiede der Sachbereiche offenbar keine Beachtung
geschenkt. Dies verwundert umso mehr, als die Fraktion der FDP im Hessischen
Landtag mit ihrem Änderungsantrag vom 14.09.2004 (LTDrs. 16/2657) erreichen
wollte, dass das Kopftuchverbot auf Lehrkräfte an Schulen beschränkt wird, da für
eine Erstreckung auf alle Beamtinnen und Beamte keine Notwendigkeit bestehe
und gegen solche Regelungen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken
bestünden; in gleicher Weise haben sich in der Anhörung vor dem Innen- und dem
kulturpolitischen Ausschuss des Hessischen Landtags am 7. Juli 2004 die
Sachverständigen übereinstimmend dahin geäußert, die Erstreckung der Regelung
auf das allgemeine Beamtenverhältnis sei verfassungswidrig, jedenfalls aber
höchst bedenklich (vgl. Stenographischer Bericht vom 7. Juli 2004).
Darüber hinaus kann der hessische Landesgesetzgeber selbst nicht davon
ausgegangen sein, dass kopftuchtragende Bedienstete eine abstrakte Gefahr für
Grundrechte Dritter und andere gleichrangige Verfassungsrechtsgüter darstellen.
Denn anders ist nicht zu erklären, dass er die Regelung auf Beamte beschränkt
hat, während Angestellte, die in gleicher Weise gegenüber dem Bürger den Staat
repräsentieren und in weiten Bereichen die gleichen Aufgaben wahrnehmen wie
Beamte, in den Anwendungsbereich der Norm nicht mit einbezogen wurden. Es ist
auch keineswegs so, dass der hessische Landesgesetzgeber an dieser
Einbeziehung der Angestellten gehindert wäre. Der Hinweis der Mehrheit des
Staatsgerichtshofs auf die Koalitionsfreiheit, die es dem Gesetzgeber verwehre,
Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern gesetzlich zu regeln, ist nicht
überzeugend. Der hessische Landesgesetzgeber hat seit jeher eine Vielzahl von
gesetzlichen Regelungen für seine Angestellten getroffen, ohne dass dies bislang
verfassungsrechtliche Bedenken begründet hätte. Im Übrigen hat er auch bei der
Parallelregelung des § 86 Abs. 3 HSchG ganz selbstverständlich das
Kopftuchverbot im schulischen Bereich nicht auf Beamte beschränkt, sondern auf
alle Lehrkräfte erstreckt und dies auch in der Gesetzesbegründung ausdrücklich
hervorgehoben. Im Übrigen: Wenn die Mehrheit - wenn auch zu Unrecht - insoweit
von einer Sperrwirkung durch die Koalitionsfreiheit zu Gunsten der
Tarifvertragsparteien ausgeht, ist nicht nachvollziehbar, warum sie -
begründungslos - keine Veranlassung gesehen hat, § 86 Abs. 3 HSchG teilweise
wegen Verstoßes gegen die Koalitionsfreiheit für verfassungswidrig zu erklären.
Begründen aber das islamische Kopftuch oder andere religiöse Symbole tragende
Bedienstete keine abstrakte Gefahr für Grundrechte Dritter oder andere
gleichrangige Verfassungsrechtsgüter, so fehlt es unter Beachtung der
Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts an einer notwendigen
Voraussetzung für die Einschränkung der den hessischen Landesbeamten
vorbehaltlos gewährleisteten Religionsfreiheit. § 68 Abs. 2 HBG ist daher bereits
aus diesem Grunde verfassungswidrig.
b) Selbst wenn man - entgegen der von uns vertretenen Auffassung - die Ansicht
der Mehrheit teilen würde, dass - wie auch immer ausgestaltete - hergebrachte
Grundsätze des Berufsbeamtentums in Hessen geeignet sein können, die
vorbehaltlos gewährleistete Religionsfreiheit hessischer Beamten einzuschränken,
ist der Eingriff jedenfalls unverhältnismäßig und auch deshalb verfassungswidrig.
Es fehlt bereits an der Erforderlichkeit einer Einschränkung der Religionsfreiheit.
Dies folgt aus der Beschränkung des Adressatenkreises der gesetzlichen Regelung
durch den Landesgesetzgeber. Es gibt in der hessischen Landesverwaltung neben
den Beamten eine große Zahl von Angestellten, die in weiten Bereichen die
gleichen Aufgaben wahrnehmen und als Repräsentanten des Landes dem Bürger
gegenübertreten. Wenn der Landesgesetzgeber zur Verhinderung abstrakter
Gefahren für die staatliche Neutralität oder anderer von ihm als bedroht
angesehener Verfassungsrechtsgüter ein Verbot des Tragens von Kopftüchern und
anderen religiösen oder politischen Erkennungszeichen erlässt, zugleich aber
davon absieht, Angestellte mit vergleichbaren Aufgaben in die gesetzliche
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davon absieht, Angestellte mit vergleichbaren Aufgaben in die gesetzliche
Regelung mit einzubeziehen, lässt er erkennen, dass eine derartige Regelung nach
seiner eigenen Einschätzung nicht erforderlich ist. Soweit er dies für erforderlich
gehalten hat, wie im Schulbereich, hat er in § 86 Abs. 3 HSchG bewusst Beamte
und Angestellte in den Regelungsbereich einbezogen.
c) Die Regelung in § 68 Abs. 2 HBG ist darüber hinaus aber auch deshalb nicht
verhältnismäßig, weil der Landesgesetzgeber nicht in gebotenem Maße nach den
verschiedenen Bereichen staatlichen Handelns differenziert und die jeweils von
ihm angenommene nicht näher begründete Gefährdungslage zum Maßstab seines
legislativen Handelns gemacht hat. Er hat nicht einmal zwischen hoheitlichem und
sonstigem Verwaltungshandeln unterschieden, sondern alle Bereiche staatlichen
Tätigwerdens durch Beamte undifferenziert erfasst. Dass es Unterschiede in der
grundrechtstypischen Gefährdungslage gibt zwischen dem Schulbereich mit dem
spezifischen Schüler-Lehrer-Verhältnis, dem intensiv hoheitlich geprägten
Bereichen von Polizei und Justiz auf der einen Seite und andererseits denen zum
Beispiel des Katasterwesens, der kommunalen Bauverwaltung oder der
Leistungsverwaltung, ist offenkundig und erfordert angesichts der Beschränkung
des Grundrechts der Religionsfreiheit verfassungsrechtlich zwingend
bereichspezifisch differenzierende und verhältnismäßige legislative Lösungen.
Insoweit sei auf die Regelungen im Land Berlin beispielhaft verwiesen, wo die
Problematik in vielfältiger Weise differenziert legislativ zur Wahrung des gebotenen
verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen dem Grundrecht der Religionsfreiheit und
den durch das Kopftuchtragen gefährdeten Rechtsgütern zu lösen versucht
worden ist (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 2005, 92).
d) § 68 Abs. 2 HBG ist unabhängig von den vorstehenden Erwägungen auch noch
aus einem weiteren Grund verfassungswidrig. Die Regelung, die Beamtinnen im
Landesdienst das Tragen eines religiös motivierten Kopftuchs oder anderer
religiöser oder politischer Erkennungsmerkmale untersagt, indes eine
vergleichbare Regelung auch für Angestellte im Landesdienst nicht trifft, selbst
wenn diese die gleiche Tätigkeit wahrnehmen und in gleicher Weise dem Bürger als
Teil der staatlichen Verwaltung gegenübertreten, verstößt gegen das
verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot des Art. 1 HV. Ein rechtfertigender Grund
für diese Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte lässt sich weder den
Gesetzesmaterialien entnehmen noch ist ein solcher Grund von der
Landesregierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden. Die von der
Mehrheit des Staatsgerichtshofs behaupteten sachlichen Gründe für die
Ungleichbehandlung von Beamten und sonstigen öffentlichen Bediensteten,
nämlich der Hinweis auf den angeblichen Vorrang der Tarifautonomie, sind aus den
oben dargestellten Gründen sachlich nicht tragfähig und auch in sich
widersprüchlich. Hinzu kommt, dass - von der Mehrheit des Staatsgerichtshofs
unbeanstandet - der Gesetzgeber im Schulbereich das Verbot auf alle Lehrkräfte,
also Beamte und Angestellte erstreckt hat. Die Gleichbehandlung gleicher
Sachverhalte im schulischen Bereich und die Ungleichbehandlung gleicher
Sachverhalte im sonstigen Bereich staatlicher Verwaltung lassen sich
verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen.
e) Eine verfassungskonforme Beschränkung des Anwendungsbereiches des § 68
Abs. 2 HBG auf bestimmte staatliche Kernbereiche hoheitlichen Handelns wie zum
Beispiel Justiz und Polizei - wie dies im Sondervotum zum Kopftuchurteil des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 108, 314 [338]) in Erwägung gezogen und
auch im Land Berlin legislativ umgesetzt worden ist - oder die Erstreckung auf
Angestellte - verbietet sich, da hierdurch der Staatsgerichtshof dem
Landesgesetzgeber zukommende Regelungskompetenzen übernehmen und
selber originär gesetzgeberisch gestaltend tätig werden würde.
Klein Falk Giani v. Plottnitz
Abweichende Meinung der Mitglieder des Staatsgerichtshofs
Giani und von Plottnitz zu dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 10.
Dezember 2007
- P.St.
I.
Die zur Überprüfung gestellte Regelung des § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG verstößt
gegen das Verfassungsgebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des
Staates und gegen die in Art. 1 HV und Art. 134 HV verbürgten
Gleichheitsgrundrechte. Im Gegensatz zur Mehrheit des Staatsgerichtshofes
halten wir § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG deshalb für nichtig.
1. Wegen des Verfassungsranges der staatlichen Neutralität in Fragen der Religion
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1. Wegen des Verfassungsranges der staatlichen Neutralität in Fragen der Religion
oder der Weltanschauung und der ebenfalls verfassungsrelevanten Sicherung des
Schulfriedens sind Einschränkungen der individuellen Glaubensfreiheit, wie sie mit
dem Verbot des Tragens islamisch geprägter Kopftücher oder anderer religiöser
Symbole oder Kleidungsmerkmalen im staatlichen Schulunterricht verbunden sind,
aus den in den Gründen der Entscheidung der Mehrheit des Staatsgerichtshofes
im Einzelnen dargelegten Gründen gerechtfertigt. Mit der Regelung des § 86 Abs. 3
Satz 3 HSchG verstößt der Gesetzgeber aber seinerseits gegen das
Verfassungsgebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates
und damit auch gegen die in Art. 1 HV und Art. 134 HV gewährleisteten
Gleichheitsgrundrechte. Denn § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG privilegiert religiöse
Symbole oder Kleidungsmerkmale abendländischer oder christlicher Herkunft
gegenüber religiösen Kleidungsmerkmalen oder Symbolen, die wie das islamisch
geprägte Kopftuch nicht abendländischer oder christlicher Herkunft sind. Dies
ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Regelung, sondern auch aus der klaren
und eindeutigen Begründung des Gesetzentwurfes der CDU-Fraktion im
Hessischen Landtag, den die Regelung wortgleich übernommen hat und in der es
heißt: “Alle jene Erkennungsmerkmale, die der christlich und humanistisch
geprägten abendländischen Tradition Hessens entsprechen, bleiben zulässig“.
Wegen des Verfassungsgebotes der religiösen und weltanschaulichen Neutralität
des Staates war der Gesetzgeber verpflichtet, im Rahmen des § 86 Abs. 3 HSchG
den Grundsatz “strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen“
zu beachten (BverfGE 108, 282 f., 298). Dieser Verpflichtung hat er nicht
entsprochen.
2. Angesichts der Eindeutigkeit und Unmissverständlichkeit seines Wortlautes
überschreitet die Auslegung des § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG, die in der
Mehrheitsentscheidung des Staatsgerichtshofes vorgenommen wurde, die
Grenzen, innerhalb derer die Auslegung einer Norm zulässig ist. Zweifelhaft
erscheint dabei bereits die Annahme, bei der Werteordnung der hessischen
Landesverfassung handele es sich letztlich um nicht mehr als die Übernahme
nicht nur abendländischer, sondern auch christlicher Traditionen und
Wertevorstellungen. Die Hessische Verfassung ist in wichtigen Punkten gerade in
bewusster Abkehr von Wertvorstellungen verfasst worden, die die Tradition in
Deutschland jahrhundertelang bestimmt haben; dies gilt auch für solche von der
Mehrheitsentscheidung genannten Grundwerte wie die Gleichberechtigung von
Männern und Frauen und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Wäre es dem
Gesetzgeber mit der Regelung des § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG lediglich um das
Gebot der Berücksichtigung der Werteordnung des Grundgesetzes und der
hessischen Verfassung gegangen, wäre es ihm im Übrigen ein Leichtes gewesen,
dies im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck zu bringen. Dies ist jedoch nicht
geschehen.
Die Privilegierung abendländisch und christlich tradierter Religionssymbole oder
Kleidungsmerkmale im Verhältnis zu islamisch geprägten Religionssymbolen oder
Kleidungsmerkmalen könnte verfassungsrechtlich allenfalls dann gerechtfertigt
sein, wenn es konkrete Anhaltspunkte oder Belege dafür gäbe, dass nicht nur die
Überzeugungen gewaltbereiter islamistischer Gruppierungen oder Vereinigungen,
sondern die Wertevorstellungen der Gesamtheit oder zumindest einer Mehrheit
der in der Bundesrepublik lebenden Musliminnen und Muslime auf die Beseitigung
der Werteordnung des Grundgesetzes und der hessischen Verfassung zielen. Von
dieser Annahme geht jedoch auch der Gesetzgeber des § 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG
erkennbar nicht aus.
II.
Aus den zu I. dargestellten Gründen verstößt auch § 68 Abs. 2 HBG gegen das
Verfassungsgebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates
und gegen die in Art. 1 HV und Art. 134 HV gewährleisteten
Gleichheitsgrundrechte.
Giani von Plottnitz
Abweichende Meinung des Mitglieds des Staatsgerichtshofs
Prof. Dr. Klaus Lange
zu dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 10. Dezember 2007
- P.St.
Der Staatsgerichtshof kann nach meiner Auffassung die Frage nicht offen lassen,
ob die zur Überprüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit vorgelegten Normen das
Tragen des islamischen Kopftuchs verbieten. Die Verfassungsmäßigkeit einer
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Tragen des islamischen Kopftuchs verbieten. Die Verfassungsmäßigkeit einer
Rechtsnorm lässt sich nur beurteilen, wenn zuvor deren Bedeutung ermittelt
worden ist. Das kann nur im Wege der Auslegung geschehen, die deshalb zu den
Aufgaben des Staatsgerichtshofs im Normenkontrollverfahren gehört. Wenn die
Auslegung aber ergibt, dass die dem Staatsgerichtshof vorgelegten Normen ein
Kopftuchverbot enthalten, dann kann dieser Inhalt bei der Entscheidung über die
Verfassungsmäßigkeit der Normen nicht ausgeblendet werden. Dass die dem
Staatsgerichtshof von der Landesanwältin zur Prüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit
vorgelegten Normen auf ein Kopftuchverbot gerichtet sind, wird von niemandem
bezweifelt. Mit ihnen sollte gerade die vom Bundesverfassungsgericht für
unerlässlich gehaltene gesetzliche Grundlage für ein Kopftuchverbot geschaffen
werden (vgl. Gesetzentwurf der Fraktion der CDU für ein Gesetz zur Sicherung der
staatlichen Neutralität, Hess. Landtag, Drucks. 16/1897 neu, S. 1). Ließe sich
ihnen ein Kopftuchverbot nicht eindeutig entnehmen, bliebe das Tragen eines
islamischen Kopftuchs nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24.
September 2003 (BVerfGE 108, 282 [306 ff.]) in Hessen zulässig. Das stünde im
Gegensatz zum Willen des Gesetzgebers.
Insofern, als § 86 Abs. 3 Satz 2 HSchG es Lehrkräften verbietet, in Schule und
Unterricht das Kopftuch islamischer Provenienz zu tragen, ist diese Norm meines
Erachtens mit der Hessischen Verfassung unvereinbar. Gespeist aus dem
Bewusstsein der besonderen Bedeutung, die der Erziehung für die Schaffung und
Erhaltung einer freiheitlich-demokratischen Ordnung zukommt, enthält die
Hessische Verfassung (HV) für das Schulwesen eine Reihe von Vorgaben, wie sie
sich in dieser Detailliertheit weder im Grundgesetz noch in den meisten anderen
Landesverfassungen finden. Zu ihnen gehört Art. 56 Abs. 3 und 4 HV, wo es heißt:
„(3) Grundsatz eines jeden Unterrichts muss die Duldsamkeit sein. Der Lehrer
hat in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller
Schüler Rücksicht zu nehmen und die religiösen und weltanschaulichen
Auffassungen sachlich darzulegen.
(4) Ziel der Erziehung ist, den jungen Menschen zur sittlichen Persönlichkeit zu
bilden, seine berufliche Tüchtigkeit und die politische Verantwortung vorzubereiten
zum selbstständigen und verantwortlichen Dienst am Volk und der Menschheit
durch Ehrfurcht und Nächstenliebe, Achtung und Duldsamkeit, Rechtlichkeit und
Wahrhaftigkeit.“
Gleich zweimal fordert die Hessische Verfassung in diesen von der Mehrheit neben
der Glaubensfreiheit und dem Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern
unzureichend beachteten Normen also Duldsamkeit, worunter zu Recht nichts
anderes verstanden wird als Toleranz (vgl. Zinn/Stein, Verfassung des Landes
Hessen, Stand 1999, Art.56 Erl. 9). Duldsamkeit muss nach Art. 56 Abs. 3 Satz 1
HV Grundsatz eines jeden Unterrichts sein. Nach Art. 56 Abs. 4 HV ist der junge
Mensch zu Achtung und Duldsamkeit zu erziehen. Es ist das Gegenteil der von der
Hessischen Verfassung in den Vordergrund der schulischen Erziehung gerückten
Duldsamkeit, wenn Frauen vom Zugang zum Beruf einer Lehrerin an einer Schule
allein deshalb ausgeschlossen werden, weil sie sich aus rein religiösen Gründen -
niemand hat in diesem Verfahren bestritten, dass es diese einzige Motivation gibt
- verpflichtet fühlen ein Kopftuch zu tragen. Geht man davon aus, dass die beste
Erziehung das Vorbild ist, so ist dieser Umgang mit Angehörigen einer
nichtchristlichen Religion unvereinbar mit der gerade von der Verfassung
verlangten Erziehung.
Selbstverständlich ist eine Lehrerin, die den Unterricht zu religiöser Indoktrination
missbraucht, arbeits- oder disziplinarrechtlich bis zur Entlassung aus dem
Schuldienst zu belangen. Allein das religiös motivierte Tragen eines Kopftuchs
reicht für die Annahme einer solchen Indoktrination aber nicht aus.
Eine zur Rechtfertigung des § 86 Abs. 3 Satz 2 HSchG geeignete
verfassungsrechtlich relevante Gefahrenlage, die aus dem Tragen eines Kopftuchs
erwächst, ist im vorliegenden Normenkontrollverfahren auch ansonsten nicht
erkennbar geworden. Das gilt selbst für eine nur abstrakte Gefahr - einen aus dem
Polizeirecht entlehnten Rechtsbegriff, der doch wenigstens eine Situation
voraussetzt, aus der bei generell-abstrakter Betrachtung mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt (BVerwG, DÖV
1970, 713 [715]; DVBl. 2002, 1562 [1564]).
Selbst eine solche allgemeine Gefährdung der religiösen Neutralität des Staates
durch Lehrerinnen, die ein islamisches Kopftuch tragen, ist nicht belegbar. Das
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2002 (BVerwGE 116, 359 [362
f.]), auf welches die Mehrheit sich beruft, bezieht sich anders als § 86 Abs. 3
HSchG nicht auf die Kleidung aller „Lehrkräfte in Schule und Unterricht“, sondern
nur auf das Tragen eines Kopftuchs bei der Unterrichtung von Kindern im Grund-
und Hauptschulalter. Die vom Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren, das
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und Hauptschulalter. Die vom Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren, das
zur Aufhebung dieser Entscheidung führte, angehörten Sachverständigen haben
bekundet, dass es aus entwicklungspsychologischer Sicht derzeit noch keine
gesicherten Erkenntnisse gebe, die eine Beeinflussung von Kindern allein durch die
tägliche Begegnung mit einer Lehrerin belegen könnten, die in Schule und
Unterricht ein Kopftuch trage. Erst bei Hinzutreten von Konflikten zwischen Eltern
und Lehrern, die im Zusammenhang mit dem Kopftuch der Lehrerin entstehen
könnten, seien belastende Auswirkungen insbesondere auf jüngere Schülerinnen
und Schüler zu erwarten (BVerfGE 108, 282 [306]). Außerdem verkennt die
Mehrheit, dass § 86 Abs. 3 Satz 2 HSchG sich in seiner ersten Alternative nicht auf
den Schutz der religiösen Neutralität des Staates beschränkt, sondern das
Kopftuchverbot mit dem Schutz des Vertrauens in die staatliche Neutralität
begründet. Das Vertrauen in die Neutralität des Staates ist aber kein
verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut.
Ebenso wenig lässt sich ein Verbot des islamischen Kopftuchs, worauf § 86 Abs. 3
Satz 2 HSchG in seiner anderen, zweiten Alternative abstellt, mit dessen Eignung
zur Gefährdung des politischen, religiösen oder weltanschaulichen Friedens in der
Schule begründen. Es kann schon nicht unterstellt werden, dass es - was das
Kriterium der abstrakten Gefahr ist - zu Streitigkeiten in der Schule zu kommen
„pflegt“, allein weil eine Lehrerin ein islamisches Kopftuch trägt. Und selbst wenn
es im Einzelfall so käme, wäre dies kein Grund, der vor dem Duldsamkeitsgebot
des Art. 56 Abs. 3 und 4 HV ein Kopftuchverbot zu rechtfertigen vermag. Das
Toleranzgebot der Hessischen Verfassung ist nicht nur von den Lehrkräften,
sondern auch von Schülern und Eltern zu respektieren.
Das Duldsamkeitsziel der schulrechtlichen Normen der Hessischen Verfassung
gibt denn auch die landesverfassungsrechtliche Weichenstellung vor bei der
Entscheidung über ein Kopftuchverbot, die das Bundesverfassungsgericht den
Landesgesetzgebern aus der Sicht des Grundgesetzes freigestellt hat (BVerfGE
108, 282 [309 ff.]). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt:
„Die Schule ist der Ort, an dem unterschiedliche religiöse Auffassungen
unausweichlich aufeinander treffen und wo sich dieses Nebeneinander in
besonders empfindlicher Weise auswirkt. Ein tolerantes Miteinander mit
Andersgesinnten könnte hier am nachhaltigsten durch Erziehung geübt werden.
Dies müsste nicht die Verleugnung der eigenen Überzeugung bedeuten, sondern
böte die Chance zur Erkenntnis und Festigung des eigenen Standpunkts und zu
einer gegenseitigen Toleranz, die sich nicht als nivellierender Ausgleich versteht
(vgl. BVerfGE 41, 29 [64]). Es ließen sich deshalb Gründe dafür anführen, die
zunehmende religiöse Vielfalt in der Schule aufzunehmen und als Mittel für die
Einübung von gegenseitiger Toleranz zu nutzen, um so einen Beitrag in dem
Bemühen um Integration zu leisten. Andererseits ist die beschriebene Entwicklung
auch mit einem größeren Potenzial möglicher Konflikte in der Schule verbunden.
Es mag deshalb auch gute Gründe dafür geben, der staatlichen Neutralitätspflicht
im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende
Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild
einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fern zu
halten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein
zu vermeiden.“ (BVerfGE 108, 282 [310]).
Bei einer landesgesetzlichen Entscheidung zwischen diesen beiden Wegen ist der
Landesgesetzgeber an die Landesverfassung gebunden. Die Hessische
Verfassung weist hier die Richtung. Ihr geht es um Toleranz in der schulischen
Erziehung, nicht aber primär um Konfliktvermeidung und damit auch nicht um ein
darauf zielendes Kopftuchverbot.
Die Anforderungen der Hessischen Verfassung an die schulische Erziehung sind
anspruchsvoll und anstrengend. Sie verbieten nicht die Auseinandersetzung mit
Fremdem einschließlich fremder Religionen, sondern sie verlangen sie - immer im
Geiste der Duldsamkeit. Was ihnen widerspricht, ist deren Ignorierung,
Ausgrenzung oder gar Repression.
Die Verfassungswidrigkeit des mit § 86 Abs. 3 Satz 2 HSchG angeordneten
Verbots des islamischen Kopftuchs führt allerdings nicht notwendigerweise insoweit
zur Nichtigkeit der Norm. Da sein Wortlaut es noch zulässt, ist § 86 Abs. 3 Satz 2
HSchG vielmehr verfassungskonform so zu interpretieren, dass das Tragen eines
islamischen Kopftuchs für sich allein nicht unter das Verbot des § 86 Abs. 3 Satz 2
HSchG fällt.
§ 86 Abs. 3 Satz 3 HSchG halte ich mit der abweichenden Meinung der Mitglieder
des Staatsgerichtshofs Giani und von Plottnitz ebenso wie § 68 Abs. 2 Satz 3 HBG
für nichtig, da beide Normen auf eine verfassungsrechtlich unzulässige
Privilegierung christlich geprägter Kleidungsstücke, Symbole oder anderer
Merkmale abzielen. Die von der Mehrheit vorgenommene Abschwächung dieser
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Merkmale abzielen. Die von der Mehrheit vorgenommene Abschwächung dieser
Normen im Wege einer verfassungskonformen Auslegung muss daran scheitern,
dass sie deren Wortlaut und Sinnzusammenhang sowie der Intention des
Gesetzgebers zuwiderläuft. Es bedarf solcher Regelungen aber auch gar nicht, da
selbst § 86 Abs. 3 Satz 2 HSchG nach der hier vertretenen Auffassung nicht nur
das Tragen des islamischen Kopftuchs, sondern selbstverständlich auch das
Tragen von Kleidungsstücken wie des Nonnenhabits zulässt, die dem christlich
geprägten Selbstverständnis einer Lehrkraft entsprechen.
Hinsichtlich der Unvereinbarkeit des § 68 Abs. 2 Satz 2 des Hessischen
Beamtengesetzes mit der Hessischen Verfassung schließe ich mich der
abweichenden Meinung der Mitglieder des Staatsgerichtshofs Dr. Klein, Falk, Giani
und von Plottnitz an.
Lange
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.